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Der wilde Streik bei Ford Köln, vor 50 Jahren im Sommer 1973, ist wohl derjenige, der sich erinnerungskulturell am prominentesten in das kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingewoben hat – ein Streik der nicht nur in der Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer_innen und Arbeitgeber_innen endete.
Bild: Streik bei Ford in Köln, 28.08.1973; Rechte: J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung [6/FJHD018319].
Bild: Streikende am Tor3 bei Ford in Köln, 28.08.1973; Rechte: J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung [6/FJHD018320].
Bild: Arbeitswillige drinnen und Streikende draußen am Tor3, 28.08.1973; Rechte: J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung [6/FJHD002181].
„Wild“ war dieser Streik, weil er von Teilen der Belegschaft und ohne Zustimmung der Gewerkschaft organisiert und durchgeführt wurde. Bei Ford in Köln war dieser überwiegend von der türkischen Belegschaft getragene Streik in der Woche vom 24. August als Antwort auf die verschärfte Situation der ohnehin benachteiligten migrantischen Arbeiter_innen zu verstehen.
Die Automobilindustrie mit starken gewerkschaftlichen Strukturen galt zumeist als vergleichsweise gut bezahlende Arbeitgeberin für angeworbene Arbeiter_innen (gegenüber den vielen anderen Branchen mit ausbeuterischen Bedingungen und Niedriglöhnen). In der Praxis bedeutete dies bei Ford dennoch, dass Migrant_innen im Vergleich zu den deutschen Arbeitnehmer_innen durchschnittlich schlechter entlohnt wurden. Rund 38 % der Gesamtbelegschaft waren türkisch; gleichzeitig machten sie ganze 60 % der Arbeiter_innen im Kölner Werk aus und verrichteten wiederum gar 90 % der besonders niedrig entlohnten Arbeit am Band. Die rassistischen Benachteiligungen für migrantische Arbeitnehmer_innen beschränkten sich dabei nicht auf die Auswahl, der ihnen zugeteilten Stellen oder die Vergütung. „Nach einer Untersuchung des Landes Nordrhein-Westfalen zahlen sie gleichwohl 30 Prozent höhere Mieten als die Deutschen“, berichtete schon der SPIEGEL 1973, um nur ein Beispiel zu nennen.
Konkreter Auslöser für den Streik war die Entlassung von 300 Mitarbeitenden, die verspätet aus dem Heimaturlaub zurückkehrten. Unter Arbeitsmigrant_innen war es zu der Zeit üblich, den Sommerurlaub in der Heimat zu verbringen, was im Kölner Fall mehrheitlich die Türkei war. Der Reiseweg in das Heimatland – zumeist mit dem Auto bestritten – war dabei in der Regel von fehlender Infrastruktur, wie schlechten Straßen, und mangelnder Planbarkeit geprägt und allein An- und Abreise nahmen nicht selten eine von zwei Urlaubswochen in Anspruch. Um diese Unwägbarkeiten wissend, war eine verspätete Rückkehr zuvor von Ford toleriert worden, wurde nun aber vom Personalvorstand zum Anlass zur fristlosen Kündigung von 300 türkischen Arbeitskräften genommen. Auch das Angebot anwesender Kolleg_innen, die Arbeit der verspäteten zu übernehmen, führte zu keiner Übereinkunft.
Was hatte sich geändert? Das Modell der Anwerbeabkommen war dem enormen wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er-Jahre und dem damit verbundenen wachsenden Bedarf an Arbeitskräften geschuldet. 1955 wurde mit Italien das erste Anwerbeabkommen geschlossen. Es sollte bis in die späten 1960er-Jahre Vorbild für weitere werden, darunter 1961 mit der Türkei. Ein Jahr, in dem durch die Sperrung der deutsch-deutschen Grenze der Mangel an Arbeitskräften noch verschärft wurden. Von den insgesamt 14 Millionen Arbeiter_innen, die durch die Abkommen gekommen (und zu großen Teilen in ihre Heimat zurückgekehrt) waren, arbeiteten 1973 noch rund 2,6 Millionen in der Bundesrepublik. Doch mit Inflation, Ölpreiskrise und dem Ende des „Nachkriegsbooms“ änderte sich mit der wirtschaftlichen Lage auch die Stimmung. Aus einem Mangel an Arbeitskräften wurde ein Mangel an Arbeitsplätzen – die Arbeitskraft der Angeworbenen wurde immer weniger benötigt und der Ton in den Medien, in der Gesellschaft und auch in den Betrieben gegenüber den migrantischen Arbeitnehmenden wurde rassistischer. Im November 1973 verfügte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung unter Walter Arendt (SPD) schließlich einen Anwerbestopp für Menschen aus Nicht-EG-Staaten (außer Italien).
Knapp drei Monate zuvor, am 24. August, einem Freitag, demonstrierten auf dem Werksgelände von Ford zunächst einige hundert Beschäftigte für die Wiedereinstellung ihrer fristlos gekündigten Kollegen. Ihnen schloss sich daraufhin die gesamte Spätschicht und am Montagmorgen auch die Frühschicht an; weitere Forderungen wurden formuliert: unter anderem Verlängerung des Jahresurlaubs auf sechs Wochen, „1 DM mehr für alle“, Reduzierung der Bandgeschwindigkeit und Verzicht auf Disziplinierungsmaßnahmen für die Streikenden.
Die migrantischen Streikenden gingen dabei ein hohes Risiko ein, konnten sie mit ihrer Arbeitsstelle gleichsam ihre Aufenthaltsgenehmigung verlieren. Für eine kurze Zeit erfuhren die Initiatoren Solidarität – durch Kolleg_innen, Betriebsräte und Teile der IG Metall, die zuständige Gewerkschaft. Schon am Mittwoch aber, war von dieser nichts mehr zu spüren. Betriebsrat und insbesondre der Bundesvorstand der IG Metall lehnten den wilden Streik ab und riefen zur Wiederaufnahme der Arbeit auf. Der Betriebsrat hatte den Streikenden gemeinsam mit der Geschäftsführung ein Angebot unterbreitet, dass die Forderungen speziell der angeworbenen Arbeitenden außen vor ließ.
Dies verstärkte die vorhandene Kluft zwischen den Parteien, die migrantischen Arbeitskräfte fühlten sich ohnehin nicht ausreichend repräsentiert, denn obwohl sie 38 % der Belegschaft ausmachten, waren sie nur mit 12.8 % im Betriebsrat vertreten und aus den unteren Lohngruppen waren es noch deutlich weniger. Das eigens gewählte Streikkomitee lehnte das Angebot entsprechend ab, der Streik sollte auch am Donnerstag fortgeführt werden.
Für viele der Deutschen, die sich dem Streik zunächst angeschlossen hatten, war das Angebot allerdings zufriedenstellend, sie distanzieren sich nun zunehmend vom Streik. Mehr noch: Eine große Gruppe von Deutschen skandierte „Wir wollen arbeiten!“, unter ihnen Polizisten in Zivil. Beim Aufeinandertreffen der Parteien wurden die Streikenden auch körperlich angegriffen, sie verteidigten sich, aber schließlich wurde der Streik auch durch das Eingreifen der Polizei gewaltsam beendet. Die unsolidarische Haltung im Werk spiegelte sich auch in der öffentlichen Berichterstattung wieder: Hatte die BILD-Zeitung den laufenden Streik mit „Türken Terror“ betitelt, so kommentierte sie jetzt „Deutsche Arbeiter kämpfen Ford frei.“
Auf den Streik folgten Kündigungen bei Ford und Abschiebungen. Der Betriebsrat setzte sich nicht für die Betroffenen ein. Und selbst die IG Metall entließ den Bevollmächtigen der Kölner Ortsverwaltung, der öffentlich Verständnis für die Streikenden formulierte und zu vermitteln versuchte. Das Scheitern des Streiks und seine Niederschlagung sind Ausdruck für fehlende Solidarisierung und den Rassismus, der den angeworbenen Arbeitenden auf so vielen Ebenen entgegengebracht wurde. Gleichzeitig ist er Ausdruck eines Selbstbewusstseins im Kampf um gleiche Rechte.
Mascha Schlomm
Im AdsD werden neben Themen der Sozialdemokratie verstärkt Materialien der deutschen und internationalen Gewerkschaften betreut, so unter anderem die der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall). Die Akten der IG Metall, auch aus dem Zeitraum 1973, können (gegebenfalls gegen Genehmigung) eingesehen werden.
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