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Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 3/1998 |
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Renate Dieterich
Die ausbleibende Friedensdividende. Jordaniens nationale Probleme spitzen sich zu Vorläufige Fassung / Preliminary version Am 26. Oktober 1994 trafen sich der jordanische König Hussein und der israelische Ministerpräsident Yitzhaq Rabin zu einem historischen Handschlag im südjordanischen wadi 'araba. Im Beisein von Bill Clinton wurde der Friedensvertrag zwischen den beiden Nationen offiziell besiegelt. Nach Ägypten und der PLO war Jordanien damit der dritte wichtige Akteur im Nahost-Friedensprozeß, mit dem Israel eine Übereinkunft erzielen konnte. Die arabisch-israelische Aussöhnungspolitik hatte 1978 in Camp David ihren Anfang genommen. In politischer Hinsicht zahlte Ägypten für seinen Alleingang damals einen hohen Preis, nämlich eine Jahre andauernde Isolation im arabischen Lager. Die ökonomischen Vorteile jedoch überwogen, denn die USA, die den Friedensschluß maßgeblich vorantrieben, leisteten durch ihre Finanzhilfe in den folgenden Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des ägyptischen Regimes. Die US-Unterstützung für Ägypten stieg von 936,8 Millionen Dollar im Jahre 1978 auf 2,66 Milliarden im Jahr 1980. Auch in den Jahren zwischen 1984 und 1990 lag der amerikanische Beitrag bei weit über zwei Milliarden US Dollar jährlich. Kein anderer arabischer Akteur war allerdings zu diesem Zeitpunkt bereit, dem ägyptischen Beispiel zu folgen. Erst 15 Jahre später konnte durch die Declaration of Principles, auf die sich Israel mit der PLO in Oslo 1993 einigte, der Stillstand in den arabisch-israelischen Verhandlungen durchbrochen werden. Der PLO, die sich als alleinige legitime Vertretung der Palästinenser begreift, wies die israelische Seite in Oslo zum ersten Mal den Status eines gleichberechtigten Verhandlungspartners zu. Noch bei den Friedensgesprächen von Madrid 1991, die als Resultat des Zweiten Golfkriegs die arabische und die israelische Seite an einen Verhandlungstisch gezwungen hatten, waren die Palästinenser nur durch eine jordanische und nicht eine von der PLO entsandte Delegation vertreten. Jordanien galt über Jahrzehnte hinweg bei Verhandlungen auf internationaler Ebene als Vertretung der Palästinenser, doch wurde dieser Vertretungsanspruch seit einem Beschluß der arabischen Gipfelkonferenz von 1974 weder von den arabischen Staaten noch von der PLO gebilligt. Tatsächlich ergaben sich aus den konkurrierenden Repräsentationsansprüchen immer wieder Spannungen in den Beziehungen zwischen der PLO und Jordanien. Dabei ging es nicht nur um die Durchsetzung machtpolitischer Ziele, sondern auch um finanzielle Zuwendungen aus dem arabischen und internationalen Lager. Beide Akteure wurden durch großzügige Finanzhilfen, insbesondere aus den Golfstaaten, als Hauptleidtragende des arabisch-israelischen Konflikts unterstützt. Diese Konkurrenzsituation spiegelte sich auch in den Verhandlungen Jordaniens mit Israel wider. Das Abkommen der PLO überraschte König Hussein ebenso wie die internationale Öffentlichkeit. Um die Position Jordaniens als wichtiger Akteur im Nahostkonflikt zu erhalten, mußte es zu einer raschen Übereinkunft kommen. Bereits im September 1993 unterzeichnete Kronprinz Hassan daher in Washington eine Agenda für die geplanten jordanisch-israelischen Gespräche. Im Juli 1994 gaben König Hussein und der israelische Staatschef Yitzhaq Rabin die Beendigung des Kriegszustands zwischen den beiden Staaten bekannt. Die offizielle Vertragsunterzeichnung fand etwa ein Jahr nach der Bekanntgabe der Declaration of Principles statt. Im Gegensatz zu Ägypten, das von Israel die Rückgabe des Sinai verlangt hatte, und den Palästinensern, die einen eigenen Nationalstaat auf dem Boden des historischen Palästina fordern, standen der jordanisch-israelischen Aussöhnung keine territorialen Konflikte im Wege. Die Grenzen zwischen den beiden Staaten waren bis auf zwei schmale Streifen Land unstrittig, wodurch die Ausgangsbasis für die Verhandlungen wesentlich vereinfacht wurde. Israel wurde die weitere Nutzung der bislang besetzten strittigen Landstücke durch eine Pachtvertrag ermöglicht. Für die jordanische Seite war die eindeutige Festschreibung der Grenze zwischen den beiden Staaten ein wesentlicher Aspekt des Vertrages. Damit wurden israelische Ansprüche auf das Gebiet östlich des Jordan, auch solche, die Jordanien als "Ersatzheimat" aller Palästinenser ausgaben, auf völkerrechtlich verbindlicher Ebene ausgeschlossen. Der Vertrag regelte darüber hinaus in Artikel 6 und Annex II die für Jordanien besonders wichtige Wasserfrage und sicherte dem Land einen höheren Anteil am Wasser von Yarmouk und Jordan. Ein von beiden Vertragspartnern zu nutzender Flughafen Eilat/Aqaba (Artikel 21) und die Öffnung der Grenzen (Artikel 13) sollten die Wirtschaft und das Tourismusgeschäft ankurbeln. Zur Geschichte der jordanisch-palästinensischen und der jordanisch-israelischen Beziehungen Die enge Verquickung von jordanischen und palästinensischen Belangen hat historische und demographische Ursachen. Nach der Staatsgründung Israels annektierte der jordanische König Abdallah gestützt auf eine rechtlich zweifelhafte Abstimmung unter palästinensischen Notabeln die palästinensische Westbank, ohne daß dieser Schritt bei der internationalen Staatengemeinschaft Anerkennung gefunden hätte. Durch diese Maßnahme erweiterte er sein Staatsgebiet, führte aber auch eine radikale Änderung der demographischen Struktur des Landes herbei. Der palästinensische Faktor hat seither direkt oder indirekt die politischen Geschicke des Landes wesentlich mitbestimmt. Durch den Krieg vom Juni 1967 verlor Jordanien die Kontrolle über die Westbank wieder, behielt jedoch die administrative Verantwortung für die dort lebenden Palästinenser, finanzierte den arabischen Bildungs-, Gesundheits- und Verwaltungsapparat. Erst 1988 unter dem Eindruck der Intifada gab Jordanien seine Ansprüche auf die besetzten Gebiete auf, bestand allerdings weiterhin auf seiner Verantwortlichkeit für die islamischen Heiligtümer Jerusalems. Seit der Staatsgründung Israels hat Jordanien von allen arabischen Staaten den höchsten Anteil an palästinensischen Flüchtlingen aufgenommen. Als einzige Nation gewährte Amman nach dem ersten Krieg gegen Israel den Immigranten die Staatsbürgerschaft mit allen Rechten und Pflichten. Die bislang letzte und nach 1948 und 1967 dritte große palästinensische Flüchtlingswelle im Jahr 1991 war Folge der irakischen Besetzung Kuwaits und der folgenden militärischen Auseinandersetzungen. 300-350 Tausend ehemalige palästinensische Gastarbeiter mußten die Golfregion dauerhaft verlassen und kehrten nach Jordanien zurück. In den Staaten am Golf waren sie wegen der proirakischen Haltung der PLO politisch unerwünscht. Der genaue Anteil der Palästinenser an der jordanischen Gesamtbevölkerung (1995: 4,1 Millionen) ist nicht bekannt. Aus politischen Erwägungen wird dieser, trotz aktueller Daten zur Bevölkerung, nicht bekanntgegeben. Dennoch hat selbst bei vorsichtigen Schätzungen mindestens die Hälfte aller Jordanier palästinensische Wurzeln, der Anteil dürfte aber eher noch höher bei bis zu 60% liegen. Insofern hat der Vertrag zwischen Israel und Jordanien auch eine über die bilateralen Beziehungen hinausgehende Komponente. Er könnte der Befriedung eines großen Teils der palästinensischen Diaspora dienen, gleichzeitig birgt er aber auch Konfliktstoff für die innenpolitischen Verhältnisse Jordaniens, da die unterschiedlichen Positionen von Vertragsgegnern und Befürwortern zu einer wachsenden Polarisierung der politischen Fraktionen führen. Dabei ist das Lager der Vertragskritiker durchaus heterogen, da sich dort sowohl Palästinenser als auch Ostjordanier finden. Während die gesellschaftlich und ökonomisch arrivierte palästinensische Elite sich mit ihrem Status in Jordanien durchaus zufrieden gibt und den Vertrag nicht als direkte Bedrohung der eigenen Interessen sieht, ist es vor allem die unterprivilegierte Einwohnerschaft der Flüchtlingslager, die den Vertrag ebenso wie die Declaration of Principles als Zeichen des endgültigen Verzichts der Palästinenser auf Entschädigung und das Recht auf Rückkehr in die angestammte Heimat wertet. Das Verhältnis zwischen ostjordanischem und palästinensischem Bevölkerungsanteil war jedoch nie spannungsfrei. Die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen des "Schwarzen September" in den Jahren 1970/71, die nach heftigen Kämpfen mit der jordanischen Armee den Auszug der PLO-Milizen in den Libanon zur Folge hatten, sind Beleg für den unbedingten Willen der haschemitischen Führung auf die alleinige Machtausübung im Lande. Die nationale Integration der Palästinenser ist bis heute ein problematischer und ambivalenter Prozeß. Als Schöpfung der britischen Mandatsmacht im Jahre 1921, ohne historische Tradition und wegen der oben beschriebenen heterogenen Bevölkerungsstruktur hat Jordanien bis heute Schwierigkeiten mit einer klaren Definition der nationalen Identität. Die Familie des gegenwärtigen Königs Hussein ist selbst erst in den 20er Jahren von der arabischen Halbinsel in das Gebiet östlich des Jordan emigriert. Sie mußte sich dort gegen die Widerstände der lokalen Stämme durchsetzen, und die Legitimität der haschemitischen Herrschaft ist daher aus historischer Sicht fragwürdig. Der Nationbegriff wird vom Regime einseitig mit einem ostjordanischen Charakter belegt. Aus diesem Grund wird den Palästinensern in Jordanien keine eigenständige, auf der nationalen Abstammung beruhende Identität zugebilligt, sondern sie werden als Teil "der einen jordanischen Familie" begriffen, wie König Hussein nicht müde wird zu betonen. Zwar haben die "Mitglieder der Familie" aus der Sicht des Monarchen unterschiedliche Wurzeln, doch dürfen diese keine Rolle für das Bekenntnis zur jordanischen Nation spielen. Ziel ist daher nicht die Koexistenz verschiedener Bevölkerungsteile unter Anerkennung ihrer Unterschiedlichkeit, sondern die Einverleibung der palästinensischen Komponente durch die jordanische Seite. Eine öffentliche Diskussion über diese Problematik wird weitestgehend unterbunden. So verbietet z. B. das jordanische Pressegesetz aus dem Jahr 1993 die Veröffentlichung von Artikeln und Meinungsäußerungen, die "die nationale Einheit gefährden könnten". Dies impliziert ein Verbot der Diskussion des sensiblen Themas palästinensischer Identität in Jordanien, und Strafprozesse gegen Journalisten, die gegen dieses Verbot verstoßen haben sollen, finden immer wieder statt. Aller staatlichen Rhetorik von der homogenen Gesellschaft zum Trotz ist die gegenseitige Wahrnehmung der beiden Bevölkerungsgruppen von Vorsicht, zum Teil auch von Mißtrauen geprägt. Eine Untersuchung des Institute for Strategic Studies der Universität in Amman aus dem Jahre 1995 förderte zu Tage, daß auf der einen Seite viele Ostjordanier die wirtschaftliche Dominanz der Palästinenser im Privatsektor mit Besorgnis sehen und sich von diesen ökonomisch unter Druck gesetzt fühlen. Die Palästinenser auf der anderen Seite sehen sich in eine Position der ungeliebten Gäste auf Zeit im Lande gedrängt, denen eine echte Partizipation an den politischen Machtzirkeln verwehrt wird. Nach dem Willen der Ostjordanier, so glauben viele von ihnen, sollen sie das Land, zu dessen Aufbau sie wesentlich beigetragen haben, nun verlassen, da sie mit den palästinensischen Nationalgebieten über einen eigenen, im Aufbau begriffenen Staat verfügen. Tatsächlich werden solche "Jordanien den Jordaniern"-Thesen von bestimmten politischen Kreisen in Amman vertreten, vom Monarchen aber im Sinne der oben beschriebenen Fiktion der einheitlichen Nation stets zurückgewiesen. Die Beziehungen zwischen Jordanien und Israel haben ebenfalls eine lange Vorgeschichte und reichen bis in die Zeit des britischen Mandats nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Bereits damals unterhielt der Emir Abdallah geheime Kontakte zu den Zionisten in Palästina, wobei er vor allem seine Expansionsbestrebungen nach Westen verfolgte. Durch die Einverleibung der Westbank in das jordanische Staatsgebiet konnte er letztlich die Kontrolle über Restpalästina erlangen. Eine kritische Diskussion dieser historischen Ereignisse ist bis heute in Jordanien unmöglich und erfüllt strafrechtlich den Tatbestand der Majestätsbeleidigung. Auch dieses Tabu erklärt sich aus der unzulänglich aufgearbeiteten nationalen Frage. Der offiziellen jordanischen Geschichtsschreibung folgend, hat Abdallah keineswegs den verbliebenen Teil Palästinas seinem Territorium einverleibt, sondern sich vielmehr für die Interessen der großarabischen Nation eingesetzt und die Palästinenser vor einer vollständigen zionistischen Vereinnahmung bewahrt. Auf der israelischen Seite sahen seit den 20er Jahren die Revisionisten innerhalb der zionistischen Bewegung und später die Herut-Partei (der Vorläufer des Likud) unter Menachem Begin das Ostufer des Jordan als Teil des ihnen zustehenden Gebietes an, das Eretz Israel zuzuschlagen sei, und bestritten damit das Existenzrecht des jordanischen Staates. Diese Position verfolgten sie bis in die 60er Jahre. Nach dem Krieg von 1967 mit seinen für Jordanien verheerenden Folgen zogen sich beide Staaten auf eine Position der gegenseitigen stillschweigenden Anerkennung zurück. Geheimtreffen zwischen König Hussein und hochrangigen israelischen Vertretern hielten über die Jahre den Kommunikationsfluß in Gang. Ein Separatfrieden Jordaniens mit Israel war aber solange nicht denkbar, wie die palästinensische Seite nicht zu einer Übereinkunft mit Israel gelangt war. Dies ergab sich sowohl aus dem Vertretungsanspruch der PLO für die palästinensischen Interessen als auch aus der demographischen Struktur Jordaniens mit seinem hohen palästinensischen Bevölkerungsanteil, dessen Widerstand gegen einen solchen Separatfrieden zu befürchten gewesen wäre. Als 1977 die Likud-Partei die Regierung in Israel bildete, zeichnete sich eine neuerliche Bedrohung für die haschemitische Herrschaft ab. Ariel Sharon argumentierte, ein Palästinenserstaat müsse nicht geschaffen werden, da er mit Jordanien bereits existiere. Jordanien, so hieß es auf israelischer Seite, sei ehemals Teil des britischen Mandats über Palästina gewesen und auf Grund seiner gegenwärtigen Bevölkerungsstruktur schon jetzt die Heimat der Palästinenser. Diese Position wurde in Amman aufs schärfste zurückgewiesen, nicht zuletzt deshalb, weil eine palästinensische Herrschaft unweigerlich das Ende der jordanischen Monarchie bedeutet hätte. Der Krieg am Golf 1991 isolierte sowohl die PLO wie auch Jordanien auf der internationalen Ebene und in den Reihen jener arabischen Staaten, die die europäisch-amerikanische Allianz gegen den Irak unterstützt hatten. Die jordanische Führung unter König Hussein hatte sich den Unmut der Machthaber am Golf zugezogen, als sie sich gegen die westliche Militärintervention gewandt und auf eine innerarabische Konfliktlösung gedrängt hatte. Die jordanische Seite wollte diese Haltung, die dem Druck aus den Reihen der eigenen Bevölkerung nachkam, als "neutrale Position" verstanden wissen. In der westlichen Welt jedoch wurde dies als proirakische Politik gedeutet und mit einem weitreichenden Entzug der finanziellen Unterstützung beantwortet. Um aus dieser politischen und wirtschaftlichen Isolation wieder herauszufinden, war die Teilnahme an den noch im selben Jahr beginnenden Nahost-Friedensverhandlungen in Madrid für die jordanische Führung unvermeidlich. Die ökonomische Dimension: Schuldenkrise und Friedensdividende Jordanien ist mit für eine wirtschaftliche Blüte denkbar ungünstigen Voraussetzungen ausgestattet. Ein hoher Ariditätsgrad von über 90%, fehlende Bodenschätze und eine rasch anwachsende Bevölkerung sind die Hauptfaktoren der wirtschaftlichen Probleme. Seit der Staatsgründung 1921 war das Land daher in hohem Maße auf externe Zuwendungen (Renten) angewiesen. Zunächst wurden diese von der britischen Mandatsmacht geleistet, ab Ende der 50er Jahre von den USA, dann von den arabischen "Bruderstaaten", die Jordaniens schwierige Stellung als direkter Nachbar Israels und Zufluchtsort vieler Palästinenser honorierten. Zudem begann Jordanien in den 70er Jahren in großem Stil mit dem "Export" von Arbeitskräften in die Golfregion. Gut ausgebildete Jordanier, viele davon palästinensischer Herkunft, stellten sich dort als Fachkräfte in der Verwaltung, im Bildungssektor und Dienstleistungsbereich zur Verfügung. Ihre Rücküberweisungen an die Familien in Jordanien und via Amman auch in die Westbank waren bedeutende Devisenbringer für den jordanischen Staat und kurbelten die Inlandsnachfrage durch die steigende Kaufkraft der Geldempfänger an. Diese beiden wichtigen Stützen der jordanischen Staatsfinanzierung, die arabischen Hilfen und die Gastarbeiterüberweisungen, brachen in den 80er Jahren auf Grund der weltweiten Rezession und des Verfalls der Erdölpreise langsam ab. Die arabischen Ölproduzenten konnten nicht mehr so freigebig wie bisher Unterstützungszahlungen leisten. Viele der Gastarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz und kehrten nach Jordanien zurück. Sinkende Kaufkraft und steigende Arbeitslosigkeit waren die Folge. Jordanien sah sich zunehmend gezwungen, seinen Finanzbedarf durch die Aufnahme von Krediten, vornehmlich bei westlichen und multilateralen Kreditgebern, zu decken. So stieg die Auslandsverschuldung von 1,97 Milliarden US Dollar im Jahre 1980 auf 6,32 Milliarden im Jahre 1987 und lag 1991 - im Jahr der Golfkriegs - bei 7,8 Milliarden. Das Bruttosozialprodukt dagegen sank von 6,3 Milliarden Dollar im Jahre 1987 auf 3,8 Milliarden Dollar im Jahre 1991. Der Wert des Jordanischen Dinar verfiel in dieser Zeit um etwa 50%. Diese bedrohliche wirtschaftliche Krise wurde durch den jordanischen Sonderweg während des Golfkonflikts 1990/91 noch verschärft. Das Land verlor nicht nur einen großen Teil der westlichen Hilfszahlungen, vor allen Dingen aus den USA, sondern auch die arabischen Golfstaaten, die die Anti-Irak-Koalition unterstützt hatten, verweigerten die Zusammenarbeit. Öllieferungen zu reduzierten Preisen und der verbliebene Arbeitsmarkt für jordanische Arbeitsmigranten fielen weg. Jordanien war somit dringend auf die Erschließung neuer Finanzquellen angewiesen, um den drohenden vollständigen Zusammenbruch der Ökonomie und in dessen Folge wohl auch der politischen Ordnung im Lande abzuwenden. In einer ganz ähnlichen Situation befand sich die PLO. Auch sie hatte bislang wesentlich von der Unterstützung der arabischen Golfstaaten profitiert und war Leidtragende der wirtschaftlichen Krise dort und des Ausbleibens der politisch motivierten Hilfszahlungen. Um den weiteren Zufluß internationaler Unterstützung an die Palästinenser zu sichern, war es unumgänglich, dem Drängen des Westens auf Einigung mit Israel nachzukommen. Nachdem die PLO durch das Abkommen von Oslo einen Vorteil auf der internationalen Bühne erreicht hatte, stand Jordanien unter einem hohen Handlungsdruck, um demgegenüber nicht ins Hintertreffen zu geraten und den Anschluß an die Zentren der Geldvergabe zu verlieren. Maßgeblich forciert wurde der jordanische Friedensschluß wiederum von den USA, die einen Schuldenerlaß als Gegenleistung für einen Beitrag zum Friedensprozeß ankündigten. Die USA versprachen einen Verzicht auf die Rückzahlung jordanischer Verbindlichkeiten in Höhe von 702 Millionen US $. Dies und die Hoffnung auf weitere Hilfszahlungen, Kredite und Unterstützungsprogramme, die sogenannte Friedensdividende, bewogen die jordanische Seite dazu, der palästinensischen rasch gleichzuziehen. So war der Friedensschluß für beide Parteien, Jordanien wie die PLO, "not the peace of the brave but the peace of the bankrupt." Das Geschäft mit dem Frieden sollte die marode Wirtschaft sanieren und damit die weitere Stabilität des haschemitischen Regimes sichern. Das Ende des arabischen Boykotts gegen Israel und die damit verbundene Öffnung der arabischen Märkte für die israelische Wirtschaft, die Exportmöglichkeiten für Waren und Arbeitskräfte aus Jordanien nach Israel, länderübergreifende Tourismusprojekte und der Ausbau der Verkehrswege in der Region zum Vorteil beider Vertragspartner sollten so die Voraussetzungen für einen jordanischen Aufschwung werden. Vom Ausbau des jordanisch-israelischen Handels und einem aufblühenden Tourismusgeschäft erhoffte sich Jordanien weitere wichtige Impulse für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zwei Grenzübergänge, einer im Norden und einer im Süden, wurden daraufhin eröffnet, um sowohl Touristen das Reisen zwischen den beiden Staaten zu erleichtern als auch den Warenverkehr zu vereinfachen. Eine Senkung der immensen Verteidigungsausgaben zur Entlastung des Staatshaushaltes erfolgte dagegen nicht, da die Armee zur Sicherung der Systemstabilität unverzichtbar ist und daher mit den entsprechenden materiellen Leistungen zufriedengestellt werden muß. Von 1990 bis 1995 stiegen die Verteidigungsausgaben sogar noch von 308,74 Millionen auf 422,85 Millionen US Dollar. Die amerikanische Regierung leistete 1994/95 über den Schuldenerlaß hinaus finanzielle Hilfe in Höhe von 375 Millionen US Dollar an Jordanien und sicherte die Lieferung weiterer militärischer Ausrüstung, darunter F-16-Kampfflugzeuge, an die jordanische Armee zu. Mit verschiedenen internationalen Geldgebern konnten Umschuldungsvereinbarungen getroffen werden. Der erhoffte positive Effekt für die jordanische Wirtschaft blieb jedoch bislang weitestgehend aus. Die Vorgaben des Vertrags wurden bislang nur schleppend umgesetzt. Die vereinbarte Steigerung der Wasserzufuhr nach Jordanien konnte nur nach weiteren zähen Verhandlungen gesichert werden. Der lange geplante gemeinsame Flughafen Eilat/Aqaba wurde bislang ebensowenig gebaut wie der Kanal, der das Tote Meer mit dem Roten Meer verbinden soll. Das Handelsvolumen zwischen Israel und Jordanien lag 1996 lediglich bei 16 Millionen Dollar. Im folgenden Jahr stieg es zwar auf etwa 30 Millionen, blieb damit aber dennoch weit hinter den jordanischen Erwartungen zurück. Für breite Bevölkerungsschichten haben sich die Lebensbedingungen in den 90er Jahren dramatisch verschlechtert. Der offiziell vom Sozialministerium bezifferte Armutsanteil an der Bevölkerung stieg von 18,7% im Jahre 1989 auf 21,3% im Jahre 1993 und erreichte nach neuesten Angaben 1997 bereits 26%. Dazu trugen auch die steigenden Lebensmittelpreise nach dem sukzessiven Abbau staatlicher Subventionen und Preisbindungen für zahlreiche Nahrungsmittel bei. Die erhoffte und von jordanischen Regierungsvertretern in der ersten Euphorie versprochene Friedensdividende erreichte somit bei weitem nicht das gewünschte Ausmaß. Vor allem war sie nicht in der Lage, die strukturellen Probleme der jordanischen Rentierökonomie zu entschärfen, die ohne externe Zuwendungen nicht bestehen kann, und die Schuldenkrise dauerhaft beizulegen. Ohne ernsthafte und spürbare wirtschaftliche Verbesserungen als Konsequenz des Friedensvertrages aber läßt sich der jordanischen Öffentlichkeit der Nutzen des Abkommens nur schwer vermitteln. Das "demokratische Experiment" Jordaniens seit 1989 Jordanien hat 1989 nach mehr als 20 Jahren Autoritarismus unter Kriegsrecht und Ausnahmezustand einen vorsichtigen Prozeß innenpolitischer Liberalisierung begonnen. Ebenso wie die Teilnahme am Friedensprozeß muß aber auch diese politische Öffnung vornehmlich im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Krise des Landes gesehen werden. Der Niedergang der jordanischen Rentierwirtschaft bedrohte die inoffizielle Übereinkunft zwischen Regime und Bevölkerung, nach der der Staat eine materielle Grundversorgung leistete und im Gegenzug dafür mit Loyalität seiner Bürger rechnen konnte. Die Gewährung demokratischer Freiheitsrechte hatte bei diesem Handel bis dato wenig Raum, denn der Staat "kaufte" praktisch die stillschweigende Zustimmung der Bevölkerung zur herrschenden Ordnung. Eine Beschäftigungsquote im öffentlichen Sektor von etwa 50%, ein gut ausgebautes Bildungs- und Gesundheitssystem und eine kostenverschlingende Armee mit verschiedenen Vergünstigungen für ihre Angehörigen (wie spezielle Einkaufsmöglichkeiten zu reduzierten Preisen oder eine eigene Quote für die Kinder von Armeeangehörigen an den staatlichen Universitäten) bildeten die wesentlichen Stützpfeiler einer solchen Grundversorgung. Deren Finanzierung jedoch wurde auf Grund der desolaten Wirtschaftslage zunehmend problematisch. Ein Strukturanpassungsprogramm des IWF sollte 1988 helfen, die Krise zu bewältigen, hatte jedoch innergesellschaftliche Verwerfungen zur Folge. Im Frühjahr 1989 entzündeten sich gewaltsame Unruhen an staatlich verordneten Preiserhöhungen, u. a. für Treibstoff. Doch wurden bei den Demonstranten auch Rufe nach mehr Mitbestimmung, freien Wahlen und demokratischen Freiheitsrechten laut. Um dieser wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung zu begegnen, schwenkte die jordanische Regierung - im Gegensatz zu vielen anderen autoritären Systemen, die in solchen Situationen mit stärkerer Repression reagieren - auf eine innenpolitische Entspannungspolitik ein. Eine neue, demokratische Ära sollte in Jordanien beginnen. Zum ersten Mal seit 1967 konnten daraufhin im November 1989 wieder Wahlen zum Abgeordnetenhaus abgehalten werden, politische Gefangene wurden auf freien Fuß gesetzt, Kriegsrecht und Ausnahmezustand wurden etappenweise aufgehoben. 1992 folgte die Legalisierung der politischen Parteien, die seit 1957 nur im Untergrund agieren konnten, so daß bei den folgenden Parlamentswahlen 1993 auch offiziell parteipolitisch gebundene Kandidaten teilnehmen konnten. Eine aufblühende Presselandschaft neben den staatlich dominierten Tageszeitungen bot Raum für die Darstellung abweichender Meinungen. Jordaniens Demokratie sollte, nach Aussagen König Husseins, Modellcharakter für die ganze Region haben. Dieses relative große Maß an Meinungsfreiheit und Möglichkeit zur politischen Partizipation ist aber seit der Teilnahme am Friedensprozeß in Bedrängnis geraten. Die Regression im Demokratisierungsprozeß zeigte sich u. a. am unnachgiebigen Verhalten der Führung bei den Unruhen im südjordanischen Karak im August 1996. Das Eingreifen des Militärs und die Verhängung des Ausnahmezustands über die Stadt erstickten die Proteste, die sich an der Erhöhung des subventionierten Brotpreises entzündet hatten. Es folgte eine landesweite Welle der Verhaftungen linker und nationalistischer Kräfte, vor allem von Angehörigen der Ba't-Partei, die von der Regierung als "Drahtzieher" der Demonstrationen ausgemacht wurden. Die tatsächlichen Probleme dieser unterprivilegierten Region Jordaniens, nämlich wachsende Arbeitslosigkeit und Verarmung, wurden nicht thematisiert. Zunehmend geriet auch die dem Vertrag gegenüber kritisch eingestellte Presse unter Beschuß von Regierung und Monarchie. Im Mai 1997 gipfelten die Attacken in einer drastischen Verschärfung des Presserechts. Protestkundgebungen im Februar 1998 in Amman und im südjordanischen Ma'an, die gegen die drohende amerikanische Militärintervention im Irak gerichtet waren, wurden von Polizei- und Armeekräften brutal niedergeworfen. Diese Rückwärtsentwicklung des demokratischen Prozesses in Jordanien ist durch die Friedensverhandlungen nicht verursacht, aber wesentlich beschleunigt worden. Am Friedensprozeß läßt sich daher besonders gut die Problematik demokratischer Reformpolitik in Jordanien ablesen. Zum inneren Widerspruch von Demokratisierung und Friedensschluß Die innerjordanische Rezeption des Friedensvertrages war zunächst durchaus positiv. Bei einer Umfrage des Institute for Strategic Studies vom Oktober 1994 beurteilten 80,2% der Befragten das Abkommen positiv und nur 14,1% lehnten es gänzlich ab. Wesentlichen Ausschlag für dieses positive Urteil dürften dabei die Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben haben, die in offiziellen Verlautbarungen jordanischer Regierungsvertreter versprochen wurden. Der König selbst versprach eine Verbesserung der ökonomischen Situation als Konsequenz aus dem Vertrag und kündigte für jedermann spürbare Fortschritte in den kommenden zwei bis fünf Jahren an. Die Ratifizierung des Vertrages wurde durch ein demokratisch legitimiertes Gremium vollzogen. Nach dem Handschlag vom wadi 'araba, den der König in seiner Funktion als Staatsoberhaupt und als Alleinverantwortlicher für Kriegserklärungen und Friedensschlüsse vollzog, stimmten das jordanische Ober- und Unterhaus über den Vertrag ab und nahmen ihn an. Somit war die Entscheidung formal durch die Volksvertretung gebilligt worden. Dennoch war der König die entscheidende Instanz für den Friedensschluß, den er als persönliches Anliegen betrachtet und dessen Infragestellung er nicht duldet. Nach seiner Auffassung impliziert die Annahme des Vertrages durch die Mehrheit der Volksvertreter das Ende der Diskussion über die prinzipielle Legitimität des Friedensabkommens. In seiner Rede an die Nation vom November 1994, in der er Stellung zum Vertrag bezog, erklärte er an die Gegner des Abkommens gerichtet: "(...) it is unreasonable and unacceptable to exercise intellectual terrorism over the people as a whole by taking freedom of opinion to exaggerated lengths, thus denying the right of the majority to take a decision which, at the end of the day, everybody must respect." Kritik dürfe nur in dem Maße geäußert werden, wie sie "konstruktiv" wirke und "verantwortlich" sei, denn, so der König: "Democracy does not mean crossing red lines in order to undermine national unity in this country and blow up everything of value in this country." Wer die Demokratie im Namen der Demokratie bekämpfe, führe das Land in die Anarchie und dürfe nicht mit der Milde des Staates rechnen, erklärte er bei der Eröffnung der Parlamentsperiode im Dezember 1995. Durch die enge Verknüpfung von Friedenspolitik, nationaler Stabilität und der Person des Monarchen wurde jeglicher Widerstand gegen den Vertragsschluß zur Fundamentalkritik an der haschemitischen Herrschaft umgedeutet. Die Legitimität der Monarchie und des gegenwärtigen Herrschaftssystems aber ist in Jordanien sakrosankt. Öffentliche Kritik am Vertrag wurde daher weitestgehend unterbunden. Trotz der zunächst breiten Zustimmung in der Öffentlichkeit, wie sie die Meinungsumfrage widerspiegelte, meldeten sich auch Kritiker des Vertrages zu Wort, eben jene, die König Hussein in seiner Rede attackierte. Sie fanden sich vor allem in den Reihen der Islamisten, der Linken und der traditionell politisch stark engagierten jordanischen Berufsverbände, die sich zu einer gemeinsamen Front zusammenschlossen. In diesen Kreisen hieß es, daß der Vertrag zwar alle israelischen Forderungen erfülle, die arabischen Interessen dagegen kaum Berücksichtigung gefunden hätten. Es wurde "ein Verrat an der palästinensischen Sache" konstatiert, da der status quo zugunsten Israels festgeschrieben worden sei, ohne daß das Recht auf Rückkehr für die palästinensischen Flüchtlinge gesichert wurde. Jordanien sei mit diesem Vertrag aus der Reihe der arabischen Staaten ausgeschert und habe sich in der Region isoliert. Für Israel dagegen sei Jordanien das Einfallstor zu den arabischen Märkten, die der jüdische Staat fortan zu dominieren versuchen werde. Von seiten der einflußreichen islamistischen Bewegung Jordaniens wurde darüber hinaus angeführt, daß ein arabischer Anspruch auf ganz Palästina bestehe, nicht lediglich auf einen kleinen Teil. Das ganze Gebiet des heutigen Israel sei islamisches Stiftungsland, stehe daher allen Muslimen zu, und alle jene jüdischen Einwanderer, die nach der Balfour-Erklärung 1917 ins Land gekommen seien, hielten sich dort unrechtmäßig auf. Aus dieser Perspektive können keine Verträge mit Israel geschlossen werden, da dies die Anerkennung der zionistischen Landnahme in Palästina implizieren würde. Trotz dieser prinzipiellen Ablehnung des Abkommens von wadi 'araba beschränkte sich die Allianz der Vertragsgegner darauf, sich gegen die folgende Politik der Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen zu stellen und nicht etwa die Legitimität des Vertrages an sich in Frage zu stellen. So beschlossen etwa die jordanischen Berufsverbände, in denen die technokratische Elite des Landes organisiert ist, jedes Mitglied auszuschließen, das offizielle Kontakte zu Israel oder Israelis aufnehmen sollte. So hoffte man, nicht mehr als einen "kalten Frieden" zustande kommen zu lassen. Von diesem Beschluß rückten die Verbände trotz scharfer Angriffe von seiten der Regierung wie des Königs nicht ab. Öffentliche Protestkundgebungen der Opposition wurden von der Regierung unterbunden, wenn nötig unter Einsatz von Gewalt. Die Prediger in den Moscheen wurden angewiesen, die Stätten des Kultus nicht für politische Äußerungen zu mißbrauchen. Unliebsamen Imamen wurde vom zuständigen Ministerium die Predigterlaubnis entzogen. Die Abhaltung einer "Antinormalisierungskonferenz", von den oppositionellen Kräften für Mai 1995 geplant, wurde von der Regierung bis zum September des Jahres immer wieder verhindert. Der nächste Anlaß für einen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition war die Aufhebung der Boykottgesetze im Sommer 1995. Diese Boykottgesetze verhinderten bislang den Handel mit Israel sowie den Verkauf von Land und Immobilien an Israelis. Die Aufhebung des Boykotts ergab sich aus den Vorgaben des Friedensvertrages, nach denen von beiden Vertragspartnern alle den anderen Staat benachteiligenden und diskriminierenden Gesetze zu annullieren sind (Artikel 11). Hier meinten die Kritiker des Vertrages den Beginn des "Ausverkauf jordanischen Bodens" zu sehen. Dem Landerwerb in Jordanien durch ausländische, das heißt israelische, Interessenten, sei nun der Weg geebnet worden. Tatsächlich aber bedarf der Verkauf jordanischen Bodens an nichtarabische Ausländer der Zustimmung des Kabinetts, und Angehörigen solcher Staaten, die jordanischen Staatsbürgern nicht das Recht auf Landerwerb zugestehen, wird der Kauf von Land grundsätzlich verweigert, so auch den Bürgern Israels. Obwohl also die Befürchtungen der Kritiker, in Jordanien werde sich nun eine Art "zweite zionistische Landnahme" vollziehen, offensichtlich überzogen sind, zeigen sie doch die arabische Furcht vor einer israelischen Dominanz und Vereinnahmung in allen Bereichen. Im November 1995 kam es zu weiteren Spannungen zwischen Staatsführung und Opposition. Die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Yitzhaq Rabin wurde in Teilen der jordanischen Presse, in erster Linie bei den Boulevardblättern, mit einer gewissen Genugtuung aufgenommen. Rabin, der den Tod zahlloser Palästinenser während der Intifada zu verantworten habe, sei ein Mörder, kein Held, war dort zu lesen. Auch die deutlich zur Schau getragene Bestürzung und Trauer des Monarchen und dessen Besuch der Beisetzung in Israel stießen in diesen Kreisen auf Mißfallen. Die Kritik lieferte den Anstoß für weitere und heftiger werdende Attacken der Regierung und König Husseins gegen die Presse, die in "unverantwortlicher Weise" die Grundsätze von Pluralismus und Meinungsfreiheit "ausnütze". Offensichtlich sei man bei der Gewährung demokratischer Freiheitsrechte "zu weit gegangen". Das ohnehin bereits sehr restriktive Pressegesetz Jordaniens, das Kritik an den zentralen Stützpfeilern der Herrschaft, nämlich Monarchie, "nationale Einheit" und Armee verbietet, wurde daher im Mai 1997 unter Umgehung des Parlaments noch weiter verschärft, um solchen "Auswüchsen" entgegenzuwirken. Letztlich öffnete diese Presserechtsverschärfung das Tor zu einer umfassenden staatlichen Zensur. Die Meinungs- und Pressefreiheit als wesentliches demokratisches Grundrecht ist in Jordanien somit der Staatsräson geopfert worden. Um ihre Israel-freundliche Politik und die damit einhergehende innenpolitische Repression gegenüber den Gegnern des Abkommens zu rechtfertigen, steht die jordanische Führung seither unter einem wachsenden Legitimationsdruck gegenüber der eigenen Bevölkerung. In den Jahren seit dem Vertragsabschluß 1994 hat sich die Wahrnehmung des israelischen Nachbarn in der jordanischen Öffentlichkeit jedoch keineswegs positiv entwickelt, man steht diesem vielmehr deutlich distanziert gegenüber und vermeidet Kontakte mit Israelis weitgehend. In einer Meinungsumfrage des Institute for Strategic Studies vom Sommer 1997 erklärten 81,1% der Befragten, sie betrachteten die Israelis weiterhin als Feinde und immerhin 78,9% glaubten, daß auch die Israelis den Jordaniern ablehnend gegenüberstünden. Als Gründe für ihre negative Haltung gegenüber den israelischen Nachbarn nannten 39,1% der Befragten religiöse Motive, 29,2% fehlte das Vertrauen in die Zusammenarbeit der beiden Staaten und 27,2% gaben eine fehlende Verpflichtung Israels auf Einhaltung des Vertrages an. Gleichzeitig glaubten aber 50,4%, daß der Vertrag einen positiven Effekt auf die jordanische Wirtschaft haben werde, während 38,1% glaubten, daß Jordanien keinen ökonomischen Vorteil daraus ziehen könne. Auch auf der zwischenstaatlichen Ebene blieben die Beziehungen nach dem Tod Rabins nicht spannungsfrei, denn unter der Regierung Netanjahu haben sich nicht nur die palästinensisch-israelischen Beziehungen verschlechtert, sondern auch die zum Nachbarn Jordanien. Der bislang gravierendste Zwischenfall auf jordanischer Seite ereignete sich im März 1997, als ein jordanischer Soldat im Jordantal sieben israelische Schulkinder, die sich auf einem Klassenausflug befanden, erschoß. Während König Hussein die Eltern der Opfer in Israel besuchte und ihnen kondolierte, hieß es in Teilen der jordanischen Presse, der Soldat sei durch das "unmoralische Verhalten" der 12-14-Jahre alten Mädchen "provoziert" und "beim Gebet gestört worden", eine Mitschuld sei somit auch bei den Kindern zu suchen. Ein militärisches Sondergericht, das kein Recht auf Berufung zuläßt, verurteilte den Attentäter zu 25 Jahren Haft. Er entging der Todesstrafe nur deshalb, weil er für unzurechnungsfähig erklärt wurde. Man wollte dadurch auch vermeiden, mit dem Täter eine Märtyrergestalt zu schaffen. Die Oppositionskoalition gegen die Friedenspolitik bezog auch hier Stellung und kritisierte das Verfahren wie auch das Urteil. Auf Grund des Geisteszustands des Täters forderte sie eine mildere Strafe. Ebenso wie der Staat, der durch das Urteil ein Exempel statuieren und gleichzeitig sein uneingeschränktes Bekenntnis zur Aussöhnungspolitik demonstrieren wollte, wurde die Tat auch von der Opposition instrumentalisiert, indem das Verfahren zu einem "politischen Prozeß" umgedeutet wurde, der von den israelischen Erwartungen diktiert worden sei. Der nächste Anlaß zu Spannungen im jordanisch-israelischen Verhältnis war die versuchte Ermordung des Hamas-Aktivisten Khaled Mish'al durch den Mossad in Amman im September 1997. Der israelische Geheimdienst operierte ohne Wissen und Billigung der jordanischen Führung. Um die Verärgerung der jordanischen Seite über diese unbefugte Einmischung in die inneren Angelegenheiten zu mildern, ließ Israel den inhaftierten geistlichen Führer der Hamas, Scheikh Yassin, nach Jordanien ausreisen. Das zunehmend gestörte Verhältnis zwischen Oppositionskräften und Regierung erreichte einen vorläufigen Tiefpunkt durch den Boykott der Parlamentswahlen vom November 1997. Fast alle der in der "Antinormalisierungsfront" zusammengeschlossenen Parteien lehnten auf Grund der von ihnen kritisierten Friedenspolitik und wegen der wachsenden Angriffe auf die demokratischen Freiheitsrechte durch die Regierung eine Teilnahme an den Wahlen ab. König Hussein, der den Friedensschluß für sich selbst als historische Mission begreift, sieht sich auf Grund der wenig kooperativen Haltung der Regierung Netanjahu zunehmend isoliert, und zwar sowohl in der Region als auch innerhalb seines eigenen Landes, dessen Bevölkerung in steigendem Maße Kritik am Friedensschluß übt. Kommt der Friedensprozeß zum vollständigen Erliegen, verliert der Monarch angesichts der fortdauernden ungelösten Wirtschaftskrise seines Landes die wesentliche Legitimationsgrundlage für den Vertrag vom wadi 'araba. An der Wurzel der Probleme: die Intransigenz des Regimes Jordanien gehört auf Grund seiner gemäßigten Position im nahöstlichen Lager und der seit Jahrzehnten kaum bedrohten politischen Stabilität, die das Land wesentlich von anderen Staaten der Region unterscheidet, zu den bevorzugten Partnern des Westens. Der Autoritarismus der Herrschaft, die innenpolitische Repression und der Unwillen der jordanischen Führung zu echten Reformen werden dabei wohlwollend übersehen. Das jordanische Demokratiemodell, Anfang der 90er Jahre im Zuge weltweiter politischer Umbrüche noch mit großen Erwartungen auf einen echten Wechsel der Machtstrukturen gestartet, hat sich als unfähig zur Bewältigung der nationalen Konflikte gezeigt. Problematische und gesellschaftlich umstrittene Entscheidungen wie die Friedenspolitik oder das vom IWF angeleitete ökonomische Liberalisierungsprogramm mit all seinen negativen Konsequenzen für die unteren Bevölkerungsschichten werden vom Regime durchgesetzt, ohne daß dabei Widerspruch oder auch nur eine kontroverse Diskussion geduldet würde. Jordaniens Handlungsspielraum ist sowohl außen- wie auch innenpolitisch äußerst begrenzt. Der Primat der Außenpolitik bestimmt auch die Innenpolitik, wobei gleichzeitig die prekäre ökonomische Lage als wesentlicher Antriebsfaktor für staatliche Entscheidungen auf allen Ebenen fungiert. Dies gilt auch für die Friedenspolitik, denn die Krise der Rentierökonomie und die traditionelle Rivalität zwischen der PLO und Jordanien haben den Abschluß des Abkommens mit Israel wesentlich vorangetrieben. Um den Anschluß an die Finanzhilfen der internationalen Staatengemeinschaft nicht zu verpassen, mußte Jordanien nach der Declaration of Principles mit einer ähnlich gearteten Übereinkunft gleichziehen. Diese plötzliche Kehrtwende von einem Status der stillschweigenden Anerkennung des Nachbarn ohne offizielle Kontakte hin zu einem vollständigen Friedensvertrag mit einer darauf folgenden Politik der Normalisierung konnte nicht ohne innenpolitische Friktionen verlaufen. Eine tiefgehende gesellschaftliche Diskussion über die Friedenspolitik wurde vom Regime aber unterbunden und zu diesem Zweck die erst seit kurzem gewährten bürgerlichen Freiheitsrechte drastisch beschnitten. Die Art und Weise des nationalen Diskurses zum Friedensabkommen mit Israel wurde vom Regime einseitig und restriktiv festgelegt. Da Jordanien auf Grund der ökonomischen Implikationen 1994 gar keine Handlungsalternative hatte, wurde die staatliche Sichtweise wenn nötig gewaltsam durchgesetzt und die Artikulation abweichender Meinungen nur in sehr begrenztem Maße gestattet. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Versammlungs- und die Pressefreiheit enden dort, wo die Legitimität der jordanischen Friedens- und Normalisierungspolitik in Frage gestellt wird, weil dies vom Regime als Angriff auf den Staat als solchen gewertet wird. Die Friedenspolitik gegenüber Israel ist aber nicht Ursache, sondern lediglich Auslöser für die Revitalisierung der alten Methoden des autoritären Staates in Jordanien. Die tieferen Ursachen für den bislang fehlenden tiefgreifenden Wandel der autoritären Herrschaftsmuster müssen in der Intransigenz der jordanischen Führung gesucht werden, die einen echten Machtwechsel nicht zuläßt. Aus diesem Grund ist eine offene Auseinandersetzung um die Friedenspolitik ebensowenig möglich wie eine Bewältigung des Konflikts um die nationale Identität und die Rolle der Palästinenser im jordanischen Staat, die als Folge des Friedensprozesses seit 1994 umstrittener ist denn je. |