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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1998
Anna Kreikemeyer/Andrej V. Zagorski
Rußlands Politik in bewaffneten Konflikten in der GUS. Zwischen Alleingang und kooperativem Engagement
Baden-Baden 1997
Nomos-Verlag, 319 S.

Siegfried Bock/Manfred Schünemann (Hrsg.)
Die Ukraine in der europäischen Sicherheitsarchitektur
Baden-Baden 1997
Nomos-Verlag, 112 S.

Jürgen Gerber
Georgien: Nationale Opposition und kommunistische Herrschaft seit 1956
Baden-Baden 1997
Nomos-Verlag, 314 S.

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Wie wird sich der postsowjetische Raum politisch, ökonomisch und nicht zuletzt sicherheitspolitisch gestalten? Werden die dortigen Gesellschaften die Transformation in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft dauerhaft bewältigen? Werden die auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion entstandenen 15 Staaten ihre internen Probleme mit ethnischen Minderheiten lösen, und werden sie zueinander normale zwischenstaatliche Beziehungen entwickeln, obwohl die zwischen ihnen bestehenden Grenzen ursprünglich als innerstaatliche Grenzen konzipiert waren und daher oft umstritten sind? Anders gefragt: Wird es also einen Prozeß erfolgreicher Nationenbildung geben? Schließlich: Welche Rolle wird dem größten Staat unter ihnen, Rußland, zukommen? Wird Moskau eine Hegemonialposition einnehmen, die durch die Ausnutzung verschiedener Konfliktlagen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion begünstigt wird? Oder werden sich - ungeachtet der durch Geographie und Bevölkerungsgröße vorgegebenen Asymmetrien - gleichwertige Beziehungen zwischen den neuen Staaten herausbilden?

Alle diese Fragen sind für die Zukunft europäischer Sicherheit insgesamt von herausragender Bedeutung. Vor allem die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Rußland einerseits und den kleineren Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion andererseits wird uns auch im Westen betreffen. Gerade diese Frage spielt in den ersten beiden oben genannten Büchern immer wieder eine Rolle. Erst allmählich breitet sich in dem Diskurs diesseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs ein Verständnis dafür heraus, daß auch den kleineren Staaten eine Rolle als souveräner Akteur zukommt. In diesem Zusammenhang ist Gerbers Buch als erste deutschsprachige Monographie über Georgien hervorzuheben.

Anna Kreikemeyer untersucht anhand von sechs Fallbeispielen Rußlands Politik gegenüber bewaffneten Konflikten im post-sowjetischen Raum. Dabei trägt sie insofern der neueren russischen Entwicklung Rechnung, als sie Rußland nicht als monolithischen Block auffaßt, sondern vielmehr das Kräftespiel zwischen verschiedenen russischen Akteuren wie ökonomischen und anderen gesellschaftlichen Interessengruppen, dem Militär, dem Parlament, oder auch politischen Beratergremien im Entscheidungsprozeß bezüglich der jeweiligen Konflikte thematisiert. Im einzelnen werden folgende Fälle untersucht: der Konflikt um Nagornyi-Karabach als Teil Aserbaidschans; interne Konflikte in Georgien um Süd-Ossetien und Abchasien; der Konflikt um die Dnjestr-Region als Teil Moldawiens; interne Probleme in Rußland zwischen Inguschetien und Nord-Ossetien sowie um Tschetschenien. Dabei folgt die Autorin immer einem bestimmten Schema und analysiert u.a. Konfliktverläufe, Konfliktfolgen, Wechselwirkungen etwa mit anderen Konflikten oder Regionen, Rußlands Verwicklungen aufgrund von Traditionen und die Entwicklung seiner Beziehungen zu den Konfliktparteien, Moskaus Rolle als Vermittler, konkurrierende Akteure im russischen Entscheidungsprozeß, die Rolle anderer Regionalmächte sowie internationaler Organisatoren.

Diese Herangehensweise erlaubt einen abschließenden Vergleich des russischen Konfliktverhaltens. Interessant ist dabei, daß sich aufgrund des Reformprozesses in Rußland sehr wohl eine Interessendifferenzierung im russischen Entscheidungsprozeß entwickelt hat. Damit ist Kreikemeyers Studie im besten Sinne aufklärerisch nützlich, denn im öffentlichen Diskurs in Deutschland, wo manch einem bei der Diskussion dieses Themas immer noch nur das Topos vom russischen Bären einfällt, werden diese Differenzierungen noch zu wenig gewürdigt. Natürlich hat Rußland eigene politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen zu vertreten, aber die Analyse ergibt auch, daß Moskau sich in allen Konflikten zum unentbehrlichen Hauptvermittler entwickelte. Allerdings sind dabei, gerade wegen der angesprochenen widerstreitenden Interessen, die Übergänge zwischen Verwicklung, Vermittlung, Friedenssicherung, Parteinahme, Manipulation und Einmischung fließend.

Kreikemeyers differenzierte Untersuchung wird ergänzt durch einen Beitrag von Andrej Zagorskij, einem jener Moskauer Intellektuellen, die ganz auf die Kooperation mit dem Westen setzen. Er analysiert die Rolle internationaler Organisationen wie der UNO und der OSZE bei der Konfliktbearbeitung im postsowjetischen Raum. Dabei sei ein Mittelweg eingeschlagen worden zwischen der Ablehnung einer Beteiligung Rußlands an der Konfliktbearbeitung und der Überlassung des Raumes als russischem Hegemonialbereich. In der Tat ist auf diese Weise in allen Konflikten zunächst eine Beendigung militärischer Gewaltanwendung erreicht worden, politische Lösungen stehen jedoch allenthalben weiterhin aus.

Soll Moskau eine hegemoniale Stellung im postsowjetischen Raum verwehrt werden, so kommt es insbesondere auf die Konsolidierung des zweitgrößten Staates in dieser Region, der Ukraine, an. Dies ist im Westen mittlerweile begriffen worden, und so steht die Ukraine mittlerweile an dritter Stelle hinter Israel und Ägypten bei der amerikanischen Finanzhilfe auf bilateraler Basis. In dem von Bock und Schünemann herausgegebenen Band wird vor allem die sicherheitspolitische Bedeutung der Ukraine als Scharnier zwischen Ost und West betrachtet. Kiew dürfe sich - so der Tenor der meisten Autoren - nicht auf eine Wahl zwischen Rußland und dem Westen einlassen, sondern müsse versuchen, zu beiden vorteilhafte Beziehungen zu entwickeln. Wohl wahr, doch scheint sich der Blick der ukrainischen politischen Elite zunehmend gen Westen zu orientieren. Jedenfalls hat Präsident Kutschma inzwischen die Mitgliedschaft seines Landes in der Europäischen Union als strategisches Ziel beschrieben. Für den westlichen Leser besteht der Vorteil dieses kleinen Bändchens vor allem darin, daß in ihm auch ukrainische Autoren zu Wort kommen und die innenpolitische Dimension ukrainischer Außenpolitik beleuchtet wird.

Ist es schon für Kiew ein sehr anspruchsvolles Ziel, eine EU-Mitgliedschaft anzustreben, so dürfte Georgien bis auf weiteres davon nicht einmal zu träumen wagen. Immerhin hat sich dieses Land, dessen Existenz in der Anfangsphase nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch den Bürgerkrieg und den damit verknüpften, fast vollständigen Niedergang seiner Wirtschaft, akut gefährdet war, mittlerweile soweit konsolidiert und von Moskau emanzipiert, daß nunmehr nicht Rußland, sondern die Türkei sein Haupthandelspartner ist.

Georgien stand nach 1991 vor einem besonders beschwerlichen Weg der Nationbildung, konnte das Land in seiner modernen Geschichte doch nur auf die kurzen Jahre der Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1921 zurückblicken. Gerber legt in seiner durch reichhaltiges Material ausgestatteten Studie den Weg zur georgischen Unabhängigkeit dar, und zwar beginnend mit der immer mehr sich organisierenden Opposition nach dem Tod Stalins. Ein Problem ist dabei, daß Georgien, anders als etwa sein Nachbar Armenien, nicht weitgehend ethnisch homogen besiedelt ist, sondern vielmehr einen Flickenteppich von Ethnien darstellt, die noch dazu teils dem christlichen Glauben, teils dem Islam anhängen.

Der unter dem ersten Präsidenten Gamsachurdia praktizierte extreme georgische Nationalismus und der daraus resultierende Bürgerkrieg bilden noch heute eine schwere Hypothek für das Land. Die Frage der Zugehörigkeit der abtrünnigen Regionen Abchasien und Süd-Ossetien ist jedenfalls trotz der Einstellung der Kampfhandlungen noch immer nicht geklärt. Unter Präsident Schewardnadse wurden zwar nicht unerhebliche wirtschaftliche Fortschritte erzielt, doch mußte die Konsolidierung des Landes mit einer Wiederannäherung an Moskau erkauft werden. Stellt Gerber den Gang der jüngsten georgischen Geschichte überzeugend dar, so wird gerade mit Blick auf die Politik Moskaus gegenüber der kleinen Kaukasusrepublik doch oft deutlich, daß sich der Autor bisweilen zu stark mit seinem Forschungsgegenstand identifiziert, und an manchen Stellen ohne Umschweife den georgischen Standpunkt gegenüber Rußland einnimmt.

Die vorgestellten Bücher eignen sich allesamt für Studenten und andere beruflich Interessierte. Einen breiteren Leserkreis werden sie aufgrund der doch weit entfernt vom durchschnittlichen deutschen Interesse angesiedelten Thematik kaum erreichen. Dennoch stellen sie nützliche Beiträge im Hinblick auf die differenzierte Betrachtung des postsowjetischen Raumes dar, dessen Entwicklung für uns im Westen eben auf jeden Fall von Bedeutung sein dürfte.

Oliver Thränert
Friedrich-Ebert-Stiftung
Bonn


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