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Der Gastbeitrag von Carl Erich Kesper, Leiter der Bibliothek des Juristischen Seminars der Universität Bonn, stellt eine zeitgenössische kleine Schrift zum Sozialistengesetz und ihren Autor vor. Anlass ist die Überlassung des Exemplars aus der alten SPD-Bibliothek an die FES-Bibliothek.
Bild: Ludwig Fuld: Die Aufhebung des Socialistengesetzes und die Änderung des Strafgesetzbuches von FES-Bibliothek
Die Zerstreuung der alten, von August Bebel ins Leben gerufenen SPD-Parteibibliothek während der NS-Zeit konnte nur zu einem geringen Teil wieder rückgängig gemacht werden. Eine gewisse Zahl von Bänden aus jener Bibliothek wird heute von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung bewahrt. Und gelegentlich vermehrt sich diese Zahl sogar.
So zuletzt im vergangenen Jahr, als das Juristische Seminar der Universität Bonn der FES eine kleine Schrift von Ludwig Fuld überließ, die es 1966 im Antiquariatsbuchhandel erworben hatte. Die Provenienz des Exemplars war lange Zeit nicht beachtet worden. Aber dank der gestiegenen Bedeutung der Objektforschung war es schließlich doch aufgefallen: Nicht nur das Titelblatt trägt den Stempel mit den drei Lilien und der Umschrift „Bibliothek der Sozialdemokratischen Partei“. Auch auf den beiden Deckeln aus brauner Pappe, die die Broschüre umschließen (eine eher notdürftige buchbinderische Bearbeitung), ist dieser Stempel - als Prägestempel - verwendet worden, um das Exemplar der SPD-Bibliothek zuzuweisen. Aufgrund der langjährigen guten Kooperation zwischen der Bibliothek der FES und den Bibliotheken der Universität Bonn erfolgte umgehend das Angebot an die Bibliothek der FES, das kleine Heft in ihre Obhut zu nehmen.
Ludwig Fulds juristisches Wirken im Deutschen Kaiserreich
Aus mehreren Gründen stellt die Broschüre eine schöne Ergänzung des verbliebenen Bestandes der alten SPD-Bibliothek dar. Der Verfasser ist kein Unbekannter. Ludwig Fuld, geboren 1859 und 1957 im Alter von 97 Jahren gestorben, war Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt Mainz. Er war kein Sozialdemokrat, aber er war fortschrittlich gesinnt und sozialpolitisch engagiert. Recht war für ihn kein abstraktes Denkgebäude und kein Gegenstand metaphysischer Spekulation. Er sah vielmehr die sozialen Funktionen und Wirkungen des Rechts und wurde nicht müde, sie auf den verschiedensten Rechtsgebieten immer wieder herauszuarbeiten. Überwiegend beschäftigte er sich mit Fragen des bürgerlichen Rechts, vor allem beteiligte er sich zwischen 1874 und 1896 intensiv an der Diskussion des neu zu schaffenden Bürgerlichen Gesetzbuchs. Einen Höhepunkt stellte sein Gutachten für den 19. Deutschen Juristentag 1888 dar, das die Frage behandelte, ob Trunksucht für sich allein ein Entmündigungsgrund sein sollte. Bis dahin hielten die Juristen den Entmündigungsgrund der Verschwendung für ausreichend. Doch wegen Verschwendung, gab Fuld zu bedenken, wird in der Praxis nur entmündigt, wer über ein Vermögen verfügt und dieses gefährdet. Wer nur sein Arbeitseinkommen hat und dieses vertrinkt, anstatt seine Familie zu ernähren, den schützt die Rechtsordnung nicht vor sich selbst, obwohl er und seine Angehörigen ebenso schutzbedürftig sind. Der Juristentag und der Gesetzgeber machten sich das Ergebnis des Gutachtens zu Eigen.
Ludwig Fuld und das Sozialistengesetz
Aber auch strafrechtlichen Fragen widmete sich Fuld. Zum 21. Deutschen Juristentag 1890 steuerte er noch einmal ein Gutachten bei. Hierin forderte er, strafrechtliche Mittel zur Bekämpfung der Trunksucht einzusetzen. Doch dieses Mal versagte der Juristentag Fuld die Gefolgschaft – nach einer sehr lebhaften Debatte, zu deren Argumenten nicht zuletzt das Trinkverhalten der versammelten Juristen gehörte. Zeitlich zwischen den beiden Gutachten steht die nun zurückgekehrte Stellungnahme Fulds zur Frage der Fortdauer des Sozialistengesetzes. Fuld lehnte eine Verlängerung dieses Ausnahmegesetzes aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit ab, auch politisch hielt er das Gesetz für schädlich. Zwar müsse die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung vor revolutionären Angriffen – nicht jedoch vor Kritik und Reformbestrebungen! – geschützt werden, doch habe dies durch die allgemeinen Strafgesetze und folglich durch die Justiz zu geschehen. Die bestehenden Bestimmungen des Strafgesetzbuchs gegen Störung des inneren Friedens wollte Fuld maßvoll ergänzt sehen. Das Sozialistengesetz lief allerdings am 30. September 1890 aus, ohne dass das Strafgesetzbuch eine Änderung erfuhr.
Das Sozialistengesetz ist mit der Geschichte der SPD-Bibliothek durchaus verknüpft. Bebels Initiative zur Gründung einer Parteibibliothek datiert vom 20. Februar 1878. An diesem Tag erschien ein Artikel im „Vorwärts“ über die „Nothwendigkeit der Gründung einer allgemeinen Partei-Bibliothek“. Nachdem am 21. Oktober 1878 das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ erlassen worden war, war an die Verwirklichung des Vorhabens nicht zu denken. Erst im Jahre 1901 konnte die SPD-Bibliothek etabliert werden.
P.S.: Die vorstehenden Zeilen erfassen den vielfältigen rechtspolitischen Einsatz Ludwig Fulds nur ganz summarisch und bruchstückhaft. Vgl. weiterführend: Werner Schubert, Gesetzgebung und Sozialpolitik im ausgehenden 19. Jahrhundert – Zur Erinnerung an die rechtspolitischen Schriften von Ludwig Fuld, in: Die Bedeutung der Wörter. Studien zur europäischen Rechtsgeschichte. Festschrift für Sten Gagnér zum 70. Geburtstag, München 1991, S. 421-439; Tilman Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, Tübingen 2001, passim.
Nachweis der Schrift von Ludwig Fuld im Katalog der FES-BibliothekInformationen zum Juristischen Seminar der Universität BonnBlogbeitrag zur Geschichte der SPD-Bibliothek