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Peaceptions: Was ist Frieden?

Frieden ist mehr als die Beendigung von Krieg. Doch was braucht es neben der Reduzierung von Gewalt für gerechten und nachhaltigen Frieden? Das Projekt Peaceptions vom GIGA und der Friedrich-Ebert-Stiftung widmet sich dieser Frage.

Das Projekt PEACEptions

 

Das gemeinsame Projekt PEACEptions  des German Institute for Global and Area Studies (GIGA) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) erforscht verschiedene Konzepte von Frieden, von der Abwesenheit von Krieg bis hin zu grundlegenden gesellschaftspolitischen Transformationen. Es analysiert globale Konflikte und arbeitet ihre Unterschiede heraus, um letztendlich konkrete Vorschläge zur Friedensförderung formulieren zu können. Die dafür ausgewählten Länder (Kamerun, Kolumbien, die Philippinen, der Südsudan, Tunesien und Venezuela) weisen unterschiedliche Konfliktthemen und Auswirkungen von Gewalt auf – von offenen Kriegen bis hin zu staatlicher Unterdrückung.

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Die Frage „Was ist Frieden?“ wird vor dem Hintergrund der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten kontrovers diskutiert. Während minimalistische Auffassungen Frieden mit Nicht-Krieg gleichsetzen, verweisen Adjektive wie gerecht, nachhaltig, liberal auf bestimmte Qualitäten. Das Projekt PEACEptions – durchgeführt vom German Institute for Global and Area Studies in Hamburg und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin – geht noch einen Schritt weiter und begreift Frieden als Prozess und nicht als Zustand. Dabei stehen drei gesellschaftliche Grundfunktionen im Mittelpunkt: die Reduzierung aller Formen von Gewalt, Möglichkeiten der Partizipation in Politik und Gesellschaft sowie die Existenz formaler und informeller Institutionen der Konflikttransformation.

 

Sechs Fallstudien aus vier Weltregionen

 

Gemeinsam mit ausgewählten Auslandsbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung und einigen ihrer Partnerorganisationen haben wir in sechs Ländern (Kolumbien, Venezuela, Kamerun, Philippinen, Tunesien, Südsudan) mit unterschiedlichen Formen, so z.B. organisierte Kriminalität oder ethnische Gewalt, und Intensitäten von Gewalt, unterschiedliche Konflikte auf nationaler und subnationaler Ebene, z.B. zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen eines Landes, identifiziert.

In einem zweiten Schritt haben wir quantitative und qualitative Daten zu den drei erwähnten gesellschaftlichen Grundfunktionen erhoben. Unterschiede konnten wir hier sowohl innerhalb als auch zwischen den Gesellschaften feststellen.

Neben den vorherrschenden Formen der Gewalt wie kollektive Gewaltkonflikte, staatliche Repression oder interpersonale Gewalt (Formen psychischer, physischer und sexualisierter Gewalt), unterscheiden sich auch die Möglichkeiten der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Beteiligung. So hängt die politische Partizipation wesentlich vom politischen Regime – demokratisch oder autoritär – ab.  Formale Beteiligungsmöglichkeiten sind auch für politische und gesellschaftliche Initiativen zur Gewalteindämmung und Friedensentwicklung wichtig. Chancen für eine konstruktive Konflikttransformation bieten zum einen ein funktionierender Rechtsstaat, zum anderen werden ähnliche Funktionen z.B. auf lokaler Ebene von „traditional authorities“ (Autoritäten und Strukturen, die neben den offiziellen Institutionen existieren.) wahrgenommen.

In einem dritten Schritt haben wir mit Hilfe von repräsentativen Umfragen in den ausgewählten Ländern jeweils mehr als 1000 Menschen befragt, was sie unter Frieden verstehen. Als zentrale Elemente nannten die Befragten vor allem Sicherheit, Respekt, Ruhe und Gerechtigkeit. Dagegen landeten Veränderung, Inklusion, Bildung und Gesundheit auf den hinteren Plätzen. Unsere Fokusgruppen und durchgeführte Interviews, haben bestätigt, dass das Friedensverständnis der Menschen stark mit ihren konkreten, persönlichen Erfahrungen zusammenhängt und weniger mit abstrakten Vorstellungen.

 

 

Gemeinsame und spezifische Herausforderungen

 

In einer dreitägigen Konferenz im Oktober 2024 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Friedensforschung diskutierten alle Projektbeteiligten die Ergebnisse der sechs Studien. Bei allen Unterschieden in den spezifischen Konfliktgegenständen, zeigt sich, dass es wichtig ist, die Wechselbeziehungen zwischen lokalen Konflikten und Konflikten auf nationaler Ebene sowie die transnationalen Dynamiken in Grenzregionen zu erfassen. Entlang der drei gesellschaftlichen Grundfunktionen ergeben sich unterschiedliche Aktionsmöglichkeiten für die Eindämmung von Gewalt und die Entwicklung von Friedensstrategien. In Caracas, Venezuela, gelang es einer Gruppe von Müttern einen Waffenstillstand zwischen verschiedenen Banden zu vermitteln, der weitgehend eingehalten wurde.

Ein gemeinsames Problem in allen Ländern ist die sich verschlechternde Situation der Pressefreiheit, die die Möglichkeiten einer unabhängigen Berichterstattung über Gewalt einschränkt. Damit verbunden ist eine Frage, die sich früher oder später in allen Kontexten stellt, nämlich die nach der Anerkennung und Entschädigung der Opfer und der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen. Das Beispiel Kolumbien zeigt, dass die Registrierung von Opfern bereits während eines Gewaltkonfliktes eine wichtige Rolle für deren Beteiligung an der Kriegsbeendigung spielt.  Der kolumbianische Friedensprozess ist weltweit der erste, bei dem Opfer ihre Positionen im Verhandlungsprozess einbringen konnten.

Dort, wo der Internationale Strafgerichtshof aktiv wird, wie in Venezuela und den Philippinen, fehlt es an der Bereitschaft der jeweiligen Regierungen und Justizsysteme, sich mit diesen Verbrechen auseinanderzusetzen. Dies könnte z.B. zur Strafverfolgung von ehemaligen Regierungsmitgliedern führen, was diese verhindern wollen. Auch gewaltsame Vertreibung innerhalb und über Landesgrenzen hinweg oder aber der Wunsch nach Migration sind in allen untersuchten Gesellschaften ein Thema. 

 

Was können wir aus den Ergebnissen für Strategien der Friedensentwicklung lernen?

 

Die Perspektive auf Friedensentwicklung und Frieden als Prozess hat sich unabhängig vom jeweiligen Gewaltgeschehen als fruchtbar erwiesen. Akteure, die hier einen wichtigen Beitrag leisten können, sind vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen wie Religionsgemeinschaften, denen in Umfragen ein vergleichsweise hohes Vertrauen entgegengebracht wird.

Außerdem spielen Frauen in verschiedenen Gesellschaften eine zentrale Rolle in der Friedensentwicklung. Eine stärkere Repräsentation von Frauen in Friedensprozessen kann nachweislich dazu beitragen, dass Frieden nachhaltiger ausgestaltet wird. In einigen der untersuchten Kontexte (z.B. Kamerun) haben Frauenorganisationen eine positive Rolle gespielt, indem sie eingehend auf bewaffnete Konflikte eingewirkt oder die internationale Aufmerksamkeit auf Konflikte in ihren Ländern gelenkt haben.

Das Konzept von Frieden als Prozess erweist sich für alle verschiedenen Gewaltkontexte als sinnvoll und zeigt, dass es nicht darum geht, Friedensprozesse in einer bestimmten Reihenfolge – etwa zuerst Krieg beenden, dann Beteiligung, dann Transformation – durchzuführen. Zielführender ist es, Ansatzpunkte für Friedensarbeit zu finden, die sich an den lokalen Gegebenheiten orientieren und die Wahrnehmung der Bevölkerung einbeziehen.  

 

Über die Autorin

Dr. Sabine Kurtenbach ist leitende Forscherin am German Institute for Global and Area Studies in Hamburg und Honorarprofessorin am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Friedensförderung, Gewalt, Institutionen und Jugend in Nachkriegsgesellschaften des Globalen Südens.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.


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