Kurzfassungen:
James
N. Rosenau
Globalization and Governance: Bleak
Prospects for Sustainability
Frank
Decker
The Populist Challenge to Liberal Democracy
James N. Rosenau
Globalization and Governance:
Bleak Prospects for Sustainability
Weltweit stehen die Chancen schlecht für eine Politik, die
ein ökologisch durchzuhaltendes Wirtschaften sicherstellt.
Die Ursachen hierfür sind sowohl struktureller als auch konzeptioneller
Art. Staatliche Akteure verlieren zunehmend die Fähigkeit,
zentral zu steuern. Regulierung findet in Netzwerken statt,
deren Akteure auf unterschiedlicher Ebene miteinander verflochten
sind. Diese strukturellen Bedingungen werden im derzeitigen
Nachhaltigkeitsdiskurs nur unzureichend reflektiert. Die strukturellen
Veränderungen unserer Epoche können anhand des Begriffes „fragmegration“
verdeutlicht werden. Der Ausdruck erleichtert das Verständnis
dieses Wandels, indem er auf zwei gleichzeitig stattfindende
Prozesse verweist: Fragmentierung und Integration. Fast jede
Zunahme an Globalisierung setzt Prozesse auf lokaler Ebene
in Gang und umgekehrt. „Fragmegration“ wird durch eine Reihe
gesellschaftlicher Entwicklungen vorangetrieben, wie technologische
Umwälzungen, wachsende Mobilität oder steigendes Bildungsniveau.
Diese Entwicklungen beeinflussen Einstellungen und Verhalten
von Akteuren auf der Ebene des Individuums (Mikro), der Ebene
der kollektiven Akteure wie Staaten (Makro), der Schnittstelle
dieser Akteure (Mikro-Makro) und der Ebene, auf der kollektive
Akteure interagieren (Makro-Makro). Unser begriffliches Instrumentarium
wird der Komplexität dieser Situation nicht länger gerecht.
Das behindert die Analyse der Situation und die Erarbeitung
Erfolg versprechender Strategien. Drei Probleme stehen hier
Vordergrund: Erstens findet der Begriff der Nachhaltigkeit
unterschiedliche Verwendung. Bezieht er sich auf ökologische
oder ökonomische Nachhaltigkeit? Zweitens wird der hohe Grad
der Dezentralisierung von Regulierungskapazität weitgehend
ignoriert. Lösungsansätze setzen in der Folge weiterhin auf
der zentralstaatlichen Makro-Makro Ebene an. Und drittens
finden lokale Begebenheiten kaum Berücksichtigung. Die Spannungen
in „Fragmegrierungs“-Prozessen werden unter- und die Verallgemeinerungsfähigkeit
wissenschaftlicher Erkenntnis überschätzt. Insgesamt haften
wir noch immer einem Paradigma an, das staatliche Autorität
auf zentraler Ebene ansiedelt und die Herausforderung des
Umweltschutzes als Koordinationsproblem einzelner Staaten
ansieht. Nachhaltigkeit erfordert jedoch die koordinierte
Mitwirkung einer Vielzahl von Akteuren auf unterschiedlichen
Ebenen. Dass sie zustande kommt, ist wenig wahrscheinlich.
Frank Decker
The Populist Challenge to Liberal Democracy
Man könnte die jüngsten rechtspopulistischen Erfolge
in Europa als Chance zur Revitalisierung demokratischer
Politik begreifen, weil sie die etablierten Parteien unter
Reaktionszwang setzen, vernachlässigte, aber wichtige Themen
aufgreifen. Der Erfolg der Rechtspopulisten ist jedoch Indikator
einer umfassenderen unguten Tendenz zur plebiszitären Transformation
der westlichen Demokratien. Diese bilden eine Synthese aus
zwei normativen Prinzipien – der Volkssouveränität und der
Verfassungsstaatlichkeit. Die Gewichte haben sich dabei
in der Vergangenheit zugunsten des zweiten Prinzips verschoben,
immer mehr hin zu einer konstitutionell-repräsentativen
Demokratieauffassung. Dies ist vor allem auf die wachsende
Komplexität des Regierungsgeschehens zurückzuführen. Der
Populismus stellt eine Reaktion auf diese Entwicklung dar.
In seinem Hang zur radikalen Simplifizierung vermittelt
er jenes Gefühl der Eingängigkeit und Transparenz, das in
der demokratischen Wirklichkeit offenbar auf der Strecke
geblieben ist. Die Gegenbewegung weist dabei über die rechtspopulistischen
Trendsetter hinaus. Unterstützt durch den Wandel des Mediensystems
greift sie auf das gesamte Spektrum der elektoralen Politik
über, deren Darstellungslogik sich von den realen Entscheidungsprozessen
immer mehr entfernt. Symptomatisch dafür ist der Gestaltwandel
des Parteienwettbewerbs. In der Vergangenheit wurde dessen
demokratische Funktionalität durch die Gleichzeitigkeit
von gesellschaftlicher Segmentierung und ideologischer Polarisierung
gewährleistet. Nachdem diese Voraussetzung immer mehr abhanden
gekommen ist, müssen die großen Parteien heute im Prinzip
dieselben Ziele verfolgen und dieselben Lösungen anbieten,
um mehrheitsfähig zu werden. Zur Unterscheidung von der
Konkurrenz bleibt ihnen nur die Wahl zwischen zwei Strategien.
A. Sie stellen auf die Details in den Problemlösungen ab
und riskieren, dass die Wähler überfordert oder gelangweilt
werden. B. Sie depolitisieren gezielt die Wählerschaft,
indem sie auf symbolische Handlungen ausweichen, Personen
statt Politikoptionen in den Vordergrund stellen und so
um – gleichsam plebiszitäre – Zustimmung des gesamten Volkes
zu ihrem Regierungsanspruch werben. Je mehr sich plebiszitäre
Tendenzen Bahn brechen, umso wichtiger werden die freiheitssichernden
Vorkehrungen des demokratischen Verfassungsstaates. Die
Erfahrungen aus Österreich und insbesondere Italien zeigen,
dass Rechtspopulisten in der Regierung nicht nur Proteste
artikulieren, sondern aktiv die plebiszitäre Transformation
des Verfassungsstaates betreiben.
Michael Braun
Populismus an der Macht
Das Phänomen Berlusconi
Vor
mittlerweile knapp zehn Jahren mutierte der italienische Medienunternehmer
Silvio Berlusconi zum Politiker. Statt des ihm seinerzeit
von vielen Seiten vorhergesagten schnellen Scheiterns ist
sein politisches Engagement äußerst erfolgreich: Berlusconi
ist Chef der mit knapp 30 Prozent größten Partei Italiens
und regiert das Land seit 2001 mit einer Mitte-Rechts-Koalition.
Weiterhin aber bleibt er im eigenen Land wie international
äußerst umstritten. Berlusconi muss sich den Vorwurf gefallen
lassen, dass er nicht nur mit dem ungelösten Interessenkonflikt
zwischen unternehmerischer und politischer Rolle lebt, sondern
dass dieser Interessenkonflikt geradezu konstitutiv für sein
Aktivwerden in der Politik war – kurz: dass er Politik treibt,
um die ihm als Unternehmer entstandenen juristischen und ökonomischen
Probleme zu lösen. Dieser Vorwurf greift indes zu kurz: Berlusconi
verfolgt ein weit ehrgeizigeres Anliegen, dessen Ziel der
Umbau Italiens zu einer plebiszitären Mehrheitsdemokratie
ist. Berlusconi setzt dabei einerseits auf eine Selbstinszenierung,
die das angestrebte Resultat konsequent vorwegnimmt: In populistischer
Stilisierung zum politikfernen „Revolutionär“, der sich den
Wählern als Vertreter ihrer Parteien- und Staatsverdrossenheit
andient, hat er seit 1994 jeden Urnengang in ein Plebiszit
über seine eigene Person verwandelt, und er hat mit Forza
Italia eine seinem Anliegen kongeniale, weil total seiner
Kontrolle unterworfene Partei ad personam geschaffen. Die
Tatsache, dass er auf diesem Wege die Wählermehrheit gewonnen
hat, begreift Berlusconi als Mandat, gleichsam im Namen des
Volkes entscheidende Gegengewichte zu seiner Machtentfaltung
zu beseitigen. In der Justiz- ebenso wie in der Medienpolitik
verfolgt er das Ziel, die dritte und die vierte Gewalt zu
willfährigen Instrumenten der Regierungspolitik zu machen;
ebenso zielt er darauf, die Gewerkschaften ihrer Rolle als
gesellschaftliche Gegenkraft zu berauben. Italien ist schon
heute auf dem Weg hin zu einer Mehrheitsdemokratie besonderer
Art: einer Mehrheitsdemokratie ohne checks and balances, in
der die einzige, von Berlusconi immer wieder beschworene Berufungsinstanz
der plebiszitär verstandene Volkswille ist. Dieser Mehrheitsdemokratie
will Berlusconi logisch stringent auch in der Verfassungsordnung
Gestalt verleihen: Sein zentrales Ziel ist die Einführung
der Direktwahl des dann mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten
Staatspräsidenten.
Christoph Zöpel
Westliche Werte und historische Erfahrungen diesseits und
jenseits des Atlantik
Jüngst vehement zutage getretene politische Meinungsverschiedenheiten
zwischen der amerikanischen und der deutschen Regierung spiegeln
tief sitzende transatlantische Unterschiede bei der Bewertung
grundlegender außenpolitischer Optionen wider. Die in Amerika
und den europäischen Demokratien gleichermaßen politikorientierenden
westlichen Werte haben durch divergierende historische Erfahrungen
dies- und jenseits des Atlantiks dezidiert unterschiedliche
Ausprägungen bekommen. Ausgangspunkt der auseinanderdriftenden
Geschichtserfahrungen ist die durch den westfälischen Frieden
geschaffene Staatenordnung, deren Prinzip staatlicher Souveränität
– zunächst angesiedelt beim absolutistischen Herrscher – das
Recht zum Krieg einschloss. Dadurch wurde in Europa eine Normalität
wiederkehrender, wenn auch eingehegter, Kriege geschaffen. Um
ihr, und gleichzeitig der Unfreiheit in Europa, zu entkommen,
wurde die Auswanderung nach Nordamerika zu einer wichtigen Option
für die Bevölkerung. Das Selbstverständnis der werdenden amerikanischen
Nation wurde nach innen durch die Etablierung einer radikal
demokratischen Alternative zur europäischen Monarchie und nach
außen durch die Abkoppelung von der europäischen Welt der Kriege
bestimmt. Die Aneignung als herrenlos betrachteten Landes begünstigte
darüber hinaus eine starke Verknüpfung des Freiheitsgedankens
mit dem Privateigentum. Europas geistige Antwort auf die Friedlosigkeit
des Absolutismus hingegen war die Kantsche Idee, zwischenstaatliche
Strukturen zu schaffen, die die kriegerischen Neigungen der
souveränen Einzelstaaten eindämmen. Der gewaltige Blutzoll,
den Europa in seinen zwei Weltkriegen entrichten musste, verstärkte
nach der Konsolidierung der Demokratie im Inneren die Präferenz
für multilaterale friedensstärkende Strukturen. Amerikas Erfahrungen
begünstigen indes eine Sichtweise vom Krieg als eines von Fall
zu Fall nützlichen Mittels der Außenpolitik. Der Schutz vor
kriegerischer Konflikteskalation erlangte nicht die gleiche
Priorität wie in Europa. Heute geht es darum, das demokratische
Prinzip auch auf die internationale Politik anzuwenden. Das
heißt zum Einen, dass Außenpolitik legitimer Gegenstand demokratischer
Debatte zu sein hat und nicht einem „nationalen Interesse“ oder
einem patriotischem Schulterschluss unterzuordnen ist. Es heißt
zum Anderen, dass „checks and balances“ auch im zwischenstaatlichen
Bereich ihre zivilisierende Rolle spielen müssen. So gesehen
ist eine unilaterale Weltordnung undemokratisch.
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