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Ein neuer Fall für das Team „Filme“: aus dem Umbauprojekt des Archivs der sozialen Demokratie

Wie Filme im Archiv für eine dauerhafte Lagerung überprüft werden, beschreibt unser Filmteam.

Abbildung eines Filmbefundungstisches

Bild: Filmbefundungstisch; Rechte: AdsD.

Abbildung von mehreren übereinander gestapelten Filmrollen

Bild: Filmdosen im Zwischenarchiv; Rechte: AdsD.

Abbildung einer Filmrolle

Bild: Filmrolle mit fortgeschrittenem Essigsäuresyndrom; Rechte: AdsD.

Abbildung einer grünen Allonge einer Filmspule

Bild: Grüne Allonge; Rechte: AdsD.

Abbildung eines PH-Tests mit fünf unterschiedlichen Stufen

Bild: PH-Test; Rechte: AdsD.

Blaue Nitril-Handschuhe rollen sich über die Handrücken, der weiße Laborkittel wird zugeknöpft und die graue FFP2-Maske mit dem Kohlefilter noch einmal in Position gerückt – was für Sherlock Holmes Jagdmütze, Wollmantel und Pfeife sind, ist für das Filmteam des Archivs der sozialen Demokratie (AdsD) die persönliche Schutzausrüstung. Erst wenn diese korrekt angelegt ist, kann die Detektivarbeit im Umbauprojekt beginnen.  

In der Friedrich-Ebert-Stiftung werden seit 2021 die Magazinräume des gesamten Sammlungsbereichs für eine Modernisierung und einen Umbau vorbereitet. Alle Objekte, auch die Filme, werden im Rahmen des Projektes inventarisiert, bestandsgerecht verpackt und auf etwaige Beschädigungen und Ihren Erhaltungszustand geprüft, um notwendige Restaurierungsbedarfe zusammenzutragen.

In vielerlei Hinsicht ähneln die Identifizierung und Inventarisierung des analogen Filmmaterials der deduktiven Methode, die Arthur Conan Doyles bekannter Detektiv zur Lösung seiner Fälle heranzieht. Auch hier gilt es, die Indizien richtig zu interpretieren und abschließend den individuellen Fall jedes Filmes zu beurteilen.

Das Corpus Delicti: eine blecherne Filmdose aus Aluminium, leicht verbeult, Ansätze von Korrosion. Das bedruckte Label ist bereits ausgeblichen: „Verantwortung für Deutschland“ – der Titel einer Serie von Wahlwerbespots der SPD zur Bundestagswahl 1965.

Tatort „Filmdose“

Um den Tatort „Filmdose“ genauer erschließen zu können, muss dieser zunächst abgesichert werden. Isoliert auf einem separaten Tisch mit guter Belüftung, können die Ermittelnden es nun wagen, den Deckel der alten Blechdose anzuheben. Noch wissen sie nicht, was genau sie erwartet. Zwar liefern die beschrifteten Klebeetiketten auf der Oberfläche der Dose einen ersten Hinweis, doch allein auf diesen verlassen, möchte sich das Team nicht – schließlich kann der äußere Eindruck täuschen und auf eine falsche Fährte führen…

Kaum ist der Deckel entfernt, kommt ihnen bei diesem Objekt ein beißender Geruch entgegen. Es regt sich ein übler Verdacht: Der Film hat bereits an Flexibilität verloren. Konnte er sich einst geschmeidig durch den Filmkanal eines Projektors bewegen, krümmt er sich nun störrisch um seine Spule. Die Symptome gleichen dem „Modus Operandi“ eines bekannten Serientäters, der in Filmarchiven weltweit sein Unwesen treibt. Der Name des Verdächtigen? „Essigsäuresyndrom“.

Täter „Essigsäuresyndrom“

Wie im vorliegenden Fall, geht das Essigsäuresyndrom mit seinen Opfern, den alten Acetatfilmen des 20. Jahrhunderts, besonders kaltblütig um. In einem zunächst langsam anlaufenden Prozess bildet es Essigkristalle im Trägermaterial, die nach und nach den Film zersetzen. Dabei wird die Acetatcellulose zusehends spröde und schrumpft, bis der Film letztlich nicht mehr abspielbar ist. Hat das Essigsäuresyndrom einmal ein Opfer in seiner Mangel, kann es nicht mehr aufgehalten werden.

Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass der Film verloren ist und das Team an dieser Stelle kapituliert: Zwar ist ein alterungsbedingter Zerfall des grundsätzlich archivunfähigen Trägermaterials „Acetatcellulose“ unvermeidbar, doch eine zeitnahe Digitalisierung kann die Filminformation auch für spätere Generationen langfristig überliefern. Bis das vorliegende Objekt in das digitale Gedächtnis des Archivs integriert wird, dreht das Team einige bestandserhalterische Stellschrauben, um seinen Erhalt bis zur Digitalisierung weiter zu begünstigen. Zunächst müssen aber nähere Erkenntnisse zum „Opfer“ gewonnen und sein Zustand detaillierter bestimmt werden.

Ermittlung der Kopiengeneration

Hierbei geht es den Ermittelnden vor allem um die Feststellung der jeweiligen Kopiengeneration, aus welcher das betroffene Objekt, in diesem Fall ein schmaler 16mm-Film der 60er Jahre, entspringt. Immerhin ist es ein langer Weg bis die Produktion eines solchen Films zur fertigen Vorführkopie gelangt. Während des Produktionsprozesses wird eine Kopierschleife durchlaufen. Sie beginnt beim „Originalnegativ“, dem Ausgangsmaterial, von dem Schnittkopien, „Duplikat-Positive und -Negative“, gezogen werden. Dieses „Arbeitsmaterial“ wird geschnitten, Szenen herausgenommen und eingefügt. Das Publikum bekommt am Ende das fertige Produkt, die „Vorführkopie“, ohne physische Schnitte und mit beigefügter Tonspur zu sehen. Doch die Qualität des Bildes variiert je nach Kopierschritt. Für eine spätere Digitalisierung und die archivische Bewertung kann das Erkennen der Kopiengeneration daher äußerst hilfreich sein.

Das Filmteam prüft sein Objekt nun also ganz genau: Handelt es sich hier um ein Originalnegativ, um ungeschnittenes Ausgangsmaterial? Lassen sich physische Schnitte oder ein schwarzer Rahmenabdruck der Kopiermaschine in der Nähe der Perforation erkennen? Nein, keine physischen Schnitte, aber ein auffälliges monochrom-grünes Startband. Die sogenannte „Allonge“ markiert in der Vorführpraxis den Filmanfang, ein rot eingefärbtes Äquivalent am Ende den Schluss. Mit Hilfe des Filmbefundungstisches wird ein erster Blick auf den Inhalt der Rolle geworfen: Sie beginnt mit dem Titel der Produktion, dann setzt das Hauptbildmaterial ein und wird von einem zackigen Lichttonstreifen begleitet. Aha! Eine „Vorführkopie“!

Während der Film mit einem leichten Summen von Spule zu Spule über den Filmbefundungstisch läuft, misst das Gerät den Grad der durch das Essigsäuresyndrom bedingten Schrumpfung, die optische Dichte der auf dem Trägermaterial befindlichen Emulsion, sowie Unterschiede in der Farbdichte. Auch werden Schäden, z.B. der Perforation, sowie der Zustand und die Anzahl der physischen Schnitte, bzw. der Klebestellen, erfasst. Gerade bei größeren Filmproduktionen finden sich häufig mehrere Objekte derselben Kopiengeneration im Bestand des AdsD. Durch die Analyse identifiziert das Team den Film für die Digitalisierung, der innerhalb einer solchen Kopiengeneration den besten Erhaltungszustand und die höchste Qualität aufweist.

Säure-Test gibt Überblick über den Zerfallsgrad

Gleich werden die neuen Erkenntnisse, neben Größenangabe und Art der Wickelung, in der Inventarisierungsmaske vermerkt. Anschließend bettet das Team den Film vorsichtig von seiner alten Blechdose in eine neue, archivfähige Dose mit Lüftungsöffnungen, durch welche die Essigsäuredämpfe entweichen können, um. Rückstände von Klebestreifen am Anfangsstück der Rolle werden mit einem speziellen Lösungsmittel für die Säuberung von Acetatfilmen entfernt, dann bleibt noch der Säuretest. Hierfür wird ein kleiner, blauer Teststreifen für 24 Stunden zusammen mit dem Film in die Dose gelegt. Ist der pH-Wert in diesem Milieu kleiner als 6,0 ändert der Streifen seine Farbe von Blau über Grün bis Gelb.

Am folgenden Tag haben die Ermittelnden also ihr Ergebnis: Der Streifen ist grünlich-gelb, der pH-Wert in der Dose liegt bei 4,2. Wie die optischen Merkmale erwarten ließen: Kein gutes Ergebnis. Es bleibt für den Erhalt des Films, trotz Umbettung, nur noch die zeitnahe Digitalisierung. Bis es so weit ist, liegt er sicher verpackt und gut durchlüftet im Zwischenarchiv des AdsD. Ein weiterer Fall des Filmteams kann „zu den Akten gelegt werden“.

Laura-Sophie Bönemann und Lukas Föhring


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