Kurzfassungen:
Michael Dauderstädt:
Wenn Sicherheit unbezahlbar wird
Die schwierige Stabilisierung der ungleichen Welt
Klaus
Eßer
Zusammenarbeit, die die Welt verändern kann
Für eine Neuorientierung europäischer Entwicklungspolitik
Michael Dauderstädt:
Wenn Sicherheit unbezahlbar wird
Die schwierige Stabilisierung der ungleichen Welt
Die Besetzung des Irak kostet mehr als dessen Bruttoinlandsprodukt
und der Jugoslawiengerichtshof in Den Haag mehr als das serbische
Justizbudget. Die reichen Länder können nicht Polizei und Justiz
für alle gescheiterten und Schurkenstaaten dieser Welt spielen.
Deren eigene Staatsmacht ist aber in der Tat Teil des Problemkomplexes,
der die Bedrohungen für die Wohlstandsdemokratien produziert.
Unterdrückung und Selbstbereicherung der herrschenden Eliten
schüren die Wut der Terroristen ebenso wie die berechtigten
Befreiungsbewegungen und die Neigung der Betroffenen, ihr Heil
in den reichen Ländern und/oder illegalen Tätigkeiten zu suchen.
Die weltweite Ungleichheit verursacht nicht nur einen großen
Teil der Bedrohungen, denen sich die USA und in zweiter Linie
Europa ausgesetzt sehen, sie machen auch eine Bekämpfung durch
militärische Intervention und gewaltsamen Regimewechsel zu einem
wenig aussichtsreichen und tendenziell unbezahlbaren Geschäft.
Die Strategie der amerikanischen Konservativen baut auf die
Einschüchterung „böser“ Staaten und die Befreiung der armen
Gesellschaften. Sie übersieht dabei aber die Verzahnung von
politischer und wirtschaftlicher Macht, der mit einer Zurückdrängung
des Staates allein nicht beizukommen ist, zumal derselbe Staat
im Kampf gegen den Terrorismus auch von den USA benötigt wird.
Die Reform der gescheiterten Gesellschaften bedarf vielmehr
eines effizienten Staates, der öffentliche Güter unparteiisch
produziert und verteilt, Eigentumsrechte garantiert und die
wirtschaftliche Entwicklung befördert. Diese Aufgaben durch
externe Intervention und Protektoratsregime zu bewältigen, ist
ungeheuer aufwändig und mit neuen, eigenen Risiken behaftet.
Die Präsenz reicher Besatzer und Helfer schafft neue, politisch
umkämpfte Einkommensquellen und erschwert den Aufbau einer selbsttragenden
Wirtschaft. In der Staatenwelt setzt die Strategie der gewaltsamen
Intervention ein verändertes Völkerrecht voraus, das die Souveränität
der Nationalstaaten stärker beschränkt. Realpolitisch ist dies
nur gegen schwächere Länder durchzusetzen. Damit wachsen auch
die Anreize für potentiell betroffene Regime, ihren Schwäche
nicht zuletzt durch den Erwerb von Massenvernichtungswaffen
auszugleichen. Die Probleme müssen daher eher durch eine kluge
Kombination von an Konditionen geknüpfte Integration, diplomatischem
Druck und innergesellschaftlichem Wandel angepackt werden.
Klaus Eßer:
Zusammenarbeit, die die Welt verändern kann
Für eine Neuorientierung europäischer Entwicklungspolitik
Die entwicklungspolitische Priorität der „Armutsbekämpfung“
sollte im Interesse der armen Länder selbst und im Interesse
Europas ad acta gelegt werden. Die armen Länder zeichnen sich
durch eine geringe nationalstaatliche Handlungsfähigkeit aus,
welche die Überwindung von Wachstums- und Armutsproblemen verhindert.
Statt dessen sollten die bilaterale und die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit
auf die ökonomisch stärksten Industrialisierungsländer konzentriert
werden (China, Brasilien, Russland, Indien etc.). Elf Länder
dieser Gruppe vereinen ca. zwei Drittel der Bevölkerung, des
Bruttosozialproduktes, der Exporte und des Bestandes an Direktinvestitionen
aller Entwicklungsländer auf sich, sie konzentrieren den allergrößten
Teil der technisch-industriellen Potentiale außerhalb der Industrieländer.
Im Rahmen mesoökonomischer Partnerschaftsprogramme kann die
nationalstaatliche Steuerungsfähigkeit und die systemische Wettbewerbsfähigkeit
dieser Länder so gesteigert werden, dass eine dauerhafte Partnerschaft
im beidseitigen Interesse entsteht. Im Mittelpunkt sollten dabei
diejenigen Mesopolitiken stehen, die den Kompetenzerwerb in
der Informations- und Kommunikationstechnologie fördern, die
gesellschaftlichen Vorleistungen für die Wirtschaft aktivieren
(z.B. Bildungsreformen und der Aufbau von Institutionen, die
auf spezielle Produktions-„Cluster“ bezogen sind), die Umweltpolitik
in die Wirtschaftspolitik integrieren und das soziale Kapital
stärken. Da Mesopolitiken die Phase des Rohstoff- und Niedriglohnexports
in diesen Ländern verkürzen und die Nachfrage nach Rohstoffen
und Nahrungsgütern aus umliegenden armen Ländern erhöhen, weitet
sich gleichzeitig der Spielraum der armen Länder, als Niedriglohnexporteure
in die Weltwirtschaft hineinzuwachsen. Eine derartige Kooperation
mit den ökonomisch stärksten Industrialisierungsländern trägt
zu einer gemeinsamen Gestaltung des Globalisierungsprozesses
bei. Längerfristig kann sie vielleicht sogar eine Trendwende
bei den Weltproblemen digitale Kluft, Armut und globaler Umweltverbrauch
ermöglichen.
Uwe Krüger:
Der Poker um das Öl im Kaspischen Meer
Die neuen unabhängigen
Staaten in Zentralasien und im Kaukasus versuchen seit Beginn
der neunziger Jahre mit Hilfe internationaler Konsortien,
sich aus der russischen Umklammerung zu befreien. Von zentraler
Bedeutung sind dabei die Erdölvorkommen im Kaspischen Meer
und die Pipelines, die das Öl den Märkten zugänglich machen
und den Transitländern sowohl Einkünfte als auch Einfluss
verheißen. Doch der Status des Gewässers ist zwischen den
Anrainern umstritten. Das behindert Fortschritte bei der Ausbeutung.
Wichtiger noch: die hohen Erwartungen in Bezug auf Ölreichtum
wurden bislang nicht erfüllt. Bis zu 30 Milliarden Tonnen
Ölreserven wurden vermutet, wirklich gesichert sind drei Milliarden
Tonnen. Das entspricht knapp zwei Prozent der Weltreserven.
Im Zentrum des Erdölmarktes bleibt die Golfregion, wo fast
zwei Drittel der Weltölreserven lagern. Russland ist weltweit
zweitgrößte Erdölförderer und weltweit größte Erdgasförderer,
verfügt aber über weniger als fünf Prozent der Weltölreserven.
Trotz der begrenzten Bedeutung des kaspischen Öls kämpfen
mehrere Staaten um Einfluss in der Kaspischen Region. An erster
Stelle ist dabei Russland zu nennen, das nicht nur kommerzielle
Interessen hat, sondern auch seine Position als regionale
Hegemonialmacht festigen will und dabei die Konflikte zwischen
den Kaukasusstaaten und zwischen den verfeindeten Volksgruppen
in ihrem Innern ausnutzt. Die Türkei ist bestrebt über das
Pipeline-Projekt Baku-Ceyhan als Transitland für das Öl strategisch
an Bedeutung zu gewinnen. Regionale Machtambitionen hegt auch
der ohnehin ölreiche Iran. Er ist aber aufgrund massiven amerikanischen
Drucks sowohl bei der Ausbeutung der Kaspi-Vorkommen als auch
im Pipeline-Poker ins Hintertreffen geraten. Nicht zuletzt
im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg ist auch die Supermacht
USA in der Region präsent. Sie sucht den Einfluss Russlands
zurückzudrängen, Iran zu isolieren und Positionen vis-a-vis
der aufstrebenden Großmacht China zu besetzen.
Kassian Stroh:
Water: An Advocate for Reason
Win-win Solutions for the Nile River Basin
Am Nil spielt sich insbesondere zwischen Ägypten, Äthiopien
und dem Sudan einer der wichtigsten internationalen Wasserkonflikte
ab. Viele Beobachter meinen, dass dieser Konflikt in einen Krieg
münden wird. Tatsächlich eskaliert der Nilkonflikt aber nicht
gewaltsam. Im Gegenteil! Sechs Faktoren erklären, warum der
Konflikt zunehmend kooperativ geregelt wird, obwohl sich gleichzeitig
das ihm zugrunde liegende Problem verschärft. (1) Durch Kooperation
lässt sich das insgesamt verfügbare Wasserangebot erhöhen, außerdem
kann die Effizienz der Wassernutzung stark verbessert werden.
Beides führt dazu, dass die konsumtive Wassernutzung (z.B. für
Bewässerungslandwirtschaft) kein Nullsummenspiel mehr begründet.
(2) Das Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit fördert in hohem
Maße die Kooperationsbereitschaft der Anrainer, u.a. weil dadurch
Win-win-Situationen sichtbar werden.
(3) Die hydrologisch begündete Macht der Oberanrainer wird durch
die größere politische, militärische und ökonomische Macht des
Unteranrainers Ägypten kompensiert. Derartige gegenläufige Machtasymmetrien
verhindern unilaterales Handeln. (4) Künftige Kooperation wird
begünstigt durch bestehende, aus der Vergangenheit stammende
Kooperationspraktiken. Vor allem der Austausch wassertechnischer
Daten hat zur Vertrauensbildung beigetragen. (5) Kooperationsbereitschaft
wird dadurch gestärkt, dass es völkerrechtliche – wenn auch
nicht bindende – Normen gibt, die Wasserkonflikte regeln und
die grundlegenden Ansprüche aller Anrainer anerkennen.
(6) Externe Akteure, die ein Interesse an einer konstruktiven
Regelung haben (internationale Institutionen, Geberländer) geben
durch entsprechende Konditionierung ihrer Unterstützungsleistungen
Anreize zu einem kooperativem Verhalten der Anrainerstaaten.
Reiner Bernstein:
Die „Road Map“ und die blockierten Wege zu einem Nahostfrieden
Die Ziele der „Road Map“ dürften ebenso unrealistisch sein,
wie es die Osloer Vereinbarungen waren, weil die Klärung aller
zwischen Israel und den Palästinensern strittigen Probleme erst
2005 erreicht werden soll. Damit setzen sich die neuen Pläne
wie ihre Vorgänger der Gefahr der Verschleppung dauerhafter
Regelungen aus. In ihrem Zentrum steht die Frage der politischen
Souveränität. Dazu argumentiert Israel, dass seit dem Rückzug
Jordaniens aus der Westbank im Sommer 1988 keine arabische Herrschaft
unstrittige Legitimität beanspruchen kann. Diese Überzeugung
hat sich in Bodenrequirierungen, jüdischen Ansiedlungen, militärischen
Sperrzonen, Kontrollposten usw. niedergeschlagen. Dagegen beruft
sich die Palästinensische Autonomiebehörde auf das Völkerrecht,
aus dem sie den Anspruch ableitet, in den besetzten Gebieten
von 1967 (mit Ausnahme der Golanhöhen) den Staat Palästina zu
gründen. Während Verhandlungslösungen nicht in Sicht sind, erleben
Judentum und Islam als politisch aktivierte Religionen eine
Renaissance. Sie definieren theologisch einen Gottesfrieden
und wollen diesem einen Exklusivanspruch zuerkennen, der sich
geschichtlichen Wechselfällen entzieht. Die Palästinenser sind
in ihrer Haltung gegenüber der israelischen Okkupation in einer
schweren innenpolitischen Zerreißprobe. Seitdem Yasser Arafat
in der Person Machmud Abbas’ einen Rivalen erhalten hat, tritt
die Frage verstärkt in den Vordergrund, mit welcher Strategie
der Präsenz Israels in der Westbank und im Gazastreifen begegnet
werden soll: Welche Bedeutung kommen Verhandlungskonzepten zu?
Ist der israelischen Militärmaschinerie mit dem Einsatz von
Gewalt nachhaltig Paroli zu bieten, und welche Rolle spielen
dafür Selbstmordattentate? Schließlich: Lässt sich durch zivilen
Ungehorsam die Weltöffentlichkeit zugunsten der palästinensischen
Ansprüche mobilisieren? Die palästinensische Bevölkerung hat
seit der ersten „Intifada“ (1987 bis 1992) an politischem Selbstbewusstsein
gewonnen und begnügt sich nicht mit einem Opferschicksal begnügt,
sondern will als historisches Subjekt auftreten, das um seine
kollektive Zukunft kämpft. Die Zeit für Interimsvereinbarungen
ist vorbei. Beide Seiten haben sie für ihre eigenen Interessen
manipulatorisch genutzt und dabei aus den Augen verloren, dass
sie nur gemeinsam eine Lebenschance haben. Doch dem trägt die
„Road Map“ keine Rechnung. Nach wie vor steht die Option der
Zweistaatenlösung am Ende des Verhandlungsprozesses im Mittelpunkt
des politischen Denkens. Alle israelischen Regierungen haben
ihr jedoch durch die genannte Interventionspolitik einen Sperrriegel
vorgeschoben; das jüngste Beispiel bildet die „Schutzmauer“.
Die Europäer sollten alles tun, um Israel und Palästina näher
an den alten Kontinent heranzuführen.
Stephan Hensell:
Typisch Balkan? Patronagenetzwerke, ethnische Zugehörigkeit
und Gewaltdynamik in Mazedonien
Die 2001 ausgebrochenen Kämpfe zwischen albanischen Rebellen
und staatlichen Sicherheitskräften in Mazedonien scheinen im
Nachhinein denjenigen Recht zu geben, die schon immer eine dortige
Eskalation ethnischer Gegensätze prognostiziert haben. Die Konfliktdynamik
in Mazedonien folgt jedoch nicht der Eskalationslogik eines
vermeintlich typischen Balkankrieges. Der Prozess der Staatsbildung
geht in Mazedonien mit der Förderung eines Nationalbewusstseins
einher, mit dem eine slawisch-mazedonische Titularnation gegenüber
einer albanischen Minderheit abgegrenzt wird. Ethnische Zugehörigkeit
entscheidet über den Zugang zu Patronagenetzwerken und das Unterkommen
im expandierenden öffentlichen Sektor. Albaner und slawische
Mazedonier haben damit unterschiedliche soziale Aufstiegschancen
und werden unterschiedlich stark dem Prozess der Modernisierung
unterworfen. Die beiden Bevölkerungsgruppen entwickeln sich
in unterschiedlichen sozialen und ökonomischen Sphären, d.h.
es kommt zu einer fortschreitenden ethnischen Segregation. Seit
Beginn der 1990er Jahre schaffen wirtschaftliche Liberalisierung
und Privatisierung eine neue sozio-ökonomische Situation. Auf
der albanischen Seite kommt es zur Bildung von Parteien und
vermehrten Partizipationsforderungen. Die mazedonischen Machthaber
integrieren daraufhin einen Teil der albanischen Aktivisten
in die klientelistischen Netzwerke des Staates. Dies erhöht
die Konkurrenz um die dort gegebenen Einkommenschancen. Irreguläre
Bereicherungschancen gewinnen an Bedeutung, vor allem auch im
Hinblick auf illegalen Handel mit dem Ausland. Politik wird
kriminalisiert. Die Teilhabe der Albaner an den entsprechenden
klientelistisch organisierten Netzwerken bleibt jedoch auf einzelne
Gruppierungen begrenzt. Das albanische Lager teilt sich in etablierte
Patronagenetzwerke auf der einen und Nicht-Integrierte auf der
anderen Seite. Zu Letzteren zählen vor allem Jugendliche, denen
die wirtschaftliche Lage in Europa die früher breit verfügbare
Option der Auswanderung versperrt. Neben die sozialen Widersprüchen
zwischen den beiden Volksgruppen treten damit auch Widersprüche
innerhalb des albanischen Lagers, in dem sich postsozialistische
Opportunitäten und Restriktionen ungleich verteilen und neue
Linien der Inklusion und Exklusion etablieren. Vor diesem Hintergrund
formiert sich die mazedonische UÇK als eine bewaffnete Bewegung
der Nicht-Integrierten. Mit dem Nachkriegsarrangement erstreiten
die Kämpfer der Guerilla nicht nur Verbesserungen in Bezug auf
den albanischen Minderheitenstatus, sondern auch eine Integration
in das bestehende albanische Patronagesystem. Der Kampf der
UÇK um mehr Minderheitenrechte ist damit von einer inneralbanischen
Konkurrenz um politische und ökonomische Chancen nicht zu trennen.
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