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„Ich weiß, daß ich Sozialistin und Politikerin bin – ein Weltenmeer trennt mich von den Frauenrechtlerinnen.“ So zitiert ihre Biografin Else Lüders eine der bekanntesten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung: Minna Cauer. Im liberalen wie im sozialdemokratischen Lager hochgeschätzt, vertrat sie kämpferisch und unerschrocken ihre „radikalen“ Positionen.
Bild: Porträt von Minna Cauer; aus Elke Lüders: Minna Cauer. Leben und Werk, Gotha 1925.
Bild: Sitzung des Vorstands des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine am 3. Oktober 1901 im Reichstagsgebäude; Rechte: gemeinfrei.
„Mit Minna Cauer, die in der Nacht vom 2. zum 3. August im 81. Lebensjahr in Berlin starb, ist eine der markantesten Persönlichkeiten der deutschen Frauenbewegung dahingegangen. […] Sie war Demokratin durch und durch, die Selbstbestimmung der Persönlichkeit erschien ihr allererstes sittliches Recht. […] So wurde sie die Wegbahnerin für die politische Gleichberechtigung der Frau in Deutschland.“
Mit diesem Worten beginnt der Nachruf, den die sozialdemokratische Frauenzeitung „Die Gleichheit“ der Frauenrechtsaktivistin, Pädagogin und Journalistin Minna Cauer widmet. Und auch der „Vorwärts“ würdigt die „unermüdliche Vorkämpferin der deutschen Frauenbewegung“ (Reichspräsident Friedrich Ebert) mit einem halbseitigen Beitrag, verfasst von Weggefährtin Tony Breitscheid.
Diese ausführlichen Würdigungen erscheinen umso erstaunlicher, als Minna Cauer keine Sozialdemokratin war. Dennoch gilt sie als „Radikale“ – hatte sie sich doch von der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung distanziert und mit dem „Verein Frauenwohl“ und durch die Herausgabe der Zeitschrift „Die Frauenbewegung“ neu positioniert.
Wilhelmine „Minna“ Theodore Marie Schelle wird 1841 als Tochter einer evangelischen Pfarrersfamilie in Freyenstein (Brandenburg) geboren. Als Siebenjährige erlebt sie die Revolution von 1848, in der sich auch der Vater stark engagiert. 1862 heiratet sie den jungen Arzt August Latzel, der Ehemann und der gemeinsame Sohn versterben jedoch früh. Minna beginnt eine Ausbildung zur Lehrerin, die sie 1867 abschließt. Nach einer kurzzeitigen Anstellung in Paris übernimmt sie eine Lehrerinnenstelle an einer Mädchenschule in Hamm. Dort lernt sie Eduard Cauer kennen, Witwer mit fünf Kindern und 18 Jahre älter als sie, den sie noch 1869 heiratet. Die Familie zieht nach Danzig, später nach Berlin, wo Cauer als Stadtschulrat tätig ist. Eduard Cauer ist Verfechter einer Reform der Frauenbildung und steht politisch den Liberalen nahe. Zum Bekanntenkreis der Cauers gehören unter anderem der Reichstagspräsident und Berliner Oberbürgermeister Max von Forckenbeck, der 1848er-Revolutionär und spätere Finanzpolitiker Ludwig Bamberger, der Jurist und Politiker Karl Schrader und dessen Ehefrau, die Pädagogin Henriette Schrader-Breymann. Minna Cauer befindet sich quasi im Berliner Zentrum liberal-progressiver politischer Strömungen und pädagogischer Reformbestrebungen.
Als 1881 Eduard Cauer infolge einer Krebserkrankung verstirbt, zieht die trauernde Witwe zunächst nach Dresden, wo sie wieder als Lehrerin arbeitet. Sie beschäftigt sich mit der „Erforschung des Frauenlebens“ und veröffentlicht dazu Beiträge in der „Vossischen Zeitung“. Über das Ehepaar Schrader kommt sie in Kontakt mit der Deutschen Akademischen Vereinigung (DAV), in der sich liberale Intellektuelle, Frauenrechtlerinnen und Sozialreformer treffen. Die DAV ist es auch, die Minna Cauer auffordert, eine Frauengruppe zu organisieren, um Bewegung in die stagnierende bürgerliche Frauenbewegung zu bringen. Aus dieser DAV-Frauengruppe entsteht im Februar 1888 der „Verein Frauenwohl“.
Die Frauenbewegung innerhalb des Bürgertums fokussiert sich vor allem auf Fragen der Schul- und Berufsbildung für Frauen sowie auf deren Beitrag im Fortschritt zu einer besseren Gesellschaft als „weibliche Kulturaufgabe“. Fragen der Rechtsstellung der Frau und die Möglichkeiten politischer Partizipation bleiben außen vor. Anfangs folgt der „Verein Frauenwohl“ dieser Linie und sieht seine Aufgabe vor allem in der Herstellung von Öffentlichkeit, in der Verbreitung fortschrittlichen Gedankenguts: „Anregung geben, Aufklärung bringen, Lücken ausfüllen“. Schwestervereine werden gegründet, öffentliche Kundgebungen abgehalten, Behörden und Parlamente aufgefordert, sich der Frauenfrage anzunehmen. Als sich 1894 mit dem „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF) eine bürgerliche Dachorganisation gründet, schließt sich der „Verein Frauenwohl“ umgehend an.
Es wird jedoch bald deutlich, dass sich Minna Cauer und ihre Mitstreiterinnen mit ihren Positionen zum Frauenstimmrecht, zur Unterstützung lediger Mütter oder zur sogenannten Sittlichkeitsfrage hier als „Radikale“ in einer Minderheitenposition befinden. Auch ihr Antrag, den BDF grundsätzlich offen zu halten auch für die proletarische Frauenbewegung, wird von den „Gemäßigten“ abgelehnt. Bereits 1899 kommt es zum Zerwürfnis: Die „Radikalen“, der „Verein Frauenwohl“ organisieren sich in der Folge im neu gegründeten „Verband Fortschrittlicher Frauenvereine“.
1895 gründet Minna Cauer gemeinsam mit Lily von Gizycki (die spätere Lily Braun) die Zeitschrift „Die Frauenbewegung – Revue für die Interessen der Frauen“, die „eine Vereinigung aller Einzelbestrebungen für das Wohl des weiblichen Geschlechtes bilden soll“. Bis 1919 findet hier die „radikale Frauenbewegung“ vereinsübergreifend, überparteilich und überregional eine Plattform für ihre politischen Positionen. Mit ungezählten Leitartikeln zum Frauenstimmrecht, zur Frauenerwerbstätigkeit oder zur Stellung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch prägt Minna Cauer „Die Frauenbewegung“ als ein Kampfblatt und Werbemittel für die Frauensache. Sie vertritt in der Tat radikale Positionen für die damalige Zeit, fordert eine Reform des Ehe- und Familienrechts, das Recht auf Empfängnisverhütung und die Abschaffung des §218. Zu weiteren Autorinnen der Zeitschrift gehören prominente Frauenrechtlerinnen wie Helene Stöcker, Else Lüders, Maria Lischnewska sowie Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann. Mit ihnen gründet Minna Cauer 1902 den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“, nicht zuletzt um in der internationalen Frauenstimmrechtsbewegung eine deutsche Organisation einbringen zu können.
Minna Cauer ist eine unermüdliche Agitatorin und eine gute Netzwerkerin. Ihrer politischen Sozialisation folgend, schließt sie sich 1908 der neu gegründeten Demokratischen Vereinigung an, die als erste bürgerliche Partei in Deutschland das uneingeschränkte Wahlrecht für Frauen fordert. Mit ihrer nach heutigem Verständnis sozialliberalen Ausrichtung ist die Vereinigung vorübergehend „der äußerste linke Flügel des Liberalismus“ in Deutschland.
War sie bereits 1892 der von Bertha von Suttner initiierten Deutschen Friedensgesellschaft beigetreten, gründet Minna Cauer 1915 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs mit anderen Pazifistinnen das „Internationale Frauenkomitee für dauernden Frieden“, aus dem später die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ hervorgeht.
Ab 1889 steht sie viele Jahre dem „Kaufmännischen und gewerblichen Hilfsverein weiblicher Angestellter“ vor, der später als „Verband der weiblichen Handels- und Büroangestellten“ bis 1933 als eigenständige Berufsorganisation der Handelsangestellten fungiert.
Angesichts ihrer Positionen und ihrer verschiedenen Tätigkeitsfelder ist es nicht verwunderlich, dass Minna Cauer mit der Sozialdemokratie sympathisiert: Schließlich ist die SPD die erste Partei, die das Frauenwahlrecht in ihrem Programm verankert. Mit zahlreichen sozialdemokratischen Politiker_innen pflegt sie Kontakte. Eine langjährige Freundschaft verbindet sie mit Tony und Rudolf Breitscheid. Minna Cauer verehrt August Bebel, dessen Werk „Die Frau und der Sozialismus“ sie geprägt hat und auf dessen Trauerfeier 1913 sie sprechen darf. Die Bekanntschaft mit Clara Zetkin, mit der sie bereits 1896 auf einem Kongress zusammengetroffen war, beeindruckt sie stark – was offenbar auch umgekehrt gilt. Zetkin würdigt Minna Cauer in der „Gleichheit“ zu deren 70. Geburtstag 1911:
„Sie muß insbesondere an erster Stelle unter denen genannt werden, die den Kampf für das Frauenwahlrecht zum Hauptziel der bürgerlichen Frauenbewegung erheben wollen, die unablässig bemüht sind, die frauenrechtlerischen Kräfte für diesen Kampf zu sammeln und zu schulen. Eine echt demokratische Gesinnung ist es, die Minna Cauer zur konsequenten, treuen Verfechterin der Frauenrechte macht.“
Trotz aller gegenseitigen Wertschätzung und vielfach gleicher politischer Ziele kann sich Minna Cauer nicht zu einem Beitritt zur SPD entscheiden. August Bebel wie auch später Clara Zetkin sehen darin keinen Nachteil: „Bleiben Sie, wo Sie sind, Sie beunruhigen, Sie sind eine Macht trotz der kleinen Schar, die hinter Ihnen steht, Sie zerstören Vorurteile, sie halten die bürgerliche Stimmrechtsbewegung aufrecht, halten Sie aus!“
Mit der Einführung des gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrechts, mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 sieht Minna Cauer das wichtigste Ziel ihrer Arbeit erreicht. Sie stirbt am 3. August 1922 infolge eines Herzinfarkts.
Gabriele Rose
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