Internationale Politik und Gesellschaft
International Politics and Society 3/2003

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Kurzfassungen:

James N. Rosenau
Globalization and Governance: Bleak Prospects for Sustainability

Frank Decker
The Populist Challenge to Liberal Democracy

 

James N. Rosenau

Globalization and Governance:
Bleak Prospects for Sustainability

Weltweit stehen die Chancen schlecht für eine Politik, die ein ökologisch durchzuhaltendes Wirtschaften sicherstellt. Die Ursachen hierfür sind sowohl struktureller als auch konzeptioneller Art. Staatliche Akteure verlieren zunehmend die Fähigkeit, zentral zu steuern. Regulierung findet in Netzwerken statt, deren Akteure auf unterschiedlicher Ebene miteinander verflochten sind. Diese strukturellen Bedingungen werden im derzeitigen Nachhaltigkeitsdiskurs nur unzureichend reflektiert. Die strukturellen Veränderungen unserer Epoche können anhand des Begriffes „fragmegration“ verdeutlicht werden. Der Ausdruck erleichtert das Verständnis dieses Wandels, indem er auf zwei gleichzeitig stattfindende Prozesse verweist: Fragmentierung und Integration. Fast jede Zunahme an Globalisierung setzt Prozesse auf lokaler Ebene in Gang und umgekehrt. „Fragmegration“ wird durch eine Reihe gesellschaftlicher Entwicklungen voran­getrieben, wie technologische Umwälzungen, wachsende Mobilität oder steigendes Bildungsniveau. Diese Entwicklungen beeinflussen Einstellungen und Verhalten von Akteuren auf der Ebene des Individuums (Mikro), der Ebene der kollektiven Akteure wie Staaten (Makro), der Schnittstelle dieser Akteure (Mikro-Makro) und der Ebene, auf der kollektive Akteure interagieren (Makro-Makro). Unser begriffliches Instrumentarium wird der Komplexität dieser Situation nicht länger gerecht. Das behindert die Analyse der Situation und die Erarbeitung Erfolg versprechender Strategien. Drei Probleme stehen hier Vordergrund: Erstens findet der Begriff der Nachhaltigkeit unterschiedliche Verwendung. Bezieht er sich auf ökologische oder ökonomische Nachhaltigkeit? Zweitens wird der hohe Grad der Dezentralisierung von Regulierungskapazität weitgehend ignoriert. Lösungsansätze setzen in der Folge weiterhin auf der zentralstaatlichen Makro-Makro Ebene an. Und drittens finden lokale Begebenheiten kaum Berücksichtigung. Die Spannungen in „Fragmegrierungs“-Prozessen werden unter- und die Verallgemeinerungsfähigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis überschätzt. Insgesamt haften wir noch immer einem Paradigma an, das staatliche Autorität auf zentraler Ebene ansiedelt und die Herausforderung des Umweltschutzes als Koordinationsproblem einzelner Staaten ansieht. Nachhaltigkeit erfordert jedoch die koordinierte Mitwirkung einer Vielzahl von Akteuren auf unterschiedlichen Ebenen. Dass sie zustande kommt, ist wenig wahrscheinlich.

 

 

Frank Decker

The Populist Challenge to Liberal Democracy

Man könnte die jüngsten rechtspopulistischen Erfolge in Europa als Chance zur Revitalisierung demokratischer Politik begreifen, weil sie die etablierten Parteien unter Reaktionszwang setzen, vernachlässigte, aber wichtige Themen aufgreifen. Der Erfolg der Rechtspopulisten ist jedoch Indikator einer umfassenderen unguten Tendenz zur plebiszitären Transformation der westlichen Demokratien. Diese bilden eine Synthese aus zwei normativen Prinzipien – der Volkssouveränität und der Verfassungsstaatlichkeit. Die Gewichte haben sich dabei in der Vergangenheit zugunsten des zweiten Prinzips verschoben, immer mehr hin zu einer konstitutionell-repräsentativen Demokratieauffassung. Dies ist vor allem auf die wachsende Komplexität des Regierungsgeschehens zurückzuführen. Der Populismus stellt eine Reaktion auf diese Entwicklung dar. In seinem Hang zur radikalen Simplifizierung vermittelt er jenes Gefühl der Eingängigkeit und Transparenz, das in der demokratischen Wirklichkeit offenbar auf der Strecke geblieben ist. Die Gegenbewegung weist dabei über die rechtspopulistischen Trendsetter hinaus. Unterstützt durch den Wandel des Mediensystems greift sie auf das gesamte Spektrum der elektoralen Politik über, deren Darstellungslogik sich von den realen Entscheidungsprozessen immer mehr entfernt. Symptomatisch dafür ist der Gestaltwandel des Parteienwettbewerbs. In der Vergangenheit wurde dessen demokratische Funktionalität durch die Gleichzeitigkeit von gesellschaftlicher Segmentierung und ideologischer Polarisierung gewährleistet. Nachdem diese Voraussetzung immer mehr abhanden gekommen ist, müssen die großen Parteien heute im Prinzip dieselben Ziele verfolgen und dieselben Lösungen anbieten, um mehrheitsfähig zu werden. Zur Unterscheidung von der Konkurrenz bleibt ihnen nur die Wahl zwischen zwei Strategien. A. Sie stellen auf die Details in den Problemlösungen ab und riskieren, dass die Wähler überfordert oder gelangweilt werden. B. Sie depolitisieren gezielt die Wählerschaft, indem sie auf symbolische Handlungen ausweichen, Personen statt Politikoptionen in den Vordergrund stellen und so um – gleichsam plebiszitäre – Zustimmung des gesamten Volkes zu ihrem Regierungsanspruch werben. Je mehr sich plebiszitäre Tendenzen Bahn brechen, umso wichtiger werden die freiheitssichernden Vorkehrungen des demokratischen Verfassungsstaates. Die Erfahrungen aus Österreich und insbesondere Italien zeigen, dass Rechtspopulisten in der Regierung nicht nur Proteste artikulieren, sondern aktiv die plebiszitäre Transformation des Verfassungsstaates betreiben.

 

 

Michael Braun  

Populismus an der Macht
Das Phänomen Berlusconi

Vor mittlerweile knapp zehn Jahren mutierte der italienische Medienunternehmer Silvio Berlusconi zum Politiker. Statt des ihm seinerzeit von vielen Seiten vorhergesagten schnellen Scheiterns ist sein politisches Engagement äußerst erfolgreich: Berlusconi ist Chef der mit knapp 30 Prozent größten Partei Italiens und regiert das Land seit 2001 mit einer Mitte-Rechts-Koalition. Weiterhin aber bleibt er im eigenen Land wie international äußerst umstritten. Berlusconi muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er nicht nur mit dem ungelösten Interessenkonflikt zwischen unternehmerischer und politischer Rolle lebt, sondern dass dieser Interessenkonflikt geradezu konstitutiv für sein Aktivwerden in der Politik war – kurz: dass er Politik treibt, um die ihm als Unternehmer entstandenen juristischen und ökonomischen Probleme zu lösen. Dieser Vorwurf greift indes zu kurz: Berlusconi verfolgt ein weit ehrgeizigeres Anliegen, dessen Ziel der Umbau Italiens zu einer plebiszitären Mehrheitsdemokratie ist. Berlusconi setzt dabei einerseits auf eine Selbstinszenierung, die das angestrebte Resultat konsequent vorwegnimmt: In populistischer Stilisierung zum politikfernen „Revolutionär“, der sich den Wählern als Vertreter ihrer Parteien- und Staatsverdrossenheit andient, hat er seit 1994 jeden Urnengang in ein Plebiszit über seine eigene Person verwandelt, und er hat mit Forza Italia eine seinem Anliegen kongeniale, weil total seiner Kontrolle unterworfene Partei ad personam geschaffen. Die Tatsache, dass er auf diesem Wege die Wählermehrheit gewonnen hat, begreift Berlusconi als Mandat, gleichsam im Namen des Volkes entscheidende Gegengewichte zu seiner Machtentfaltung zu beseitigen. In der Justiz- ebenso wie in der Medienpolitik verfolgt er das Ziel, die dritte und die vierte Gewalt zu willfährigen Instrumenten der Regierungspolitik zu machen; ebenso zielt er darauf, die Gewerkschaften ihrer Rolle als gesellschaftliche Gegenkraft zu berauben. Italien ist schon heute auf dem Weg hin zu einer Mehrheitsdemokratie besonderer Art: einer Mehrheitsdemokratie ohne checks and balances, in der die einzige, von Berlusconi immer wieder beschworene Berufungsinstanz der plebiszitär verstandene Volkswille ist. Dieser Mehrheitsdemokratie will Berlusconi logisch stringent auch in der Verfassungsordnung Gestalt verleihen: Sein zentrales Ziel ist die Einführung der Direktwahl des dann mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten Staatspräsidenten.

 

 

Christoph Zöpel

Westliche Werte und historische Erfahrungen diesseits und jenseits des Atlantik

Jüngst vehement zutage getretene politische Meinungsverschiedenheiten zwischen der amerikanischen und der deutschen Regierung spiegeln tief sitzende transatlantische Unterschiede bei der Bewertung grundlegender außenpolitischer Optionen wider. Die in Amerika und den europäischen Demokratien gleichermaßen politikorientierenden westlichen Werte haben durch divergierende historische Erfahrungen dies- und jenseits des Atlantiks dezidiert unterschiedliche Ausprägungen bekommen. Ausgangspunkt der auseinanderdriftenden Geschichtserfahrungen ist die durch den westfälischen Frieden geschaffene Staatenordnung, deren Prinzip staatlicher Souveränität – zunächst angesiedelt beim absolutistischen Herrscher – das Recht zum Krieg einschloss. Dadurch wurde in Europa eine Normalität wiederkehrender, wenn auch eingehegter, Kriege geschaffen. Um ihr, und gleichzeitig der Unfreiheit in Europa, zu entkommen, wurde die Auswanderung nach Nordamerika zu einer wichtigen Option für die Bevölkerung. Das Selbstverständnis der werdenden amerikanischen Nation wurde nach innen durch die Etablierung einer radikal demokratischen Alternative zur europäischen Monarchie und nach außen durch die Abkoppelung von der europäischen Welt der Kriege bestimmt. Die Aneignung als herrenlos betrachteten Landes begünstigte darüber hinaus eine starke Verknüpfung des Freiheitsgedankens mit dem Privateigentum. Europas geistige Antwort auf die Friedlosigkeit des Absolutismus hingegen war die Kantsche Idee, zwischenstaatliche Strukturen zu schaffen, die die kriegerischen Neigungen der souveränen Einzelstaaten eindämmen. Der gewaltige Blutzoll, den Europa in seinen zwei Weltkriegen entrichten musste, verstärkte nach der Konsolidierung der Demokratie im Inneren die Präferenz für multilaterale friedensstärkende Strukturen. Amerikas Erfahrungen begünstigen indes eine Sichtweise vom Krieg als eines von Fall zu Fall nützlichen Mittels der Außenpolitik. Der Schutz vor kriegerischer Konflikteskalation erlangte nicht die gleiche Priorität wie in Europa. Heute geht es darum, das demokratische Prinzip auch auf die internationale Politik anzuwenden. Das heißt zum Einen, dass Außenpolitik legitimer Gegenstand demokratischer Debatte zu sein hat und nicht einem „nationalen Interesse“ oder einem patriotischem Schulterschluss unterzuordnen ist. Es heißt zum Anderen, dass „checks and balances“ auch im zwischenstaatlichen Bereich ihre zivilisierende Rolle spielen müssen. So gesehen ist eine unilaterale Weltordnung undemokratisch.

© Friedrich Ebert Stiftung | net edition malte.michel | 6/2003