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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/1998

Zu diesem Heft / About this issue

Eine Welt ohne Krieg, ohne Unterdrückung und ohne massenhafte Not erscheint vielen als Utopie. Auf den privilegierten Flecken der Erde sind Friede, Bürgerrechte und Massenwohlstand (trotz neuer Armut) heute gleichwohl eine Realität. Ihr Schutz vor Gefahren alter und neuer Art bestimmt den sicherheitspolitischen Diskurs in den reichen Demokratien des atlantischen und des pazifischen Raums. Schon längst geht es dabei um weit mehr als die Bedrohung durch äußere Feinde. Militärisch stark zu sein - kraft eigener Rüstung und des Beistands von Verbündeten -, mag weiterhin wichtig erscheinen, solange mit Krieg als der ultima ratio internationaler Konfliktaustragung zu rechnen ist. Aber militärische Überlegenheit garantiert weder Unverwundbarkeit - von Frieden und Wohlstand Verwöhnte haben viel zu verlieren - noch Friedfertigkeit bei potentiellen Feinden, von nicht-militärischen Bedrohungen ganz zu schweigen. Selbst militärisch gedachte Sicherheitspolitik muß auf eine internationale Ordnung abzielen, in der Krieg aus dem Kalkül der Akteure verschwindet. Ernst-Otto Czempiel, einer der Altmeister der deutschen Friedensforschung, präsentiert in diesem Heft die Architektur einer derartigen Friedensordnung für Europa.

Eine Friedensordnung muß nicht konkrete Konflikte lösen, sondern strukturelle Kriegsursachen beseitigen. Dazu gehört das der anarchischen Staatenwelt inhärente Sicherheitsdilemma und dazu gehören markante Asymmetrien im internationalen Status der Länder. Wie konfliktträchtig diese Faktoren in der bestehenden "Weltordnung" sind, zeigt sich u.a. in der Verbreitung von Kernwaffen. Der Artikel des indischen Publizisten C. Raja Mohan legt dar, wie Indien - eine leidlich funktionierende Demokratie, nicht gerade ein "Schurkenstaat" - von Sicherheits- und Statusproblemen zur atomaren Aufrüstung veranlaßt wurde. Mohans Argumente finden ihr Echo im Plädoyer des ehemaligen CIA-Chefs Admiral Stansfield Turner für eine schrittweise Entnuklearisierung aller Waffenarsenale. Auch hierbei tritt die zentrale Bedeutung kooperationsfördernder, Unsicherheit vermindernder Strukturen zutage.

Unsere "Debatte" um die Universalität der Menschenrechte rückt ebenfalls die von Czempiel thematisierten Asymmetrien in den Vordergrund. Ob allen Menschen jene Rechte zustehen, die vor fünfzig Jahren von den Vereinten Nationen proklamiert wurden, darüber gibt es bei den zu Wort kommenden Vertretern unterschiedlichster Kulturen keinen Dissens. Aber bei der Frage, wie diesen Rechten Geltung zu verschaffen sei, treten zwei Bedingungen hervor: die Teilhabe aller Menschen am materiellen Wohlstand, den die Welt zu bieten hat, und die Teilhabe der Nationen und ihrer Staaten an dem, was Czempiel die "gesellschaftlichen Potentiale" der Modernität nennt. Wird die normative Kraft der UN-Deklaration ausreichen, Menschenrechte nicht nur (bei anderen) einzufordern, sondern ihrer fortgesetzten Mißachtung auch den materiellen Boden zu entziehen?

Der gute Wille und das aufgeklärte Denken in friedensträchtigen Strukturen haben einen schweren Stand in einer Welt, in der Rivalitäten, Aussicht auf Positionsgewinne und drohende Positionsverluste Realität definieren. Der Zwang zum Denken in den Nullsummenkategorien eines Schach- oder Pokerspiels scheint zumal dann übermächtig, wenn signifikante Verschiebungen in internationalen Machtkonstellationen anstehen. Wenn gar neue unverteilte Beuteobjekte sichtbar werden, wie das Kaspische Erdöl, müssen die Weltordnungs-Architekten das Feld wohl den geopolitischen Strategen überlassen. Das neue "Great Game", dessen Dimensionen und Parameter Rainer Freitag-Wirminghaus in seinem Beitrag vor uns ausbreitet, hat durchaus seine Faszination. Diese sollte aber nicht den Blick vor den Blutopfern verstellen, die derartige "games" fordern können. Eine "schmutzigere" Seite der geopolitischen Renaissance wird am Kongo bereits sichtbar.

Die Beiträge von Franz Waldenberger und Michael Ehrke zur japanischen Wirtschaftskrise mögen als Nachtrag zum Ostasien-Focus unserer 2/1998-Ausgabe gesehen werden. Es geht um die veränderten Bedingungen fortgesetzter Prosperität in einem der reichsten Länder der Welt. Auf dem Spiel steht in Japan allerdings mehr: die Fähigkeit des kapitalistischen Weltsystems, einen tragfähigen Rahmen zu bieten für jene globale Wirtschaftsentwicklung, ohne die dauerhafter Friede und dauerhafte Sicherheit - auch für die Starken und Reichen - schwer denkbar ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition bb&ola | November 1998