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Hanns W. Maull
Containing Entropy, Rebuilding the State: Challenges
to International Order in the Age of Globalisation
Andreas
Wittkowsky
Modellfall Kosovo?
UNMIK und die Architektur
künftiger internationaler Mandate
Arne Heise
Der Kölner Prozess: Ein vernachlässigter Aspekt der europäischen Beschäftigungspolitik
Hans Platzer
Europäisierung und Transnationalisierung der Arbeitsbeziehungen in der
EU
Hanns
W.Maull
Staatszerfall und Staatsaufbau: Herausforderungen
internationaler Ordnungspolitik in den Zeiten der Globalisierung
(Original: Containing Entropy, Rebuilding the State: Challenges
to International Order in the Age of Globalisation)
Internationale Ordnungspolitik braucht ein stimmiges Konzept, wie die
Internationale Ordnung beschaffen sein sollte. Dieses Konzept muss sich
einerseits an dominierenden westlichen Wertorientierungen von Demokratie
und globaler Marktwirtschaft orientieren, andererseits aber auch außerhalb
der westlichen Welt Legitimität finden. Erfüllt werden könnten diese
Anforderungen durch eine Vision internationaler
Ordnung, die auf eine systematische Zivilisierung der Konfliktaustragung
und die Verregelung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen
abzielt. Dies impliziert ein Ordnungsmodell, in dem die Unterschiede
zwischen demokratischer Innenpolitik und Welt-Ordnungspolitik schrittweise
zurückgedrängt und schließlich aufgelöst werden. Die Realisierung einer
derartigen Konzeption wird gegenwärtig und auf absehbare Zukunft eher
durch Steuerungsdefizite der internationalen Ordnungspolitik und die
Eigendynamik von Globalisierungsprozessen als durch Gegenspieler mit
anderen ordnungspolitischen Entwürfen gefährdet. Auch die Gefahren,
die vom islamischen Fundamentalismus ausgehen, sind letztlich nur Folgeerscheinungen
einer durchgängigen Tendenz zur politischen Entropie. Um die Probleme
zu überwinden, braucht internationale Ordnungspolitik zuförderst leistungsfähige
Staaten. Der moderne, demokratische Nationalstaat hat die Zivilisierung
der Konfliktaustragung in den eigenen Grenzen zwar in der Regel erreicht,
aber in vielen nichtwestlichen Ländern existieren Institutionen moderner
Staatlichkeit nur unvollständig oder gar nicht. Die internationale Gemeinschaft
ist aufgerufen, hier staatsbildend einzugreifen. Zugleich gerät der
Nationalstaat auch im Westen durch Prozesse der Globalisierung unter
Druck: Nur über zwischenstaatliche und supranationale Zusammenarbeit
kann er verlorene Handlungsfähigkeit wiedergewinnen. Eine Schlüsselrolle
kommt beim Aufbau einer den Problemen angemessenen Weltordnung der Zusammenarbeit
zwischen den USA und der Europäischen Union zu. Grundsätzliche Vorbehalte
Amerikas gegen eine derartige Ordnungskonzeption einerseits und die
unzureichende Handlungsfähigkeit der EU andererseits stehen indes der
Umsetzung dieser Vision im Wege.
Andreas Wittkowsky
Modellfall Kosovo?
UNMIK und die Architektur
künftiger internationaler Mandate
Gegenwärtig zeigt die
internationale Öffentlichkeit erneut Interesse an Eingriffsmöglichkeiten
in Regionen, die durch dauerhafte Konflikte und Staatszerfall gezeichnet
sind. Als mögliches Modell wird die UN-Übergangsverwaltung im Kosovo
(UNMIK) gehandelt. Tatsächlich hat UNMIK eine beachtliche Erfolgsbilanz
vorzuweisen und Chancen zur friedlichen Konfliktbearbeitung geschaffen
(die nun allerdings durch die lokalen politischen Kräfte genutzt
werden müssen). UNMIK war besonders dort erfolgreich, wo schnell
konkrete Lieferungen und Leistungen zu erbringen waren (z.B. Nothilfe)
oder internationale Experten weitgehend problemlos Verantwortung
für Verwaltungshandeln übernehmen konnten. Wenig überraschend sind
größere Schwierigkeiten im Bereich des Aufbaus jener Institutionen
zu beobachten, die auf veränderten Verhaltensmustern und ihrer grundsätzlichen
Akzeptanz in der Gesellschaft beruhen. Diese sind selbst im positivsten
Fall nur längerfristig zu verankern. Zudem sträuben sich maßgebliche
Teile der Gesellschaft im Kosovo gegen einen Teil dieser Institutionen.
Besondere Probleme resultieren aus der gewollt offen gehaltenen
Frage des künftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo. Politisches
Kernproblem ist die längerfristige Akzeptanz des Mandats durch die
Kosovaren sowie die Durchsetzung entsprechender Politiken. Zweifel
an der beliebigen Wiederholbarkeit des Modells läßt die Erkenntnis
aufkommen, dass die bisherige Erfolgsgeschichte auf einigen glücklichen
Rahmenbedingungen beruht. Hierzu zählen insbesondere die flächendeckende
Präsenz der Sicherheitsorgane, enge wirtschaftliche, familiäre und
kulturelle Kontakte der Kosovaren zur Europäischen Union, ein hohes
Maß an Eigeninitiative und – bedingt durch die kosovarische Sozialstruktur
– eine beträchtliche innerer Stabilität. Für künftige internationale
Mandate ist eine robuste, aber realistische Ausgestaltung anzuraten.
Zur Robustheit kann u.a. beitragen, zivile und militärische Aufklärungs-
und Polizeifunktionen zu koppeln, frühzeitig internationale Rechtsinstanzen
einzurichten und eine starke politische Öffentlichkeitsarbeit zu
betreiben. Ein hoher Stellenwert gebührt dem Umgang mit strittigen
Eigentumsfragen, die ein wesentlicher Anlass für fortgesetzte Konflikte
sein können. Zur realistischen Ausgestaltung des Mandats kann beitragen,
frühzeitig politische Verantwortung an die lokalen Eliten zu übertragen,
um ein entsprechendes „ownership“ zu schaffen. Die Lösung der gesellschaftlichen
Kernaufgabe – der Bildung einer modernen Nation und die daran hängende
Legitimierung staatlicher Gewalt - kann allerdings nicht von außen kommen.
Jochen
Müller
Das islamische Argument Warum sich so viele Araber umringt von Feinden
sehen
In
den Versuchen, die Anschläge vom 11. September 2001 zu erklären,
griff eine These auf einen
„unaufgeklärt“ gebliebenen Islam zurück, während andere den islamistischen
Terror als Folge der Globalisierung verstehen wollten. Beide Perspektiven
kümmerten sich jedoch recht wenig um Geschichte und Gegenwart der
verschiedenen Strömungen des politischen Islams. Dabei zeigt ein
Blick in die nahe Vergangenheit, wie sich bereits im 19. Jahrhundert
im Nahen und Mittleren Osten ein islamischer Diskurs als Reaktion
auf Kolonialismus und Unterwerfung herausbildet. Bis heute ist die
Behauptung einer fortgesetzten Bedrohung und Demütigung "der
Muslime" durch "den Westen" wesentliches Motiv einer
kollektiven islamischen Identität in vielen Staaten der Region.
Dieses verbreitete Gefühl einer äußeren Bedrohung machen sich sowohl
die autoritären Regime in der Region als auch die verschiedenen
Spielarten des politischen Islam zu Nutze: Sie fördern Verschwörungstheorien
wie den Antisemitismus und lenken von einer emanzipatorischen Kritik
an den sozialen Widersprüchen ihrer Gesellschaften ab. Im Unterschied
zum moderaten „Mainstream-Islamismus“, der sich etwa in Gestalt
der Muslimbrüder den politischen Systemen in der Region anpasst,
appellieren die Gruppierungen des radikalen Islams vor allem mit
der Absicht an das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelte „koloniale
Erbe“, ihren militanten Kampf zu begründen. Sie wähnen sich als Verteidiger
des muslimischen Kollektivs und sehen ihre Ideologie mit dem Krieg
der Anti-Terrorallianz gegen die Taliban sowie in den weiteren westlichen
Interventionsplänen bestätigt. Allerdings richtete sich der Terror
der Radikalen bisher fast ausschließlich gegen die eigenen nationalen
Regime, die sie als „unislamisch“ brandmarken. Innerhalb des in
den vergangenen Jahren auf lokaler Ebene stark geschwächten radikalen
Spektrums des Islamismus stellt der international operierende Jihad-Islam
– repräsentiert vor allem durch Al Qaida – daher einen Sonderfall
dar.
Michael Dauderstädt
Anpassungszwänge und Legitimationsverlust:
das europäische Dilemma
Die EU vertieft und
erweitert sich gleichzeitig. Die Vertiefungsschritte im Sinne einer
Liberalisierung der Märkte und Harmonisierung der Politiken haben
das Spielfeld in Europa immer weiter eingeebnet, auf dem die Menschen,
Unternehmen, Regionen, Länder um ihre Wohlstandschancen kämpfen. Damit
verändert sich auch die Natur der Verteilungskonflikte und Anpassungsprozesse,
die nicht mehr nur national, sondern auch europäisch wahrgenommen
werden. Dazu kommt die Erweiterung, mit der noch deutlich heterogenere,
vor allem ärmere Spieler das eingeebnete Spielfeld betreten. Deren
Interesse an aufholendem Wachstum droht durch eine ineffiziente Regionalpolitik
und eine stabilitätsfixierte Geld- und Währungspolitik frustriert
zu werden. Die Konkurrenz der zahlreicheren ärmeren Regionen trifft
auf Wohlfahrtsgesellschaften, deren eigene Regime ohnehin schon massiven
Anpassungszwängen (Demographie, Globalisierung) aus unterschiedlichen
Gründen unterworfen sind. Arbeitslosigkeit und Ungleichheit drohen
weiter zuzunehmen und mit ihr oft die Unfähigkeit nationaler Politik,
die notwendigen schmerzhaften Reformen durchzusetzen. Stattdessen
verweist sie gern auf Brüssel als die schuldige Instanz. Die Anpassung
der (nationalen) Verteilung von Einkommens- und Wohlstandschancen
ist immer ein hochpolitischer Prozess– erst recht in den europäischen
Demokratien. Verlieren traditionelle Anpassungsmuster ihre Wirksamkeit
oder Zulässigkeit, so verschärfen sich inner- und zwischenstaatliche
Verteilungskonflikte und verlangen nach neuen, der Integration angemessenen,
nationalen Strategien oder besseren supranationalen Politiken. Während
der nur unzureichend demokratisch legitimierte europäische „Suprastaat“
die Bedingungen nationaler Politik verändert, untergraben deren sozial
wenig akzeptable Resultate die Legitimation der europäischen Integration
und eventuell sogar der (nationalen) Demokratie. Mehr Subsidiarität,
Differenzierung und Flexibilisierung der Integration sowie die Demokratisierung
der Institutionen der Union könnten die europäische Politik für die
betroffenen gesellschaftlichen Interessen stärker öffnen und damit
ihre soziale Ausgestaltung befördern. Aber das Prinzip des Gemeinsamen
Marktes setzt der Autonomie, die die EU den nationalen Regierungen
beim Einwirken auf ihre nationalen Wirtschaften zugestehen kann, auch
Grenzen.
Arne Heise
Der Kölner Prozess: Ein vernachlässigter Aspekt der europäischen
Beschäftigungspolitik
(Original: The Cologne Process: a Neglected Aspect of European
Employment Policy)
Seit der Amsterdamer Revision des Vertrages
von Maastricht hat die Europäische Union ihre Verantwortlichkeit
für die Beschäftigungsentwicklung akzeptiert. Auf verschiedenen
EU-Gipfeln wurde dann ein Dreisäulenkonzept der europäischen Beschäftigungspolitik
herausgearbeitet, das auf Arbeitsmarktpolitik (Luxemburg-Prozess),
Güter- und Finanzmarktreformen (Cardiff-Prozess) und eine Abstimmung
der makroökonomischen Politikbereiche Geld-, Finanz- und Lohnpolitik
(Kölner Prozess) setzt. Fast unbemerkt von Wissenschaft und Öffentlichkeit
ist auf dem EU-Gipfel von Köln im Jahre 1999 ein Verfahren geschaffen
worden, das für einen das Wirtschaftswachstum - und damit die Beschäftigung
- begünstigenden Politik-Mix sorgen soll. Dem liegt die Einsicht
zugrunde, dass die Europäische Zentralbank, der Ecofin-Rat und die
Sozialpartner ihr Verhalten aufeinander abstimmen müssen, um eine
Marktkonstellation zu schaffen, in der die europäischen Beschäftigungsprobleme
zu lösen wären. Doch es zeigte sich sehr schnell, dass diese Erkenntnis
keine nachhaltigen Kooperationsanstrengungen auszulösen vermochte.
Offensichtlich entsprang der Kölner Prozess einer Situation, als
nach der Wahl von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Lafontaine
kurzzeitig ein anderer Politikwind durch die EU wehte. Die weitgehende
Wirkungslosigkeit des EU-Makrodialogs beruht (a) auf seiner systematischen
Unvereinbarkeit mit den übrigen Politikverfahren der europäischen
Wirtschaftspolitik, insbesondere dem Stabilitäts- und Wachstumspakt,
(b) der mangelnden institutionellen Einbettung der Kooperation und
(c) dem Opportunismus von Politikern, die sich nicht gegen den wirtschaftspolitischen
Zeitgeist stark machen wollen.
Hans Platzer
Europäisierung und Transnationalisierung der Arbeitsbeziehungen in
der EU
Seit Mitte der 90er Jahre bilden sich in der EU neue überstaatliche
Arbeitsbeziehungsstrukturen heraus, deren Entwicklungsdynamik auf
einem Wandel des EU-Regulierungsmodus im Bereich der Arbeits- und
Sozialpolitik basiert. Den europäischen Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbänden steht nunmehr die Option autonomer Kollektivverhandlungen
auf europäischer Ebene offen. Zudem können sie in bestimmten, Bereichen
sozial- und arbeitspolitische Vereinbarungen treffen, die dann qua
Ministerratsbeschluss in die gemeinschaftliche Sozialgesetzgebung
übergehen. Den in mehrfacher Hinsicht dynamischsten Pol der Europäisierung
der Arbeitsbeziehungen bilden die Europäischen Betriebsräte (EBR).
Die Richtlinie zu ihrer Einrichtung vom September 1994 schuf erstmals
eine Institution des kollektiven Arbeitsrechts auf europäischer Ebene.
Gerade weil sie kein verbindliches „Modell“ vorgibt, zwingt sie die
betroffenen Unternehmensleitungen und Belegschaftsvertretungen, die
Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, sich mit diesem „Projekt“
auseinander zu setzen. Dadurch entstehen neue Anforderungen an die
Kommunikation, Verhaltenskoordination und Verhandlungsvorbereitung
der beteiligten Akteure. Ob die Europäischen Betriebsräte zur Keimzelle
eines transnationalen „Konzernsyndikalismus“ werden, ist derzeit freilich
noch offen. Was den harten Kern der Arbeitsbeziehungen betrifft, nämlich
die Tarifverhandlungen über Entlohnung, Arbeitszeit und dergleichen,
so stehen einer wirksamen Europäisierung sowohl die Organisationsschwäche
der Gewerkschaften als auch das Desinteresse der Arbeitgeber entgegen.
In deren Sinn ist es nicht, den Wettbewerb zwischen den nationalen
Arbeitnehmerschaften – der vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit
in weiten Teilen der EU besonders wirksam ist – durch gesamteuropäische
Abmachungen zu begrenzen. Auch die Gewerkschaften selber sind durch
die Einbindung in wettbewerbsorientierte nationale „Modernisierungspakte“
gehindert, gesamteuropäische Kampffronten aufzubauen. Hinzu kommt,
dass die EU im tarifpolitischen Bereich kein europäisches Regelwerk
geschaffen hat. Die Einrichtung des „Sozialen Dialogs“ blieb entsprechend
„zahnlos“.
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