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Politik und Gesellschaft
Online International Politics and Society 3/2002 |
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David Miliband Hansjörg Herr Peter Wolff Hans-Jürgen Burchardt Diktatoren, Islamisten, Großmächte und einfache Menschen Das neue “Great Game” in Zentralasien
David Miliband
Der künftige Weg von „New Labour“ aus der Sicht des Insiders(Original: The Future of New Labour: a View From Inside) Hansjörg HerrTastendes Suchen. Chinas erfolgreicher ReformprozessDie VR China verfolgt seit nunmehr über zwanzig Jahren eine Strategie des graduellen Herauswachsens aus der Planwirtschaft. Der planwirtschaftliche Preisbildungsmechanismus und die planwirtschaftliche Mengenplanung wurden schrittweise liberalisiert. Das Management der Staatsunternehmen wurde reformiert, aber mit ihrer Privatisierung wurde erst Mitte der neunziger Jahre vorsichtig begonnen. Dagegen ließ man einen neuen kleinbetrieblichen Privatsektor heranwachsen, der heute mehr zum Sozialprodukt beiträgt als die staatlichen Unternehmen. Der Kapitalverkehr ist nach wie vor strikt reguliert, und freier Handel setzt sich erst in jüngster Zeit nach dem Beitritt Chinas zur WTO durch. Monetäre Stabilität wurde über Jahrzehnte durch Kreditrationierung des weitgehend staatlichen Bankensystems gewährleistet. Chinas Reformstrategie steht im Gegensatz zur volkswirtschaftlichen Orthodoxie des Westens. Gleichwohl zeichnet sich das Land seit über zwei Jahrzehnten durch extrem hohes Wirtschaftswachstum und eine niedrige Inflationsrate aus. Trotz hoher ausländischer Direktinvestitionen ist seine Leistungsbilanz in der Tendenz ausgeglichen. Demgegenüber hat die Strategie der schockartigen Reform – sofortige Preisliberalisierung, Abschaffung der Planbehörde und Verschenkung der staatlichen Unternehmen und Banken – Russland in die wirtschaftliche Katastrophe geführt. Die VR China zeigt, dass bei Aufrechterhaltung makroökonomischer Stabilität eine dynamische Entwicklung mit mikroökonomischen Ineffizienzen vielfältiger Art (insbesondere bei der Kreditzuweisung) verbunden sein kann. Das macht deutlich, dass die Akkumulation, d.h. die Investition und nicht die optimale Allokation, das A und O von Entwicklung darstellt. Hohe Investitionen wurden in China von den staatlichen Unternehmen, den neu heranwachsenden Privatsektor und den Joint Ventures ausländischer Unternehmen getragen. Das Bankensystem hat trotz aller Verzerrungen diese Entwicklung unterstützt. Allerdings hat die Verzögerung von Reformen auch neue Risiken entstehen lassen, insbesondere was den hohen Anteil uneinbringlicher Forderungen der Banken gegenüber den Staatsunternehmen betrifft. Restriktivere Kreditvergabe der Banken während der letzten Jahre hat die Investitionstätigkeit geschwächt und das Wachstum verlangsamt. Neue Herausforderungen stellt auch Chinas Beitritt zur WTO. Bei falscher Politik – beispielsweise einer zu schnellen Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs – kann auch der chinesische Transformationsprozess noch scheitern. Dennoch: die neoliberalen Alternativen zur chinesischen Transformations- und Entwicklungsstrategie bieten auch nicht ansatzweise ähnliche Erfolgschancen. Peter Wolff
Vietnam: Laissez-faire unter sozialistischem Dach
Die vietnamesische Wirtschaftsreform begann Ende der 80er Jahre mit
drastischen makroökonomischen Anpassungsmaßnahmen, der Abschaffung
von zentraler Planung und Preiskontrollen
sowie einer Dekollektivierung der Landwirtschaft. Die Freisetzung
der bis dahin unterdrückten Initiative von Millionen Kleinbauern und
Gewerbetreibenden ließen Nahrungsmittelknappheit und Versorgungsengpässe
rasch verschwinden. Vietnam befindet sich seither auf einem stetigen
Wachstumspfad, der erst nach der Asienkrise etwas abflachte. Ein tiefer
Einbruch der Wirtschaft wie in Osteuropa konnte vermieden werden,
weil die meisten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt waren,
wo eine Rückkehr von Produktionsgenossenschaften zu kleinbäuerlichen
Produktionsformen unmittelbare Produktions- und Einkommenserhöhungen
nach sich zog. Zudem hatten informelle Märkte angesichts der Unzulänglichkeiten
der zentralen Planung bereits vor Beginn der Reform erhebliche Bedeutung
erlangt. Von dem Strukturumbruch betroffene Arbeitskräfte wurden überwiegend
vom rasch wachsenden Kleingewerbe absorbiert. Die Vermeidung eines
Produktionseinbruchs war also weniger auf eine bewusste gradualistische
Strategie zurückzuführen, als vielmehr auf die günstigen Ausgangsbedingungen
für die rasche Entfaltung privatwirtschaftlicher Initiative. Eine
wichtige Rahmenbedingung war allerdings auch die makroökonomische
Stabilität, d.h. die Vermeidung von größeren Handelsbilanzdefiziten,
von Inflation und Auslandsverschuldung. Der stabile makroökonomische
Rahmen erlaubte neben der Entfaltung der Privatwirtschaft auch die
weitere Existenz der überwiegend ineffizienten Staatsbetriebe, ein
wichtiger Pfeiler des vietnamesischen Verständnisses von „sozialistischer
Marktwirtschaft“. Die weitere Integration Vietnams in den Weltmarkt
setzt dieses Modell jedoch unter Druck. Der Staatssektor ist kaum
wettbewerbsfähig, der Privatsektor noch weitgehend kleingewerblich
strukturiert. Das Bankensystem ist wegen der hohen internen Verschuldung
und wegen des Fehlens einer kommerziellen Kreditkultur kaum zur Finanzierung
des aufstrebenden Privatsektors in der Lage. Deshalb wird sich das
Regime wohl allmählich vom Konzept der „Sozialistischen Marktwirtschaft“
verabschieden müssen. Dieses Konzept hat es allerdings erlaubt, auch
die beharrenden Kräfte in
der Partei in dem für Vietnam typischen Verfahren der Konsensbildung
in den Reformprozess zu integrieren. Die ersten Ansätze zu politischen
Reformen machen deutlich, dass sich auch dort ein gradualistischer
Prozess vollzieht: Ein besseres Regierungshandeln und eine stärkere
Bürgerbeteiligung, ohne das Machtmonopol der Kommunistischen Partei
anzutasten, sind erste Schritte zu einer Transformation des politischen
Systems. Hans-Jürgen BurchardtKuba nach Castro
Die beeindruckende Stabilität von Kubas sozialistischem Regime mehr
als zwölf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer basiert erstens auf
einer bürokratisch-autoritären Staatsmacht, der es bis heute gelingt,
über eine expansive Sozialpolitik die Massen sozial integriert und
gleichzeitig politisch ausgeschlossen zu halten. Zweitens sind in
der politischen Kultur Kubas lateinamerikanische Traditionen und sozialistische
Strukturen zu einer neopatrimonialen Herrschaft verschmolzen, die
über Fidel Castros Charisma bis heute die Gesellschaft verbindet und
eint. Drittens setzt das Regime seine Politik mit der nationalen Unabhängigkeit
der Insel gleich und monopolisiert so die Legitimationsquelle des
Nationalismus. Der kubanische Sozialismus verbindet also einen ausgeprägten
Sozialstaatsanspruch mit einer leninistischen Staatsdoktrin - legitimiert
durch den Imperativ der Verteidigung der nationalen Souveränität.
Kuba muss heute weniger als ein orthodox sozialistisches, sondern
vielmehr als ein radikal nationalistisches Regime verstanden werden.
Doch die aktuelle Stabilität Kubas ist fragil. Denn die seit den 1990er
Jahren verfolgte Liberalisierung einzelner Wirtschaftssektoren – verbunden
mit Dollarisierung im Innern – reintegrierte zwar das Land erfolgreich
in den Weltmarkt und rettete die Wirtschaft nach dem Wegfall der sowjetischen
Unterstützung vor dem Kollaps. Aber gleichzeitig untergrub sie die
soziale Gleichheit, eine der Legitimitätssäulen des Regimes. Die Chance
wurde verpasst, nach der ersten ökonomischen Stabilisierung eine konsistente
Reformstrategie zu entwickeln, die alle Wirtschaftsbereiche umfasst.
So stehen sich in Kuba heute immer krasser Reformgewinnler des Devisen-
und Reformverlierer des Binnensektors gegenüber. Die wirtschaftliche
führt schnurstracks in die soziale Spaltung und wird eines Tages in
eine politische Krise münden. Kuba besitzt zwar viele angebotsseitige
Voraussetzungen, um als "karibischer Tiger" zu einem Entwicklungsmodell
zu werden, das eine relativ gleiche Verteilung mit schnellem Wachstum
verbindet. Doch dies setzt Anpassungsleistungen voraus, die schon
heute eine Demokratisierung des Staates und die Emanzipierung der
Gesellschaft einleiten. Beginnt ein politischer Wandel erst nach dem
Tod Fidel Castros, ist es wahrscheinlicher, dass sich die Reformgewinnler
verbünden und politisch durchsetzen. Es ist zu erwarten, dass sie
den Devisensektor ausweiten und über einen neopopulistisch abgesicherten
Neoliberalismus die Spaltung der Wirtschaft zementieren. Die Perspektive
einer zivilen und sozialen Transformation Kubas wird damit verstellt. Alec Rasizade
Diktatoren, Islamisten, Großmächte und einfache
Menschen
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© Friedrich Ebert Stiftung | net edition malte.michel | 6/2002 |