Kurzfassungen:
Claus Leggewie
Globalisierung versus Hegemonie
Zur Zukunft der transatlantischen Beziehungen
Robert
Chr. van Ooyen
Moderner Realismus – auch ein Fall von politischer Theologie
Zu Robert Kagans Thesen
Claus Leggewie
Globalisierung versus Hegemonie
Zur Zukunft der transatlantischen Beziehungen
Im
Verhältnis zwischen Amerika und Europa zeichnen sich drei
Szenarien ab. Am wahrscheinlichsten ist ein ins Imperiale
gesteigerter amerikanischer Alleingang in Sicherheits- und
geoökonomischen Fragen. Die Alternativen sind (a) ein transatlantisches
Hegemoniebündnis und (b) ein „Global-Governance“-System, das
an die Stelle amerikanischer bzw. westlicher Hegemonie tritt.
Letzteres ist – leider – am unwahrscheinlichsten. Nie war
eine Supermacht so hegemonial wie die USA heute. Keine Koalition
anderer Mächte kann sie daran hindern, eine internationale
Ordnung nach ihren Wünschen einzurichten. Aber die Hegemonie
äußerst sich nicht nur in überlegener Macht, sondern auch
in der Attraktivität amerikanischer Lösungen. Viele folgen
dem Hegemonen gerne. Deshalb ist eine weltweite Koalition
der Unterlegenen gegen den Überlegenen auch nicht in Sicht.
Vielmehr bleibt es bei punktueller Kritik derer, die ansonsten
gegen die US-Bereitschaft, Missstände „in Ordnung zu bringen“,
nichts einzuwenden haben. Aus amerikanischer Sicht hat es
eine gewisse Logik, sich nicht mehr viel um die ohnehin inkonsistenten
Präferenzen anderer Regierungen zu kümmern und stattdessen
auf jeweils passende ad-hoc-Allianzen zu setzen. Dies verändert
insbesondere auch den Stellenwert Deutschlands für die US-Außenpolitik.
Aber die künftigen Herausforderungen sind mehr und mehr so,
dass ihnen mit imperialer Machtüberlegenheit nicht beizukommen
ist. In der Vergangenheit waren die USA stets auf Überwindung
der europäisch inspirierten Welt absolut souveräner Nationalstaaten
ausgerichtet und setzten dagegen ihre zur Welt hin offene
Gesellschaft. Just zu einer Zeit, in der sich die Welt tatsächlich
globalisiert und alter Nationalstaatlichkeit mehr und mehr
den Boden entzieht, betonen die USA das Denken und Handeln
in den Kategorien nationaler Souveränität. Das alte, stets
national denkende Europa hingegen hat sich dem globalen Ordnungsgedanken
verschrieben. Es ist zu befürchten, dass die „Pax Americana“
keine „Pax“ sein wird, weil die neue amerikanische Machtentfaltung
nicht die angemessene Antwort auf die bevorstehenden Bedrohungen
ist. Hegemonie passt nicht zur Globalisierung. Der Weltordnungsgedanke,
dem Europa neuerdings anhängt, weist den besseren Weg. Aber
auch in den USA gibt es einflussreiche Kräfte, die dies so
sehen. Mit ihnen gilt es, eine neue transatlantische Allianz
zu schmieden.
Robert Chr. van Ooyen
Moderner Realismus – auch ein Fall von
politischer Theologie
Zu Robert Kagans Thesen
Nicht nur Fakten
bestimmen die internationale Politik, sondern auch der theoretische
Verständniskontext, innerhalb dessen die Fakten interpretiert
werden. Dies gilt auch für die provozierenden Thesen von Robert
Kagan, der die gegenwärtigen Störungen der transatlantischen
Beziehungen als Ausdruck eines grundsätzlich unterschiedlichen
Weltbildes interpretiert. Während sich Europa an einem Kantschen
Paradies von Frieden und
Wohlstand orientiere, konzentrierten sich die USA auf Machtausübung
in der Hobbesschen Welt – Idealismus hier, Realismus dort.
Idealistische Vorstellungen zögen sich als Konstante durch
die europäische Denktradition, auch bei „modernen“ oder „realistischen“
Denkern wie Marx, Weber oder Popper. Seit einiger Zeit erlebten
sie eine Renaissance, die aus der militärischen Schwäche Europas
resultiere: Der sicherheitspolitische Illusionismus Europas
entfalte sich sozusagen parasitär unter dem US-amerikanischen
militärischen Schutzschild, Moral stelle sich als Strategie
für Schlappschwänze heraus. Mit dieser Analyse erweist sich
aber auch Kagan als „politischer Theologe“. Seine Reduktion
des Begriffs des Politischen auf die Perspektive der Macht
hat mit einem Erfassen von politischer „Wirklichkeit“ nichts
zu tun. Sie basiert auf dem Mythos der Souveränität der Macht,
schöpferisch und sich selbst erschaffend, und damit quasi-göttlich.
Politische Macht ist aber immer bloß menschliche Macht und
damit nicht souverän. Wer wie Kagan bestreitet, dass die internationalen
Beziehungen durch völkerrechtlichen und politisch institutionalisierte
Verfahren „geordnet“ werden können, wer die Moral als eine
bloße List der Schwachen denunziert, erfasst politische Realität
genauso wenig wie der von ihm kritisierte Idealismus.
Natan Sznaider
Israel: ethnischer Staat und pluralistische Gesellschaft
Der Staat Israel hat seine internationale Legitimation durch
die nach dem Holocaust eintretende Verurteilung des Antisemitismus
erhalten. Ohne diese internationale Legitimation kann sich
Israel nur auf ethnisch-religiöse Ursprünge berufen, eine
Legitimationsbasis, die vom Großteil der Welt nicht akzeptiert
wird. Aber auch die vom Holocaust hergeleitete Legitimität
des Staates stößt an das Problem, dass die globalisierte Holocaust-Erinnerung
die ethnischen Attribute von Tätern und Opfern in Kategorien
von Recht und Unrecht neu gefasst hat. Dazu kommt, dass Israel
ein "von Feinden umzingelter Staat" ist und die
soziologischen Gesetze des „feindlosen Staates“, wie man sie
heute in vielen Gesellschaften Europas vorfindet, dort nicht
zutreffen. Die spezifische Verknüpfung von ethnisch basierter
staatlicher Identität und jüdischer Religion unterscheidet
Israel klar von den nachaufklärerischen Staaten des sogenannten
Westens. Selbst bei äußerer Gleichberechtigung sind die nicht-jüdischen
Bürger vom grundlegenden Selbstverständnis des Staates ausgeschlossen.
Der Friedensprozess war nicht nur ein politischer Prozess,
in dem zwei Parteien Konfliktbeseitigung betreiben, sondern
auch gleichzeitig ein kultureller Kampf der Moderne gegen
die Tradition. Die innerjüdischen ethnischen und kulturellen
Konflikte sind unter dem Imperativ des ethnischen Staates
zu verstehen. Dort sind diese Konflikte integrationsfähig,
außerhalb des Ethnos sind sie es nicht. Der Friedensprozess wurde vor allem von dem Teil der
Bevölkerung unterstützt, die am meisten Ähnlichkeit mit westlichen
„bürgerlichen“ Gruppen hat. Mit ihm ging der Versuch einher,
Israel eine säkulare, post-zionistische Identität zu geben.
Die sozialen und kulturellen Gegensätze zwischen den verschiedenen
jüdischen Bevölkerungsgruppen verschärften sich dramatisch.
Aber in der von Gewalt geprägten neuen Wirklichkeit Israels
haben es liberale Prinzipien zunehmend schwer. Die Kriegssituation
hat die alte, bereits wankende zionistische Identität reaktiviert.
Der Konflikt mit den Feinden Israels lässt im Lande keine „Zivilgesellschaft“
im eigentlichen Sinn entstehen, da dies eben eine befriedete
Gesellschaft ist. Auch die rechtsstaatlichen Errungenschaften
werden abgebaut. Während die Feindschaft der Araber den nationalen
Zusammenhalt – auf der Basis einer exklusiven Identität –
stärkt, wird diesem Identitätskonzept und den darauf ruhenden
politischen Strukturen die Legitimität von außen zunehmend
versagt. Um diese Problematik wird sich die Zukunft Israels
drehen.
Uwe Halbach
Erdöl und Identität im Kaukasus
Mit der Auflösung der Sowjetunion kam es in der Kaukasusregion
zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer zu vielen mehr oder
minder gewaltsamen Konflikten, die alle bis heute nicht beigelegt
sind. Diese Konflikte, von denen mehrere das Ausmaß von regelrechten
Kriegen annahmen, sind wesentlich auf den Kampf ethnisch definierter
Gruppen um Loslösung aus einem bestehenden Staatsverbund zurückzuführen.
In der Regel ging und geht es um die Bildung eines eigenen
unabhängigen Staates. Im Fall der angestrebten Loslösung Berg-Karabachs
von Aserbaidschan gibt es auch die Perspektive des Anschlusses
an einen anderen Staat – Armenien. Obgleich aus der identitätspolitischen
Wurzel die eigentliche Konfliktenergie entsteht, kommen ökonomische
Faktoren konfliktverstärkend, –verlängernd und –verändernd
hinzu. Das oft angeführte „Great Game“ zwischen Groß- und
Mittelmächten um das kaspische Erdöl und seine Transportrouten
spielt allerdings eine untergeordnete Rolle. Nicht nur brachen
alle Konflikte in der Region zu einer Zeit aus, als die –
mittlerweile auch schon wieder stark zurückgegangenen – kaspischen
Erdölphantasien noch nicht politikbestimmend waren. Der Ausgang
der diversen Konflikte war auch wenig relevant für die Pipeline-Projekte.
Wohl hat die Region durch das kaspische Öl – möglicherweise
nur vorübergehend – an geopolitischer Bedeutung gewonnen,
aber die Instrumentalisierbarkeit der ethnischen Spannungen
zugunsten des einen oder anderen geopolitischen Akteurs hielt
sich in engen Grenzen. Eher war das Umgekehrte der Fall: die
lokalen kaukasischen Konfliktparteien instrumentalisierten
die entstehende Erdölwirtschaft – aber nicht nur sie – für
ihre Zwecke. Einerseits heißt das, dass sie mit Hilfe des
gewalt-unterstützten Zugriffs auf ökonomische Ressourcen ihre
„Sache“ finanziell unterstützten. Andererseits entstanden
in den im Zuge der Bürgerkriege zunehmend „staatsfrei“ gewordenen
und somit der „Rechtlosigkeit“ anheim gefallenen Räumen kriminelle
und quasikriminelle Komplizenschaften zur Selbstbereicherung.
Letzteres lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass das Bereicherungsmotiv
bestimmend für den weiteren Verlauf der Konflikte wurde. Im
Gegenteil: die Konflikte sind bis heute von der Bereitschaft
der Akteure gekennzeichnet, für die eigene identitätspolitisch
definierte Sache große materielle Opfer in Kauf zu nehmen.
In der Tat haben die diversen Kriege und die daran anschließenden
„friedlosen“ Pattsituationen zu einem massiven wirtschaftlichen
Verfall mit einer entsprechenden Verarmung der Bevölkerung
geführt. Überall haben sich Subsistenzökonomien auf niedrigstem
Niveau herausgebildet – nicht nur in den rebellenkontrollierten
Gebieten, sondern in den betroffenen Staaten insgesamt. Zunehmend
ist es der islamische Faktor, der die regionale Anarchie mit
der Weltpolitik verknüpft. Er spielt besonders im Tschetschenien-Konflikt
eine Rolle: Teile der Rebellen betonen ihre islamische Identität.
Russland legitimiert sein – der Moskauer Kontrolle weitgehend
entglittenes – Eingreifen als Kampf gegen islamistischen Terrorismus.
Darüber hinaus könnten die „staatsfreien“ Räume des heutigen
Kaukasus terroristischen Gruppierungen als potenzielle Rückzugsgebiete
dienen.
Andreas Maurer
Less Bargaining – More Deliberation
The Convention Method for Enhancing EU Democracy
Die Entscheidungsprozeduren der Europäischen Union, in
deren Zentrum – weitgehend nicht-öffentliche – Verhandlungsprozesse
zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten stehen, sind
so bürgerfern, dass ihre Akzeptanz zunehmend auf dem Spiel
steht. Aber ein klarer Ausweg ist nicht in Sicht. Denn Mehrheitsentscheidungen
nach dem klassischem Muster der repräsentativen Demokratie
setzen die Bereitschaft der jeweiligen Minderheit voraus,
sich der Mehrheitsentscheidung zu unterwerfen. Dies kann
nur auf der Basis eines grundlegenden Zusammengehörigkeitsgefühls
erwartet werden. In anderen Worten: es bedürfte eines europäischen
Volkes, eines europäischen „Demos“, den es bislang nicht
gibt. Aber ein solcher Demos kann auch durch das gemeinsame
Politik-Machen, in dessen Verlauf eine gemeinsame politische
Öffentlichkeit gebildet wird, allmählich entstehen. Es käme
demnach darauf an, den Prozess der Bildung einer europäischen
politischen Öffentlichkeit voranzubringen. Hierzu bietet
sich das Konzept der „deliberativen Demokratie“ an, das
nicht die Mehrheitsentscheidung in den Mittelpunkt stellt,
sondern das gemeinsame Suchen, mittels offenem Argumente-Austausch,
nach – möglichst konsensgetragenen – Lösungen für gemeinsame
Probleme. In diesem Sinne wird ein politisches Gemeinwesen
(eine polity) demokratischer, wenn Foren für solches „Deliberieren“
eingerichtet werden. Das „deliberative“ Suchen nach den
besten Entscheidungen schafft, wenn es mit breiter Partizipation
geschieht, auch jene Öffentlichkeit, die einen demokratiefähigen
„Demos“ ausmacht. Im Zuge der Weiterentwicklung der EU wurden
in den letzten Jahren bei zwei Gelegenheiten Foren für offenes
„Deliberieren“ geschaffen. Eines war die „Convention on
the Charter of Fundamental Rights“, die sich von Ende 1999
bis Herbst 2000 traf. Das andere ist die Ende 2001 eingerichtete
„Convention on the Future of the Union“. Beide waren bzw.
sind damit beauftragt, Empfehlungen für grundlegende Weichenstellungen
in der EU-Entwicklung auszuarbeiten – Empfehlungen, die
einer Regierungskonferenz (Intergovernmental Conference)
zur Entscheidung vorgelegt werden. Die „Konvent-Methode“
weist neue Wege für die Demokratisierung der EU-Entscheidungsprozesse,
weil sie jenseits aller Zuständigkeits-Regelungen Mitglieder
des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente mit Regierungs-
und Kommissionsvertretern zu einem intensiven, ergebnisorientierten
Meinungsaustausch zusammenbringt. Obgleich sie am Entscheidungsprozedere
direkt nichts ändert, eröffnet die Konvent-Methode den Volksvertretern
auf EU- und nationaler Ebene die Möglichkeit für eine substanzielle
Mitgestaltung der EU-Politik. Die genannten Konvente sind
ein erster Schritt, noch kein Durchbruch. Aber das europäische
Parlament und die nationalen Parlamente haben es selbst
in ihrer Hand, der Konvent-Methode in Zukunft eine größere
Rolle zuzuweisen und damit eine substanzielle Demokratisierung
der Union voranzubringen.
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