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Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 4/1998 |
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Peter Achten: Arno Tausch: Otto G. Mayer und Hans-Eckart Scharrer (Hg.): Vorläufige Fassung / Preliminary version Peter Achtens Buch ist der neoliberale Traum von der Osterweiterung. Der Abbau von Marktschranken ist wohlfahrtssteigernd, je umfassender, desto besser. Die weitgehende Ausdehnung des Europäischen Binnenmarkts hilft daher sowohl der EU als auch den mittel- und osteuropäischen Ländern. Die Probleme, die bei der entsprechenden Ausdehnung von Gemeinschaftspolitiken und -institutionen bestehen, löst man am besten durch radikalen Abbau dieser Störfaktoren, die ohnehin nur Wettbewerbsverzerrungen verursachen und das segensreiche Wirken der Marktkräfte stören. Leider gefährden EU-Auflagen für Mittel- und Osteuropa dort den "Standortvorteil fehlender Umweltauflagen" (S. 56, FN 183). Da will die EU doch tatsächlich Stromimporte nur aus sicheren Kernkraftwerken zulassen (S. 92): Also kein billiger Strom aus Tschernobyl. Das ist wirklich eine Schande und eine Hemmschuh für eine strahlende Zukunft Mittel- und Osteuropas. Ähnlich abzulehnen sind offenbar marktfeindliche und "pseudosoziale" Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort (S. 92). Zu Achtens Bedauern ist Europa noch weit von seinem Ideal einer "Minimalgesellschaft", die "lediglich für einen nach innen und außen möglichst beschränkungsfreien Wirtschaftsverkehr Sorge" (S. 194) trägt, entfernt. Im Rahmen seines marktwirtschaftlichen Paradigmas arbeitet Achten sein Programm konsequent und weitgehend widerspruchsfrei ab. Im Gegensatz zu vielen Arbeiten zur Osterweiterung, die die Probleme der Beitrittsländer vernachlässigen, widmet er sich gleichgewichtig den Hindernissen auf beiden Seiten. Theoretische Überlegungen werden mit empirischem Material illustriert, das allerdings inzwischen etwas überholt ist. Mit seinem klaren neoklassischen Ansatz zwingt Achten den Leser, sich mit relevanten Grundfragen der Osterweiterung wie Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung sowie die Struktur der EU auseinanderzusetzen. Auch wenn man - wie der Rezensent - seine Position nicht teilt, so mag man es doch schätzen, daß Achten die Fragen klar stellt und klar beantwortet. Eine eigene Antwort mag anders ausfallen, muß sich aber an der Kritik Achtens messen lassen. Arno Tauschs Buch ist in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenstück zur Arbeit von Achten. Schon in der Druckdarstellung ist das Buch eher ein Steinbruch unterschiedlicher Schrifttypen, Sprachen, Tabellen und Textstücke. Der Seiten- und Zeilenumbruch ist chaotisch, die Redaktion mangelhaft. Seine paradigmatische Grundposition ist der Weltsystemansatz, der seine Wurzeln in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie hat. Mit diesem Paradigma im Hinterkopf macht Tausch eine tour d' horizon durch diverse Aspekte der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der letzten Jahrzehnte mit Schwerpunkt Polen. Kaum eine zentrale These wird klar herausgearbeitet und dann empirisch oder argumentativ untermauert. Statt dessen fließt ein Assoziationsstrom, vielleicht auch eine Datenlawine aus Teildateien, Textbausteinen und reichlich Excel-Tabellen und -Grafiken, wobei der innere Begründungszusammenhang nur selten deutlich wird. In dieser Fülle ist auch das eine oder andere empirische Kleinod oder ein wichtiger Gedanke zu finden, aber er ist versteckt in einem Wust oft schwer nach zu vollziehender Überlegungen. Warum präsentiert Tausch eine Regressionsanalyse, die die polnischen Wahlergebnisse u.a. mit dem Industriemüll in Beziehung setzen will, das aber nicht kann ( S. 52 ff.)? Eine überarbeitete Version ohne diese Variable wäre sinnvoller gewesen. Solche und ähnliche Fragen drängen sich ständig auf. Manche (Vor-)Urteile (z.B. gegen die USA und ihre Wirtschaft und Gesellschaft, besonders unter Reagan) führen zu merkwürdigen Argumenten, wie z.B. daß die EU mit Ausgaben für Arbeitsmarktprogramme in Höhe von 3,2% des BIP besser sei als USA mit 0,9% (S. 188). Dies erscheint im Lichte der Arbeitsmarktdaten eher fragwürdig. Der Leser sollte wohl besser auf die zweite, überarbeitete Auflage warten. Der Sammelband des HWWA-Instituts für Wirtschaftsforschung in Hamburg präsentiert die Beiträge zu einer Konferenz Anfang Mai 1996, die sich dem gleichen Thema wie der Buchtitel widmete. Fünf Zentralaufsätzen sind insgesamt sechs Korreferate zugeordnet. Die fünf Themen reichen von grundsätzlichen integrationsökonomischen Überlegungen über die Politik der EU, die Anpassungsprobleme auf beiden Seiten und mögliche Alternativen zu einer EU-Osterweiterung. Tichy ist mit seinem integrationstheoretischen Beitrag ein ebenbürtiger Kritiker zu Achten. Er unterstreicht die Marktunvollkommenheiten im Lichte neuerer Theorien des internationalen Handels und historischer Differenzierungsprozesse in der EU. Danach rechnet Tichy nicht mit sicheren Wohlfahrtsgewinnen für die Beitrittsländer. Angesichts der in den übrigen Beiträgen deutlich werdenden kostspieligen Anpassungs- und Reformnotwendigkeiten gewinnt der letzte Beitrag von Hrbek zu möglichen Alternativen eine besondere Bedeutung. Leider verschließt sich der Autor mit dem Hinweis auf die politisch unumkehrbar gestellten Weichen einer genaueren Betrachtung anderer Optionen. Insgesamt beherrscht, wie auch im Korreferat des HWWA-Mitarbeiters Härtel spürbar wird, ein erweiterungsskeptischer Tenor den Sammelband, was wohl auch der fragende Untertitel andeuten will. In den zwei Jahren seit Mai 1996 haben sich die politischen Prozesse weiter in die andere Richtung entwickelt. Aber in den im Frühjahr 1998 begonnenen Beitrittsverhandlungen werden die in diesem Band angesprochenen Probleme sicher in der einen oder anderen Form wieder auftauchen. Die wachsende EU-Skepsis in den Kandidatenländern und die härtere Gangart in den Verhandlungen deuten auf eine Vielzahl potentieller Konflikte hin, deren tieferes Verständnis dieser Band erleichtert. Michael Dauderstädt |
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