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Macht die globalisierte Ökonomie die Industrieländer arbeitslos und müssen
wir den Gürtel enger schnallen, um Globalisierungsgewinner zu werden?
Muss die Globalisierung gar gestoppt werden, weil sie soziale Errungenschaften
bei uns zerstört und zu Armut im Süden führt? Oder muss die Weltwirtschaft zentral
regiert werden, damit Globalisierungsgewinne gerechter verteilt werden?
Originell und jenseits des Mainstreams antwortet Hartmut Elsenhans in seinem
Band auf diese Fragen: Keine der drei Fragen trifft den Kern des Problems –
weist der Autor nach. Eine gute Form der Globalisierung hänge vielmehr davon
ab, dass die internationale politische Ökonomie sich so organisiert, dass der Faktor Arbeit sowohl in den Ländern im Süden als auch im Norden einen gerechten
Einkommenszuwachs in Folge von Produktivitätsgewinnen realisiert und so
»eine unterkonsumtive Bedrohung« (underconsumptionist threat: S. 207ff.) der
Weltökonomie verhindert wird. Nur wenn die realen Einkommen parallel zur
Güterproduktion stiegen, könnten auch alle neuen Güter gekauft werden
(S. 7–28).
Der Band vereint neun Aufsätze des Autors (acht in englischer und einen in
französischer Sprache), die zwischen 1981 und 2002 in – schwer zugänglichen –
wissenschaftlichen Zeitschriften in der Dritten Welt im weitesten Sinne zum
Thema Globalisierung veröffentlicht wurden. Der Autor möchte sie hier in Form
eines Sammelbandes noch einmal einem breiten Publikum im Norden vorstellen.
Die Beiträge des vorliegenden Bands analysieren das Phänomen »Globalisierung«
ausgehend von der Frage: Wie wirkt sich eine globale Ausbreitung des einen (kapitalistische
Massenkonsumgesellschaft und Profit) oder des anderen Modells
(»unterkonsumtionistische« Rentenökonomie und Rente) jeweils aus? »I would
like to promote the argument that there is a difference between the globalization
of profit and the globalization of rent« (S. 13).
Unter Entwicklungsforschern ist Elsenhans vor allem mit seiner Analyse von
Staatsklassen (1981) in Entwicklungsländern bekannt geworden. Weniger bekannt
ist das Spätwerk, das die Unterentwicklung durch die Existenz von »Rente« und
»Marginalität« erklärt und den thematischen Rahmen des vorliegenden Werks
abgibt. Die Verwendung des Begriffs »Rente« bei Elsenhans sorgt jedoch stets für
Verwirrung: Hierunter versteht er nicht nur Einnahmen aus Rohstoffproduktion
oder resultierende Differentialrenten – wie allgemein gebräuchlich – sondern vielmehr
jede Form von politisch angeeignetem Mehrwert (= Surplus). Wenn Mehrwert
über politische Mechanismen und nicht als Profit auf dem Markt verteilt
wird, so wird er als »Rente« verstanden. Eine solche Rentenökonomie verteilt
den Surplus nicht durch Marktmechanismen wie beispielsweise Massennachfrage;
der gesamte erwirtschaftete Mehrwert wird vielmehr von einer kleinen gesellschaftlichen
Gruppe angeeignet. Es kann sich kein kapitalistischer Markt entwickeln,
weil die ausbleibende Massennachfrage zu einer »unterkonsumtiven«
(»underconsumptionist« S. 207ff.) Ökonomie führt (S. 76, S. 98ff., S. 108ff.), in
der Arbeitnehmer keine Lohnsteigerungen erzwingen können. Aufgrund dieser
»Blockade« (»blockage« S. 97) verdient ein Teil der Arbeitskräfte sogar weniger,
als er eigentlich zu seiner Reproduktion benötigt. Ökonomisch heißt das, die
Grenzproduktivität dieses Teils der Arbeitskräfte ist negativ und der Autor nennt
sie »marginale Arbeitskräfte« bzw. deren Existenz bezeichnet er als »Marginalität
« (S. 209, S. 97ff.).
Von den unterkonsumtiven Rentenökonomien unterscheidet Elsenhans die
kapitalistischen Ökonomien der entwickelten Länder (S. 85ff.). Sie werden weder
durch die Existenz von Rente noch Marginalität blockiert – vielmehr funktionieren
sie als Massenkonsumgesellschaften. Hier realisieren die Unternehmen einen Profit und die Arbeitnehmerschaft (= Arbeit) realisiert wachsende Einkommen
parallel zur Entwicklung der (durchschnittlichen) Produktivität – der Konsum hält
Schritt mit der Produktion. Die Verteilung des Mehrwerts geschieht auf dem kapitalistischen
Markt und wird durch den unterschiedlichen Erfolg von Investitionen
entschieden. Die Grenzproduktivität von Arbeit ist nicht negativ und folglich
gibt es – wiederum nach dem Verständnis Elsenhans’ – keine »Marginalität«.
Da die Entwicklung der Massenkonsumtionsgesellschaft von der gesellschaftlichen
Auseinandersetzung um die Verteilung des Mehrwerts abhängt, untersucht
der Autor die Struktur der Zivilgesellschaften im Süden und kommt zu dem
Schluss: Im Modell der unterkonsumtiven Rentenökonomie gibt es keine autonomen
Zivilgesellschaften sondern nur klientelistische Netzwerke, welche die
Rente verteilen (S. 28ff.). Soziale Reformen im Süden sind laut Elsenhans deshalb
grundlegend für eine autonome Zivilgesellschaft in entwickelten kapitalistischen
Ökonomien (S. 68ff.).
Weitere Analysen des Sammelbands bewerten die Gefahren von internationalen
Betriebsverlagerungen für die Entwicklung des Massenkonsums im Norden
(S. 68ff.), die Bedeutung des Wechselkurses für die Konkurrenz zwischen unterkonsumtiven
und Massenkonsum-Gesellschaften (S. 84ff. S 103, S. 138ff.), die
notwendige parallele Entwicklung von Produktivität und Einkommen und vor
allem eine Steigerung der marginalen Produktivität von Arbeit (S. 126ff.), weil
diese Marginalität Unterkonsumtion verursacht.
Das Problem der Globalisierung – und hier nimmt die Argumentation eine
überraschende Wende – ist nicht die zu starke Ausweitung des Weltmarktes, sondern
der begrenzte Impuls für die Massennachfrage, denn die globale Ausweitung
des Massenkonsums gelingt offenbar bisher nicht. Die Transmissionsriemen
kapitalistischer Entwicklung, wachsende Massennachfrage durch Beteiligung von
Arbeit an erzielten Produktivitätsgewinnen, setzt sich nicht durch, weil die Globalisierung
zu schwach ist! (S. 150ff.) »The current process of reglobalization […]
is too weak to overcome marginality in the underdeveloped world« (S. 169). Die
Globalisierung müsse ausgeweitet und vertieft werden, um die Probleme zu
meistern, und nicht eingeschränkt und begrenzt, wie es Globalisierungsgegner
nahe legen (S. 165ff.). Ausreichend sind laut Elsenhans dezentrale Maßnahmen
zur Beseitigung von Marginalität in den Entwicklungsländern, zur globalen Ausweitung
des Massenkonsums und zur Überwindung der unterkonsumtiven Bedrohung
(S. 169).
Das Schlusskapitel des Buches zeigt, dass die Massenkonsum-Ökonomie nur
wachsen kann, wenn sich die Weltwirtschaft entlang eines »Konvoi-Modells« entwickelt,
bei dem die Kopplung der aufholenden Ökonomien an die entwickelten
Ökonomien in den aufholenden Ländern zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit,
zu steigenden Löhnen und so zu steigender Massennachfrage führt. Dieser Konvoi
beseitigt laut Elsenhans nach und nach »Rente« und »Marginalität« und führt
zur Globalisierung von »Profit« statt »Rente« (S. 207ff., S. 181ff. S. 151ff.).
»Pflichtlektüre!« könnte man die originelle Argumentation Elsenhans’ nennen,
bietet sie doch einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Globalisierung. Jedoch
leidet die Lektüre unter den häufigen Wiederholungen des Arguments,
»Rente« und »Marginalität« müssten zugunsten der Globalisierung von »Profit«
beseitigt werden. Auch der eigenwillige Fachjargon des Autors und der hohe Abstraktionsgrad
der Darstellung erschweren das Lesen – im Vergleich zu den zur
Zeit modernen ökonometrischen Analysen zum Thema bleibt das Werk dennoch
vergleichsweise gut lesbar. Wer zu einzelnen Aspekten der Globalisierungs-Problematik
eine originelle, anregende Analyse sucht, dem sei diese nachfrageorientierte
Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Entwicklung und Globalisierung
dennoch sehr empfohlen.
Arne Schildberg,
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
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