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100 Jahre Akademie der Arbeit in Frankfurt

Wenn wir heute auf die Weimarer Republik zurückblicken, erscheint uns ihre Anfangszeit oftmals als historische Phase des Umbruchs. Für große Teile der deutschen Arbeiterschaft stellte die neue politische Ordnung aber auch einen Aufbruch dar.

Bild: Vorlesung an der Akademie der Arbeit in der Frankfurter Universität, Mai 1952. von AdsD

Dies wird beispielsweise an dem 1920 verabschiedeten Betriebsrätegesetz deutlich, dass eine Ausweitung der Mitsprache von Betriebsratsangehörigen insbesondere bei sozialen Belangen und Entlassungen ermöglichte. Mit den Fragen, wie die Arbeiterschaft mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen umgehen und von den neuen Möglichkeiten profitieren konnten, sollte sich damals eine neue Fortbildungsstätte auseinandersetzen: Die „Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt“ (AdA), deren Eröffnung sich am 2. Mai zum 100. Mal jährt.

Die Öffnung einer Bildungsinstitution für die Arbeiterschaft

In dieser Zeit des Aufbruchs war die Gründung einer Akademie zum Zwecke der Weiterbildung der Arbeiter_innen keineswegs zwangsläufig. Vielmehr bedurfte es des politischen Drucks der Sozialdemokratie. Nachdem infolge des Ersten Weltkriegs die finanzielle Lage der 1914 gegründeten Stiftungsuniversität Frankfurt immer prekärer wurde und einige Studierende an Versammlungen von republikfeindlichen Kräften teilnahmen, knüpften die sozialdemokratischen Stadtverordneten die Zahlung von Geldern aus dem städtischen Haushalt an die Bedingung, den Lehrbetrieb der Universität zukünftig für die Arbeiterschaft zu öffnen.

Der politische Wille zur Öffnung der Lehre war zu diesem Zeitpunkt also vorhanden. Doch wie dieses Vorhaben konkret umgesetzt werden sollte, stand auf einem anderen Blatt. In ihrer Denkschrift „Eine Arbeiter-Akademie in Frankfurt a.M.“ entwarfen der Arbeitsrechtler Hugo Sinzheimer (1875–1945) und der Professor für Betriebswirtschaft Ernst Pape (1876–1945) unter Mitwirkung des SPD-Stadtverordnetenvorstehers Theodor Thomas (1876–1953) ein entsprechendes Konzept. Demnach sollte die Akademie jungen Menschen aus dem Arbeitermilieu eine rechts-, wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Grundbildung bieten und zudem fachspezifische Kenntnisse vermitteln. Insbesondere die freien Gewerkschaften nutzen dieses Angebot, um ihre Funktionärsapparat auszubilden und zu professionalisieren.

Die Kontroverse um die Ausrichtung der Lehre

Der Rechtsphilosoph und erste Leiter der AdA, Eugen Rosenstock (1888–1973), ergänzte diese Ideen um eine – für die damalige Zeit eher außergewöhnliche – Komponente: die Orientierung der Lehrinhalte an den beruflichen und persönlichen Erfahrungen der Studierenden. Dies sollte zum einen dazu beitragen, gemeinsam mit der Arbeiterschaft Strategien zur Überwindung von Konflikten in der Arbeitswelt zu erörtern. Zum anderen strebte Rosenstock an, diese Gruppe zur Wahrnehmung ihrer Mitwirkungsrechte zu befähigen und zu verantwortungsvoll agierenden Führungskräften in Gewerkschaften, Unternehmen, Staat und sozialen Institutionen weiterzubilden.

Die konzeptionellen Vorschläge für eine mit der Universität personell und institutionell verflochtenen Akademie trafen auf den Widerstand von einigen Universitätsprofessoren. Zwar befürwortete die Mehrheit eine Reformierung der universitären Lehre, der angedachten Ausrichtung der Lehrinhalte an den Erfahrungen der Studierenden begegneten sie jedoch skeptisch bis ablehnend. Insbesondere die Aufgabe traditioneller Lehrformen (wie bspw. Vorlesungen) hielten viele Professoren für inakzeptabel. Letztlich erzielte man mit dem zehnmonatigen „studium generale“ eine Kompromisslösung, die auf dem Wunsch weltanschaulicher Unabhängigkeit gründete und eine breit gefächerte Bildung vorsah. Jedoch blieben weiterhin unübersehbare Differenzen zwischen Rosenstock und Dozenten der Universität bestehen. Infolgedessen verließ Rosenstock die Akademie bereits 1922.

Eine (männerdominierte) Erfolgsgeschichte in der Weimarer Republik

Trotz der Kontroversen um die Lehrmethoden setzte die Akademie, an der u.a. der Soziologe Franz Oppenheimer (1864-1943) und der Journalist Fritz Naphtali (1888-1961) lehrten, ihre erfolgreiche Arbeit fort. In der 1920er-Jahren bildete die AdA wichtige Funktionsträger der späteren Bundesrepublik aus, wie etwa Fritz Steinhoff (1897–1969), von 1956 bis 1958 erster sozialdemokratischer Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, oder Willi Richter (1894– 1972), von 1956 bis 1972 Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Mit der Förderung von Arbeiter_innen ohne Abitur oder akademische Vorbildung leistete die Akademie damit einen nachhaltigen bildungspolitischen Beitrag für die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft. Die Benachteiligung von Frauen war hingegen auch in der AdA präsent. Unter den rund 560 Studierenden der ersten zehn Lehrjahre befanden sich nur 26 Hörerinnen, in manchen Jahrgängen gab es sogar nur eine Teilnehmerin. Vielen ambitionierten Frauen blieb eine Chance zur Weiterbildung somit oft verwehrt, was damalige Gewerkschafterinnen zum Anlass nahmen, deutliche Kritik an der Unterrepräsentanz von Frauen zu üben. Sowohl die überwiegende Mehrheit der männlichen Hörerschaft der AdA als auch der Gewerkschaftsvertreter reagierten auf diese Klagen hingegen mit Unverständnis.

Die Neuaufstellung nach 1945 und die heutige EAdA

Am 31. März 1933 folgte nach der von den Nationalsozialisten erzwungenen Einstellung des Lehrbetriebs und der Kündigung aller Lehrkräfte die Schließung der Akademie. Zahlreiche Lehrkräfte der AdA mussten zudem emigrieren. Am 12. April 1946 gründete sich die Akademie mit Unterstützung von Universität, Gewerkschaften, Stadt, dem Land Hessen und der amerikanischen Militäradministration neu. Leiter der AdA wurde der Gewerkschafter Franz-Josef Furtwängler. Das Lehrpersonal setzte sich nun mit Vertretern aus den Gewerkschaften, dem Sozialversicherungswesen und der Justiz ebenfalls neu zusammen, sodass sich die inhaltlichen Schwerpunkte der Lehre verschoben. Doch schon wenig später konnte die Akademie erneut bedeutende Professoren aus der universitären Lehre, wie etwa die zeitweiligen Rektoren der Frankfurter Goethe-Universität, den Juristen und späteren Ersten Vorsitzenden der EWG-Kommission, Walter Hallstein (1901–1982), und den Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895–1973), gewinnen.

Angesichts gewerkschaftlicher Vorbehalte gegenüber staatlichem Einfluss wurde die Akademie 1951 in eine Stiftung privaten Rechts umgewandelt. Gleichberechtigte Träger waren fortan das Land Hessen, die Stadt Frankfurt und der DGB. Der Lehrbetrieb blieb auch in der Nachkriegszeit geprägt von dem engen wissenschaftlichen Austausch mit der Goethe-Universität, der ab 1979 durch eine Kooperationsvereinbarung nochmals vertieft wurde. Die Umbenennung der AdA in „Europäische Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt“ (EAdA) im Jahre 2009 trug sowohl der Erweiterung des Lehrangebots um europäische Perspektiven, als auch der zunehmenden Vernetzung mit anderen Gewerkschaftsakademien in Europa Rechnung. Heute bildet die EAdA jährlich rund 40 Teilnehmer_innen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung und ggf. gewerkschaftliche Erfahrungen vorweisen können, im Alter zwischen 21 und 35 Jahren fort. Zentrale Lehrinhalte umfassen das Verfassungs- und Arbeitsrecht, Sozialpolitik, Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie Management und Organisation.

Leon Oerder

Links und weiterführende Literatur:

  • Rainer Fattmann: 100 Jahre Europäische Akademie der Arbeit. Eine Institution für Lehre, Forschung und Mitbestimmung, hg. von Martin Allespach und Rainer Gröbel, Frankfurt am Main 2021.
  • Kern, Anna / Hoormann, Josef: Der Dritte Bildungsweg für Studierende der Europäischen Akademie der Arbeit (EAdA) : zum Hochschulzugang für Studierende der EAdA - Potentiale, Erfahrungen, Chancen, Düsseldorf 2011.
  • Website der Europäischen Akademie der Arbeit

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