Diese Webseite verwendet Cookies
Diese Cookies sind notwendig
Daten zur Verbesserung der Webseite durch Tracking (Matomo).
Das sind Cookies die von externen Seiten und Diensten kommen z.B. von Youtube oder Vimeo.
Geben Sie hier Ihren Nutzernamen oder Ihre E-Mail-Adresse sowie Ihr Passwort ein, um sich auf der Website anzumelden.
Ein Exemplar des seltenen Katalogs der SPD-Parteibibliothek – ein brauner Halblederband im Quartformat mit 412 Seiten – erhielt sich im Besitz des Instituts für Sozialforschung (IfS) in Frankfurt a. M. und wurde im Jahr 1992 an die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben. Nils Lehnhäuser (Bibliothek des IfS) und Olaf Guercke (Bibliothek der FES) versuchen, seine Besitz- und Herkunftsgeschichte nachzuzeichnen.
Als der Katalog der SPD-Parteibibliothek am 1. September 1992 in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, am Rande einer Feierstunde zum 40. Todestag Kurt Schumachers, durch Prof. Dr. Ludwig von Friedeburg, den Leiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, an den SPD-Vorsitzenden Björn Engholm übergeben wurde, war das dem SPD-Zentralorgan vorwärts eine kurze Meldung wert: Zur Provenienz des Katalogs heißt es darin, das „Kleinod sozialdemokratischer Geschichte“ sei 1932 aus der SPD-Parteibibliothek in Berlin an das Frankfurter Institut ausgeliehen worden, weil sich dort bereits zu dieser Zeit ein Kopiergerät befunden habe. Auf diese Weise sei der Katalog trotz der Zerschlagung der Berliner Bibliothek durch die Nationalsozialisten erhalten geblieben. Wir konnten diese Herkunft, wie sich weiter unten zeigen wird, im Rahmen unserer kleinen Recherche zur Besitzgeschichte des Katalogs nicht bestätigen. Anhand der Stempel und Notizen im Exemplar möchten wir daher versuchen, den Weg des Katalogs vor dem Hintergrund der Geschichte unserer Institutionen, soweit uns das möglich ist, nachzuzeichnen. Dort, wo uns das nicht gelingt, sind wir auf Vermutungen angewiesen, die uns gleichfalls erzählenswert zu sein scheinen.
Erstellt wurde der Katalog ab 1899 vom damaligen Parteibibliothekar Max Schippel nach einer eigens entwickelten Systematik, die bald von vielen anderen Arbeiterbibliotheken übernommen wurde. Erst mit der Fertigstellung des Katalogs wurde die Parteibibliothek, die als sozialistische Spezialbibliothek innerhalb einer öffentlichen Bibliothek in der Berliner Alexandrinenstraße untergebracht war, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht; wie man der im Katalog eingeklebten Benutzungsordnung entnehmen kann, nicht gänzlich frei, sondern nur nach Genehmigung durch den Parteivorstand. Auch das Ausleihen von Büchern musste jeweils genehmigt werden.
Für uns ist der Katalog heute – über seinen Wert als historisches Artefakt hinaus – aufgrund des Inhalts, der mit seinen über 8.000 Buchnachweisen auf 412 Seiten recht präzise die Wissens- und Bildungsbedarfe intellektueller, forschender Sozialdemokrat_innen am Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentiert, interessant. Auch spielt der Katalog im Rahmen der Provenienzforschungsarbeit in der Friedrich-Ebert-Stiftung eine wichtige Rolle.
Kurz nach dem Druck im Jahr 1901 wurden die Exemplare des Katalogs vermutlich als profane Arbeitsmittel für Benutzer_innen der Parteibibliothek verwendet, wobei der gleichfalls vorhandene Zettelkatalog in der Bibliothek bald hilfreicher gewesen sein dürfte, da er im Gegensatz zum gedruckten Katalog mit Nachweisen neu akquirierter Bestände auf dem neuesten Stand gehalten werden konnte. Spätestens als die SPD-Parteibibliothek im Jahr 1927 einen aktuellen, nun dreibändigen Katalog publizierte, war der Katalog von 1901 als Arbeitsmittel veraltet.
In die Bibliothek des Instituts für Sozialforschung (1923–1933) wurde unser Exemplar des Katalogs im Jahr 1929 aufgenommen. Dies lässt sich heute anhand der handschriftlich notierten Zugangsnummer „29:428“ auf dem Deckblatt nachvollziehen. Die Zahl 29 steht dabei für das Jahr des Zugangs. Nach dem Doppelpunkt wurde eine laufende Nummer vergeben, die sich auf die jeweilige Erwerbung bezieht. Die Eintragung „L.S. I 320“ im hinteren Buchdeckel lässt sich als Signatur ebenfalls der ersten IfS-Bibliothek zuordnen. Zumindest der vorliegende Katalog dürfte also nicht erst 1932 nach Frankfurt „verliehen“ worden sein, sondern war dort bereits 1929 regulär in Besitz genommen worden. Weiter ist nicht erkennbar, dass er zuvor als Teil der SPD-Bibliothek im Gebrauch war, da ihm der charakteristische „Lilienstempel“ fehlt, mit dem die dort vorhandenen Bücher regelmäßig gekennzeichnet wurden. Hier stellt sich nun die Frage, wie und warum der Katalog zum IfS nach Frankfurt kam und dort in den Bestand der Bibliothek aufgenommen wurde.
Drei Hypothesen möchten wir im Folgenden skizzieren:
a) Der Katalog stammte aus einem Dublettentausch, der sich zwischen den beiden Bibliotheken auf Betreiben des SPD-Parteiarchivars Adolf Braun entwickelt haben soll (siehe Anmerkung unten). Die Verwobenheit der Sammlungen liegt nahe. Allerdings wurden die heute bekannten SPD-Bände im Besitz des IfS schwerpunktmäßig schon in den Jahren 1924 und 1926, zum Zeitpunkt des betreffenden Kontakts, eingearbeitet. Untypisch wäre auch das Fehlen des „Lilienstempels“.
b) Der Zugang stammt aus der Auflösung des von Eduard Fuchs geleiteten Berliner Sozialwissenschaftlichen Archivs im Jahr 1925/26. Das Archiv sammelte Material für die IfS-Bibliothek, darunter auch SPD-Material. Allerdings geben die umfangreichen, für den Transfer des Archivs nach Frankfurt angelegten Inventarverzeichnisse (s. BArch N 2085/1) keine Hinweise auf den Katalog.
c) Von 1925 bis 1928 kooperierte das IfS mit dem sowjetischen Marx-Engels-Institut in Moskau bei der Erstellung der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA^1). Der Katalog könnte bei der Edition des Marx-Engels-Nachlasses gebraucht worden und dann nach der Kooperation in die Bibliothek des IfS überführt worden sein. Hierfür spricht, dass ein Teil des Bestands der SPD-Parteibibliothek aus den nachgelassenen Privatbibliotheken von Karl Marx und Friedrich Engels stammte.
Gleichfalls ist nichts über den Verbleib des Katalogs zwischen Juli 1933 und Dezember 1954 bekannt. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde am 14. Juli 1933 der gesamte Bestand der Bibliothek des IfS vom Geheimen Staatspolizeiamt (GESTAPA) zugunsten des preußischen Staates beschlagnahmt und nach einem Erlass des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom Oktober 1936 an andere Frankfurter Bibliotheken sowie an die Preußische Staatsbibliothek in Berlin übergeben. Ob der Katalog diesen Weg genommen hat, lässt sich jedoch anhand von Stempeln o. Ä. nicht nachweisen. Sicher ist, dass der Band 1954 unter der Signatur „D 105 141“ in die Bibliothek des neugegründeten IfS in Frankfurt wiederaufgenommen wurde. Der entsprechende Eintrag am 1.12.1954 im „Zugangsbuch II“ der Bibliothek verzeichnet die Erwerbung unter dem Kennzeichen „R“ (= „Rückgabe früheren Eigentums von anderen Instituten“). Zur genauen Herkunft gibt es jedoch keine Angabe, so dass wir auch hier lediglich einige Hypothesen formulieren können:
a) Der Katalog wurde von Mitarbeiter_innen des IfS vor dem Zugriff der GESTAPA bewahrt, ins Exil mitgenommen und anschließend zurückgebracht. Ein einschlägiger Hinweis, etwa ein Stempel oder eine Signatur aus der Genfer oder New Yorker Bibliothek des IfS, sind jedoch nicht vorhanden.
b) Das Exemplar wurde tatsächlich beschlagnahmt und nach 1936 an die Preußische Staatsbibliothek oder eine Frankfurter Bibliothek weiterverteilt, ohne dass der Besitz durch einen entsprechenden Bibliotheksstempel o. Ä. gekennzeichnet wurde. Gegen eine Abgabenach Berlin könnte jedoch sprechen, dass die für den Transport in die Preußische Staatsbibliothek ausgewählten Bestände als „zersetzend“ oder „staatsfeindlich“ im Sinne der NS-Ideologie galten. Rückgaben an das IfS aus dem Bestand der Preußischen Staatsbibliothek in den 1950er Jahren sind in den IfS-Zugangsbüchern nicht nachzuweisen. Rückgaben aus Bibliotheken in Frankfurt kamen zu dieser Zeit jedoch durchaus vor.
c) Auch ist eine Rückgabe aus privater Aneignung möglich, bei der etwa um Anonymität gebeten wurde.
Obwohl der Katalog 1954 wieder regulär in den Bestand des IfS aufgenommen worden war, galt er dennoch in der Marx-Engels-Forschung länger als verschollen. Der Band IV/32 der zweiten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA^2) berichtet in der Einleitung von einer Wiederentdeckung des Katalogs durch Karl-Ludwig König (Karl-Marx-Haus Trier) im ehemaligen Bestand der Frankfurter Gesellschaft für Sozialforschung e. V. im Jahr 1987. Den Katalog hatte man zuvor schmerzlich vermisst und die lange Phase, in der er als nicht auffindbar galt, führt deutlich vor Augen, wie sinnvoll überregionale Nachweise von Bibliotheksbeständen sind. Aufgetaucht war der Katalog jedoch nicht erst 1987. Bereits im Dezember 1981 wurde er im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung verfilmt. Kopien dieses Films gingen an das International Institute of Social History in Amsterdam, an das Institut für Marxismus/Leninismus in Berlin (Ost) und an die Bibliothek des IfS. Diese Kopien sowie das Exemplar des AdsD sind bis heute erhalten. Verfilmt wurde – eindeutig anhand der Stempel identifizierbar – das vorliegende Exemplar der Bibliothek des IfS, welches zu diesem Zweck an das AdsD ausgeliehen worden sein muss. Die Existenz dieses Exemplars war demnach spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannt, ein Interesse am Katalog der SPD-Parteibibliothek bestand offenbar auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs und ein entsprechender Austausch zwischen den Institutionen fand statt.
Im Jahr 1992 wurde dann schließlich, nach einer längeren Suche nach einem geeigneten Termin, der Katalog von Prof. Dr. Ludwig von Friedeburg an Björn Engholm übergeben, der ihn stellvertretend für die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung annahm. Seitdem ist das Exemplar im Raum für seltene Drucke der Bibliothek sicher verwahrt. Wir in der Bibliothek der FES sind heute sehr dankbar für die großzügige Übergabe durch Ludwig von Friedeburg. Um eine Restitution von NS-Raubgut oder aufgrund anderer unrechtmäßiger Aneignung handelte es sich dabei nicht, da sich der Katalog regulär im Besitz der Bibliothek des IfS befand. Vielmehr sehen wir es als ein Geschenk an, mit dem die Geschichte der Sozialdemokratie und der SPD-Bibliothek gewürdigt wurde. Die Sicherstellung der Verwahrung und digitalen Verfügbarkeit des Katalogs ist uns als Institution in der Tradition der SPD-Bibliothek eine große Freude und Verpflichtung zugleich.
Nils Lehnhäuser (Bibliothek des IfS) und Olaf Guercke (Bibliothek der FES)
Anmerkungen und Literatur:
Für die Informationen zu den verfilmten Kopien des Katalogs möchten wir uns herzlich bei Frau Dr. Silvia Köpstein von der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) in Berlin und bei Nina van den Berg vom International Institute of Social History (IISH) in Amsterdam bedanken.
Zum Dublettentausch zwischen der Bibliothek des IfS und der SPD-Parteibibliothek, vgl.: Gruber, Hans-Peter: „Aus der Art geschlagen“. Eine politische Biografie von Felix Weil (1898–1975), Frankfurt a. M. 2022, S. 599–603.
Zur Wiederentdeckung des Katalogs 1987, vgl.: Einführung zu MEGA^2 IV/32, S. 58 Anm. 123.
Mehr Informationen zur Entstehung und Geschichte der SPD-Parteibibliothek finden sich im Artikel „Die Bibliothek der FES und das AdsD als Erbe der frühen SPD-Parteibibliothek“: https://www.fes.de/adsd50/katalog.
Link zur Bibliothek des IfS: https://www.ifs.uni-frankfurt.de/bibliothek.html.
Link zur Bibliothek der FES: https://www.fes.de/bibliothek/.
Der Katalog im Bestand der Bibliothek der FES: https://library.fes.de/opac/id/744137.
Ein Exemplar des seltenen Katalogs der SPD-Parteibibliothek – ein brauner Halblederband im Quartformat mit 412 Seiten – erhielt sich im Besitz des…
Am 23. Oktober 1974 wurde im Presse-Dienst des DGB-Landesbezirkes Saar die Schaffung eines Interregionalen Gewerkschaftsrats (IGR) für den…
Das Projekt „HAMREA – Hamburg rechtsaußen“ untersucht rechtsextreme Gewalt und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft von 1945 bis…
Rudolf Breitscheid war der profilierteste sozialdemokratische Außenpolitiker in der Weimarer Republik. Er engagierte sich lebenslang für den…