Esther Brimmer / Stefan Fröhlich (eds.): The Strategic Implications of European Union Enlargement
 
    
   Heft 2/2006  
    
  Washington 2005
Center for Transatlantic Relations, 412 S.
  
 

Dieser Sammelband entstand aus einem von der Thyssen-Stiftung und dem German Marshall Fund unterstützten Konferenzprojekt, dessen zentrale Veranstaltung am 25. Oktober 2005 in Brüssel stattfand. Nach Überarbeitung für diesen Band weisen die meisten Beiträge einen Stand vom Sommer 2005 auf. Den Herausgebern ist es gelungen, eine Reihe prominenter Experten zu den diversen Unterthemen ihres Hauptanliegens, den strategischen Folgen der EU-Erweiterung vom Mai 2004 , als Beiträger zu gewinnen.

Die 16 Kapitel (Beiträge) reichen von regionalen Aspekten innerhalb der EU (alte EU-15, Nordeuropa und Baltikum, Mittel- und Osteuropa) und in der Nachbarschaft (Türkei, Russland, Ukraine und Belarus, Mittelmeerraum), die jeweils von einem Überblicksaufsatz zur EU und zur Nachbarschaftspolitik eingeleitet werden, bis zu sektoralen Aspekten (Transatlantische Beziehungen, UN, Weltwirtschaft, Entwicklungspolitik, Sicherheitspolitik, Agrarpolitik, Umweltpolitik). Wie so oft in Sammelbänden und Konferenzprojekten musste gelegentlich die Konsistenz auf dem Altar der Autorenpräferenzen geopfert werden. So hätte Kapitel 2 zu Nordeuropa und Baltikum eigentlich in die Alt - EU und Mittel- und Osteuropa aufgeteilt und integriert werden müssen. Das Türkeikapitel fällt etwas aus dem Rahmen, da es weniger die Folgen der Erweiterung von 2004 auf die Beziehungen zwischen EU und Türkei als die allgemeinen Fragen eines möglichen türkischen EU-Beitritts behandelt. Ein entsprechendes Kapitel zu Bulgarien, Rumänien und den Ländern des westlichen Balkans fehlt. Auch der Beitrag von Ulrike Guérot behandelt eher einige allgemeine Probleme der EU (Verfassung, Kerneuropa, Außenpolitik) als die spezifischen Wirkungen der Erweiterung und ist nach den Referenden besonders rasch veraltet.

Trotzdem bietet der Band einen umfassenden Überblick, der sich konsistent auf der Ebene der strategischen Betrachtung bewegt, also primär der außenpolitischen Dimension des Erweiterungsprozesses. Wer sich hierzu informieren will, wird gut bedient, und erhält mit den mehr wirtschaftspolitischen Beiträgen von Daniel Gros und Leonor Coutinho zu den weltwirtschaftlichen Folgen und von Peter Wehrheim zur Agrarpolitik noch datenreiche Ergänzungen, die ausnahmsweise über den engeren strategisch-außenpolitischen Schwerpunkt hinausweisen.

Diese Stärke des Sammelbandes ist auch zugleich seine – zumindest aus der Sicht dieses Rezensenten – größte Schwäche. Er argumentiert fast ausschließlich auf der Ebene von Staaten, die – wie im Paradigma der realistischen Schule der internationalen Beziehungen üblich – mit eher festen Interessen ausgestattet - mit anderen Staaten interagieren. Die Akteure sind die Verkörperung ihrer Staaten: Diplomaten und – wenn auch erfreulich selten im Europa dieser Zeiten– Militärs. Die meisten Fußnoten und Quellenangaben beziehen sich auf Dokumente von Regierungen und zwischenstaatlichen Institutionen, vor allem der EU selbst. Innergesellschaftliche Prozesse, Konflikte und Interessen tauchen kaum auf – weder als die gestaltenden Kräfte nationaler Politik noch als die „Opfer“ internationaler Beziehungen, deren Interessen von neuen grenzüberschreitenden Konstellationen betroffen sind. Nur gelegentlich werden Ergebnisse von Meinungsumfragenzitiert, die aber eher nationale Interessen illustrieren als innergesellschaftliche Divergenzen aufzeigen sollen.

Entsprechend unkritisch bleibt oft die Darstellung der staatlichen oder suprastaatlichen Politik. Selbst die notorisch verteufelte Gemeinsame Agrarpolitik der EU wird kaum mit einem kritischen Wort bedacht. Ihre Verteilungswirkungen innerhalb der EU bleiben völlig außer acht. Kaum hinterfragt wird auch die Wirkung von Politiken wie etwa der Nachbarschaftspolitik, wenn sich ihre Ziele mit innergesellschaftlichen Zuständen in den Partnerländern reiben, da diese Beschränkung von Politik aus dem Paradigma von vorn herein ausgeblendet bleibt.

Eine weitere Schwäche des Bandes ist seine stark deskriptive Ausrichtung, die das Verhalten der staatlichen Akteure eher beschreiben als erklären will. Dazu fehlt auch ein theoretischer Anspruch, denn das realistische Paradigma wird nicht explizit als theoretisch-analytisches Raster auf die unterschiedlichen Politikfelderangewandt. Das wird auch an dem weitgehenden Mangel an Verweisen auf theoretische Werke zum Thema der internationalen Beziehungen deutlich. Ein spezifischer Mangel an Quellenverweis fiel dem Rezensenten in dem Beitrag von László Kiss auf Seite 91 in einem Abschnitt zu den Auswirkungen der Erweiterung auf die Außenwirtschaftsbeziehungen der EU auf, der nahezu wörtlichen einen Passus aus einem Aufsatz des Rezensenten enthielt, ohne dass es ein direktes Zitat oder auch nur einen Hinweis auf die Quelle gegeben hätte.

Jenseits dieser Schwächen gilt aber: Wer seine Erwartungshaltung an die Grenzen des Ansatzes der Herausgeber anpassen kann, also mit einer kenntnisreichen, relativ umfassenden Beschreibung der EU-Politik im Umfeld der Erweiterung zufrieden ist, wird hier gut bedient.

Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn

     
      
 
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