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Die Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Oktober 1949 war auch durch die dramatischen Erfahrungen im Nationalsozialismus beeinflusst. Der Entschluss, die Gewerkschaftsbewegung einheitsgewerkschaftlich, ohne die vor 1933 bestehende weltanschauliche Aufspaltung neu aufzubauen, war eine Konsequenz aus der Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften am 2. Mai 1933. Wie sich diese Entstehungsgeschichte in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen eines Archivs abbildet, soll im Folgenden beschrieben werden.
„Sechzehn Gewerkschaften, vertreten durch 487 stimmberechtigte Delegierte, berieten die Gründung eines deutschen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik. Sämtliche Delegierten versammelten sich am Morgen des ersten Verhandlungstages in Anwesenheit von über 200 Gastdelegierten und zahlreichen bedeutenden Gästen des In- und Auslandes zur Eröffnung des Kongresses, die vom Vorsitzenden des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen, Dr. h. c. Hans Böckler, vorgenommen wurde. […]
Hauptsächlich zwei Probleme füllten die Beratungen des Kongresses aus:
der organisatorische Neuaufbau, der mit der Gründung eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vorläufig abgeschlossen wurde, unddie Festlegung der Gewerkschaftspolitik in einer Reihe von Richtlinien für die in nächster Zeit zu erwartenden Auseinandersetzungen auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet.“
So beschrieb man im Vorwort des Protokolls die Eröffnung und Zielsetzungen des Gründungskongresses des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), der vom 12. bis 14. Oktober 1949 in München stattfand.
Hans Böckler, der als Vorsitzender des Gewerkschaftsrates der vereinten Zonen den Kongressvorsitz zunächst übernommen hatte, erklärte in seiner Eröffnungsansprache zum Geist der Versammlung:
„Vom Kleinen zum Großen und von der Vielfalt zur Einheit! Damit folgten die Gewerkschaften dem Gebote der Zeit. […] Heute stehen die arbeitenden Menschen ohne Rücksicht auf parteipolitische und weltanschauliche Unterschiede in echter Verbundenheit zusammen. Wir haben den ehrlichen Willen, die Gewerkschaften so zu gestalten, daß sie allen Arbeitnehmern künftig eine echte Heimat sind. Denn wir alle wissen oder empfinden es wenigstens, daß die Einheit und Einigkeit der arbeitenden Menschen der Kraftquell ist, aus dem zu schöpfen den Entrechteten und Enterbten immer möglich sein wird, wenn es gilt, ihr Los zu bessern durch den Kampf um einen größeren Anteil an den materiellen wie auch den geistigen und kulturellen Gütern des Lebens.“
Das Gründungsereignis vor 75 Jahren bietet somit eine gute Gelegenheit, um darzustellen, welche „Spuren“ sich in Archiv und Bibliothek, speziell im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) und in der Bibliothek der FES finden lassen. Zentraler Ort der Überlieferung ist hier das DGB-Archiv, das seit Februar 1995 als Sonderarchiv seine archivische „Heimat“ im AdsD gefunden hat; die DGB-Bibliothek befindet sich als geschlossener Korpus in der Bibliothek der FES.
Die zentrale Überlieferung des DGB-Gründungskongresses in München vom 12. bis 14.10.1949 erfolgt durch das Protokoll, das in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) in fast fünfzig deutschen Bibliotheken nachgewiesen ist. Durch das Wortprotokoll lassen sich Positionen und Diskussionen der Teilnehmenden für diese drei Tage nachhalten. Weitere Informationen wie beispielsweise die Tages- und Geschäftsordnung, Listen der anwesenden Delegierten, Gastdelegierten und Gäste des Kongresses oder auch der Delegiertenschlüssel der Einzelgewerkschaften sind Bestandteile des Protokolls. Die abgedruckten Auflösungsbeschlüsse der zuvor in den drei westlichen Besatzungszonen bestehenden gewerkschaftlichen Dachverbände wiesen die Grundlage der Neugründung nach. Neben den formalen Ergebnissen des Kongresses (DGB-Satzung, Muster-Statut für Einzelgewerkschaften) wurden auch die Grundsätze zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, zur Führung von Arbeitskämpfen, die Richtlinien zur Angestellten- und Beamtenarbeit, wie auch die Forderungen zur Jugend- und Frauenarbeit des DGB beschlossen. Ein Abschnitt mit den Anträgen zum Kongress schloss sich an. Den Schluss des Protokolls bildeten der Überblick über die Mitglieder des Bundesvorstands, die Adressen der Gewerkschaftsorganisationen, das Inhaltsverzeichnis zum Kongressverlauf und eine Redner_innen-Liste. In dieser Weise ist ein umfassendes Bild der Kongressarbeit nachzuhalten.
Die Nutzbarkeit des Protokolls wurde erhöht, indem erstmals ein Digitalisat dieser zentralen Quelle erstellt und über den Katalog der Bibliothek im AdsD zugänglich gemacht wurde. So können Forschende auf ein durchsuchbares Digitalisat zurückgreifen und sich so das Protokoll über das Inhaltsverzeichnis oder Sprechregister hinaus erschließen.
Neben dem gedruckten Protokoll finden sich im Schriftgut des AdsD zahlreiche Bezüge auf den Kongress in München. So birgt der Bestand „DGB-Bundesvorstand, Abt. Organisation“ (5/DGAL…) im DGB-Archiv Material zur Arbeit des „Vorbereitenden Ausschusses des Gründungskongresses“ seit Anfang 1949. Für die Vorbereitung des Kongresses lassen sich auch in den Beständen „Deutscher Gewerkschaftsbund (Britische Besatzungszone)“ (5/DGAC…) und „Gewerkschaftsrat der vereinten Zonen“ (5/DGAB…) Nachweise ermitteln.
Hinzu kommen Bestände verschiedener DGB-Landesbezirke. Sie enthalten die Akten der in den Ländern der amerikanischen und französischen Zone vor 1949 bestehenden gewerkschaftlichen Dachverbände, die im Zuge der Schaffung des bundesweiten DGB aufgelöst wurden. Ergänzt wird diese Überlieferung durch Personenbestände des DGB-Archivs wie den Nachlass von Hans Böckler (1/HBAH…).
Weiterhin finden sich in den Beständen von Einzelgewerkschaften im AdsD ebenfalls Bezüge zum DGB-Gründungskongress, etwa im Bestand der „Gewerkschaft Bau, Steine, Erden“ (5/BAUA…) oder der „Industriegewerkschaft Metall“ (5/IGMA…).
Das Material umfasst beispielsweise Tagesordnungen, Protokolle und Vorlagen zur Arbeit des „Vorbereitenden Ausschusses des Gründungskongresses“, aber auch Gruß- und Dankesschreiben an und von Hans Böckler. Eigene Recherchen in der Archiv-Datenbank sind zurzeit nur im Lesesaal des AdsD möglich.
Den Übergang vom Schrift- zum Sammlungsgut bildet die DGB-Gründungsurkunde, die vom Vorsitzenden, sowie den Mitgliedern und Sekretären des Gewerkschaftsrats und den Vorsitzenden der sechzehn Gewerkschaften unterzeichnet wurde. Die Urkunde, die dem Schriftgut im DGB-Archiv zugeordnet wurde, ist in einer Vitrine im DGB-Archiv ausgelegt.
Der Sammlungsbereich des AdsD birgt darüber hinaus zahlreiche weitere Archivalien zum Neuanfang der deutschen Gewerkschaftsbewegung. Im Zentrum steht hier das Foto als Medium. Interessierte können über eine Datenbank nach Fotos, Plakaten oder Flugschriften zu ihrem Forschungsgegenstand recherchieren. Schaut man beispielsweise nach Fotos über die Suchmaske mit Feldauswahl nach Treffern zu „gründungskongress*“ oder „dgb*“ (in Anlass) für das Jahr „1949“ (in Datum) so werden 6 bzw. 15 Treffer angezeigt. Hier zeigt sich, dass es sinnvoll ist, Recherchen durchaus auf unterschiedlichen Wegen anzugehen.
Im Sammlungsbereich kann man weiterhin auf außergewöhnliche 3D-Objekte mit Bezug zum Kongress stoßen. Den Delegierten wurde, nachdem in den Tagen zuvor das erste Oktoberfest nach dem Krieg in München zu Ende gegangen war, seitens des Bayrischen Gewerkschaftsbundes ein Bierkrug zum Gedenken an die Gründung des DGB überreicht. Dem AdsD wurde ein solcher Krug durch die Tochter eines Delegierten übergeben.
Eine andere 3D-Archivalie ist beispielsweise die Totenmaske von Hans Böckler, der anderthalb Jahre nach dem Münchner Kongress verstarb, jedoch die prägende Persönlichkeit des ersten DGB-Bundeskongresses war.
Auch in der Bibliothek der FES findet sich einiges Material zur Vorgeschichte und Verlauf des Kongresses. Neben dem bereits zu Anfang genanntem Protokoll des Gründungskongresses, das als Veröffentlichung einer Organisation, die nicht über den Buchhandel vertrieben wurde, zur Publikationsart „Graue Literatur“ zählt, fanden auch die Gewerkschaftszeitungen vor Oktober 1949 Einzug in den Bestand.
Hier wurde über die Vorarbeiten und den Kongress selbst berichtet. Mit Gründung des DGB fusionierten diese Blätter zur Zeitung „Welt der Arbeit“, deren Bände sich ebenfalls in der Bibliothek der FES befinden.
Hubert Woltering
Protokoll Gründungskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes. München, 12.-14. Oktober 1949. Köln 1950, digitalisiert hier abrufbar.
Vorgänger-Gewerkschaftszeitungen der „Welt der Arbeit“ (mit Jahrgang 1949 in der Bibliothek im AdsD der FES)
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