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Nicht nur in der Fleischindustrie gibt es ausbeuterische Arbeitsbedingungen.
Bild: Woman cleaning a glass window von Gantas Vaičiulėnas lizenziert unter CC0
Die Corona-Pandemie bringt beinahe täglich unbequeme Tatbestände ans Licht, die so gar nicht zum Selbstbild Deutschlands als dem ungekrönten Champion bei der Bewältigung dieser beispiellosen Krise passen wollen.
Geahnt haben es zwar viele, was osteuropäischen Werkvertragsnehmer_innen in deutschen Schlachthöfen seit Jahren zugemutet wird, aber so genau wollte man das offenbar gar nicht wissen. Wer sich ehrlich darüber aufgeregt und Änderungen angemahnt hat, wurde schnell in die „Gutmensch-Ecke“ gestellt oder behandelt wie jemand, der nichts von Wirtschaft versteht. Jetzt aber lassen sich diese unsäglichen Arbeitsbedingungen, Niedriglöhne oder katastrophalen Wohnverhältnisse einfach nicht länger hinter dem Vorhang der vermeintlichen Alternativlosigkeit globalisierter Märkte verstecken. Vor allem: Wenn sich an diesen katastrophalen Umständen nicht grundlegend etwas ändert, werden wir den Corona-Virus einfach nicht los.
Das gefährdet Wirtschaft und Wohlstand kurz- und langfristig eben auch in Deutschland. Reden wir nicht drum herum: Was uns der Neoliberalismus mit seinem Credo vom schlanken Staat beschert hat, ist moderne Vertragssklaverei mitten in Deutschland. Es bleibt zu hoffen, dass sich Arbeitsminister Heil durchsetzen kann und Werksvertragskonstruktionen dieser Coleur ein für allemal ein Ende gesetzt wird. Hier hat ein System organisierter Verantwortungslosigkeit um sich gegriffen, das weder Tierwohl noch Menschenwürde schützt. Das kann doch mit dem Arbeitnehmerfreizügigkeitsgesetz nicht ernsthaft gemeint gewesen sein! Gleichwohl ist es eine bittere Wahrheit, dass dieses brutale System genau auf die ökonomischen Asymmetrien zwischen den Mitgliedsländern gesetzt hat. Wer wundert sich da eigentlich noch über rückläufige Zustimmungswerte zu einem vereinten Europa?
Doch es gibt noch weitere Vorhänge, hinter die Aufsichts- und Gesundheitsbehörden dringend blicken müssten. Das gilt für die seit Jahren weit verbreitete Schwarzarbeit in Privathaushalten; insbesondere für die 24-Stunden-Indoor-Pflege, die von den sogenannten „Live-Ins“ übernommen wird. Es handelt sich um die ca. 500.000 transnationalen Migrantinnen, oft aus Osteuropa, die pflegebedürftige Menschen in Deutschland im Dauereinsatz betreuen. Seit der EU-Osterweiterung werden Arbeitskräfte aus dieser Region auch im Caresektor zu Löhnen eingestellt, die weit unter dem bei uns gesetzlich festgelegten Mindestlohn liegen. Auch Höchstarbeits- und Mindestruhezeiten gelten für diese Beschäftigten nicht. Im Sinne dieser transnationalen Sorgearbeiter_innen regulierend einzugreifen, wurde von der Politik oft unter Hinweis darauf abgetan, dass der Privathaushalt schlecht geregelt werden könne, und vorzugsweise den Agenturen überantwortet, die solche Hausangestellten in Osteuropa oder anderswo anwerben. Ein Vorwand - mehr nicht, denn inzwischen ist bekanntlich auch häusliche Gewalt ein Straftatbestand.
Gerade in der Corona-Krise hat die Billigung prekärer Arbeitsverhältnisse zu gravierenden Folgen geführt, und zwar sowohl für die Haushaltsarbeiterinnen aus Osteuropa und aus anderen Ländern als auch für die Pflegebedürftigen in Privathaushalten und ihre Angehörigen. Während die Migrantinnen plötzlich ohne Einkommen waren und keine sozialen Hilfen in Anspruch nehmen konnten, waren die Pflegebedürftigen häufig auf sich allein gestellt. Und auch ihre Töchter und Söhne mussten erkennen, wie brüchig diese Art „Sorge-Arrangements“ plötzlich waren.
Leider gibt es aber auch in der jetztigen Corona-Pandemie keine vergleichbare Debatte über die unsäglichen Arbeitsbedingungen, denen transnationale Sorgearbeiterinnen in Deutschland ausgesetzt sind. Im Gegenteil: solche häuslichen Sorge-Arrangement werden bis heute im Internet von grenzüberschreitend agierenden Agenturen oder auch über private Netzwerke als preisgünstige Lösung für die Versorgungslücke in der Altenpflege angepriesen und als Baustein der in der EU vorangetriebenen Deregulierung des Gesundheitssektors gebilligt.
Es ist also an der Zeit, dass nicht nur Ereignisse bei Tönnies und Wiesenhof als Fukushima-Moment in der Fleischindustrie skandaliert und verändert werden, sondern dass im Sinne der ILO Konvention „Menschenwürdigem Arbeit für Hausangestellte“ (2011) auch die große Zahl der in Deutschland tätigen transnationalen Sorgearbeiter_innen endlich besser vor Ausbeutung geschützt, legal und zu fairen Bedingungen angestellt werden. Das wäre im übrigen ein wichtiger Beitrag zur Aufwertung und Neubewertung von Sorgeberufen, die bereits 2017 von der Sachverständigenkommission des Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung angemahnt wurde.
Deutschland braucht endlich zukunftsfähige Lösungen für das expandierende Beschäftigungssegment der sach- und personenbezogenen Dienstleistungen. Der DGB hat dazu gerade eine beeindruckende Zahl des Monats veröffentlicht: In den kommenden Jahren könnten im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungsberufe 1,5 Millionen reguläre und krisenfeste Vollzeitarbeitsplätze entstehen. Das gilt keineswegs nur für Migrant_innen, sondern könnte durchaus auch für einen Teil der jetzt von Arbeitslosigkeit betroffenen Karstadt-Mitarbeiter_innen eine Perspektive bieten. Der Bedarf an alltagsunterstützenden Dienstleistungen von der Wiege bis zur Bahre ist jedenfalls groß und wird weiter zunehmen. Deshalb ist es zielführend, in diesem Berufssegment gute und abwechslungsreiche Arbeitsplätze zu schaffen und zwar durchaus auch für Männer mit sozialer Kompetenz und technischem Sachverstand.
Autorin:
Univ.-Prof.`in em. Dr. sc. oec. Uta Meier-Gräwe leitet den Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen (1994-2018) sowie des Kompetenzzentrums „Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen“ (2013-2018). Sie ist zudem Mitglied der Sachverständigenkommission zur Erstellung des Ersten und Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung (2011-2017).
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