|
||
Politik und Gesellschaft Online International Politics and Society 4/1998 |
||
Margret Johannsen / Claudia Schmid (Hg.): Vorläufige Fassung / Preliminary version Das Auf und Ab des nahöstlichen Friedensprozesses kann jeder politisch interessierte Zeitgenosse fast jeden Abend über den Bildschirm flimmern sehen. Wer sich im Labyrinth von Verhandlungen und Bomben, Verträgen und Militärgewalt, Verständigung und Haß besser zurechtfinden will, kann jetzt einen von Margret Johannsen (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg) und Claudia Schmid (Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Brandenburg) herausgegebenen Sammelband zur Hand nehmen. Der erste große Teil widmet sich dem Friedensprozeß. In einem ausführlichen Einführungsbeitrag beleuchtet Claudia Schmid dessen Dimensionen und Stationen aus verhandlungstheoretischer Sicht. Sie begreift den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern als einen Konflikt sui generis, der sich aus dem Doppelcharakter von Territorial- und Herrschaftskonflikt einerseits und Interessen- und Wertekonflikt andererseits ergibt. Was hat nun seit den 90er Jahren seine Konfliktlösungsreife deutlich steigen lassen? Neben Positionswechselns in der innenpolitischen Arena der PLO und Israels hat vor allem das Ende des Ost-West-Konflikts die Verhandlungsbereitschaft beider Seiten beflügelt und den USA die Rolle eines starken Vermittlers zugewiesen. Der in Angriff genommene Friedensprozeß hat zwar inzwischen die Hürden Anerkennung, Gewaltverzicht und Verträge genommen, doch dafür, daß er auch die ungelöste Nationalitätenfrage zu regeln vermag, gibt es für Schmid wenig Hoffnung. Ein normativ aufgeladenes Kontrastprogramm bietet Ludwig Watzal in seinem Beitrag über die Lage der Menschenrechte. Er läßt kein gutes Haar am israelisch-palästinensischen Friedensprozeß. Die Vereinbarungen zwischen Israel und der PLO geißelt er als "Meilensteine in die Ghettoisierung" (S. 45). Die unterzeichneten Dokumente sind aus der Sicht Watzals keineswegs Ausdruck von politischer Emanzipation der Palästinenser, sondern geradezu Symbol ihrer dauerhaften Unterwerfung unter das israelische Besatzungsregime. Und neben den Menschenrechtsverletzungen durch die Israelis hätten sich die Palästinenser nun auch noch die Repression durch die eigene Autonomiebehörde eingehandelt. Watzal befürchtet daher, "daß in diesem Friedensprozeß die Menschenrechte auf der Strecke bleiben." (S. 63) Martin Hoch befaßt sich mit der Rolle der USA, Rußlands und der EU im arabisch-israelischen Friedensprozeß. Er hebt die entscheidende Rolle hervor, die das Ende des Ost-West-Konflikts und der Zweite Golfkrieg für die Wiederbelebung des Friedensprozesses gespielt haben. Beide Faktoren öffneten schließlich die Tür zum Erfolg der Vermittlungsbemühungen der USA, die nun im Nahen Osten eine "singuläre Einflußposition" einnehmen. Zur Umsetzung der Friedensabkommen war und ist indes auch das ökonomische Engagement der EU von Bedeutung, da es die materiellen Grundlagen von Entwicklung und Zusammenarbeit in der Region stärkt. Sechs Beiträge nehmen im zweiten Teil den nahöstlichen Friedensprozeß mit einem Länderfokus unter die Lupe. Sabine Hofmann weist nach, daß die Friedensdividende für Israel weit höher ausfällt als für die arabische Seite. Die Verhandlungen zahlen sich für Israel auf mehrfache Weise auch ökonomisch aus: Der arabische Boykott hat sich aufgeweicht, die Investitionen ausländischer Firmen in Israel sind gestiegen und Israel selbst konnte aufgrund der weltweit gestiegenen politischen Legitimation seine internationalen Wirtschaftsbeziehungen ausbauen und neue Märkte vor allem in Südostasien erobern. Avishai Ehrlich konzentriert sich in seinem Beitrag auf die Friedensfähigkeit der tief gespaltenen israelischen Gesellschaft. Vor allem der Machtzuwachs der kleinen religiösen Parteien nach der Wahl vom Mai 1996 legt Fortschritten im israelisch-palästinensischen Verhandlungsprozeß immer wieder große Hindernisse in den Weg. Die Blockade könnte aus Sicht von Ehrlich durch eine zur Not von außen erzwungene Große Koalition von Likud und Arbeitspartei überwunden werden. Dina Craissati untersucht neue soziale Bewegungen in Palästina und ihre Rolle für die Demokratisierung des sich herausbildenden palästinensischen Gemeinwesens. Sie illustriert ihre Überlegungen am Beispiel des Gesundheitssektors. Ferhad Ibrahim beleuchtet die Entwicklung der Beziehungen zwischen Israel und Jordanien nach dem Friedensvertrag von 1994. Seiner Meinung nach sind weitere Normalisierungsschritte vor allem dadurch belastet, daß die in Jordanien an den Friedensschluß geknüpften Hoffnungen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung bislang enttäuscht worden sind. Eine Beschreibung der Position Syriens im Nahost-Konflikt (Bernd Wilken) und eine leider sehr knapp geratene Darstellung der Rolle und Perspektiven des Libanon in der Region (Kirsten E. Schulze) schließen den Länderteil ab. Der dritte Teil des Bandes nimmt sich schließlich regionale Problemfelder vor. Der ausführliche Beitrag von Margret Johannsen befaßt sich mit der Rüstungsdynamik im Nahen und Mittleren Osten, der bei den meßbaren militärischen Indikatoren weltweit eine Spitzenstellung einnimmt. Die Autorin referiert auch den Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung, wobei sich das israelische Nuklearwaffenmonopol in der Region bislang als maßgeblicher Stolperstein für substantielle Verhandlungsfortschritte erwies. Erhard Franz thematisiert die Perspektiven eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zwischen Israel, Jordanien und den palästinensischen Gebieten. Den Teufelskreis von politischer und wirtschaftlicher Instabilität zu durchbrechen, dürfte nach Franz noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Wirtschaftliche Verflechtungen können die politische Annäherung absichern helfen. Umgekehrt muß aber ein Mindestmaß an politischer Normalisierung vorhanden sein, um ökonomische Projekte überhaupt in Gang zu bringen. Das Wasserregime im Jordan-Becken ist Gegenstand des Beitrages von Ulrich Ratsch. Keine eindeutige Antwort gibt der Autor auf die Frage, ob die Konkurrenz um knappes Wasser alte Feindschaften neu anheizt oder sogar eher einen Sachzwang zur Zusammenarbeit begründet, weil keine Seite gewinnen kann, wenn sie bei der Nutzung des Wassers nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht ist. Der Aufsatz von Norbert Mattes skizziert die Entwicklung Jerusalems vom Objekt kolonialer Interessenpolitik zur Hauptstadt Israels, in der auf expansionistische Weise demographische und geographische Fakten geschaffen werden, die Israels Souveränität über die Stadt zementieren. Welchen Status Jerusalem in Zukunft bekommen soll, gehört zweifelsohne zu den symbolträchtigsten und am schwersten zu lösenden Streitpunkten im nahöstlichen Friedensprozeß. Ein Kompromiß ist nicht in Sicht, zumal in Israel ein breites parteipolitisches Spektrum bis hin zur Arbeitspartei an Jerusalem als unteilbarer Hauptstadt des jüdischen Staates festhält. Reinhard Schlagintweit setzt sich am Beispiel der Modernisierungskonflikte im Nahen Osten mit der These von Samuel Huntington auseinander, derzufolge das weltpolitische Geschehen nach dem Ende des Ost-West-Konflikts durch einen Zusammenprall der westlichen Kultur mit der islamischen und konfuzianischen Kultur bestimmt werde. Schlagintweit weist Huntingtons These vom "Kampf der Kulturen" als zu undifferenziert zurück, um die politischen und sozialen Konfliktlagen im Nahen Osten entschlüsseln zu können. Der Autor meint, es gebe auch mit dem Islamismus Wege in die Moderne. Die antiwestliche Abgrenzung vieler Fundamentalisten sei zudem innenpolitische Rhetorik und nicht außenpolitisches Programm. Der Sammelband enthält durchweg informative, empirisch fundierte und analytisch gehaltvolle Beiträge, die die ganze Vielfalt der Aspekte des nahöstlichen Friedensprozesses beleuchten. Wer seine aus plumper Schwarz-Weiß-Malerei in manchen Medien gewonnenen Vorurteile über die Politik im Nahen Osten durch Wissen über Fakten und komplexe Zusammenhänge ersetzen will, der sollte einen Blick in dieses wissenschaftlich solide Buch werfen. Aber auch Spezialisten und Kenner der Region werden wertvolle Anregungen für die eigene Arbeit erhalten und sich an der einen oder anderen provozierenden These reiben können. Martin Mendler |
||
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition bb&ola | November 1998 |