"Spin doctors" am Werk - Die Kehrtwendung der Bush- Regierung vom 13. März 2001 aus der Sicht einer Augenzeugin Christine Todd-Whitman: It's My Party Too. The Battle for the Heart of the GOP and the Future of America |
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Heft 2/2006 | |||||||||||||||||||
New York 2005 Penguin Press, 248 S. |
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Christine Todd Whitman zählt zum republikanischen Urgestein. Sie ist Politikerin, mit viel Erfahrung in der Partei, die seit langem die ihrer Familie ist. Von 1993 bis 2000 war sie, als erste Frau, Gouverneurin des Staates New Jersey. Präsidentschaftsaspirant George W. Bush holte sie in sein Wahlkampfteam. Nach seinem Wahlsieg berief er sie in sein Kabinett als Chefin der Environmental Protection Agency (EPA) – das entspricht in Deutschland etwa dem Gewicht zweier Ämter in Personalunion: dem des Chefs des Umweltbundesamtes (jetzt Andreas Troge, CDU) und des Umweltministeriums (jetzt Sigmar Gabriel, SPD). Christine Whitman saß gleichsam im Auge des weltpolitischen Sturmes um das Kyoto-Protokoll, der am 13. März 2001 losbrach, und der auch sie persönlich heftig durcheinander gewirbelt hat. Sie blieb nach diesem Tag ihrer Brüskierung zwar noch bis zum Mai 2003 in ihrem Amt, um dann aber endgültig frustiert ihren Abschied zu nehmen. Was war geschehen? Die Anklage ihres autobiographischen Buches lautet: Die Rechten in der Republikanischen Partei, der Grand Old Party (GOP), hätten die Partei gekapert. Und das sei weder gut für die Partei noch für die USA. Das Drama um das Kyoto-Protokoll ist ihrer Schilderung nach nur ein spezieller Ausdruck dieses innerparteilichen Geschehens: Es sei (1) nur Symptom dessen und (2) ginge es gar nicht um das Kyoto-Protokoll. Die Passagen zum Kyoto-Drama in dem Buch sind, ein Lehrstück zum Verhältnis von ‚spin’ und wirklicher Politik, deshalb der sorgfältigen Lektüre wert. Denn es gilt: So geht es regelmäßig. Whitman wurde von Bush zur EPA-Chefin nominiert, ohne dass darüber zwischen den beiden überhaupt gesprochen worden war – so muss man zumindest das Fehlen jeglicher Schilderung eines Gesprächs verstehen. Es gab keine Verabredung zu bestimmten Inhalten noch zum Stil, wie man miteinander umzugehen gedenke, also vor allem über den ‚Zugang’ zum Präsidenten bei strategischen Entscheidungen. Dieser Mangel, so kann man entweder schließen, war ein schweres Versäumnis oder, so könnte man ebenfalls schließen, war realistisch, denn mit dieser Person George W. Bush gab es nichts zu verabreden, weil er nicht der Herr strategischer Entscheidungen unter seiner Präsidentschaft ist. Whitman trat Ende Januar 2001 ihr Amt an. Sechs Wochen später stand ihr erster internationaler Auftritt auf dem Programm, auf der Sitzung der G 8-Umweltminister, welche der Vorbereitung des "Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung" von Johannesburg im August 2002 diente. Nachdem noch unter Präsident Clinton die Verhandlungen zur Operationalisierung des Kyoto-Protokolls in Den Haag und die Nachverhandlung im kleinen Kreis im Dezember 2000 in Ottawa spektakulär gescheitert waren, war absehbar, dass die Partner der USA wissen wollten, wo die neue amerikanische Regierung unter Bush beim Klimathema denn stehe. Whitman bereitete sich entsprechend sorgfältig und präzise vor. Die Position der neuen Regierung entnimmt sie einem dicken Ordner mit dem Titel „Transition 2001“, den sie zum Zeitpunkt ihrer Nominierung als EPA-Chefin erhalten hatte. Erarbeitet worden war dieses Dokument, das ‚offizielle Kompendium der Versprechungen der Bush’schen Wahlkampagne’, von einer Mannschaft unter Leitung von Dick Cheney, dem designierten Vizepräsidenten und dem eigentlichen Kopf der Bush-Regierung. Dass die USA das Protokoll zum Klimaschutz von Kyoto nicht ratifizieren würden, war nicht die Frage, darin bestand in den USA ein überwältigender überparteilicher Konsens. Die Frage war vielmehr, ob die USA das Klimaproblem als solches, als eine nationale Aufgabe, akzeptieren würden. Und dazu fand sich in dem Versprechens-Katalog aus der Spätphase des Wahlkampfes Eindeutiges: Die Bush-Kampagne hatte sich eindeutig dafür ausgesprochen, den Ausstoß luftverschmutzender Stoffe aus Kraftwerken zu senken (rechtsverbindlicher Grenzwert: ‚mandatory cap’). In der Liste solcher Stoffe spielte auch das Treibhausgas Kohlendioxid eine Rolle, obwohl dies in der Republikanischen Partei umstritten war. Frau Whitman wollte also zum G 8-Treffen nach Triest mit der Position reisen, die USA seien sehr wohl Partner im Kampf gegen das Klimaproblem, sie würden lediglich Kyoto nicht ratifizieren, stattdessen aber, ohne internationale Verpflichtung, ihre Hausaufgaben national angehen. Dieser Position versicherte sie sich vor ihrem Abflug explizit in einem Gespräch mit Condolezza Rice im Weißen Haus, und ebenfalls, wie sie schreibt, mit dem ‚Office of the White House chief of staff’. In Triest tritt sie entsprechend auf. Die Partner sind zwar überrascht und ein bisschen skeptisch, aber zufrieden. Der Triester Beschluss enthält die Formulierung, dass die unterzeichnenden Länder „take the lead by strengthening and implementing national programs and actions to reduce greenhouse gas emissions“ (S. 172). Christine Todd Whitman ist ebenfalls zufrieden, insbesondere über die Pressereaktion , nach der die Umweltschützer in den USA bestätigten, sie begrüssten das „welcome signal to G-8 partners that Washington was serious about global warming“ (ebd.). Die Ironie der Geschichte ist: Exakt dieser zufriedenstellende Auftakt auf internationaler Bühne löste den Wirbelsturm aus, der dann kommen sollte. Während Frau Whitman auf dem Rückflug nach Washington ihr Memo an den Präsidenten diktierte, schreckten die Pressemeldungen aus Triest zur Stellungnahme der neuen US-Administration die Kritiker innerhalb der republikanischen Partei auf. Vier republikanische Senatoren unter Führung von Chuck Hagel (Nebraska), sämtlich aus kohlereichen Bundesstaaten, schrieben einen Brief an Präsident Bush, in dem sie den Einschluss von Kohlendioxid in die „ mandatory cap“-Regelung kritisierten Das war für das Weiße Haus Anlass, diese Frage bzw. seine Position dazu zu überprüfen. Der Vorgang liest sich in der Schilderung von Frau Whitman, immerhin EPA-Chefin und verdiente Republikanerin mit langem Standing, eher gespenstisch: Mit ihr persönlich wird überhaupt nicht gesprochen. Sie berichtet, was sie ‚beobachtete’, dass nämlich während einer ganzen Woche ständig Mitarbeiter ihrer EPA ins Weiße Haus gerufen wurden. Für Dienstag, den 13. März, 10 Uhr, wurde sie dann zu einem Termin mit dem Präsidenten im Oval Offive einbestellt – das Wochenende zuvor, so schildert sie, präparierte sie sich für dieses, wie sie erwartete, entscheidende ‚Gespräch’ mit dem Präsidenten. Sie musste zu ihrer Überraschung aber erleben, dass der Präsident nichts von ihr hören wollte, dass er nicht die Implikationen, insbesondere solcher außenpolitischer Art, hören wollte, um dann in voller Kenntnis der Probleme, die er sich damit einhandelte, seine Entscheidung zu treffen. Nein, so war es nicht. „As soon as the president and I sat down, I realized that I wasn’t there to state my case – I was here to be told that he had decided to reverse himself” (S. 175). Der Präsident behauptete also, ‘er’ habe (bereits) entschieden, und zwar entgegen dem ‚Transition 2001’-Programm. Frau Whitman steht es zu, diesen Vorgang zu kommentieren, sie demonstriert auch heute noch Loyalität. Die Anlage ihres Buches ist generell konstruktiv, sie kämpft schließlich für eine Öffnung ihrer Partei zur Mitte hin, und das heißt , dass der Schutz der Lebensgrundlagen legitimer Teil konservativer Programmatik sein solle. Deswegen wohl muss sie sich alles versagen, was wie eine persönliche Abrechnung mit der Person dieses Präsidenten erscheinen könnte. Doch statt eines Kommentars bringt sie die folgende Anmerkung: Als sie das Oval Office verlässt, läuft ihr Dick Cheney über den Weg, in Eile, auf dem Weg zu dem wöchentlichen Treffen mit den Spitzenrepublikanern im Senat. Für Christine Whitman fällt nur ein kurzes ‚hello’ ab, aber noch auf ihrem Weg nach draußen sieht sie, dass ihm ein Brief mitgegeben wird. Whitman schließt im Nachhinein: Das muss die bekannte Antwort des Präsidenten auf das Schreiben der vier Senatoren aus den Kohlestaaten der USA gewesen sein, das Dokument des „ reversal“. Nicht einmal das wird ihr zur Kenntnis gegeben, von einer Abstimmung gar nicht zu sprechen. Doch mit ihrer Schilderung der Begegnung mit dem Präsidenten scheint mir eines klar ausgedrückt zu sein: Dass ‚er’ diese Entscheidung – wie Pharao seinerzeit die seinige zur Vorsorge gegen die sieben Dürrejahre – autonom nachts im Traume getroffen habe, diese Vorstellung ist unglaubhaft. Glaubhaft ist eher, dass er in Dick Cheney gleichsam seinen Josef gehabt hat, mit dessen Deutungskünsten er zu seiner Entscheidung gekommen ist. Bush jr., den seine Familie ja nicht ohne Grund als politischen Kopf bereits zu Gunsten seines jüngeren Bruders Jeb abgeschrieben hatte, ist demnach eher die Marionette, als die er auch öffentlich wahrgenommen wird. Die eigentliche Antwort des Präsidenten, seine ‚Umkehr’, wird in dem Brief wie folgt formuliert: „I do not believe ... that the government should impose on power plants mandatory emissions reductions for carbon dioxide, which is not a pollutant under the Clean Air Act” (S. 176). In den Augen von Frau Whitman war das viel zu grundsätzlich geantwortet. Wenn man den Vieren aus den Kohlestaaten meinte entgegenkommen zu müssen, so hätte man sich, ohne die generelle Herausforderung durch den anthropogenen Klimawandel in Abrede zu stellen, als Ergebnis einer Abwägung zu einem Aufschub entscheiden sollen. Die schließlich resultierende Polarisierung aber war erst Ergebnis des republikanischen „ spin“, so die Darstellung von Frau Whitman – der machte daraus nämlich einen ‚Sieg’ der amerikanischen Unabhängigkeit von ausländischen Interventionen in die US-Wirtschaft, und der erst gab mit der Einordnung des Klimaproblems als unbewiesene Hypothese, als ‚reine Theorie’, dem Anti-Regulierungsvorurteil der äußersten Rechten Futter, zu den Kosten allerdings, ein schwerwiegendes globales Problem schlicht zu leugnen. Frau Whitmans politische Einordnung dieser Entscheidung liest sich wie folgt: “The administration’s insistence on playing strictly to the base in explaining the president’s opposition to ratifying the Kyoto Protocol, coupled with his reversal on the regulation of carbon dioxide, was an early expression of the go-it-alone attitude that so offended our allies in the lead-up to the Iraq war. The roots of our difficulties in forging a strong multinational alliance to fight terrorism go all the way back to how we handled Kyoto as well as other international issues, including our participation in the International Criminal Court and the imposition of steel tariffs“ (S. 178/9). Einen zweiten Einblick in die Stimmung im Umfeld von Dick Cheney in dieser Zeit kurz nach Amtsantritt gewährt Frau Whitman in diesem Zusammenhang, und zwar mit einem Bericht über ihre Eindrücke von der damals tagenden und von Cheney präsidierten National Energy Policy Development Group (allgemein bekannt unter dem Label ‚Energy Task Force’), dessen Mitglied sie war. Anlass für die Einberufung dieser Gruppe war die dramatische Krise der Energieversorgung in Kalifornien, deren wahre Hintergründe heute, nach dem Zusammenbruch der Börsenblase und damit von Enron, bestens bekannt sind. Damals aber, mit Kenneth Lay, Enron’s Chairman, als Wortführer in der Energy Task Force, habe eine Stimmung geherrscht, gegen die mit Argumenten nicht anzukommen gewesen sei: „It had become conventional wisdom among many that California’s energy problems were a direct result of excessive environmental regulations frustrating the efforts of utilities to increase capacity. … the overall tone of the report would seek to lay the blame for Amerika’s energy woes on America’s environmental policies, … squarely at EPA’s door” (S. 182). Es ist exakt diese Art Stimmungsmache, die auch in Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahl im September 2005 im Bereich der umweltpolitischen Regulierung mit Hilfe des Feldhamsters und der Mopsfledermaus strategisch plaziert wurde. Diese Anti-Regulierungs-Stimmungsmache war ein generelles Element, welches langfristig aufgebaut worden war, um es im Wahlkampf ausnutzen zu können. Und die Medien machten mit. In den USA, in denen diese Art „ spin“ vier Jahre früher aufkam, kann man heute bereits die Folgen besichtigen, insbesondere für die Konservativen. Einer konservativen Partei, die den Schutz des Lebens propagiert und dabei die Konservierung der Lebensgrundlagen als Kompromissmasse für aktuelle Wirtschaftsprobleme freigibt, laufen die Anhänger davon – spätestens dann, wenn der Unverstand die erwartbaren Folgen zeitigt und der Ernstfall eintritt. Hans-Jochen Luhmann | |||||||||||||||||||
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