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Am 23. Oktober 1974 wurde im Presse-Dienst des DGB-Landesbezirkes Saar die Schaffung eines Interregionalen Gewerkschaftsrats (IGR) für den deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum als „ein Modell im Rahmen der Europäischen Regionalpolitik der EG“ auf den Weg gebracht. Vor 50 Jahren wurde so ein System gewerkschaftlicher Kooperation in Grenzräumen auf den Weg gebracht, in dessen Folge 45 Gewerkschaftsräte in Europa entstanden.
„Was wir brauchen ist die Entfaltung einer autonomen gewerkschaftlichen Aktion in Europa. Die Krankheit demokratischer Massenorganisationen ist allzu oft die Beschränkung auf Gremienpolitik und Konferenzdemokratie. Erst recht gilt diese Feststellung für die schwierigen internationalen Gewerkschaftsorganisationen.Ansätze zur Überwindung dieser Krankheit sind festzustellen: die Zusammenarbeit in grenznahen Regionen hat sich ohne "Anstoß von oben" eigenständig entwickelt.Dem, Kolleginnen und Kollegen, kann ich nur hinzufügen: paßt auf, daß die Interregionalen Gewerkschaftszusammenschlüsse nicht verbürokratisieren, daß sie nahe an den Menschen bleiben.“ (DGB-Archiv im AdsD, 5/DGEH000002)
„Was wir brauchen ist die Entfaltung einer autonomen gewerkschaftlichen Aktion in Europa. Die Krankheit demokratischer Massenorganisationen ist allzu oft die Beschränkung auf Gremienpolitik und Konferenzdemokratie. Erst recht gilt diese Feststellung für die schwierigen internationalen Gewerkschaftsorganisationen.
Ansätze zur Überwindung dieser Krankheit sind festzustellen: die Zusammenarbeit in grenznahen Regionen hat sich ohne "Anstoß von oben" eigenständig entwickelt.
Dem, Kolleginnen und Kollegen, kann ich nur hinzufügen: paßt auf, daß die Interregionalen Gewerkschaftszusammenschlüsse nicht verbürokratisieren, daß sie nahe an den Menschen bleiben.“ (DGB-Archiv im AdsD, 5/DGEH000002)
Diese Bewertung traf Heinz Oskar Vetter (1917-1990), DGB-Vorsitzender und bis kurz zuvor Vorsitzender des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), in seiner Rede am 22. September 1979 auf der Gründungsversammlung des Interregionalen Gewerkschaftsrates Weser-Ems Noord-Netherland (IGR WENN). In den 70er-Jahren wurden die Interregionalen Gewerkschaftsräte (IGR) zu einem Instrument der Gewerkschaften, grenzüberschreitende Regional- und Europapolitik zu betreiben.
Bei Gründung des ersten Interregionalen Gewerkschaftsrates Saar-Lor-Lux-Trier/ Westpfalz in der deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzregion 1976 hatte Vetter die Schaffung eines „Europa der Arbeitnehmer“ als Parole für die europäische Gewerkschaftsbewegung ausgegeben. Nach dem Treffen französischer und saarländischer Gewerkschafter_innen in Metz Ende Oktober 1974, auf dem regelmäßige Treffen ab Januar 1975 beschlossen wurden, fand im November 1974 auch eine Zusammenkunft zwischen Vetter und dem Chef der Confédération française démocratique du travail (CFDT), Edmond Maire, zum Thema „Gewerkschaften gemeinsam für Europa“ statt, auf dem eine engere Abstimmung zunächst zu Themen wie Energiepolitik, Inflation oder Vollbeschäftigung als Grundlage gewerkschaftlicher Initiativen gegenüber den europäischen Institutionen und den nationalen Regierungen beschlossen wurde.
Zu den in den ersten zehn Jahren entstehenden zehn Gewerkschaftsräten gehörten auch die drei deutsch-niederländischen IGR: IGR Maas-Rhein (1978), IGR Weser-Ems-Noord Nederland (1979) und IGR Rhein-Ijssel-Ems (1980). Wie diese entstanden die ersten IGR zumeist im Nordwesten Europas, somit an nationalstaatlichen Grenzen innerhalb der EG, nicht an Außengrenzen der Europäischen Gemeinschaft(en). Es handelt sich somit nicht um Grenzräume klassischer Prägung.
„Ich möchte einen zweiten Aspekt noch mit aufgreifen, weil doch immer der Eindruck vermittelt wird, als wären die Grenzregionen periphere Regionen. Aber genau das stimmt ja gerade nicht, wenn wir uns vor allem die Grenzregionen betrachten, die Deutschland betreffen, aber da vor allem den westlichen Teil. Da sind praktisch alle Grenzregionen zentrale Regionen in Europa, wenn ich Europa betrachte. Für Deutschland sind das zunächst natürlich einmal periphere Regionen, aber in Europa sind es zentrale Regionen und ich meine, da müssen wir unter diesem Aspekt auch ganz anders die Probleme definieren. So meine ich, müssen wir diese Debatte auch von der Grenzdebatte lösen und zu ganz anderen Sichtweisen kommen.“ (Manfred Klöpper [IGR WENN] am 24.01.1996, in: DGB, Papier (1996), S. 21)
Die Interregionalen Gewerkschaftsräte waren organisatorisch von DGB und EGB unabhängig. Jedoch zeigte ein Antrag der IGR vom 1. Juni 1990, im Exekutivausschuss des EGB vertreten zu sein, dass die Inhalte dieser regionalen Politik ihren Platz in der europäischen Gewerkschaftspolitik noch zu finden hatten. Auf dem Luxemburger EGB-Kongress 1991 wurde den IGR ein Ausschuss-Mitglied mit Beobachterstatus zugestanden, der auch an den Sitzungen der Ausschüsse für Sozial-, Tarif-, Regional- und Kohäsionspolitik teilnehmen durfte. Unbestritten blieb auch, dass die Interregionalen Gewerkschaftsräte von gewerkschaftlicher Seite mit den Fragen grenzüberschreitender Arbeitsmarktpolitik, Verkehrs- und Raumordnungsfragen und kultureller Beziehungen über Grenzen hinweg befasst blieben.
Für eine Fallstudie bietet sich der IGR WENN an. In ihm kooperierten grenzüberschreitend die Gewerkschaften des FNV-Distrikts Noord (FNV, Regio Groningen, Friesland, Drenthe) bzw. der CNV auf niederländischer Seite mit den im nordwestlichen Teil des DGB-Bezirks Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt (DGB-Regionen Oldenburg-Ostfriesland und Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim) wirkenden deutschen Gewerkschaften.
Die IGR WENN-Überlieferung (5/DGEH…) findet sich vollständig im DGB-Archiv, das sich seit 1995 als Sonderarchiv im AdsD befindet. In 42 Verzeichnungseinheiten (3,50 lfdm) finden sich die Informationen zu Geschichte und Politik des Gewerkschaftsrates. Die Grundlage bildet das Archivgut verschiedener Gremien des IGR (z. B. Sekretäre, Delegiertenversammlung oder Vorstand), sowie dessen Verhältnis zu beteiligten gewerkschaftlichen Dachverbänden (z. B. CNV, DGB, EGB, FNV) oder weiteren Organisationen (z. B. EUREGIO, EURES, Neue Hanse Interregio). Die jährlich stattfindenden Fachtagungen befassten sich mit wechselnden Themen wie z. B. grenzüberschreitender Arbeit, Verkehrsinfrastruktur (Ems-Dollart-Hafen), Landwirtschafts-, Abfall- oder Energiepolitik. Die Überlieferung bildet das Wirken des IGR WENN von 1979 bis 2009 ab. Hinzu kommt Material, das die regionale Gewerkschaftspolitik vor Gründung des IGR widerspiegelte.
Ergänzt wird diese Überlieferung durch das Archivgut des DGB-Kreises Emden-Norden, der sich mit 52 Verzeichnungseinheiten im Bestand „DGB-Landesbezirk Niedersachsen“ (5/DGBJ…) des Archivs befindet. Auch der Nachlass von Heinz Oskar Vetter (1/HVAA…), der mit dem Aufbau des IGR-Systems eng verbunden war und dessen Überlieferung zum Gutteil aus seiner Zeit als Abgeordneter des Europaparlaments 1979-1989 stammt, findet sich dort.
Hubert Woltering
Veit Damm, Das „Europa der Arbeitnehmer". Gewerkschaften, grenzübergreifende Arbeit und europäische Integration in den 1970er Jahren, in: Journal of European Integration History, 20 (2014), S. 121 - 136.
Deutscher Gewerkschaftsbund (Hg.): Vom Papier in die Realität. Die Arbeit der interregionalen Gewerkschaftsräte ; Tagung am 24. Januar 1996 in Luxemburg. Düsseldorf, 1996 (Bibl. AdsD: C99-01112)
Dieter Filsinger, u. a. (Hg.): Interregionale Gewerkschaftsräte. Historische, sozialwissenschaftliche und interkulturelle Analysen. Baden-Baden, 2015 (Bibl. AdsD: A15-05069)
Daniel Roth: Grenzenlos für ein soziales Europa. 30 Jahre IGR WENN/ Voor een sociaal Europa. 30 Jaar IVR WENN. Oldenburg [u.a.], 2009
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