Mit einem Text von Vladyslav Starodubtsev über die Ukrainische Volksrepublik von 1917 bis 1921 setzen wir unsere Reihe über die ukrainische Geschichte fort. Dies ist der vierte und letzte Teil.
Den ersten Teil finden Sie hier.
Als Kompromiss wurde auf dem Arbeiterkongress vom 23. bis 28. Januar 1919 ein verworrenes "Arbeitsprinzip" verabschiedet, das sowjetische und parlamentarische Demokratie miteinander verband. Die Spannungen waren groß, da die "Linke" der Republik, die unabhängigen Kommunist:innen, zusammen mit Machno die Auflösung des Direktoriums und die Wahl einer reinen Sowjetregierung forderten (allerdings einer der einer unabhängigen und vereinigten Ukraine), während die "Rechte", also die demokratischen Sozialisten der Ukrainischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie verlangten. Die ukrainische Regierung befand sich in ständiger Unordnung, was den potenziellen Widerstand gegen die russisch-bolschewistische Invasion schwächte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Ukraine auf dem Weg von dem kompromisshaften "Arbeitsprinzip", das niemanden zufrieden stellte, zu einem parlamentarischen Staat unter dem Einfluss von Symon Petljura. Die Ukrainische Volksrepublik begann sich aufzulösen. Aufgrund des militärischen Drucks von allen Seiten und des Zusammenbruchs der Front war die Regierung praktisch handlungsunfähig. In dem Maße, wie die militärischen Niederlagen zunahmen, wuchsen auch die politischen Differenzen.
1921 brach die Ukrainische Volksrepublik zusammen und die bolschewistischen Streitkräfte besetzten die gesamte Ukraine. Die Illusionen über eine halbdemokratische und halbunabhängige bolschewistische Sowjetregierung verschwanden schnell und die Ukraine wurde von Lenins Regierung rasch in ein System der Kolonialherrschaft eingegliedert. Dieser Prozess wurde durch die Einführung der zentralisierten Planwirtschaft durch Stalin abgeschlossen.
Man könnte argumentieren, dass die Gründung und die Existenz der Ukrainischen SSR in gewisser Weise das Ergebnis des Kampfes der ukrainischen Revolutionär:innen war. Die Ukrainische SSR war nicht einfach die Fortsetzung der ehemaligen Provinz des Russischen Reiches unter bolschewistischer Führung und sie war auch nicht auf bolschewistische Vorstellungen von einer Art ukrainischem Existenzrecht zurückzuführen. Dasselbe lässt sich über die Ukrainisierung sagen. Die kulturelle Wiederbelebung der Ukraine in den 1920er-Jahren war das Ergebnis der vorangegangenen antibolschewistischen Kämpfe, an denen mehr als eine Million ukrainischer Soldaten und Rebellen beteiligt waren und die eine Besetzung der Ukraine ohne wesentliche Kompromisse unmöglich gemacht hatten. Auch nach dem Zusammenbruch der Front gab es in der Ukraine zahlreiche Bauernaufstände gegen die Bolschewiki, seien sie anarchistisch, republikanisch oder kommunistisch. Studentische Kreise, Partisanenkommandos und Selbstverteidigungsgruppen waren bis zum Völkermord 1932-1933 aktiv.[2]
1: Borys Martos: Vyzvol'nyj zdbyh Ukraїny, New York, 1989, S. 192 (Übersetzung des Autors).
2: Arsen L. Zinčenko: Povstannja Seljans'ki proty bil'šovyckoho režymu 1929-1932, in: NAN Ukraїny (red.): Encyklopedija istoriї Ukraїny (elektronnyj resurs), [n. d.] Link. (zuletzt aufgerufen 16.05.2024)
3: Isaak P. Mazepa: Bol'ševizm i okupacija Ukraїny. Socijal'no-jekonomyčni pryčyny nedozrilosti syl ukraїns'koї revoljucї, L'viv/Kyїv, 1922; Volodymyr Vynnyčenko: Vidrodšennja nacї. Istorija ukraїns'koї revoljucї (marec 1917 r. - hruden' 1919), Kyїv/Viden', 1920.
4: Mykyta Šapoval: Velyka revoljucija i ukraїns'ka byzbol'na programa, Praha, 1927.
5: Zum "linken Flügel" der OUN vgl. das Interview mit Borys Levitskyi (der später einige Jahre für den RES tätig war (http://poliskasich.org.ua/?p=630). Zu den Nationalkommunisten vgl.: Volodymyr V. Dz'bak: Konflikti v OUN(b) i ïch vplyv na ukraïns'kyj Ruch Oporu (1941-1944 rr.), Kyïv, 2005, S. 36. Vgl. auch T. Bul'ba-Borovec': Za ščo boret'sja Ukraïns'ka Povstans'ka Armija (UPA) (1942 r.). Link. (zuletzt aufgerufen 16.05.2024)
6: Jevhen Staxiv: Rol' Schidnoï Ukraïny u formuvanni novych idejno-polityčnych zasad OUN-b, in: NAH Ukraïny, Instytut ukraïnoznavstba im. I. Krip'jakevyča (red.): Ukraïns'ka Povstans'ka Armija u borot'bi proty totalitarnych režymiv, L'viv, 2024, S. 51-55.
7: Borys Zacharov: Rosochac'ka grupa, 24.5.2005, Link (Übersetzung des Autors). (zuletzt aufgerufen 16.05.2024)