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Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 2/1998 |
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Anna Kreikemeyer/Andrej V. Zagorski Rußlands Politik in bewaffneten Konflikten in der GUS. Zwischen Alleingang und kooperativem Engagement Baden-Baden 1997 Nomos-Verlag, 319 S.
Siegfried Bock/Manfred Schünemann (Hrsg.)
Jürgen Gerber Vorläufige Fassung / Preliminary version
Wie wird sich der postsowjetische Raum politisch, ökonomisch
und nicht zuletzt sicherheitspolitisch gestalten? Werden die dortigen
Gesellschaften die Transformation in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft
dauerhaft bewältigen? Werden die auf dem Territorium der
ehemaligen Sowjetunion entstandenen 15 Staaten ihre internen Probleme
mit ethnischen Minderheiten lösen, und werden sie zueinander
normale zwischenstaatliche Beziehungen entwickeln, obwohl die
zwischen ihnen bestehenden Grenzen ursprünglich als innerstaatliche
Grenzen konzipiert waren und daher oft umstritten sind? Anders
gefragt: Wird es also einen Prozeß erfolgreicher Nationenbildung
geben? Schließlich: Welche Rolle wird dem größten
Staat unter ihnen, Rußland, zukommen? Wird Moskau eine Hegemonialposition
einnehmen, die durch die Ausnutzung verschiedener Konfliktlagen
auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion begünstigt wird?
Oder werden sich - ungeachtet der durch Geographie und Bevölkerungsgröße
vorgegebenen Asymmetrien - gleichwertige Beziehungen zwischen
den neuen Staaten herausbilden?
Alle diese Fragen sind für die Zukunft europäischer
Sicherheit insgesamt von herausragender Bedeutung. Vor allem die
Entwicklung des Verhältnisses zwischen Rußland einerseits
und den kleineren Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion
andererseits wird uns auch im Westen betreffen. Gerade diese Frage
spielt in den ersten beiden oben genannten Büchern immer
wieder eine Rolle. Erst allmählich breitet sich in dem Diskurs
diesseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs ein Verständnis
dafür heraus, daß auch den kleineren Staaten eine Rolle
als souveräner Akteur zukommt. In diesem Zusammenhang ist
Gerbers Buch als erste deutschsprachige Monographie über
Georgien hervorzuheben.
Anna Kreikemeyer untersucht anhand von sechs Fallbeispielen
Rußlands Politik gegenüber bewaffneten Konflikten im
post-sowjetischen Raum. Dabei trägt sie insofern der neueren
russischen Entwicklung Rechnung, als sie Rußland nicht als
monolithischen Block auffaßt, sondern vielmehr das Kräftespiel
zwischen verschiedenen russischen Akteuren wie ökonomischen
und anderen gesellschaftlichen Interessengruppen, dem Militär,
dem Parlament, oder auch politischen Beratergremien im Entscheidungsprozeß
bezüglich der jeweiligen Konflikte thematisiert. Im einzelnen
werden folgende Fälle untersucht: der Konflikt um Nagornyi-Karabach
als Teil Aserbaidschans; interne Konflikte in Georgien um Süd-Ossetien
und Abchasien; der Konflikt um die Dnjestr-Region als Teil Moldawiens;
interne Probleme in Rußland zwischen Inguschetien und Nord-Ossetien
sowie um Tschetschenien. Dabei folgt die Autorin immer einem bestimmten
Schema und analysiert u.a. Konfliktverläufe, Konfliktfolgen,
Wechselwirkungen etwa mit anderen Konflikten oder Regionen, Rußlands
Verwicklungen aufgrund von Traditionen und die Entwicklung seiner
Beziehungen zu den Konfliktparteien, Moskaus Rolle als Vermittler,
konkurrierende Akteure im russischen Entscheidungsprozeß,
die Rolle anderer Regionalmächte sowie internationaler Organisatoren.
Diese Herangehensweise erlaubt einen abschließenden Vergleich
des russischen Konfliktverhaltens. Interessant ist dabei, daß
sich aufgrund des Reformprozesses in Rußland sehr wohl eine
Interessendifferenzierung im russischen Entscheidungsprozeß
entwickelt hat. Damit ist Kreikemeyers Studie im besten Sinne
aufklärerisch nützlich, denn im öffentlichen Diskurs
in Deutschland, wo manch einem bei der Diskussion dieses Themas
immer noch nur das Topos vom russischen Bären einfällt,
werden diese Differenzierungen noch zu wenig gewürdigt. Natürlich
hat Rußland eigene politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische
Interessen zu vertreten, aber die Analyse ergibt auch, daß
Moskau sich in allen Konflikten zum unentbehrlichen Hauptvermittler
entwickelte. Allerdings sind dabei, gerade wegen der angesprochenen
widerstreitenden Interessen, die Übergänge zwischen
Verwicklung, Vermittlung, Friedenssicherung, Parteinahme, Manipulation
und Einmischung fließend.
Kreikemeyers differenzierte Untersuchung wird ergänzt durch
einen Beitrag von Andrej Zagorskij, einem jener Moskauer Intellektuellen,
die ganz auf die Kooperation mit dem Westen setzen. Er analysiert
die Rolle internationaler Organisationen wie der UNO und der OSZE
bei der Konfliktbearbeitung im postsowjetischen Raum. Dabei sei
ein Mittelweg eingeschlagen worden zwischen der Ablehnung einer
Beteiligung Rußlands an der Konfliktbearbeitung und der
Überlassung des Raumes als russischem Hegemonialbereich.
In der Tat ist auf diese Weise in allen Konflikten zunächst
eine Beendigung militärischer Gewaltanwendung erreicht worden,
politische Lösungen stehen jedoch allenthalben weiterhin
aus.
Soll Moskau eine hegemoniale Stellung im postsowjetischen Raum
verwehrt werden, so kommt es insbesondere auf die Konsolidierung
des zweitgrößten Staates in dieser Region, der Ukraine,
an. Dies ist im Westen mittlerweile begriffen worden, und so steht
die Ukraine mittlerweile an dritter Stelle hinter Israel und Ägypten
bei der amerikanischen Finanzhilfe auf bilateraler Basis. In dem
von Bock und Schünemann herausgegebenen Band
wird vor allem die sicherheitspolitische Bedeutung der Ukraine
als Scharnier zwischen Ost und West betrachtet. Kiew dürfe
sich - so der Tenor der meisten Autoren - nicht auf eine Wahl
zwischen Rußland und dem Westen einlassen, sondern müsse
versuchen, zu beiden vorteilhafte Beziehungen zu entwickeln. Wohl
wahr, doch scheint sich der Blick der ukrainischen politischen
Elite zunehmend gen Westen zu orientieren. Jedenfalls hat Präsident
Kutschma inzwischen die Mitgliedschaft seines Landes in der Europäischen
Union als strategisches Ziel beschrieben. Für den westlichen
Leser besteht der Vorteil dieses kleinen Bändchens vor allem
darin, daß in ihm auch ukrainische Autoren zu Wort kommen
und die innenpolitische Dimension ukrainischer Außenpolitik
beleuchtet wird.
Ist es schon für Kiew ein sehr anspruchsvolles Ziel, eine
EU-Mitgliedschaft anzustreben, so dürfte Georgien bis auf
weiteres davon nicht einmal zu träumen wagen. Immerhin hat
sich dieses Land, dessen Existenz in der Anfangsphase nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion durch den Bürgerkrieg und den
damit verknüpften, fast vollständigen Niedergang seiner
Wirtschaft, akut gefährdet war, mittlerweile soweit konsolidiert
und von Moskau emanzipiert, daß nunmehr nicht Rußland,
sondern die Türkei sein Haupthandelspartner ist.
Georgien stand nach 1991 vor einem besonders beschwerlichen Weg
der Nationbildung, konnte das Land in seiner modernen Geschichte
doch nur auf die kurzen Jahre der Unabhängigkeit zwischen
1918 und 1921 zurückblicken. Gerber legt in seiner
durch reichhaltiges Material ausgestatteten Studie den Weg zur
georgischen Unabhängigkeit dar, und zwar beginnend mit der
immer mehr sich organisierenden Opposition nach dem Tod Stalins.
Ein Problem ist dabei, daß Georgien, anders als etwa sein
Nachbar Armenien, nicht weitgehend ethnisch homogen besiedelt
ist, sondern vielmehr einen Flickenteppich von Ethnien darstellt,
die noch dazu teils dem christlichen Glauben, teils dem Islam
anhängen.
Der unter dem ersten Präsidenten Gamsachurdia praktizierte
extreme georgische Nationalismus und der daraus resultierende
Bürgerkrieg bilden noch heute eine schwere Hypothek für
das Land. Die Frage der Zugehörigkeit der abtrünnigen
Regionen Abchasien und Süd-Ossetien ist jedenfalls trotz
der Einstellung der Kampfhandlungen noch immer nicht geklärt.
Unter Präsident Schewardnadse wurden zwar nicht unerhebliche
wirtschaftliche Fortschritte erzielt, doch mußte die Konsolidierung
des Landes mit einer Wiederannäherung an Moskau erkauft werden.
Stellt Gerber den Gang der jüngsten georgischen Geschichte
überzeugend dar, so wird gerade mit Blick auf die Politik
Moskaus gegenüber der kleinen Kaukasusrepublik doch oft deutlich,
daß sich der Autor bisweilen zu stark mit seinem Forschungsgegenstand
identifiziert, und an manchen Stellen ohne Umschweife den georgischen
Standpunkt gegenüber Rußland einnimmt.
Die vorgestellten Bücher eignen sich allesamt für Studenten
und andere beruflich Interessierte. Einen breiteren Leserkreis
werden sie aufgrund der doch weit entfernt vom durchschnittlichen
deutschen Interesse angesiedelten Thematik kaum erreichen. Dennoch
stellen sie nützliche Beiträge im Hinblick auf die differenzierte
Betrachtung des postsowjetischen Raumes dar, dessen Entwicklung
für uns im Westen eben auf jeden Fall von Bedeutung sein
dürfte.
Oliver Thränert |
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