Zu diesem Heft
Die beiden Themenschwerpunkt der vorliegende Ausgabe der
IPG sind Weichenstellung für Entwicklung und Bedrohungs-
und Kriegsszenarien. Darüber hinaus analysieren Jürgen
Kahl die Bedeutung des Beitritts Chinas zur WTO und
Carlos Santiso die Probleme und Perspektiven der
internationalen Demokratieförderung.
Es steht außer Zweifel, dass dieser letztgenannte Aufsatz
von Carlos Santiso für eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung
herausgegebene Zeitschrift von besonderer Relevanz ist.
Santiso setzt sich mit dem Projekt auseinander, das im
Zentrum der internationalen Arbeit der deutschen politischen
Stiftungen steht: Der Förderung der Demokratie in Entwicklungs-
und Transformationsländern. Santiso erwähnt die deutschen Stiftungen zwar nur am Rande und im
Singular, wobei er die Grenzen seiner Kenntnisse hinter
der Bemerkung versteckt, die Stiftungsarbeit sei noch
nicht ausreichend analysiert. Mit seiner Analyse und Kritik
der offiziösen Förderungspolitik beleuchtet Santiso jedoch
indirekt auch die Tätigkeit der Stiftungen, die
er implizit bestätigt.
Die offiziöse Politik folgt, wie Santiso
kritisch bemerkt, einer Schablone. Die Demokratie wird
in dem Dreischritt: Wahlen plus Aufbau demokratischer
Institutionen plus Förderung der Zivilgesellschaft installiert.
Die Demokratieförderung nach Schablone (democracy template)
kann der vielfältigen und unvorhersehbaren Realität in
den Entwicklungs- und Transformationsländern jedoch nicht
gerecht, die zur Zeit von Belarus bis Paraguay zu beobachtende
Stagnation der Demokratisierung kann im Rahmen dieses
standardisierten Ansatzes nicht überwunden werden. Die
„Schablone“ hat jedoch auch einen impliziten Vorteil,
den auch der Aufsatz von Santiso bezeugt: Sie lässt sich
kritisieren, differenzieren und strategisch weiter entwickeln.
Die Arbeit der deutschen Stiftungen ist alles andere als
schablonenhaft. Dies liegt schon daran, dass sechs politische
Stiftungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten agieren.
Die internationale Arbeit der Stiftungen ist zudem eher
pfadabhängig als strategisch. Ihr liegt kein Masterplan
zugrunde. Zwar würden die Stiftungen die Gesamtheit ihrer
internationalen Aktivitäten als direkte oder indirekte
Beiträge zur Demokratisierung interpretieren, sie würden
sie aber kaum ohne Rest dem Oberbegriff
„Demokratieförderung“ subsumieren, da sie parallele
Ziele (soziale Interessenvertretung, wirtschaftliche Entwicklung,
Erwachsenenbildung, Frauenförderung u.a.) gleichrangig
verfolgen. Auch ist ihr Demokratiebegriff weiter gefasst,
das heißt nicht auf die politischen Institutionen im engeren
Sinne (plus Zivilgesellschaft) begrenzt. Die Tätigkeit
ist vielfältiger; die Stiftungen sind daher auch eher
in der Lage, auf unterschiedliche und veränderliche Bedingungen
flexibel zu antworten. Diesen Vorteilen entspricht, spiegelverkehrt
zum offiziösen Modell, ein Nachteil: Trotz (oder wegen)
ihrer Flexibilität haben sie es schwerer, systematisch
organisatorische Lernprozesse zu absolvieren.
Der Erfahrungshintergrund des Beitrags von Carlos Santiso
ist die amerikanische Demokratieförderung. Diese unterscheidet
sich von der Praxis der deutschen Stiftungen in mehrerlei
Hinsicht. Ein erster Unterschied betrifft das Verhältnis
von Parteien und Zivilgesellschaft. Die Förderung zivilgesellschaftlicher
Organisationen spielt in der amerikanischen wie der deutschen
Praxis eine wichtige Rolle. Die hohe Relevanz der
Zivilgesellschaft ergibt sich im amerikanischen Fall aber
aus einem grundlegenden Staatspessimismus. Das notwendige
Misstrauen gegenüber der Exekutive, insbesondere in gerade
demokratisierten Staaten, wird zu einer Art liberalen
Generalverdachts gegenüber dem Staat. Dieser Staatspessimismus
kann zur Gefahr werden, wenn, wie in vielen Entwicklungs-
und Transformationsländern, das Problem nicht in staatlicher
Übermacht, sondern in unzureichender Staatlichkeit liegt.
Die Alternative zum Staatsversagen, so zitiert Santiso
zutreffend, kann nur der Staat sein. Mit der Förderung
einer scheinbar autonomen Sub- oder Antipolitik „der“
Gesellschaft droht die Demokratieförderung die Legitimität
demokratisch gewählter Regierungen auszuhöhlen. Die Stiftungen
dagegen ziehen die Grenze zwischen Zivilgesellschaft und
Staat weniger scharf. Die politischen Parteien, die an
der Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Staat
angesiedelt sind, werden
nicht von der Zivilgesellschaft abgegrenzt und der eng
definierten Sphäre der Politik zugeschlagen, sondern als
für die Zivilgesellschaft offene Organisationen angesehen.
Gleichzeitig werden auch die Grenzen zivilgesellschaftlicher
Organisationen respektiert. Diese liegen nicht nur in
einem demokratischem Legitimationsdefizit auf der Inputseite,
sondern auch in ihrer strukturellen Inkompetenz auf der
Outputseite: Ehe sich zivilgesellschaftliche Impulse in
legitimes staatliches Handeln umsetzen, müssen sie eine
ganze Reihe von Schleusen passieren, wobei die Parteien
das Reservoir professioneller Schleusenwärter stellen.
Ein zweiter Unterschied, auf den Santiso hinweist,
liegt im der Demokratieförderung zugrunde liegenden Pluralismuskonzept.
Die amerikanischen Organisationen und die deutschen Stiftungen
sicherlich darin übereinstimmen, dass die Demokratie den
politischen Rahmen für einen pluralistischen Wettbewerbs
der Werte und Interessen ist. Im amerikanischen Konzept
allerdings steht die Installation dieses Rahmens vor und
über diesem Wettbewerb, daher die von Santiso beobachtete
Zurückhaltung bei der Förderung politischer Parteien.
Die deutschen Stiftungen dagegen sind von vornherein schon
aufgrund ihrer Organisationsform „parteiisch“, das heißt:
bestimmten politischen Richtungen zugeneigt. Sie
sind nicht nur vom demokratischen Pluralismus überzeugt,
sondern repräsentieren ihn. Vereinfacht: Der amerikanische
Ansatz konzentriert sich auf die Konstruktion der Formen,
in denen demokratische Willensbildung stattfinden kann,
ohne den Ausgang dieses Prozesses beeinflussen zu wollen;
der Ansatz der Stiftungen dagegen konzentriert sich auf
den Inhalt – auf materielle politische Optionen
und deren Träger.
In diesem Zusammenhang ist drittens schließlich auf
eine Differenz im Verständnis gesellschaftlicher Interessen
hinzuweisen. Der amerikanische Ansatz kennt im Grunde
nur zwei wirklich relevante Interessengruppen: Die Befürworter
und die Gegner der Demokratie. Die zentrale gesellschaftliche
Konfliktlinie liegt zwischen einer genuin als demokratisch
gedachten Gesellschaft und einem in der Tendenz immer
der Verführung der Autokratie ausgesetztem Staat. Wirtschaftliche
und soziale Interessengegensätze werden ausgeblendet.
Gerade diese stehen aber im Zentrum der Arbeit der Stiftungen.
Demokratieförderung wird auch als die Befähigung der Individuen
und sozialen Gruppen verstanden, ihre Interessen öffentlich,
effektiv und gewaltfrei zu vertreten. Die Demokratie hebt
gegensätzliche soziale Interessen nicht auf, sondern ermöglicht
es, deren Widerstreit im „politischen Prozess“ in einer
Form auszutragen, in der der politische Rahmen nicht immer
wieder zur Disposition gestellt wird.
Natürlich: Diese Unterschiede sollten nicht überbetont werden.
Sie sollten als unterschiedliche Akzentuierungen verstanden
werden, die zueinander im Verhältnis wechselseitiger Ergänzung
stehen. In der Praxis ist die Demokratieförderung ein
gemeinsam und oft auch kooperativ betriebenes Projekt
amerikanischer und deutscher Organisationen. Eine genauere
gegenseitige und Selbstbeobachtung könnte es aber erleichtern,
die der jeweils eigenen Arbeit zugrunde liegenden Annahmen
zu überdenken. Für die amerikanische Praxis der Demokratieförderung
könnten die vielfältigen Ansätze und Erfahrungen der deutschen
Stiftungen ein Impuls sein, die eigene Arbeit flexibler
zu gestalten; für die deutschen Stiftungen könnte die
es amerikanische Praxis der systematischen Selbstreflexion
– und der Beitrag von Carlos Santiso steht hier für eine
ganze Literaturgattung – erleichtern, auch die eigenen
Aktivitäten einer intensiveren Selbstreflexion zu unterziehen.