Internationale Politik und Gesellschaft
International Politics and Society 2/2003

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Kurzfassungen:

Stephen Ellis
The Old Roots of Africa's "New" Wars

David Keen
Greedy Elites, Dwindling Resources, Alienated Youths
The Anatomy of Protracted Violence in Sierra Leone

Stephen Ellis

The Old Roots of Africa’s New Wars

Viele Bürgerkriege in Afrika, die neuerdings große Beachtung finden, datieren auf die Zeit vor dem Ende des Kalten Krieges zurück. Dennoch lässt sich eine Zunahme gewaltsamer Auseinandersetzungen seit 1990 konstatieren. Die gemeinsamen Wurzeln der älteren und der neuen afrikanischen Kriege liegen im politischen System der postkolonialen Staaten. Von Anfang an war die Politik klientelistisch geprägt und auf die Teilhabe an den Ressourcen orientiert, die der Staat kontrollierte. Die einzelnen Gruppen suchten an diese Pfründe zu gelangen und ihre Rivalen davon wegzudrängen. D.h. die klientelistische Politik gehorchte der Logik eines Nullsummenspiels oder anders ausgedrückt einer Kriegslogik. Sie war von jeher „militarisierte“ Politik. Anfangs verfügten die afrikanischen Regierungen über genügend Mittel, um ein wirksames Patronage-System zu unterhalten. Das lag nicht zuletzt an den Zuwendungen, die sie im Kontext des Kalten Krieges von den mit ihnen verbündeten Großmächten erhielten. Die Regierungen hatten auch genügend Mittel, um gewaltsame Rebellion in aller Regel in Schach zu halten. Mit Ende des Kalten Krieges versiegte der Zufluss von Ressourcen weitgehend. Wirtschaftlicher Niedergang, oft gekoppelt mit schlechter (sowohl hausgemachter als auch international aufgedrängter) Politik, tat ein Übriges, die Kontrollmacht der Regierungen zu verringern sowie Unzufriedenheit wachsen zu lassen und den im klientelistischen Politikmuster angelegten Verteilungskampf zu verschärfen. Eine wichtige Rolle spielten auch die Erwartungen, die sich während der außergewöhnlichen weltweiten Prosperitätsphase der ersten postkolonialen Jahrzehnte gebildet hatten, aber langfristig unrealistisch waren. Das post-koloniale Afrika war auf ein modernes westliches Wirtschafts- und Gesellschaftsmuster hin orientiert, das sich als nicht durchhaltbar erwies. In dem Kampf um die knapper werdenden Quellen des Wohlstandes wurde die Aktivierung ethnischer Zugehörigkeitsgefühle zu einem probaten und naheliegenden Mittel der Mobilisierung. Dies hat nichts zu tun mit einem Rückfall in vornationale Formen sozialer Organisation im Sinne einer Auflösung nationaler Gesellschaften. Vielmehr dient die Aktivierung ethnischer Identität dem Kampf um die Macht im (Ethnien übergreifenden) Staat bzw. um die von ihm kontrollierten Ressourcen. Gewaltsame Politik schafft, wenn der Übergang zu ihr einmal erfolgt ist, ihre eigene, sich selbst verstärkende Dynamik. Es muss eine offene Frage bleiben, ob die jetzige Epoche gewaltbasierter politischer Auseinandersetzung mit ihren immens hohen Kosten – wie einst in Europa – den Boden bereitet für eine friedlichere Form, Gesellschaft zu organisieren.

 

 

David Keen

Greedy Elites, Dwindling Resources, Alienated Youths
The Anatomy of Protracted Violence in Sierra Leone

Der elfjährige Bürgerkrieg in Sierra Leone, in dessen Verlauf mehr als die Hälfte der Bevölkerung zu Flüchtlingen wurden, stellt sich als ein Eskalationsprozess mit wachsender Komplexität dar. Dabei spielte der Diamantenabbau in mehrerlei Hinsicht eine große Rolle. Den kämpfenden Gruppen ging es zunehmend darum, sich an den Diamanten zu bereichern. Der Diamantenabbau war aber auch die wichtigste Quelle der Kriegsfinanzierung. Der Zugang zu den Einkommenschancen, die der Diamantenabbau bietet, wurde darüber hinaus eine zentrale Frage der gesellschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit und damit der Legitimität der herrschenden Ordnung. D.h. es ging nicht schlichtweg um ungezügelte Habgier, sondern auch um „Rechte“. Aber die Diamanten-Ökonomie allein kann die Spirale der Gewalt in Sierra Leone nicht erklären. Wichtig ist die generelle Unzufriedenheit mit der ökonomischen Situation, der Mangel an persönlichen Zukunftsperspektiven, der sich aus den Unzulänglichkeiten des nationalen „Entwicklungsmusters“ ergab und insbesondere große Teile der heranwachsenden Generation frustrierte. Wichtig ist auch der Legitimitätsverlust des Herrschaftssystems. Eine Rolle spielten hierbei sowohl die offensichtliche Unfähigkeit der Regierungen, den Lauf der Entwicklung zu beeinflussen und eine Wende zum Besseren herbeizuführen, als auch massive Ungerechtigkeiten, die sich die Regierungen zu Schulden kommen ließen. Insbesondere Präsident Siaka Stevens (1971 – 1985) machte die Festigung seiner Macht und seine eigene Bereicherung zur offenkundigen Leitlinie seines Regierungshandelns. Benachteiligte Gruppen wurden zunehmend antagonisiert, die staatliche Einflussnahme auf öffentliche Belange degenerierte zum Instrument der Vorteilnahme der Funktionsträger und ihrer Klientel. Der solchermaßen „privatisierten“ Staatsmacht setzten bei guter Gelegenheit (Unterstützung durch Liberia) Rebellen private Gegenmacht entgegen. Vor dem Hintergrund des generellen staatlichen Legitimitäts- und Machtverlustes (schwindende Ressourcen!) wurde der einmal begonnene Bürgerkrieg zum strukturierenden Kontext für vielfältige gesellschaftliche Konflikte. Das Erlangen und Absichern von Beutemöglichkeiten (sowohl Diamanten als auch Plünderungen) bestimmte das Verhalten von Rebellen und Soldaten gleichermaßen. Der Kampf um Beutequellen wurde gleichwohl auch von „Gerechtigkeits“-Kriterien überlagert, was u.a. zu Rissen innerhalb der Streitkräfte, aber auch zu einer generalisierten Frontstellung Kämpfer vs. Zivilisten führte. Nach dem Friedensschluss droht die Gefahr, dass die Strukturen, die die Gewalteskalation hervor brachten, neu gefestigt werden. Die von außen aufoktroyierte neoliberale Wirtschaftspolitik verschafft - entgegen ihrem eigenen Credo - einigen privilegierten Manipulatoren immense Bereicherungsmöglichkeiten, während sie sich für die Masse der Bevölkerung mit der frustrierenden Perspektive anhaltender Austerität verbindet. Die Strukturen der Diamantenökonomie mit der daran hängenden Korruption bleiben bestehen. Die Demobilisierung der bewaffneten Gruppen erzeugt angesichts begrenzter Reintegrationsmöglichkeiten neue Unzufriedenheiten. Nur eine lang anhaltende Intervention von außen, verbunden mit großzügiger finanzieller Unterstützung scheint einen dauerhaften Ausweg zu weisen.

 

 

Daniel Stroux

Rohstoffe, Ressentiments und staatsfreie Räume
Die Strukturen des Krieges in Afrikas Mitte

Der Kern des Konflikts in Afrikas Mitte sind die seit Jahrzehnten anhaltenden Machtkämpfe zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda und Burundi, die in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im ruandischen Genozid von über einer Million Menschen ihren extremen Ausdruck fanden. Dass sich dieser (regionale) Konflikt zu einem afrikanischen Krieg mit sieben beteiligten Nationalstaaten entwickeln konnte, ist auf den gleichzeitigen Zerfall des rohstoffreichen Zaire, heute Demokratische Republik Kongo, zurückzuführen. Als der Mobutu-Staat den Zugang ausländischer Investoren zu den reichen Rohstoffvorkommen (Edelmetalle, Uran, Kupfer, Öl, Gas) nicht mehr regulieren konnte, wurde das Land zum Selbstbedienungsladen benachbarter Staaten. Zuerst waren es ruandische und ugandische Truppen, die im Osten des Kongo, stets ein Rückzugs- und längerfristig auch Siedlungsgebiet der Verlierer der jeweiligen Machtkämpfe in den Nachbarländern, den inneren Feind außerhalb der Landesgrenzen bekämpften. Diese machtpolitisch begründete Invasion wurde zunehmend von wirtschaftlichen Motiven überlagert, was wiederum Angola, Simbabwe und Namibia veranlasste, den Kongo zu unterstützen, um sich ihrerseits einen Anteil an den Rohstoffen zu sichern. Mit dem Abkommen von Lusaka im Jahre 1999 und dem Tod von Laurent Kabila im Januar 2001 wurde der Weg zum Frieden eingeschlagen (statt der Köpfe). Nicht nur im Kongo, sondern auch in Ruanda und Burundi werden unter Beteiligung der Vereinten Nationen erste Versuche unternommen, die verschiedenen Volksgruppen in die Gesellschaft und das politische Leben einzubeziehen. Diese Versuche stehen aber vor formidablen Herausforderungen. Diejenigen Politiker, die an die Macht kommen, widmen sich meist mit großem Engagement der Aufgabe, ihre Widersacher auszugrenzen. Der Einsatz von Gewalt ist dabei die Regel, der Dialog die Ausnahme. Sind die Politiker durch internationale Sanktionen noch bedingt zu kontrollieren, so gilt dies nicht für die zahlreichen Warlords. Nicht nur die Rohstoffvorkommen, auch die durch lange und brutal geführte Kriege entstandenen Ressentiments und Traumata großer Teile der Bevölkerung sind schon fast eine Garantie dafür, dass Gewaltausübung auch in Zukunft wichtiger Teil machtpolitischer Auseinandersetzungen sein wird.

Gilles Dorronsoro

Afghanistan: the Delusions of Victory

Der Erfolg der US-amerikanischen Militärintervention in Afghanistan war zunächst überzeugend, doch der Aufbau eines friedfertigen und ökonomisch lebensfähigen Gemeinwesens ist bislang misslungen. Die Regierung Karzai ist schwach. Sie wird außerhalb der Hauptstadt Kabul nicht akzeptiert, in den Provinzen haben Warlords erneut die Macht übernommen. Ein alle ethnischen Gruppen und ihre sozioökonomischen Interessen einschließendes nationales Projekt ist bislang nicht entwickelt worden. Es herrscht ein generelles Machtvakuum, in dem sich verschiedene Guerillagruppen ausbreiten konnten, neben den Neo-Taliban die im Land verbliebenen (oder zurückgekehrten) arabischen Kämpfer und die Gruppe um Hezb-i Islami. Alle Gruppen verfügen über Territorien, in die sie sich ungestört zurückziehen können. Der Opiumanbau floriert und dient den Guerilla-Gruppen als Einkommensquelle, mit denen sie ihre ohnehin umfangreichen Waffenarsenale weiter aufstocken können. Die ursprüngliche Allianz der USA mit Pakistan ist brüchig, vor allem in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion sind fundamentalistische, anti-amerikanische Gruppen an die Macht gelangt. Die USA sind daher gezwungen, sich in stärkerem Maße als geplant sowohl militärisch als auch humanitär zu engagieren, um die bislang nicht erreichten Ziele der Intervention weiter zu verfolgen. Alles deutet auf ein längere Präsenz der USA in Afghanistan hin. Ob dies der Sicherheit der USA gegenüber dem internationalen Terrorismus dient, ist derzeit nicht abschließend zu beurteilen, aber die negativen Folgen für das internationale Renommee der USA und ihre militärische Handlungsfähigkeit in anderen Regionen der Welt sind absehbar.

 

Michael Ehrke                               

Von der Raubökonomie zur Rentenökonomie
Mafia, Bürokratie und internationales Mandat in Bosnien

Nach dem blutigen Bürgerkrieg hat sich die internationale Gemeinschaft vorgenommen, Bosnien-Herzegowina auf den Weg in Richtung eines demokratisch organisierten Staates mit prosperierender (Markt-)Wirtschaft zu bringen. Sie hat dort zunächst die Staatsgewalt übernommen, um die wichtigen Struktur bildenden Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Paradoxerweise stärkt diese äußere Intervention jedoch Strukturen in der bosnischen Gesellschaft, die eine demokratische und auch wirtschaftliche Entwicklung blockieren. Die vorläufige de-facto-Regierung des Office of the High Representative traf auf eine Realität, die durch die während des Bürgerkriegs entstandene „Raubökonomie“ geprägt war. Mafiöse Machtstrukturen hatten sich herausgebildet, die die Möglichkeiten der Bereicherung und des wirtschaftlichen Überlebens gleichermaßen kontrollierten. Im Krieg bestanden diese Möglichkeiten (a) in Raub und Plünderung, (b) in der Ausnutzung jener hochgradigen Marktsegmentierung, die ihrerseits ein Resultat kriegsbedingter Transportunterbrechungen und willkürlich gesetzter Handelsbarrieren war. Produktion selbst wurde als Einkommensquelle unwichtig. Für die Bevölkerung war es dabei zu einer Frage des wirtschaftlichen Überlebens geworden, sich in die von den „Gewaltunternehmern“ aufgebauten Netzwerke einzugliedern. Es war mehr als naheliegend, dass ethnische Zugehörigkeit dabei zum wichtigsten Kriterium wurde. Der Rückfall in vormoderne „Stammes“-Strukturen ist das politische Pendant zur Raubökonomie, die der Verfall des jugoslawischen Staates hervorgebracht hatte. Die UN-Interventionsmacht machte der Raubökonomie ein Ende, aber deren Netzwerke blieben bestehen. Sie passten sich an die veränderte Situation an, indem sie (a) die Umgehung von Regeln (vor allem auch in Form innerer Grenzen) zur Erzielung von Einkommen nutzten und (b) die neuen Rentenquellen, die mit der von außen hereinströmenden Wirtschaftshilfe verbunden waren, unter ihre Kontrolle brachten. Dies ist nur möglich, solange Konkurrenten ausgeschaltet werden können. Die mafiösen Eliten haben deshalb ein Interesse daran, dass die Strukturen der Intransparenz, der ethnischen Abschottung und der darauf beruhenden Beziehungsnetze erhalten bleiben. Modernisierung und Entwicklung, wie sie die internationale Gemeinschaft anstrebt, ist nicht in ihrem Sinn. Gewaltandrohung und –anwendung ist ebenso Bestandteil der Bereicherungsökonomie wie die Durchdringung der offiziellen Verwaltungsstrukturen. Die Protektorats-Regierung ist ihrerseits auf lokale Eliten (Kommunalverwaltungen etc.) angewiesen. Nur so erreicht sie in der Eile, zu der die für das Mandat und dessen Finanzen wichtige Öffentlichkeit sie drängt, die Bevölkerung. Diese wiederum ist angesichts der äußerst geringen Möglichkeiten, formelle Arbeit zu finden, so wie zu Bürgerkriegszeiten auf die Kooperation mit „der Mafia“ angewiesen. Die Bekräftigung der ethnischen Partikularismen liegt in ihrer wirtschaftlichen Überlebenslogik. Sie wählt deshalb auch überwiegend ethnisch, was den Intentionen der Protektoratsregierung diametral entgegen steht. Letztere will Demokratie nicht zulassen, solange diese keinen Weg zur Versöhnung weist, sondern die bestehenden Gräben vertieft. Will die Protektoratsregierung das Ziel ihrer Mission erreichen, muss sie mit sehr langem Atem die Strukturen der mafiösen Rentenökonomie, die ihrerseits die produktive Entwicklung verhindern, durchbrechen. Da Bosnien zum Expansionsraum der EU gehört, ist damit zu rechnen, dass die immensen Mittel, die dies erfordert, letztlich auch bereit gestellt werden.

 

 

 

Winfried Veit

Eine europäische Perspektive für Israel
Schlüssel zur Lösung des Nahostkonflikts

Die vom Friedensnobelpreisträger Shimon Peres verkündete Vision eines „Neuen Nahen Osten“ erscheint für die Mehrheit der Israelis (aber auch der Palästinenser und Araber) kaum mehr glaubhaft;   aber selbst bei einer möglichen Friedenslösung wäre Israel aus strukturellen Gründen, die in einer völlig unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung liegen, nach wie vor ein Fremdkörper im Nahen Osten. Die enge, vor allem auf gemeinsamen Sicherheitsinteressen beruhende und durch die Ereignisse des 11. September 2001 verstärkte Beziehung zu den USA, bietet keine wirkliche Perspektive wegen der langfristig möglicherweise anders orientierten Interessen der Weltmacht Amerika. Hingegen ist Israel bereits in vielfältiger Weise mit Europa verbunden, auch wenn derzeit auf beiden Seiten eine den anderen gegenüber jeweils kritische bis feindselige Stimmung herrscht. Dennoch ist eine europäische Perspektive für Israel bis hin zur Vollmitgliedschaft  in der Europäischen Union nicht nur aus israelischer Sicht denkbar und wünschenswert, sondern sie könnte auch ein Schlüssel zur Lösung des Nahostkonflikts sein: Israel wäre als Teil  Europas in einer gesicherten Position, die es ihm erlauben würde, diejenigen Zugeständnisse an die Palästinenser (und Syrer) zu machen, die für eine friedliche Konfliktlösung notwendig sind. Die innenpolitischen und innergesellschaftlichen Hindernisse dafür (Frage der Menschenrechte, jüdischer Charakter des Staates) erscheinen nicht unüberwindbar, zumal sie bereits unabhängig von einer europäischen Perspektive in der israelischen Öffentlichkeit heftig diskutiert werden, und Lösungsvorschläge auf dem Tisch liegen. Mit der Aufnahme Zyperns in die EU ab 2004 und möglichen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist auch das geographische Argument gegen einen israelischen Beitritt zur EU nicht mehr stichhaltig. Unter ökonomischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten wäre Israel leichter in der EU zu absorbieren als die Mehrzahl aller Beitrittskandidaten.

© Friedrich Ebert Stiftung | net edition malte.michel | 3/2003