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Kunibert Raffer
Lasst Länder bankrott gehen! Faire und transparente Insolvenzverfahren
für souveräne Schuldner
Lukas Menkhoff
Beteiligungsgerechtigkeit für Entwicklungsländer in der
internationalen Finanzordnung
Stephan
Böckenförde
Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik
Harald Müller
Nahöstliche Gefahren für die Atlantische Gemeinschaft
Jürgen Kahl
Großer Sprung in die Globalisierung. China vor dem Beitritt in die
WTO
Kunibert Raffer
Lasst Länder bankrott gehen! Faire und transparente Insolvenzverfahren für souveräne
Schuldner
(Original: Let Countries
Go Bankrupt. The Case for a Fair and Transparent Debt Arbitration Process)
Insolvenzverfahren sind eine
sinnvolle Einrichtung, die die zügige Bereinigung einer unhaltbaren
Verschuldungssituation ermöglichen. Sie sind darauf gerichtet, den Schaden
für Gläubiger und Schuldner gleichermaßen einzugrenzen und einem ökonomischen
Neuanfang des Schuldners den Boden zu bereiten. Was für zahlungsunfähige
Unternehmen gang und gäbe ist, wird überschuldeten Ländern nach wie
vor verweigert. Verschuldenskrisen werden unnötig lange hingezogen,
mit oft verheerenden Folgen für die betroffenen Bevölkerungen. Menschenrechte
werden formalen Gläubigerrechten untergeordnet. Den substantiellen Gläubigerinteressen
hingegen ist durch die endlose Fortschreibung von Zahlungsunfähigkeit
nicht gedient. Gegen Insolvenzverfahren für souveräne Staaten wird als
zentrales Argument ins Feld geführt, Staaten könnten nicht wie Unternehmen
unter Gläubigerkuratel gestellt werden. Dies ist nicht stichhaltig:
Souveräne Staaten können sich sehr wohl im Einvernehmen mit ihren Gläubigern
einem Schiedsverfahren unterwerfen, dass die Zahlungsfähigkeit des Landes
feststellt und einen Fahrplan zur Bedienung der volkswirtschaftlich
verkraftbaren Restschuld bestimmt. Hierfür gibt es eine Reihe von Präzedenzfällen.
Als rechtliches Vorbild für den sinnvollen Umgang mit souveräner Zahlungsunfähigkeit
kann Kapitel 9 des amerikanischen Insolvenzrechts dienen. Es bezieht
sich auf Gebietskörperschaften, deren Regierungen gewählt sind und im
Zuge des Insolvenzverfahrens keineswegs in ihren verfassungsmäßigen
Kompetenz beschnitten werden. Verfahren zur Bereinigung von Überschuldungssituationen
können ad hoc – ohne internationale Verträge - durchgeführt werden,
wenn sich Gläubiger und Schuldner politisch bereit finden, ein paritätisch
besetztes Schiedsgericht mit einem zusätzlichen neutralen Mitglied zu
akzeptieren. Bislang gibt es keine unabhängige Schiedsinstanz. Stattdessen
liegt alle Entscheidungsgewalt bei einer der beiden Parteien: den Gläubigern.
Die Idee eines Insolvenzverfahrens für überschuldete Länder ist seit
der Asienkrise wieder verstärkt in der Diskussion, stößt aber auf kompromisslosen
Widerstand seitens der G7-Regierungen. Private Gläubiger hingegen sind
deutlich aufgeschlossener.
Lukas Menkhoff
Beteiligungsgerechtigkeit
für Entwicklungsländer in der internationalen Finanzordnung
Dass die internationalen Finanzmärkte einer
besseren Regulierung bedürfen, um Finanzkrisen unwahrscheinlicher
und in ihren Auswirkungen weniger wohlfahrtsmindernd zu machen, steht
außer Zweifel. Die Diskussion um die Reform der internationalen Finanzordnung
richtet sich jedoch einseitig an den Prioritäten der hoch entwickelten
Länder aus. Die Märkte sollen „effizient“ im Hinblick auf die vorrangigen
Ziele dieser Länder gemacht werden. Derartige Effizienz liegt nicht
automatisch auch im Interesse von Entwicklungsländern. Denn aufgrund
des nur langfristig zu behebenden Entwicklungsrückstandes sind große
Segmente ihrer Volkswirtschaften viel weniger als die Unternehmen
in den Industrieländern in der Lage, an den Vorteilen
„gut funktionierender“ globaler Finanzmärkte teilzuhaben. Entwicklungsländer
sind auch viel weniger in der Lage, sich gegen die verbleibenden Krisengefahren
zu schützen. Für sie haben deshalb andere Reformmaßnahmen Vorrang
als für die tonangebenden G-5. Es käme für sie darauf an, traditionelle
Kreditvergabe-Mechanismen bis auf weiteres aufrechtzuerhalten, auch
wenn sie den Anforderungen der modernen Finanzmärkte nicht gewachsen
sind. Auch ihre Produktionsunternehmen sind weit weniger als Industrieländerfirmen
in der Lage, sich an rasch wechselnde Finanzmarktentwicklungen anzupassen.
Für diese Länder ist es deshalb wichtig, dass sie sich gegen die internationalen
Finanzmärkte bis zu einem gewissen Grad abschotten können. Weniger
freie Finanzmärkte sind für sie angemessener als für Industrieländer.
Wegen ihrer viel höheren Verwundbarkeit haben Entwicklungsländer auch
ein gesteigertes Interesse an stabilisierenden makroökonomischen Eingriffen
in das globale Finanzmarktgeschehen. Für die Industrieländer, vor
allem die USA, bedeuten derartige Eingriffe in erster Linie eine Einschränkung
ihres wirtschaftspolitischen Handlungsspielraums. Auf die Stabilisierungseffekte,
etwa was Wechselkurse betrifft, sind sie nicht angewiesen. Eine internationale
Finanzordnung, die die Ziele der Entwicklungsländer vernachlässigt,
ist nicht gerecht. Sie kann – unabhängig davon, wie effizient sie
aus Industrieländersicht ist – keine Akzeptanz einfordern. Um sie
gerechter zu machen, müsste den Entwicklungsländern mehr Mitspracherecht
bei der derzeit geführten Reformdiskussion eingeräumt werden.
Carlos
Santiso
Entwicklungszusammenarbeit und Demokratieförderung: Revisionsbedarf
(Original: Development Cooperation and the Promotion of Democratic
Governance: Promises
and Dilemmas)
Der Optimismus der neunziger Jahre,
der in Bezug auf die Demokratisierung der Entwicklungs- und Transformationsländer
geherrscht hatte, ist verflogen. Von der Ukraine bis Paraguay sind viele
Demokratisierungsprozesse in einer Grauzone stecken geblieben: Die demokratische
Entwicklung stagniert, ohne dass notwendig ein Rückfall in offen autoritäre
Herrschaftsverhältnisse vorläge. Die Förderung der Demokratie basierte
in der Vergangenheit auf fehlerhaften Denkansätzen, nämlich der Identifizierung
von Demokratie mit ihrer westlich-liberalen
Version, der technisch verkürzten Gleichsetzung von
Demokratisierung mit der Fertigung institutioneller Modelle,
sowie der Annahme, Demokratisierung laufe in einer linearen und vorhersehbaren
Sequenz von Phasen ab. Diese Ansätze lagen in der Vergangenheit einer
dreigliedrigen Demokratieschablone zugrunde, nach der die Förderung
der Demokratisierung in Entwicklungs- und Transformationsländern ablief,
nämlich erstens der Förderung von Wahlen und (weitaus weniger) politischen
Parteien, zweitens dem Entwurf von Institutionen, die als „checks
and balances“ der Exekutive wirken würden (Rechtsprechung, Parlament
usw.), und drittens der Unterstützung der Zivilgesellschaft.
Nicht ausreichend berücksichtigt wurden hingegen die Kosten der Demokratisierung
in armen Ländern mit vielen Prioritäten und wenig Ressourcen. Auch wurden
Hilfe zur Demokratisierung und wirtschaftliche Entwicklungshilfe gänzlich
unabhängig voneinander vergeben. Mit dem Konzept der „good governance“,
das entwicklungspolitisch an Bedeutung gewonnen hat, liegt aber
ein Ansatz vor, die Trennung von politischer und wirtschaftlicher Hilfe
zu überwinden und das Zusammenspiel von wirtschaftlicher und politischer
Reform in das Zentrum der Entwicklungspolitik zu stellen. Vor allem
aber hat die Demokratieförderung in ihrem „wohltätigen Idealismus“ übersehen,
dass sie es in den Empfängerländern mit politischen Machtstrukturen
zu tun hat, die sich demokratischen Reformen gegenüber als resistent
erweisen und in der Lage sind, deren Substanz auszuhöhlen. Auch die
Demokratieförderer werden die Machtbeziehungen und Interessen zu berücksichtigen
haben, in die demokratische Institutionen eingebettet sind.
Stephan Böckenförde
Militärische Gewalt als
Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik
Militäreinsätze bleiben für die Vereinigten
Staaten ein Mittel zur Durchsetzung nationaler Interessen, das – seit
1947 – mit dem Erhalt der Weltordnung verknüpft ist. Dabei ist für die
kommenden Jahre kaum mit großangelegten militärischen Einsätzen zu rechnen.
Denn ungeachtet ihrer unterschiedlichen Grundpositionen treffen sich
die führenden Regierungsmitglieder in einer Politik des "selective
engagement", das – angesichts begrenzter Finanzmittel – auf eine
Reduzierung von Auslandseinsätzen hinausläuft, allerdings auch Kommando-Operationen
oder Luftangriffe auf einzelne, herausgehobene Ziele weiter möglich
macht. Die USA werden die "Ruhepause" nutzen, eine umfassende
Modernisierung ihres militärischen Arsenals, vor allem aber die Arbeit
an Hochtechnologiewaffen und an einer Aufrüstung im erdnahen Weltraum
voranzutreiben. Damit reagieren sie auf die Veränderungen des internationalen
Umfeldes, in dem der Brennpunkt der klassischen zwischenstaatlichen
Konflikte in Zukunft in Asien liegen wird. Vor allem sieht man in Ansprüchen
Chinas eine Gefahr, aber auch das unmittelbare Nebeneinander von Machtfülle
und Machtvakuum in Asien wird Krisen heraufbeschwören. Darüber hinaus
wird es zu einer Vielzahl von neuartigen Konflikten kommen, die unterschiedliche
Szenarien für militärische Einsätze denkbar machen und auf die die Vereinigten
Staaten sich – als direkt und indirekt betroffene Weltordnungsmacht
- vorbereiten müssen. Als Konsequenz auf die Erweiterung des Anforderungskataloges
strebt das Militär eine "Überlegenheit auf der gesamten Linie"
[full spectrum dominance] an. Dazu gehören
hoch-mobile Streitkräften, die verstärkt auf Distanz- bzw. unbemannte
Waffen zurückgreifen können und so eigene Opfer minimieren. Für klassische
zwischenstaatliche Konflikte wären die Vereinigten Staaten damit gerüstet.
Für Konflikte des "post-nationalen" Musters hat man allerdings
nach wie vor kaum Antworten parat; hier bedient man sich zur Zeit im
wesentlichen der Special Operation Forces, aber auch verschiedener Privatunternehmen.
Da die USA ihr militärisches Engagement in Europa drastisch reduzieren
werden, müssen die Europäer ihre sicherheitspolitischen Aufgaben in
Zukunft ohne die Amerikaner bewältigen. Andererseits müssen sie sich,
was Bedrohungen und militärische Handlungsoptionen betrifft, an Entwicklungen
orientieren, die weitgehend von den USA vorgegeben werden.
Harald Müller
Nahöstliche
Gefahren für die Atlantische Gemeinschaft
(Original:
Middle Eastern Threats to the Atlantic Community)
Der
Mittlere Osten ist Schauplatz einiger der gefährlichsten und dauerhaftesten
Konflikte, die es auf der Welt gibt. Da einige Staaten dieser Region
über Massenvernichtungswaffen verfügen, implizieren diese Konflikte
eine potentielle Bedrohung für Länder auch außerhalb der Region. Israel
ist dabei der einzige Staat im Mittleren Osten, der über Atomwaffen
verfügt, aber auch der Irak war noch vor kurzer Zeit auf dem besten
Weg dorthin. Beim Iran wird allgemein angenommen, dass er über chemische
Waffen verfügt, ebenso im Falle Syriens und möglicherweise Libyens.
Ägypten engagiert sich zwar stark gegen eine Ausweitung von Atomwaffen,
arbeitet jedoch an chemischen und biologischen Waffen. Eine allgemeine
Ausweitung von Massenvernichtungswaffen ist dennoch nicht zu beobachten.
Nur ein einziges europäisches Land ist dabei einer direkten Bedrohung
aus dem Mittleren Osten ausgesetzt, die Türkei. Aufgrund ihrer Rolle
im Golfkrieg, der Militärkooperation mit Israel, der wiederholten
Ausflüge auf irakisches Territorium und der Pläne zum Bau des Atatürk-Staudammes
hat die Türkei wiederholt wichtige Interessen des Irak und Syriens
verletzt. Ein großes Problem mit seinen Nachbarn hat auch der Iran,
wo eine weitere internationale Isolierung dazu führen könnte, dass
Massenvernichtungswaffen in einem Maße aufgebaut werden, welches die
regionale Stabilität gefährdet. Ein kritischer Politikdialog könnte
dies verhindern. Populär ist auch das Szenario, dass aufgrund regionaler
politischer und militärischer Konflikte die Öllieferungen derart in
Mitleidenschaft gezogen werden, dass die Weltwirtschaft gefährdet
wird und der Westen zu einer militärischen Intervention veranlasst
– eine Neuauflage des Golfkriegs. Aber die asymmetrische Verteilung
des Zerstörungspotentials macht ein solches Szenario wenig wahrscheinlich.
Während die europäischen Länder angesichts der potentiellen Bedrohung
aus dem Mittleren Osten auf Diplomatie, Abrüstung und internationale
Vereinbarungen setzen, akzeptieren die USA internationale Vereinbarungen
nur solange die eigenen Handlungsoptionen dadurch nicht eingeschränkt
werden. In den letzten Jahren hat der Einsatz militärischer Mittel
für die USA Priorität. Im Palästinakonflikt nehmen die Europäer eine
gegenüber Israel kritischere Haltung ein als die USA, zum Beispiel
hinsichtlich der israelischen Weigerung, ihre Atomwaffenpolitik auch
nur zu diskutieren. Die Bereitschaft der arabischen Staaten, die Ausweitung
von Massenvernichtungswaffen zu begrenzen, kann unter einer solchen
Weigerung nur leiden. Während die europäischen Länder keine unmittelbare
Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit durch die Staaten des Mittleren
Ostens wahrnehmen, betrachten die USA die Raketen im Iran und im Irak
als eine ernste Bedrohung, die nach militärischen Gegenmaßnahmen verlangt.
Diese unterschiedliche Wahrnehmung spiegelt grundlegende Differenzen
hinsichtlich der Prinzipien und Visionen für eine neue Weltordnung
wider, aus denen sich ein ernsthaftes Problem für die transatlantischen
Beziehungen entwickeln könnte.
Jürgen
Kahl
Großer Sprung in die Globalisierung. China vor dem Beitritt zur
WTO
Mit
dem Beitritt zur WTO hat die chinesische Führung die wichtigste reformpolitische
Entscheidung seit Beginn der wirtschaftlichen Öffnung und Liberalisierung
getroffen. Der schrittweise Umbau der chinesischen Wirtschaft zu einem
marktwirtschaftlichen System wird damit unumkehrbar. Die vereinbarten
Zollsenkungen und der Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen
verstärken den Wettbewerb auf dem chinesischen Markt. Die notwendigen
Strukturbereinigungen, die mit der Öffnung für den internationalen
Wettbewerb einhergehen, verbessern die Voraussetzungen für ein nachhaltiges
Wirtschaftswachstum, bringen aber soziale Härten mit potenziell destabilisierender
Wirkung mit sich. Bislang haben sich die Auslandsinvestitionen und
der Löwenanteil des Exportgeschäftes auf die Küstenregion konzentriert,
während das chinesische Hinterland kaum in diese modernen Kreisläufe
einbezogen ist. Die regionalen und sozialen Unterschiede haben sich
dadurch verschärft. Die Liberalisierung des Binnenmarktes wird zu
weiteren sozialen Verwerfungen führen, die angesichts der beschränkten
Möglichkeiten des Staates, den Anpassungsprozess durch soziale Transfers
abzufedern, v.a. die Arbeitnehmer in staatlichen Betrieben treffen
wird. Damit wird eine für die Herrschaft der Kommunistischen Partei
wichtige gesellschaftliche Gruppe in ihren Interessen beeinträchtigt,
woraus sich bedeutende Veränderungen im politischen System ergeben
können. Daneben erhöhen auch die Übernahme internationaler Rechtsnormen
und die Entflechtung von Staat/Partei und Wirtschaft den Druck auf
die chinesische Führung, das politische System für mehr Mitbestimmung
zu öffnen und der zunehmend von Entscheidungsfreiheit und Wettbewerb
bestimmten Wirtschaftsordnung anzupassen. Auf internationaler Ebene
bestimmt China künftig die Regeln des globalen Wettbewerbs mit. Das
politische Gewicht und die Ambitionen, die China als aufstrebende
Wirtschafts- und Regionalmacht in die WTO einbringt, stellen die Einigungsfähigkeit
der Welthandelsorganisation und das Funktionieren der Schlichtungsverfahren
in Streitfällen vor neue Herausforderungen.
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