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Archiv der sozialen Demokratie
Während die Bundesrepublik ab 1952 Wiedergutmachungen zahlte und damit zumindest materiell-symbolisch Verantwortung für die Gräueltaten der nationalsozialistischen Diktatur übernahm, ging es der DDR-Führung in erster Linie darum, diese Verantwortung abzustreiten.
Bild: Erste Kundgebung des Antifaschistischen Blocks, August 1945; von: Abraham Pisarek; Quelle: Deutsche Fotothek; Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.
„Die DDR [...] hat von ihrer ersten Stunde an immer mit einer Lüge gelebt. Sie erfand sich eine Geschichte, die nie stattgefunden hatte – ihre Ahnherren seien die deutschen Antifaschisten. [...] Von zehntausend Antifaschisten, die es in Nazideutschland gegeben haben mag, lebten allein acht Millionen in der DDR.“ (Becker 1994)
Die SED-Führung sah die Schuld an den durch die Nationalsozialisten verübten Gräueltaten nicht beim deutschen Volk. Sie folgte dabei bis zum Ende ihres Bestehens der Faschismusdefinition des Generalsekretärs der Komintern Georgi Dimitroff von 1933, welche den Faschismus als „offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ beschrieb. Bürgerliche Demokratie auf der einen Seite und Faschismus auf der anderen sind demnach zwei verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus. Ist das kapitalistische System in einer bürgerlichen Demokratie bedroht, etwa durch eine Revolution oder Finanzkrise, installiere eine kleine Elite, die sogenannten „Finanzkapitalisten“ ein faschistisches Marionettenregime, dessen oberstes Ziel es sei, die Arbeiter_innenklasse zu unterdrücken.
In dieser Definition stecken zwei Annahmen, die von der SED-Führung genutzt wurden, um ihre antikosmopolitische und antizionistische Kampagne theoretisch zu legitimieren und sich der Wiedergutmachung an den Jüdinnen und Juden zu verweigern: Zum einen ist es die Vorstellung, dass der Faschismus von einer kleinen Elite installiert wurde und die damit einhergehende Entlastung des deutschen Volkes. Zum anderen die Annahme, dass nicht etwa die Jüdinnen und Juden das Hauptopfer des deutschen Faschismus waren, sondern die Arbeiter_innenklasse.
Während die Bundesrepublik ab 1952 Wiedergutmachungen zahlte und damit zumindest materiell-symbolisch Verantwortung für die Gräueltaten der nationalsozialistischen Diktatur übernahm, ging es der DDR-Führung in erster Linie darum, diese Verantwortung abzustreiten. Als ein Staat, der von Antifaschist_innen aufgebaut worden sei, als das andere und wahre Deutschland, wollte die DDR allein aus ideologischen Gründen schon keine Wiedergutmachung leisten. Um die Aporie zwischen der Schuld am Mord von sechs Millionen Menschen und dem Bedürfnis, sich mit dem „Volk“ zu identifizieren, aufzulösen, betrieb die SED sekundären Antisemitismus und sprach das (ost-)deutsche Volk bzw. die Arbeiter_innenklasse im Sinne der Dimitroff-These von jeglicher Schuld frei. Dass die DDR nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun habe, wurde zum staatsoffiziösen Dogma.
Sekundärer Antisemitismus lässt sich als „Judenhass nicht trotz, sondern wegen Auschwitz“ zusammenfassen (Gessler 2005). Jüdinnen und Juden wird vorgeworfen, dass sie mit der Erinnerung an die Shoah die Identifikation mit dem nationalen Kollektiv unmöglich machen. Dies führt im Ergebnis zur Relativierung der Shoah bis hin zu ihrer Leugnung. Die SED leugnete die Mitwirkung des deutschen Volkes am Aufstieg Hitlers nicht nur, sondern betrieb darüber hinaus in zweifacher Hinsicht eine Täter-Opfer-Umkehr. Erstens wurde im Sinne des sogenannten Schuldabwehrantisemitismus ständig nach vermeintlichen jüdischen Untaten und Verbrechen gesucht. Auch diese Untaten konnte die SED wieder durch Dimitroffs Faschismustheorie konstruieren. Denn durch die Annahme, dass nicht das Volk, sondern lediglich eine kleine Elite von „Finanzkapitalisten“ den Faschismus installiert hätten, gerieten auch Jüdinnen und Juden durch die Verknüpfung mit dem Kapitalismus in die Täter_innenrolle. Nicht etwa das deutsche Volk, sondern Kapitalist_innen – und unter ihnen auch Jüdinnen und Juden – seien schuld am Aufstieg des Faschismus, so die Logik der SED.
Außerdem wurde das Verlangen nach Wiedergutmachung „als ungerechtfertigt, als Ausdruck von Geldgier, ewiger Rachsucht oder generellen Hasses auf alles Deutsche abgewehrt“. Die (ost-)deutsche Bevölkerung wird somit als Opfer jüdischer bzw. zionistischer Angriffe dargestellt.
Für Ulbricht und seine Getreuen waren sie selbst, die Kommunist_innen, die Hauptopfer des Faschismus. Analysiert man den unter anderem von Ulbricht und Pieck verfassten Gründungsaufruf des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands vom 11. Juni 1945, fällt auf, dass zwar die Verbrechen des Hitlerregimes genau aufgezählt wurden, Jüdinnen und Juden als Opfergruppe jedoch dezidiert nicht genannt wurden. Mit dieser Nicht-Nennung wurde nicht nur Wiedergutmachungsforderungen frühzeitig entgegengetreten, sondern die Shoah relativiert. Die Auslassung ist dabei kein einmaliges Versehen von Ulbricht, sondern zieht sich durch all seine Reden.
Der theoretische Hintergrund dieser Haltung ist erneut in Dimitroffs Faschismusdefinition zu finden. Diese besagt nicht nur, dass das „deutsche Volk“ schuldlos am Aufstieg des Faschismus gewesen sei, sondern geht ferner davon aus, dass das Hauptziel des Faschismus die Arbeiter_innenklasse gewesen sei. Der Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden spielte für die Moskauer KPD-Kader nur eine zweitrangige Rolle. Dies hängt unter anderem mit der Übernahme der sowjetischen Politik zusammen, die Jüdinnen und Juden nicht als Nation anerkannte und im Antisemitismus nur ein Ablenkungs- und Spaltungsinstrument auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft sah.
In der DDR wurden Jüdinnen und Juden daher als „Opfer zweiter Klasse“ klassifiziert. Sie traten damit hinter politisch Verfolgte zurück, die staatlich anerkannte „Kämpfer gegen den Faschismus“ waren und durch diesen Titel mehr Vergünstigungen und materielle Hilfen vom Ausschuss für Opfer des Faschismus (OdF) erhielten. Die Erduldungen der Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus wurden damit herabgewürdigt und geleugnet.
Durch die rein ökonomische Betrachtungsweise des Faschismus betrieb die SED eine Täter-Opfer-Umkehr, die als sekundärer Antisemitismus bezeichnet werden muss. Zudem wird durch die Annahme, Faschismus sei nur eine Form des Kapitalismus, der Shoah ihr singulärer Charakter aberkannt. Die SED ging davon aus, dass ein ähnliches Verbrechen jederzeit wieder in einem kapitalistischen Land begangen werden kann. Die Schuld der Deutschen wurde somit auf den Kapitalismus an sich übertragen. Die DDR verwehrte aus diesen Gründen bis zum Ende ihres Bestehens jegliche Rückerstattungs- oder Wiedergutmachungsleistungen an Jüdinnen und Juden. Mit der Einführung einer sozialistischen Wirtschaftsordnung und der Enteignung der Kapitalist_innen sahen Ulbricht und seine Anhänger_innen die Ursachen für Faschismus und Antisemitismus als behoben an. Mit der deutschen Vergangenheit hatte man folglich nichts mehr zu tun und war daher auch nicht dazu verpflichtet, Wiedergutmachung zu leisten.
Doch geht diese Entwicklung von Einzelpersonen wie Stalin oder Ulbricht aus oder ist sie dem Kommunismus inhärent? Das kommunistische Weltbild ist grundsätzlich ein manichäisches, die Welt ist in zwei sich gegenüberstehende Gruppen geteilt, in Gut und Böse. Anders als im völkischen Nationalismus, in dem das eigene „gute“ Volk dem anderen „bösen“ Volk entgegensteht, kann im Marxismus-Leninismus das andere Volk nicht dieses Feindbild einnehmen. Schließlich versteht sich der Kommunismus als internationalistische Bewegung und beruft sich auf alle Völker der Erde.Die zentrale binäre Trennlinie innerhalb der manichäischen Weltanschauung des Kommunismus verläuft somit nicht zwischen verschiedenen Völkern, sondern innerhalb eines Volkes entlang sozial konstruierter Klassen. Auf der einen Seite steht das werktätige bzw. schaffende Volk und auf der Gegenseite die raffenden Kapitalisten. Durch diese Unterteilung entsteht ein dem Kommunismus eigener Nationalismus, „der einen gefährlichen ,Volksfeind‘ konstruiert, welcher sowohl von außen als auch von innen bedroht und der sowohl sozial als auch national als fremd und nicht dazugehörig definiert wird“.
Diese Rolle der Volksfeinde nahmen auch im Kommunismus die Juden ein. Während Karl Marx in seinem frühen Werk Zur Judenfrage Juden noch als „Schacherer“ bezeichnete und Geld ihren Gott nannte, wandelten sich diese Bezeichnungen im Laufe der Zeit und spätestens nach der Shoah wurde aus dem Schacherer der „zionistische Monopolkapitalist“ oder „Kosmopolit“. Die antizionistische Form des Antisemitismus argumentiert nicht rassisch und spricht nicht einmal explizit Jüdinnen und Juden an. So ist es sogar möglich, die „werktätigen Juden“ als gut zu klassifizieren und gleichzeitig gegen „Zionisten“ vorzugehen. Der Antizionismus ist – wie auch andere Ausprägungen des Antisemitismus – ein Antisemitismus ohne Jüdinnen und Juden. Die von außen geschaffene vermeintliche Gefahr dient in der marxistisch-leninistischen Ideologie dazu, nach innen ein homogenes Kollektiv unter kommunistischer Führung zu konstruieren und damit letztlich die Legitimierung und Sicherung der Herrschaft der kommunistischen Parteien zu gewährleisten. Der Vorwurf des Kosmopolitismus wurde im Folgenden als Machtmittel genutzt, um die Parteilinie intern durchzusetzen und jede Abweichung zu eliminieren. In der vorliegenden Analyse wurden jene strukturellen Übereinstimmungen zwischen Marxismus-Leninismus und Antisemitismus benannt und damit die Evidenz ihrer ideologische Verknüpfung aufgezeigt.
Julius Övermeyer
Manuel Campos berichtet von seinem Weg aus Portugal nach Deutschland, den Erfahrungen von Migrant:innen in der Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren und seinem Engagement in der IG Metall.
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