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Mit dem Slogan „Kaufabende stehlen Feierabende“ kämpfte die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) 1980 gegen eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. Die Gewerkschaft machte deutlich: „Wenn der Verbraucher am Abend einkaufen will, geht der Feierabend für die Beschäftigten verloren.“ (HBV 1980). Zu diesem Zeitpunkt waren Ladenschlusszeiten bereits seit über 100 Jahren ein Streitthema. Was hatte Vorrang: Kollektive Konsumzeit oder individuelle Freizeit? Die Interessen der Einzelhändler*innen und Konsument*innen oder die der Verkäufer*innen?
Bild: Streik und Kundgebung der HBV für die Beibehaltung des Ladenschlusses in Berlin, 1988; Rechte: Paul Glaser Pressefoto [6/FOTB008695].
Bild: Plakat der HBV gegen eine Verlängerung des Ladenschlusses, ohne Datum; Rechte: unbekannt [6/PLKA011549].
Bild: Plakat der HBV, ca. 1985; Rechte: unbekannt [6/PLKA028970].
Bild: Plakat der HBV, ca. 1987; Rechte: unbekannt [6/PLKA011516].
Ladenschluss als Arbeitsschutz
Die Debatten um eine Regulierung der Ladenöffnungszeiten sind in Deutschland ebenso alt wie der Nationalstaat selbst. Denn die Gewerbefreiheit des Deutschen Kaiserreichs umfasste auch die freie Wahl der Geschäftszeiten. Lebensmittelläden hatten täglich – auch sonntags – im Schnitt 14 Stunden geöffnet – zu lang, wie Verfechter*innen des Arbeitsschutzes erklärten. Erstmals eingegriffen wurde in die Ladenöffnungszeiten deshalb mit der Gewerbeordnungsnovelle von 1891. Aus sozialpolitischen, aber auch aus religiösen Gründen wurde die Öffnungszeit an Sonn- und Feiertagen auf fünf Stunden verkürzt, jedoch mit zahlreichen regionalen Ausnahmen. Das Ladenschlussgesetz war „von seiner ursprünglichen Idee her ein Arbeitsschutzgesetz und kein wirtschaftspolitisches Ordnungsinstrument“ betonte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) deshalb noch 1999.
Im Jahr 1900 legte der Staat auch den werktäglichen Ladenschluss gesetzlich fest – zwischen 21 Uhr und 7 Uhr durften Geschäfte nicht öffnen. Doch viele Ladenbesitzer*innen einigten sich freiwillig sogar auf einen früheren Ladenschluss. Auch für diese Entscheidung waren sozialpolitische Erwägungen ausschlaggebend: Die Gesundheit und Freizeitgestaltung der Angestellten sollte nicht weiter durch zu lange Öffnungszeiten belastet werden, insbesondere da zunehmend auch Frauen als Verkäuferinnen arbeiteten. Mit der Gründung der Weimarer Republik existierte in Deutschland erstmals eine parlamentarische Demokratie als Staatsform. Sie brachte neben dem Acht-Stunden-Tag auch eine weitere Regulierung des Ladenschlusses: Nun mussten Geschäfte werktags um 19 Uhr schließen und durften am Sonntag gar nicht öffnen – allerdings abermals mit zahlreichen Sonderregelungen und nicht geahndeten Übertretungen.
Bis auf Ausnahmen während des Zweiten Weltkriegs hatten diese Ladenöffnungszeiten bis in die Bundesrepublik hinein Bestand. Anders als in der BRD stand in der DDR nicht die Frage nach zeitlichen Regulierungen im Zentrum der Debatten um Ladenöffnungen, sondern die Sicherstellung des Angebotes. Bis auf wenige Ausnahmen lagen hier die Öffnungszeiten unter der Woche zwischen 9 Uhr und 18 Uhr, beziehungsweise am Freitag bis 19 Uhr. Lediglich Kaufhallen und größere Geschäfte durften etwas länger oder auch samstags öffnen.
Von kurzen und langen Samstagen
In der Bundesrepublik wurde nach Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 noch lange um ein Ladenschlussgesetz gerungen. Nun standen vor allem wirtschaftliche Erwägungen wie Marktsicherheit und Planbarkeit im Zentrum der Diskussionen. Den größten Streitpunkt bildete jahrelang der arbeitsfreie Samstagsnachmittag. Erst 1955 konnten Einzelhandel, Gewerkschaften und Verbraucherverbände einen „historischen Kompromiss“ finden, so der DGB 1999. Das „Gesetz über den Ladenschluss“ verkürzte die Öffnungszeiten unter der Woche und schränkte diese an den Samstagen noch deutlicher ein: Ab 1956 lagen die Ladenöffnungszeiten von Montag bis Freitag zwischen 7 Uhr und 18 Uhr. Samstags durften Geschäfte bis 14 Uhr öffnen, jeden ersten Samstag im Monat bis 18 Uhr. Trotz des steigenden Konsums und vieler punktueller Änderungen und Versuche, das Ladenschlussgesetz aufzuweichen, blieb es in dieser Form über 30 Jahre lang gültig – nicht zuletzt ein Erfolg der Gewerkschaften.
Konsumzeit oder Freizeit?
Die allgemeinen neoliberalen Flexibilisierungsbestrebungen des Arbeitsmarktes seit den 1970er Jahren machten auf Dauer jedoch auch vor den Ladenöffnungszeiten nicht halt. Gegner der bestehenden Regelung waren neben liberal-konservativen Politikern vor allem große Händler. Laut verschiedener Umfragen waren die Konsument*innen hingegen überwiegend mit den existierenden Ladenöffnungszeiten einverstanden, Jüngere und Berufstätige unterstützten jedoch eine Ausweitung.
Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand immer die Ressource Zeit: Befürworter*innen längerer Öffnungszeiten argumentierten, dass die Konsument*innen keine Zeit hätten, stressfrei einzukaufen oder Preise zu vergleichen. Gegner*innen hielten dagegen, dass durch die gewerkschaftlich erkämpften Arbeitszeitverkürzungen die Zeit zum Einkaufen zugenommen habe. In der Debatte wurden insbesondere die Interessen von Frauen gegeneinander ausgespielt: Da die Zahl der berufstätigen Frauen stetig stieg, könnten diese innerhalb der bestehenden Ladenöffnungszeiten nicht mehr den Familieneinkäufen nachgehen, betonten die Verfechter*innen längerer Öffnungszeiten. Während also einerseits argumentiert wurde, dass die Konsumfreiheit dieser Frauen eingeschränkt würde, waren andererseits bis zu 80 Prozent der Verkäufer*innen weiblich, deren Zeitautonomie wiederum durch längere Ladenöffnungszeiten beschnitten würde. Die Verkäufer*innen betonten, dass sie durch längere Öffnungszeiten abends und am Wochenende noch weniger Freizeit gemeinsam mit ihren Familien verbringen könnten. Gewerkschaften wie die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) etwa kritisierten deshalb eine Verkürzung des Ladenschlusses stets als „familienfeindliche Maßnahme“ (DAG 1980). In beiden Fällen ging es damit auch um die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit mit Sorgearbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wurde.
„Heute die Verkäuferinnen und morgen alle“
Die Mitte der 1970er Jahre einsetzende Wirtschaftskrise hatte auch für den Handel weitreichende Folgen. Ganze Wirtschaftszeige waren zusammengebrochen und so auch die Arbeitslosigkeit langfristig massiv angestiegen. Gleichzeitig führte das steigende Bildungsniveau von Frauen sowie ihre steigende Erwerbsquote zu einer Pluralisierung von Lebens- und Beziehungsformen. Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf den Konsum der Menschen zeigten sich deutlich in den Umsätzen des Einzelhandels: Die Deutschen hatten zum einen weniger Geld um einzukaufen und gaben dieses zum anderen zunehmend lieber für Reisen oder andere Freizeitaktivitäten aus, als für materielle Konsumgüter.
Mit dem Ziel, die Wirtschaft anzukurbeln, führte die Bundesregierung 1989 donnerstags einen „Dienstleistungsabend“ mit Öffnungszeiten bis 20.30 Uhr ein, umgangssprachlich bei Verkäufer:innen auch „Schlado“, also „scheiß langer Donnerstag“, genannt. HBV und DAG kämpften mit Streiks und umfangreichen Kampagnen gegen diese Änderung, konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Auch der DGB sprach sich gegen den langen Donnerstag aus und argumentierte, dass schon vor der Einführung des Dienstleistungsabends nur 80 Prozent der möglichen Öffnungszeiten ausgeschöpft worden seien. Die Abendöffnungszeiten würden nicht nur zulasten der Verkäufer*innen gehen, auch die Kund*innen müssten letztendlich für die höheren Energie- und Personalkosten zahlen.
Der DGB fürchtete zudem Auswirkungen weit über den Einzelhandel hinaus. Denn Bundeswirtschaftsminister Martin Bangemann (FDP) hatte bereits 1988 angekündigt: „,Deregulierung ist eine überfällige wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Aufgabe. … Die bevorstehende Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes ist erst ein kleiner Testlauf‘“ (DGB 1988). Darum kritisierten DGB und HBV den Dienstleistungsabend als „Einstiegsdroge“ (HBV 1988) für weitere Deregulierungen. Die Bundesregierung strebte nicht nur die Flexibilisierung der Ladenöffnungszeiten an, sondern im Zuge eines allgemeinen Abbaus des Arbeitsschutzes auch eine Flexibilisierung der Lohn- und Kündigungsmöglichkeiten. Deshalb warnte der DGB „Heute die Verkäuferinnen und morgen alle“ (DGB 1988). Denn die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten weichte nicht nur das Ladenschlussgesetz auf, sie schaffte auch die Voraussetzung für weitere Flexibilisierungen und Deregulierung der Arbeitszeiten in anderen Branchen. Zudem hatten die Arbeitgeber im Einzelhandel seit den 1980er Jahren bereits mit der kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit (Kapovaz) eine besonders flexible Arbeitszeitregelung durchgesetzt, die sich einseitig nach dem Bedarf der Arbeitgeber orientiert und eine Arbeit auf Abruf ermöglichte. Der Handel war somit ein Experimentierfeld der Flexibilisierungsbefürworter*innen – Flexibilisierung für die Arbeitgeber, aber nicht für die Beschäftigen.
Nicht die Zeit zum Einkaufen fehlt, sondern das Geld
Der Dienstleistungsabend hatte nicht den gewünschten Erfolg, nur wenige Kund*innen nahmen diesen in Anspruch und schnell nutzen lediglich Großbetriebe die Möglichkeit der längeren Öffnungszeiten aus. Da die Umsätze seit Anfang der 1990er Jahre weiterhin stagnierten oder sogar rückläufig waren, forderte die Politik eine weitere Deregulierung des Ladenschlusses. Als Argument führten FDP und CDU an, dass so zehntausende neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Darum wurden 1996 die Ladenöffnungszeiten weiter gelockert: Montags bis freitags durften Geschäfte nun von 6 Uhr bis 20 Uhr öffnen, samstags bis 16 Uhr. Die Gewerkschaften warnten indes vor einer Zunahme ungesicherter Arbeitsverhältnisse. Schon jetzt arbeiteten viele Beschäftigte im Handel – überwiegend Frauen – in Teilzeit. Eine weitere Sorge war die fortschreitende Konzentration des Handels auf wenige große Ketten, die die Öffnungszeiten personell abdecken konnten.
Die Gewerkschaften sollten Recht behalten: Die Erwartungen an die Deregulierung von 1996 erfüllten sich nicht. Weder der Umsatz noch die Zahl der im Einzelhandel Beschäftigten stieg. Hingegen wurden Arbeitsplätze sogar abgebaut, während geringfügige Beschäftigungen zunahmen. Der Nettolohn von Verkäufer*innen lag nicht selten nur knapp über dem Sozialhilfeniveau. Auch die Kund*innen nutzten die längeren Öffnungszeiten nicht in dem Maße aus, den sich der Handel gewünscht hätte. Darum schloss außer großen Handelsketten der Großteil der Geschäfte wieder früher seine Türen. „Die Gründe dafür liegen in der schwächer werdenden Kaufkraft, der steigenden Arbeitslosigkeit, der Steigerung der Mieten, aber auch in einem veränderten Konsumverhalten“, analysierte der DGB. Treffend brachte er auf den Punkt: „Über viele Jahre hat den Verbrauchern nicht die Zeit, sondern das Geld zum Einkaufen gefehlt“ (DGB 1999).
Einkaufen rund um die Uhr?
Eine weitere Änderung des Ladenschlusses wurde 2003 durchgesetzt, nun durften Geschäfte auch samstags bis 20 Uhr öffnen. Seit 2006 ist der Ladenschluss im Zuge der Föderalismusreform Ländersache geworden, die meisten Bundesländer haben inzwischen außerhalb von Sonn- und Feiertagen keine Einschränkungen der Öffnungszeiten mehr. Die restriktivste Regelung herrscht aktuell in Bayern. Die Landesregierung hat bisher kein eigenes Gesetz verabschiedet, sodass hier weiterhin die Bestimmungen des Bundes von 2003 gültig sind. In vielen Bundesländern kann werktags also theoretisch rund um die Uhr einkauft werden – eine Möglichkeit, die weder vom Handel noch von den Konsument*innen ausgeschöpft wird.
Anna Horstmann, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
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