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Warum Massenunterkünfte Konflikte verschärfen und Integration erschweren. Ein Interview mit Professor Hannes Schammann.
Bild: Hannes Schammann von Isa Lange
Hannes Schammann ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim. Zusammen mit anderen Wissenschaftler_innen untersuchte er die Auswirkungen von zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren (kurz AnkER-Zentren).
Die FES sprach mit Professor Schammann über die Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Kurzstudie für den Mediendienst Integration.
FES: Der Begriff „Anker“-Zentrum weckt bei vielen Menschen positive Assoziationen mit „Sicherheit“ und „Stabilität“. Was verbirgt sich tatsächlich hinter dieser Idee des Innenministeriums?
Schammann: Ob der Begriff ausschließlich positive Erwartungen erzeugt, wage ich zu bezweifeln. Schließlich hindert ein Anker ein Schiff ja eher daran, endlich vom Hafen abzulegen und so richtig in Fahrt zu kommen. Das ist eigentlich genau das Gegenteil von dem, was sich das Innenministerium erhofft: Ankerzentren sollen nämlich vor allem schnellere und effiziente Asylverfahren sowie eine schnellere Rückführung von abgelehnten Antragsteller_innen gewährleisten. Sie sollen den frühzeitigen Zugang von Geflüchteten zur deutschen Gesellschaft verhindern, um keine Basis für Bleiberegelungen zuzulassen. Und nicht zuletzt sollen AnkER-Zentren Signalwirkung haben: Potenziellen Migrant_innen sollen sie zeigen, dass das Asylverfahren in Deutschland unangenehm ist. Der deutschen Bevölkerung sollen sie signalisieren, dass die vermeintlichen Gefahren, die von Migration ausgehen, einer Art Quarantäne unterzogen werden.
Schaut man genauer hin, ist noch ziemlich unklar, wie das alles erreicht werden soll. Ganz grob kann man bislang nur sagen: Künftig sollen alle Asylsuchende - grundsätzlich für die Dauer des Asylverfahrens, aber maximal für 18 Monate – in lagerartigen Einrichtungen leben. Hier sollen unter einem Dach Asylverfahren, Sozialleistungsgewährung und ggf. auch Bildungsangebote (wie Beschulung für schulpflichtige Kinder) angeboten werden. Das Asylverfahren inklusiver aller Rechtswege soll binnen weniger Tage oder Wochen abgeschlossen werden. Vorbild der AnkER-Zentren sind Einrichtungen für Geflüchtete mit schlechter Bleibeperspektive in Bayern, aber auch die Asylverfahren in der Schweiz und den Niederlanden. Im Gegensatz zur Schweiz jedoch plant die deutsche Bundesregierung bislang keine vollumfängliche Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen oder gar eine kostenlose Rechtsberatung der Asylsuchenden, um den Rechtsweg effizient zu gestalten.
FES: Führen zentrale Flüchtlingslager wie die AnkER-Zentren zu schnelleren Asylverfahren?
Schammann: Die Kausalität von AnkER-Zentren und schnelleren Asylverfahren ist nicht gegeben. Allein die Tatsache, dass Asylsuchende künftig für die Dauer ihres Verfahrens in einem Lager leben sollen, bedeutet noch nicht, dass das Verfahren effizienter wird. Dies würde nur geschehen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erheblich mehr Personal einsetzen sowie die Einbindung von Anwälten und Beratungsmöglichkeiten sicherstellen würde. Beides ist bislang nicht in ausreichendem Umfang geplant. Es steht daher zu befürchten, dass die Bearbeitungsdauer vor allem in Zeiten mit hohem Antragsaufkommen weiter hoch bleibt.
Die möglicherweise weiterhin geringe Geschwindigkeit der Verfahren ist aber nur ein Kritikpunkt an den AnkER-Zentren. Es ist nahezu unbestritten, dass soziale Konflikte in lagerartigen Unterbringungen zunehmen. Die Gewerkschaft der Polizei hat daher in einer bemerkenswerten Stellungnahme massive „Präventionsbedenken“ gegen die AnkER-Zentren geäußert. Ebenfalls weitgehend unstrittig ist, dass eine Lagerunterbringung Integrationsprozesse verlangsamt und ggf. auch langfristig deutlich erschwert. AnkER-Zentren haben aber auch noch eine weitere Folge für gesellschaftlichen Zusammenhalt, die seltener diskutiert wird. Indem Schutzsuchende in großen Lagern zusammengefasst werden, werden sie in der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Individualität beraubt. Sie erscheinen nicht als die „Flüchtlingsfamilie aus dem Nachbarhaus“, sondern als anonyme, gesichtslose Gruppe. Diese Entpersonalisierung wiederum ist die Grundlage für das Entstehen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und gibt rechtspopulistischen Bewegungen Auftrieb.
FES: Die AnkER-Zentren sind umstritten. Welche Alternativen zu den zentralen Flüchtlingslagern gibt es aus Ihrer Sicht?
Schammann: Eine zugegebenermaßen radikale Alternative wäre es, die operative Durchführung des Asylverfahrens an die Bundesländer und Kommunen zu übergeben. Damit würden dezentrale Strukturen gestärkt, der Flaschenhals beim Bund würde beseitigt. Um dennoch gleichwertige Lebensbedingungen für Geflüchtete im Bundesgebiet zu garantieren, könnte der Bund die Entwicklung und Überprüfung bundesweiter Standards vorantreiben. Unabhängig davon sollte Unterbringung konsequent dezentralisiert werden. Und Integrationsangebote müssen nach spätestens drei Monaten für alle Geflüchteten geöffnet werden. Länger sollten Asylverfahren ohnehin nicht dauern.
FES: Der Trend zu großen zentrale Flüchtlingslagern sieht man auch auf europäischer Ebene. 2015 wurden die ersten sogenannten Hotspots (deutsch: „Brennpunkte“) in Italien und Griechenland eröffnet. Nun diskutiert man über „kontrollierte Zentren“, die europaweit eingerichtet werden sollen. Welche Parallelen sehen sie hier zu den AnkER-Zentren?
Schammann: Die auffälligste Parallele ist sicherlich die Unterbringung auf engstem Raum mit den bereits angesprochenen Problemen. Aber auch die Unsicherheit, der die Bewohner_innen ausgesetzt sind, ist ähnlich. Schließlich wissen sie in keinem der beiden Fälle, wie ihre Zukunft aussieht. Die Zentren auf EU-Territorium sind aber nur ein Teil der aktuellen Entwicklung. Noch brisanter sind sicherlich die Überlegungen sogenannte Ausschiffungsplattformen, also Ausreisezentren in Drittländern einzurichten, in denen Asylverfahren durchgeführt werden könnten. Hier stehen noch viel mehr Fragezeichen als bei den Ankerzentren: Mit welchen Ländern kooperiert man hier? Wer führt die Verfahren durch? Wie ist der Zugang zu solchen Lagern geregelt? Gibt es Zäune wie in den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla? Wer garantiert menschenrechtliche Standards in und vor allem rund um diese Lager? Einige Politiker_innen blicken zur Beantwortung solcher Fragen sehnsuchtsvoll nach Australien, wo man die Exterritorialisierung von Asylverfahren schon länger praktiziert. Die Vereinten Nationen und einige Menschenrechtsorganisationen kritisieren das scharf. Aber auch ganz undogmatisch betrachtet scheint der Blick nach „down under“ zumindest gewagt. Schließlich ist Australien geografisch nahezu isoliert, die irreguläre Migration ist nicht annähernd so intensiv wie in Europa. Wir brauchen daher keine Australisierung europäischer Flüchtlingspolitik, sondern eine eigene Antwort. Wie die aussehen kann? Darüber müssen wir pragmatisch und lösungsorientiert streiten. AnkER-Zentren helfen uns dabei nicht.
Zur Studie:
„Welche Auswirkungen haben „Anker-Zentren“? Eine Kurzstudie für den Mediendienst Integration von Prof. Dr. Sabine Hess, Prof. Andreas Pott, Prof. Dr. Hannes Schammann, Prof. Dr. Albert Scherr und Prof. Dr. Werner Schiffauer.
Eine Einschätzung von Johannes Moll, Mitarbeiter des Diakonischen Werkes Heidelberg im Ankunftszentrum.
Dr. Andrä GärberKontakt
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030 26935-8326Tim.Seuffert(at)fes.de
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