|
||
Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 1/1999 |
||
Richard Preston: Richard A. Falkenrath/Robert D. Newman/Bradley A. Thayer:
Vorläufige Fassung / Preliminary version
Irgendwo in einem dieser New Yorker Wohnsilos hat sich Archimedes ein Labor eingerichtet. Alles dafür Nötige hat er sich über verschiedene Versandhandel für mikrobiologische Laboreinrichtungen besorgt. Archimedes hält die Erde durch die Überbevölkerung für bedroht. Dem will er jetzt höchstselbst entgegenwirken: durch ein gentechnisch verändertes Virus, das Elemente eines nur bei Insekten auftretenden Erregers, des Pockenvirus und eines Schnupfenvirus kombiniert. Die ersten Menschenversuche haben schon zu einem qualvollen Sterben bei einigen Bürgern Manhattans geführt. Nun will Archimedes seine Waffe in größerem Stil ausbringen. Der "Big Apple" soll nur der Ausgangspunkt einer weltweiten Epidemie sein, die die Menschheit dezimiert. Eine unglaubliche Geschichte? Sicherlich, im Moment wirkt sie übertrieben. Jedenfalls ist es - glaubt man öffentlich zugänglichen Quellen - noch niemandem gelungen, solche Killerviren herzustellen. Doch die sich rasant entwickelnde Biotechnologie wird schon in wenigen Jahren Möglichkeiten bieten, die sich jetzt noch niemand ausmalen kann. Prestons Roman hat jedenfalls für jede Menge öffentlicher Aufmerksamkeit gesorgt, und sogar US-Präsident Clinton soll sich über das beschriebene Szenario äußerst besorgt gezeigt haben. Daraufhin haben die USA ihre Programme zum Schutz der Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen mit biologischen oder chemischen Waffen verstärkt. Manchmal kann eben ein Roman von viel größerer politischer Bedeutung sein als ein wissenschaftliches Fachbuch. Aber Prestons Werk ist noch aus einem anderen Grund für politisch Interessierte durchaus lesenswert. Zwar bleibt sein literarischer Wert begrenzt, denn die Sprache ist dünn und die Figuren werden nicht entwickelt. Aber gerade weil Preston die Romanform wählte, waren offensichtlich amerikanische Experten bereit, ihm zu einigen Fragen biologischer Waffen ausführlich Rede und Antwort zu stehen. Die Ergebnisse dieser Recherchen fügt Preston immer wieder in einigen sich mit realer Politik beschäftigenden Kapiteln ein. So erfährt man Einzelheiten über das vermutlich riesige B-Waffen-Programm der ehemaligen Sowjetunion, über entsprechende Bemühungen Iraks, sowie über das bis 1969 durchgeführte amerikanische offensive B-Waffen-Projekt. Hier widerlegt Preston eine seit langer Zeit vorherrschende These. Ihrzufolge haben die USA 1969 einseitig auf biologische Waffen verzichtet, da diese militärisch kaum sinnvoll einzusetzen wären. Tatsächlich haben aber wohl die amerikanischen Experimente im Pazifik während der sechziger Jahre gezeigt, wie viel Unheil biologische Waffen anrichten können. Gerade deswegen haben die USA auf sie verzichtet und auf die 1972 unterzeichnete Konvention zum Verbot biologischer Waffen hingearbeitet, der auch die Sowjetunion beitrat. Anders als Washington hatte Moskau jedoch wohl von Anfang an nicht vor, sich an dieses Verbot zu halten. Noch heute ist nicht sicher, ob alle Elemente des sowjetischen B-Waffen-Programms vollständig eingestellt wurden. Hinzu kommt - und auch auf diesen Aspekt geht Preston ein - ,daß in Rußland, anders als offiziell behauptet, möglicherweise nicht nur an einem, sondern an mehreren Orten Pockenviren eingelagert werden. Dies wäre deshalb von Bedeutung, weil in internationalen Gremien darüber diskutiert wird, die letzten beiden offiziell gelagerten Pockenstämme in den USA und Rußland zu vernichten. Da Pocken in der Tierwelt keinen natürlichen Wirt haben, wären sie damit vollständig ausgerottet. Nicht jedoch, falls sich irgendwo in den russischen Weiten ein Labor befindet, in dem sie eben doch noch gelagert werden. Da viele Menschen nicht mehr gegen Pocken geimpft sind, könnten die internationalen Folgen einer solchen Entwicklung dramatisch sein. Wer sich in wissenschaftlich fundierter Weise mit den Gefahren des Terrorismus mit ABC-Waffen auseinandersetzen möchte, sollte das Buch von Falkenrath et al. zur Hand nehmen. Hier findet sich eine systematische Zusammenschau der angesprochenen Problematik unter allen relevanten Aspekten. Das Buch, das an der Harvard-Universität entstanden ist, eignet sich gut als Nachschlagewerk, denn der Text wird immer wieder durch sehr übersichtliche Tabellen und Informationsblöcke zu einzelnen Themen unterbrochen. Hinzu kommen im letzten Teil konkrete Empfehlungen an die amerikanische Regierung. Aber wie wahrscheinlich sind terroristische Anschläge mit ABC-Waffen? Diese Frage kann von den Autoren nicht eindeutig beantwortet werden. Abgesehen von der japanischen Aum-Sekte, die 1995 für die Giftgasanschläge in der Tokioter U-Bahn verantwortlich war, gibt es kaum konkrete Hinweise auf weitere Terrorgruppen, die sich derzeit ABC-Waffen zu verschaffen suchen. Falkenrath und seine Mitautoren sehen darin aber auf jeden Fall eine Bedrohung für die nationale Sicherheit Amerikas, schon weil die Konsequenzen eines solchen Terroranschlages sehr weitreichend sein können, auch wenn seine Wahrscheinlichkeit sehr gering sein mag. Immerhin können Schätzungen zufolge einem Anschlag mit 100 kg Milzbrandsporen 1-3 Millionen Menschen zum Opfer fallen. Daher argumentieren die Autoren, daß die Vereinigten Staaten sehr viel mehr für den Schutz der Bevölkerung investieren sollten. Jedenfalls sei es nicht einsehbar, daß Amerika einiges Geld in Raketenabwehrsysteme stecke, nicht aber in Zivilschutzprogramme für den Fall terroristischer Aktivitäten unter Einschluß von Massenvernichtungswaffen, obwohl diese Bedrohung mindestens genau so ernst zu nehmen sei. Für das bisherige Desinteresse von Terrorgruppen an ABC-Waffen sprechen eine Reihe von Argumenten. So entsprach es in den meisten Fällen nicht den Zielsetzungen nicht-staatlicher Gruppen, einfach viele Menschen umzubringen. Außerdem sind konventionelle Waffen leichter verfügbar und besser handhabbar. Schließlich könnte eine solch massive Gewaltanwendung wie die durch ABC-Waffen den internen Zusammenhalt von Terrorgruppen gefährden. Aber gesetzt den Fall, eine Gruppe wollte sich ABC-Waffen verschaffen, wie schwierig wäre dies? Besonders bei chemischen und biologischen Waffen wäre es relativ einfach. Das Wissen zum Bau dieser Waffen ist sehr leicht zugänglich, die notwendigen Zutaten in weiten Teilen auf dem freien Markt erhältlich. Allerdings sind in den USA in letzter Zeit Gesetze verabschiedet worden, um den Zugang zu gefährlichen Krankheitserregern zu erschweren. Dies kann die Situation jedoch nicht entscheidend verbessern, da die Erreger entweder in der Natur isolierbar sind oder in anderen Staaten mit weniger strengen Regeln erworben werden können. Etwas aufwendiger ist die effektive Ausbringung der Kampfstoffe oder Erreger, und es sollte nicht unerwähnt bleiben, daß die Wasserversorgungssysteme der Industriestaaten besser gegen Anschläge gewappnet sind, als bisweilen angenommen. Daß es für eine Terrorgruppe oder andere nicht-staatliche Akteure relativ einfach wäre, sich biologische oder chemische Kampfstoffe zu verschaffen, ist kein neues Phänomen. Neu ist, wie die Autoren wohl zu recht argumentieren, daß dieser Fall wahrscheinlicher werden dürfte. Denn einerseits bekommen immer mehr Menschen nicht zuletzt wegen der fortgeschrittenen Kommunikationstechnik Zugang zu entsprechenden Informationen. Auch werden gerade im Zuge der Entwicklung der Biotechnologie immer mehr Menschen mit einem Wissen vertraut, das sie auch für die Entwicklung von biologischen Waffen nutzen könnten. Andererseits ist bei Terrorgruppen ein Trend zu immer massiverer Gewaltanwendung beobachtbar. Dies wiederum hängt mit dem vermehrten Auftreten religiös motivierter Terroristen zusammen. Wie der Fall der Aum-Sekte gezeigt hat, werden diese Gruppen anscheinend durch das Geheimnisvolle, das gerade chemische und biologische Kampfstoffe umgibt, angezogen. Die Harvard-Autoren schließen ihren Band mit einem umfangreichen Empfehlungskatalog an die amerikanische Regierung ab, um die Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu verbessern. Nicht nur deswegen ist dieses Buch nicht nur für allgemein politisch Interessierte lesenswert, sondern auch für politische Entscheidungsträger. Weit entfernt von übertriebener Panikmache leistet es wertvolle Aufklärungsarbeit hinsichtlich der Gefahren, die von neuen Formen des internationalen Terrorismus ausgehen können.
Oliver Thränert
|
||
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition bb&ola | Februar 1999 |