Internationale Politik und Gesellschaft
International Politics and Society 4/2003

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Kurzfassungen:

Michael Dauderstädt:
Wenn Sicherheit unbezahlbar wird
Die schwierige Stabilisierung der ungleichen Welt

Klaus Eßer
Zusammenarbeit, die die Welt verändern kann
Für eine Neuorientierung europäischer Entwicklungspolitik

 

Michael Dauderstädt:

Wenn Sicherheit unbezahlbar wird
Die schwierige Stabilisierung der ungleichen Welt

Die Besetzung des Irak kostet mehr als dessen Bruttoinlandsprodukt und der Jugoslawiengerichtshof in Den Haag mehr als das serbische Justizbudget. Die reichen Länder können nicht Polizei und Justiz für alle gescheiterten und Schurkenstaaten dieser Welt spielen. Deren eigene Staatsmacht ist aber in der Tat Teil des Problemkomplexes, der die Bedrohungen für die Wohlstandsdemokratien produziert. Unterdrückung und Selbstbereicherung der herrschenden Eliten schüren die Wut der Terroristen ebenso wie die berechtigten Befreiungsbewegungen und die Neigung der Betroffenen, ihr Heil in den reichen Ländern und/oder illegalen Tätigkeiten zu suchen. Die weltweite Ungleichheit verursacht nicht nur einen großen Teil der Bedrohungen, denen sich die USA und in zweiter Linie Europa ausgesetzt sehen, sie machen auch eine Bekämpfung durch militärische Intervention und gewaltsamen Regimewechsel zu einem wenig aussichtsreichen und tendenziell unbezahlbaren Geschäft. Die Strategie der amerikanischen Konservativen baut auf die Einschüchterung „böser“ Staaten und die Befreiung der armen Gesellschaften. Sie übersieht dabei aber die Verzahnung von politischer und wirtschaftlicher Macht, der mit einer Zurückdrängung des Staates allein nicht beizukommen ist, zumal derselbe Staat im Kampf gegen den Terrorismus auch von den USA benötigt wird. Die Reform der gescheiterten Gesellschaften bedarf vielmehr eines effizienten Staates, der öffentliche Güter unparteiisch produziert und verteilt, Eigentumsrechte garantiert und die wirtschaftliche Entwicklung befördert. Diese Aufgaben durch externe Intervention und Protektoratsregime zu bewältigen, ist ungeheuer aufwändig und mit neuen, eigenen Risiken behaftet. Die Präsenz reicher Besatzer und Helfer schafft neue, politisch umkämpfte Einkommensquellen und erschwert den Aufbau einer selbsttragenden Wirtschaft. In der Staatenwelt setzt die Strategie der gewaltsamen Intervention ein verändertes Völkerrecht voraus, das die Souveränität der Nationalstaaten stärker beschränkt. Realpolitisch ist dies nur gegen schwächere Länder durchzusetzen. Damit wachsen auch die Anreize für potentiell betroffene Regime, ihren Schwäche nicht zuletzt durch den Erwerb von Massenvernichtungswaffen auszugleichen. Die Probleme müssen daher eher durch eine kluge Kombination von an Konditionen geknüpfte Integration, diplomatischem Druck und innergesellschaftlichem Wandel angepackt werden.

 

 

Klaus Eßer:

Zusammenarbeit, die die Welt verändern kann
Für eine Neuorientierung europäischer Entwicklungspolitik

Die entwicklungspolitische Priorität der „Armutsbekämpfung“ sollte im Interesse der armen Länder selbst und im Interesse Europas ad acta gelegt werden. Die armen Länder zeichnen sich durch eine geringe nationalstaatliche Handlungsfähigkeit aus, welche die Überwindung von Wachstums- und Armutsproblemen verhindert. Statt dessen sollten die bilaterale und die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit auf die ökonomisch stärksten Industrialisierungsländer konzentriert werden (China, Brasilien, Russland, Indien etc.). Elf Länder dieser Gruppe vereinen ca. zwei Drittel der Bevölkerung, des Bruttosozialproduktes, der Exporte und des Bestandes an Direktinvestitionen aller Entwicklungsländer auf sich, sie konzentrieren den allergrößten Teil der technisch-industriellen Potentiale außerhalb der Industrieländer. Im Rahmen mesoökonomischer Partnerschaftsprogramme kann die nationalstaatliche Steuerungsfähigkeit und die systemische Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder so gesteigert werden, dass eine dauerhafte Partnerschaft im beidseitigen Interesse entsteht. Im Mittelpunkt sollten dabei diejenigen Mesopolitiken stehen, die den Kompetenzerwerb in der Informations- und Kommunikationstechnologie fördern, die gesellschaftlichen Vorleistungen für die Wirtschaft aktivieren (z.B. Bildungsreformen und der Aufbau von Institutionen, die auf spezielle Produktions-„Cluster“ bezogen sind), die Umweltpolitik in die Wirtschaftspolitik integrieren und das soziale Kapital stärken. Da Mesopolitiken die Phase des Rohstoff- und Niedriglohnexports in diesen Ländern verkürzen und die Nachfrage nach Rohstoffen und Nahrungsgütern aus umliegenden armen Ländern erhöhen, weitet sich gleichzeitig der Spielraum der armen Länder, als Niedriglohnexporteure in die Weltwirtschaft hineinzuwachsen. Eine derartige Kooperation mit den ökonomisch stärksten Industrialisierungsländern trägt zu einer gemeinsamen Gestaltung des Globalisierungsprozesses bei. Längerfristig kann sie vielleicht sogar eine Trendwende bei den Weltproblemen digitale Kluft, Armut und globaler Umweltverbrauch ermöglichen.

 

 

Uwe Krüger:

Der Poker um das Öl im Kaspischen Meer

Die neuen unabhängigen Staaten in Zentralasien und im Kaukasus versuchen seit Beginn der neunziger Jahre mit Hilfe internationaler Konsortien, sich aus der russischen Umklammerung zu befreien. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Erdölvorkommen im Kaspischen Meer und die Pipelines, die das Öl den Märkten zugänglich machen und den Transitländern sowohl Einkünfte als auch Einfluss verheißen. Doch der Status des Gewässers ist zwischen den Anrainern umstritten. Das behindert Fortschritte bei der Ausbeutung. Wichtiger noch: die hohen Erwartungen in Bezug auf Ölreichtum wurden bislang nicht erfüllt. Bis zu 30 Milliarden Tonnen Ölreserven wurden vermutet, wirklich gesichert sind drei Milliarden Tonnen. Das entspricht knapp zwei Prozent der Weltreserven. Im Zentrum des Erdölmarktes bleibt die Golfregion, wo fast zwei Drittel der Weltölreserven lagern. Russland ist weltweit zweitgrößte Erdölförderer und weltweit größte Erdgasförderer, verfügt aber über weniger als fünf Prozent der Weltölreserven. Trotz der begrenzten Bedeutung des kaspischen Öls kämpfen mehrere Staaten um Einfluss in der Kaspischen Region. An erster Stelle ist dabei Russland zu nennen, das nicht nur kommerzielle Interessen hat, sondern auch seine Position als regionale Hegemonialmacht festigen will und dabei die Konflikte zwischen den Kaukasusstaaten und zwischen den verfeindeten Volksgruppen in ihrem Innern ausnutzt. Die Türkei ist bestrebt über das Pipeline-Projekt Baku-Ceyhan als Transitland für das Öl strategisch an Bedeutung zu gewinnen. Regionale Machtambitionen hegt auch der ohnehin ölreiche Iran. Er ist aber aufgrund massiven amerikanischen Drucks sowohl bei der Ausbeutung der Kaspi-Vorkommen als auch im Pipeline-Poker ins Hintertreffen geraten. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg ist auch die Supermacht USA in der Region präsent. Sie sucht den Einfluss Russlands zurückzudrängen, Iran zu isolieren und Positionen vis-a-vis der aufstrebenden Großmacht China zu besetzen.

 

Kassian Stroh:

Water: An Advocate for Reason
Win-win Solutions for the Nile River Basin

Am Nil spielt sich insbesondere zwischen Ägypten, Äthiopien und dem Sudan einer der wichtigsten internationalen Wasserkonflikte ab. Viele Beobachter meinen, dass dieser Konflikt in einen Krieg münden wird. Tatsächlich eskaliert der Nilkonflikt aber nicht gewaltsam. Im Gegenteil! Sechs Faktoren erklären, warum der Konflikt zunehmend kooperativ geregelt wird, obwohl sich gleichzeitig das ihm zugrunde liegende Problem verschärft. (1) Durch Kooperation lässt sich das insgesamt verfügbare Wasserangebot erhöhen, außerdem kann die Effizienz der Wassernutzung stark verbessert werden. Beides führt dazu, dass die konsumtive Wassernutzung (z.B. für Bewässerungslandwirtschaft) kein Nullsummenspiel mehr begründet. (2) Das Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit fördert in hohem Maße die Kooperationsbereitschaft der Anrainer, u.a. weil dadurch Win-win-Situationen sichtbar werden. (3) Die hydrologisch begündete Macht der Oberanrainer wird durch die größere politische, militärische und ökonomische Macht des Unteranrainers Ägypten kompensiert. Derartige gegenläufige Machtasymmetrien verhindern unilaterales Handeln. (4) Künftige Kooperation wird begünstigt durch bestehende, aus der Vergangenheit stammende Kooperationspraktiken. Vor allem der Austausch wassertechnischer Daten hat zur Vertrauensbildung beigetragen. (5) Kooperationsbereitschaft wird dadurch gestärkt, dass es völkerrechtliche – wenn auch nicht bindende – Normen gibt, die Wasserkonflikte regeln und die grundlegenden Ansprüche aller Anrainer anerkennen. (6) Externe Akteure, die ein Interesse an einer konstruktiven Regelung haben (internationale Institutionen, Geberländer) geben durch entsprechende Konditionierung ihrer Unterstützungsleistungen Anreize zu einem kooperativem Verhalten der Anrainerstaaten.

 

 

Reiner Bernstein:

Die „Road Map“ und die blockierten Wege zu einem Nahostfrieden

Die Ziele der „Road Map“ dürften ebenso unrealistisch sein, wie es die Osloer Vereinbarungen waren, weil die Klärung aller zwischen Israel und den Palästinensern strittigen Probleme erst 2005 erreicht werden soll. Damit setzen sich die neuen Pläne wie ihre Vorgänger der Gefahr der Verschleppung dauerhafter Regelungen aus. In ihrem Zentrum steht die Frage der politischen Souveränität. Dazu argumentiert Israel, dass seit dem Rückzug Jordaniens aus der Westbank im Sommer 1988 keine arabische Herrschaft unstrittige Legitimität beanspruchen kann. Diese Überzeugung hat sich in Bodenrequirierungen, jüdischen Ansiedlungen, militärischen Sperrzonen, Kontrollposten usw. niedergeschlagen. Dagegen beruft sich die Palästinensische Autonomiebehörde auf das Völkerrecht, aus dem sie den Anspruch ableitet, in den besetzten Gebieten von 1967 (mit Ausnahme der Golanhöhen) den Staat Palästina zu gründen. Während Verhandlungslösungen nicht in Sicht sind, erleben Judentum und Islam als politisch aktivierte Religionen eine Renaissance. Sie definieren theologisch einen Gottesfrieden und wollen diesem einen Exklusivanspruch zuerkennen, der sich geschichtlichen Wechselfällen entzieht. Die Palästinenser sind in ihrer Haltung gegenüber der israelischen Okkupation in einer schweren innenpolitischen Zerreißprobe. Seitdem Yasser Arafat in der Person Machmud Abbas’ einen Rivalen erhalten hat, tritt die Frage verstärkt in den Vordergrund, mit welcher Strategie der Präsenz Israels in der Westbank und im Gazastreifen begegnet werden soll: Welche Bedeutung kommen Verhandlungskonzepten zu? Ist der israelischen Militärmaschinerie mit dem Einsatz von Gewalt nachhaltig Paroli zu bieten, und welche Rolle spielen dafür Selbstmordattentate? Schließlich: Lässt sich durch zivilen Ungehorsam die Weltöffentlichkeit zugunsten der palästinensischen Ansprüche mobilisieren? Die palästinensische Bevölkerung hat seit der ersten „Intifada“ (1987 bis 1992) an politischem Selbstbewusstsein gewonnen und begnügt sich nicht mit einem Opferschicksal begnügt, sondern will als historisches Subjekt auftreten, das um seine kollektive Zukunft kämpft. Die Zeit für Interimsvereinbarungen ist vorbei. Beide Seiten haben sie für ihre eigenen Interessen manipulatorisch genutzt und dabei aus den Augen verloren, dass sie nur gemeinsam eine Lebenschance haben. Doch dem trägt die „Road Map“ keine Rechnung. Nach wie vor steht die Option der Zweistaatenlösung am Ende des Verhandlungsprozesses im Mittelpunkt des politischen Denkens. Alle israelischen Regierungen haben ihr jedoch durch die genannte Interventionspolitik einen Sperrriegel vorgeschoben; das jüngste Beispiel bildet die „Schutzmauer“. Die Europäer sollten alles tun, um Israel und Palästina näher an den alten Kontinent heranzuführen.

 

 

Stephan Hensell:

Typisch Balkan? Patronagenetzwerke, ethnische Zugehörigkeit und Gewaltdynamik in Mazedonien

Die 2001 ausgebrochenen Kämpfe zwischen albanischen Rebellen und staatlichen Sicherheitskräften in Mazedonien scheinen im Nachhinein denjenigen Recht zu geben, die schon immer eine dortige Eskalation ethnischer Gegensätze prognostiziert haben. Die Konfliktdynamik in Mazedonien folgt jedoch nicht der Eskalationslogik eines vermeintlich typischen Balkankrieges. Der Prozess der Staatsbildung geht in Mazedonien mit der Förderung eines Nationalbewusstseins einher, mit dem eine slawisch-mazedonische Titularnation gegenüber einer albanischen Minderheit abgegrenzt wird. Ethnische Zugehörigkeit entscheidet über den Zugang zu Patronagenetzwerken und das Unterkommen im expandierenden öffentlichen Sektor. Albaner und slawische Mazedonier haben damit unterschiedliche soziale Aufstiegschancen und werden unterschiedlich stark dem Prozess der Modernisierung unterworfen. Die beiden Bevölkerungsgruppen entwickeln sich in unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Sphären, d.h. es kommt zu einer fortschreitenden ethnischen Segregation. Seit Beginn der 1990er Jahre schaffen wirtschaftliche Liberalisierung und Privatisierung eine neue sozio-ökonomische Situation. Auf der albanischen Seite kommt es zur Bildung von Parteien und vermehrten Partizipationsforderungen. Die mazedonischen Machthaber integrieren daraufhin einen Teil der albanischen Aktivisten in die klientelistischen Netzwerke des Staates. Dies erhöht die Konkurrenz um die dort gegebenen Einkommenschancen. Irreguläre Bereicherungschancen gewinnen an Bedeutung, vor allem auch im Hinblick auf illegalen Handel mit dem Ausland. Politik wird kriminalisiert. Die Teilhabe der Albaner an den entsprechenden klientelistisch organisierten Netzwerken bleibt jedoch auf einzelne Gruppierungen begrenzt. Das albanische Lager teilt sich in etablierte Patronagenetzwerke auf der einen und Nicht-Integrierte auf der anderen Seite. Zu Letzteren zählen vor allem Jugendliche, denen die wirtschaftliche Lage in Europa die früher breit verfügbare Option der Auswanderung versperrt. Neben die sozialen Widersprüchen zwischen den beiden Volksgruppen treten damit auch Widersprüche innerhalb des albanischen Lagers, in dem sich postsozialistische Opportunitäten und Restriktionen ungleich verteilen und neue Linien der Inklusion und Exklusion etablieren. Vor diesem Hintergrund formiert sich die mazedonische UÇK als eine bewaffnete Bewegung der Nicht-Integrierten. Mit dem Nachkriegsarrangement erstreiten die Kämpfer der Guerilla nicht nur Verbesserungen in Bezug auf den albanischen Minderheitenstatus, sondern auch eine Integration in das bestehende albanische Patronagesystem. Der Kampf der UÇK um mehr Minderheitenrechte ist damit von einer inneralbanischen Konkurrenz um politische und ökonomische Chancen nicht zu trennen.

 

© Friedrich Ebert Stiftung | net edition malte.michel | 6/2003