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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 3/1999

Vorläufige Fassung / Preliminary version

THOMAS MEYER
Der Dritte Weg am Scheideweg
(Original: The Third Way at the Crossroads)

Der Begriff „Dritter Weg", der seit 1992 von der Clinton-Administration neu geprägt und später von Tony Blair übernommen wurde, stellt den Versuch dar, eine aktuelle Synthese von Sozialdemokratie und Liberalismus zustande zu bringen. Dies ist angesichts (ökonomischer) Globalisierung und Krise des Sozialstaates ein berechtigtes Unterfangen, das sich auf eine lange Tradition des Revisionismus innerhalb der Sozialdemokratie berufen kann. In der Tat ist in einer komplexen und sich schnell verändernden Welt pragmatische Flexibilität bei der Wahl der Mittel nötig, mit denen die grundlegenden und als solche unveränderlichen sozialdemokratischen Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zur Geltung gebracht werden. Obwohl das Blairsche Konzept noch recht vage anmutet, hat es eine Revolution innerhalb der Labour Party ermöglicht: neben der Abkehr von traditionellen Sozialisierungsvorstellungen (Stichwort Godesberg) hat es auch dazu geführt, daß substantielle Positionen des Neoliberalismus in das Programm von „New Labour" übernommen wurden. Durch eine Transformation des Wohlfahrtsstaates und eine damit einhergehende kulturelle Revolution sollen alle Bürger zu selbstverantwortlichen „Unternehmern" gemacht und dazu gebracht werden, sich als solche zu betrachten. Sie sollen in die Lage versetzt werden, im Markt erfolgreich zu sein und sich seinen ständig ändernden Bedingungen anzupassen. Es stellt sich die Frage, wieweit der „Dritte Weg" richtungsweisend für andere sozialdemokratische Parteien sein soll. Dabei muß klar unterschieden werden zwischen dem Anpassungsbedarf bei sozialdemokratischen Politikrezepten und der Konstanz sozialdemokratischer Grundwerte. Keinesfalls darf die Anpassung soweit gehen, daß letztere aufgegeben werden. Es ist richtig, daß die sozialstaatlichen Absicherungsmechanismen dem Einzelnen mehr Eigenverantwortung im Markt zumuten müssen. Aber der Markt darf nicht das letzte Wort haben, wenn es darum geht, ob ein Bürger ein menschenwürdiges Leben führen kann oder nicht. Letzteres muß auch weiterhin als „Bürgerrecht" vom Sozialstaat garantiert werden. Ein recht verstandener Dritter Weg muß gewährleisten, daß Soziale Absicherung einspringt, wo der Markt versagt. Alles andere hieße, den sozialdemokratischen Grundwert der Gerechtigkeit aufgeben. Es würde sowohl dem Zusammenhalt der Gesellschaft als auch den politischen Chancen der Sozialdemokratie schaden. Profitieren würde hingegen die radikale Rechte.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition julia gudelius | Juni 1999