CHRISTIAN KELLERMANN:
Die Organisation des Washington Consensus.
Der Internationale Währungsfonds und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur


 
       
    Heft 2/2007  
     
  Bielefeld 2006
Transcript Verlag, 323 S.
  
 

Dies ist kein Buch über die Weltwirtschaft oder das internationale Finanzsystem. Man erfährt nicht, wie sich die internationalen Finanzströme oder die Verschuldung der Staaten oder Unternehmen entwickelt haben. Selbst Beschreibungen und kritische Analysen zentraler ökonomischer Prozesse, wie etwa die Auswirkungen einer Abwertung auf Wachstum und Beschäftigung, sucht der Leser vergebens. Es ist eigentlich überhaupt kein wirtschaftswissenschaftliches Buch im engeren Sinn.

Was Christian Kellermann liefert, ist eine Analyse der Metaebene jenseits der realen wirtschaftlichen Abläufe. Ihn interessiert – und besser auch den Leser, wenn er nicht enttäuscht sein will – wie sich die öffentliche Wahrnehmung der Realprozesse konstituiert, wie durch die Formung der Wahrnehmung, insbesondere von Problemen, Krisen und deren Ursachen, auch die Auswahl und Legitimation von Politiken gestaltet wird. Wir Leser erfahren nicht, was ist, sondern was wahrgenommen wird und warum es so wahrgenommen wird. Und vielleicht unterliegen die, die denken, man könne wissen, was ist, ohnehin einer gefährlichen Illusion.

Gerade in einem von Interessen so durchtränkten Feld wie der Wirtschaft ist jede Information über die »Realität« gefiltert und abhängig von Paradigmen. Kellermann bewegt sich in dieser postmodernen Tradition von Foucault und anderen, er dekonstruiert (auch wenn dieses Wort im Zweifel nie in diesem Buch auf taucht) den Diskurs der Ökonomie. Dabei verortet er sich selbst eher in einer noch älteren Tradition: im Hegemoniemodell des italienischen Marxisten Gramsci. Dieses abstrakte Modell verankert er in konkreten operativen Elementen, die beschreiben, wie Diskurse organisiert sind und wie sich Macht und Interessen in ihnen durchsetzen. Dieses Instrumentarium wird im ersten Kapitel auf 50 Seiten vorgestellt.

Der Gegenstand der Dekonstruktion ist die internationale Währungspolitik der 1980er und 1990er Jahre. In dieser Periode vollzog sich ein Rollenwandel des Internationalen Währungsfonds, der wichtigsten supranationalen Regulierungsinstanz der globalen Finanzmärkte. Das klassische Aufgabenprofil des IWF war mit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems in den 1970er Jahren weitgehend obsolet geworden. Gleichzeitig standen mit der Verschuldungskrise der Entwicklungsländer in der Folge der Ölschocks und des waghalsigen Recyclings der Petrodollars an arme Länder durch die Banken der reichen Länder neue Aufgaben auf der Tagesordnung. Der IWF wurde zum Vermittler zwischen Schuldnerländern und Gläubigern und zum Überwacher der Strukturanpassungsprogramme, mit denen die verschuldeten Länder zurück zur Kreditwürdigkeit geführt werden sollten. Diese Entwicklung bildet Kapitel 2, wo sie kurz umrissen wird, ohne dem informierten Leser viel Neues zu bieten.

Den echten Mehrwert dieses Buches findet der Leser im dritten Abschnitt, in dem Kellermann die diversen Denkschulen und Interessengruppen identifiziert und in ihrem Wirken und ihrer Interaktion analysiert. Er wendet hier konsequent und systematisch sein Handwerkszeug an und es gelingt ihm mit einer beeindruckenden und klar strukturierten Detailfülle nachzuzeichnen, wie Interessen versuchen, die Deutungshoheit über Phänomene zu gewinnen. Unterschiedliche Interpretationen von Krisen, vor allem der Asienkrise von 1997/98, erlauben die Begründung unterschiedlicher Politiken, hinter denen massive wirtschaftliche Interessen stehen.

Im Detail kommt dieser Ansatz an zwei Fallbespielen zum Tragen: der Reform des IWF (Kapitel 4) und der Debatte um ein internationales Insolvenzrecht für Staaten (Kapitel 5). Kellermann zeigt, wie sich konservativ-liberale Interessen, die eng mit der »community« der großen privaten Banken verbunden sind, letztlich durchsetzen, indem sie geschickt Intellektuelle für sich mobilisieren und mit Thinktanks, einflussreichen Medien und wichtigen politischen Fraktionen die Agenda bestimmen.

Sprachlich ist das Buch etwas gewöhnungsbedürftig. »Laissez-Fairer« als ein Substantiv, das die Vertreter liberaler Marktwirtschaft und minimaler Staatseingriffe bezeichnet, hat den Rezensenten schon überrascht. Sätze wie: »Diese Kritik richtet sich in erster Linie an dessen methodologischen Individualismus, exogene Interessenkonstitution und instrumentalistisches Institutionenverständnis. Ihr Fokus ist die endogene Interessenformierung im Kontext strategischer Interaktionen, weshalb sich konstruktivistische Ansätze auch vom Staatsbegriff des Neorealismus distanzieren.« (S. 30), könnten harmlosen Gemütern das Buch schon auf Seite 30 aus der ohnmächtigen Hand gleiten lassen. Was schade wäre, denn hinten wird es wirklich spannend, wenn man verstehen will, wie, von wem und warum Realität gemacht wird.


Michael Dauderstädt,
Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn

     
      
 
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