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Ein halbes Jahrhundert ist es jetzt alt: das Bundesausbildungsförderungsgesetz – besser bekannt unter seinem Kürzel BAföG. Am 26. August 1971 im Bundestag verabschiedet wurde es zum 1. September eingeführt und ermöglichte jungen Erwachsenen aus einkommensschwachen Bevölkerungsschichten Studium und Hochschulabschluss. Doch aktuell sehen viele das BAföG in der Krise.
Obwohl schon seit Anfang der 1960er-Jahre der Verband Deutscher Studentenschaften auf eine zeitgemäße Ausbildungsförderung gedrängt hatte, wurde das BAföG erst dank der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt eingeführt. Gegenüber dem bis dahin geltenden „Honnefer Modell“ brachte das neue Gesetz gravierende Verbesserungen und versprach mehr Chancengleichheit im Bildungswesen. Beruhte das „Honnefer Modell“ – auch aufgrund der Zuständigkeiten – nur auf gemeinsam von Bund und Ländern vereinbarten Förderrichtlinien, garantierte das Gesetz nun einen Rechtsanspruch und machte die Förderung damit einklagbar. Bislang hatten sich Bewerber_innen einem Auswahlverfahren unterwerfen müssen, bei dem Begabung und „Eignung“ der zukünftigen Studierenden im Vordergrund standen. Die Anfangsförderung (erste drei Semester) wurde nur für die Vorlesungszeiten ausgezahlt; Semesterferien mussten selbst bestritten werden. Für die anschließende Hauptförderung mussten Leistungsnachweise, Vorprüfungszeugnisse oder Gutachten beigebracht werden. Die Hauptförderung wurde auch während der vorlesungsfreien Zeit gewährt und war je zur Hälfte Stipendium und Darlehen. Ziel des „Honnefer Modells“ war es also nicht, die akademische Ausbildung für alle gesellschaftlichen Schichten zu öffnen, sondern bestenfalls besonders Begabte zu unterstützen.
Die reformierte Ausbildungsförderung ab 1971 wurde zunächst als Vollzuschuss gezahlt und erweiterte mit seiner Orientierung an der Bedürftigkeit der Antragstellenden den Kreis der Berechtigten erheblich. Der Höchstförderbetrag entsprach anfangs der auch vom Deutschen Studentenwerk als notwendig erachteten Summe. Mit einer Förderquote von ca. 45 % der Studierenden (1971) hatte das BAföG einen hervorragenden Start. Aber bereits 1974 gingen die Förderquoten zurück, nachdem der Vollzuschuss in eine Mischform von Zuschuss und Grunddarlehen umgewandelt wurde.
Mit dem Wechsel zu einer konservativ geführten Regierung ab 1983 wurde die Förderung für Schüler_innen ganz abgeschafft und für Studierende auf Volldarlehen umgestellt: Bei einer durchschnittlichen Studienzeit von 10 Semestern und dem Bezug des Höchstförderbetrags bedeutete das BAföG-Schulden von bis zu 70.000 DM am Ende des Studiums. Wer wollte und konnte sich einen solchen Schuldenberg leisten? Zumal der Arbeitsmarkt für Akademiker_innen keineswegs komfortabel war. Die „Lehrerschwemme“ der 1980er-Jahre hatte eine hohe Arbeitslosigkeit insbesondere unter den Geisteswissenschaftler_innen zur Folge. Die Aussicht auf adäquate Beschäftigung in anderen Berufsfeldern war gering. Erst die deutsche „Wiedervereinigung“ führte zu einem Umdenken: Offenbar hielt es auch die Regierung unter Helmut Kohl nicht für klug, ostdeutsche Studierende zu verprellen, die bislang in der DDR ein einheitliches Grundstipendium erhalten hatten. Die Ausbildungsförderung wurde wieder auf die Mischform Zuschuss und zinsloses Darlehen umgestellt, die Förderquote stieg im geeinten Deutschland auf rund 25 %.
Zahlreiche Maßnahmen zeigen auf, wie stark die Ausgestaltung des BAföG der politischen Grundlinie unterworfen war und ist: Sozialdemokratisch geführte Regierungen erleichterten durch die Hochschulneugründungen in den 1960er- und 1970er-Jahren, durch die Öffnung eines „Zweiten Bildungswegs“ und eine finanzielle Unterstützung Schüler_innen und Studierenden aus
unterschiedlichen Bevölkerungsschichten den Zugang zu einer besseren Bildung und damit den beruflichen und gesellschaftlichen Aufstieg. Die Deckelung der Darlehensschuld, die Freistellung des Kindergelds bei der Einkommensberechnung, ein Zuschlag für Studierende mit Kindern oder die Anhebung der Altersgrenze für Masterstudierende waren spätere Ansätze, der tatsächlichen Lebenswelt der Studierenden Rechnung zu tragen und die Förderquote (wieder) zu heben.
Konservativ geführte Regierungen verengten wiederum diesen Zugang durch Einschränkungen der Förderberechtigten, durch quasi-Streichung des Schüler_innen-BAföGs und die Aussicht auf eine erhebliche Schuldenlast. Geburtenstarke Jahrgänge drängten in den 1980er-Jahren in die Hochschulen, die dafür nicht ausgestattet waren. Die Zeit des Numerus Clausus begann. Sollte man da noch den Zutritt zu akademischer Bildung fördern? Dementsprechend sank die Förderquote kontinuierlich und erreichte 1998 einen Tiefpunkt: Nur 13 % der Studierenden bezogen BAföG. Noch 2005 dachte die CDU in Gestalt von Annette Schavan laut darüber nach, das BAföG abzuschaffen und durch einen „attraktiven Markt der Bildungsfinanzierung“ zu ersetzen. Keine gute Wahlkampfidee.
Kritik und Reformen begleiteten das BAföG in allen Jahren seines Bestehens: Die Höhe der Freibeträge, die die Zugangsberechtigung bestimmen, das Höchstalter der Anspruchsberechtigten, Umfang und Art der Leistungen, Förderhöchstdauer, Rückzahlungsmodalitäten wurden und werden immer wieder als nicht ausreichend und nicht zeitgemäß beurteilt. Die Antragstellung erscheint als bürokratischer, höchst komplexer Verwaltungsakt, der Antragsteller sieht sich als Bittsteller, der Entscheid wird als zu langwierig und intransparent empfunden.
Ganz offensichtlich erreicht das BAföG seine Zielgruppe heute nicht mehr: Aktuell liegt die Quote der geförderten Studierenden bei unter 11 %! Während 79 % der Kinder aus Akademikerfamilien ein Studium beginnen, sind dies bei nur 27 Prozent der Kinder, deren Eltern nicht akademisch ausgebildet wurden. Nach wie vor hängt der Bildungsweg viel zu stark von der Herkunft ab.
Das 50-jährige Jubiläum bietet Anlass, über grundlegende Änderungen zu diskutieren. Die DGB-Jugend legt aktuell hat jüngst einen eigenen „Alternativen Bafög-Bericht“ vorgelegt, „da der 22. BAföG-Bericht der Bundesregierung auf 2022 verschoben wurde“. Darin wird nicht nur die Entwicklung der Kennzahlen zum BAföG-Bezug dargestellt und bewertet, sondern man bezieht auch die Auswirkungen der Corona-Krise für die Studierenden mit ein. Arbeitsplatzverlust, Mehraufwand für Technik und Literatur angesichts von digitalem Unterricht und geschlossenen Bibliotheken, verschobene Praktika und Prüfungen haben die Studierenden zusätzlich erheblich belastet. Die DGB-Jugend fordert daher einen Notfallmechanismus im Unterstützungssystem.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft setzt sich für die Umwandlung in einen Vollzuschuss ein, damit niemand durch einen zu erwartenden Schuldenberg vom Studium abgeschreckt wird. Gefordert werden eine deutliche Anhebung und regelmäßige Anpassung der Freibeträge sowie der Fördersätze, damit diese ohne langen Verzug an die tatsächlichen Lebenshaltungskosten angepasst werden. Außerdem wird die Verlängerung der Förderzeiten auf die tatsächliche durchschnittliche Studienzeit für sinnvoll erachtet – nicht mehr eine idealtypisch festgesetzte Höchstförderdauer. Ähnlich sind die Forderungen der breit aufgestellten Kampagne #bafög50, die darüber hinaus eine Öffnung zur familienunabhängigen Unterstützung anstrebt: Bislang müssen Studierende, die von ihren Eltern unterstützt werden könnten, das Geld aber nicht erhalten, den Klageweg einschlagen. Angesichts explodierender Mieten in vielen Universitätsstädten werden flexiblere und realistischere Wohnkostenzuschüsse gefordert. Andere Modelle schlagen vor, das BAföG zu einem Erwachsenenbildungsinstrument auszubauen, um auch ältere Studierende sowie Teilzeit- und
Weiterbildungsstudiengänge zu fördern und damit der Notwendigkeit des Lebenslangen Lernens Rechnung zu tragen.
In den vergangenen 50 Jahren wurden rund 50 Millionen Studierende durch BAföG unterstützt. Auf dem Weg zur Bildungsgerechtigkeit war und ist es ein wichtiger Baustein, den es weiterzuentwickeln und auszubauen gilt.
Gabriele Rose
Wie ein BAföG der Zukunft aussehen könnte, skizzieren Michael Cordes und Dieter Dohmen.
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