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Der zweite Beitrag unserer dreiteiligen Blogreihe zur "Geschichte der Entspannungspolitik" thematisiert die Ostverträge, "Wandel durch Handel" und die sozialdemokratische „Nebenaußenpolitik“ der 1980er-Jahre.
Der Kern der Entspannungspolitik der Regierung Brandt waren die sogenannten Ostverträge zwischen 1970 und 1973: Der Moskauer Vertrag (12. August 1970), der Warschauer Vertrag (7. Dezember 1970), das Viermächteabkommen über Berlin (3. September 1971), der Grundlagenvertrag (21. Dezember 1972) und weitere Verträge mit der DDR sowie schließlich der Prager Vertrag (11. Dezember 1973). In den Abkommen mit der Sowjetunion und Polen verpflichteten sich die Parteien zum einen auf den gegenseitigen Gewaltverzicht. Zum anderen erkannte die Bundesrepublik die Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens an, akzeptierte die Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR und verzichtete für alle Zukunft auf Gebietsansprüche im Osten. Im Prager Vertrag erklärte die Bundesrepublik das Münchener Abkommen von 1938 für nichtig, mit dem unter Gewaltandrohung die Tschechoslowakei das Sudentengebiet an NS-Deutschland abgetreten hatte.
Gegen diesen „Verzicht“ auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen sowie die realpolitische Anerkennung der DDR in den Verträgen liefen die westdeutschen Konservativen Sturm. CDU und CSU sprachen noch immer von einem Deutschland in den Grenzen von 1937, also einschließlich der nach 1945 zu Polen gehörenden Gebiete und der DDR. Bei einer solchen Forderung konnte es sich 25 Jahre nach Kriegsende aber nur noch um eine ideologische Position handeln, die in die politische Handlungsunfähigkeit führte. Genau aus dieser Sackgasse wollten die SPD und die mit ihr verbündete FDP ausbrechen.
Parallel zu den Gesprächen mit Moskau und Warschau wurde über den Status West-Berlins verhandelt. Berlin unterstand nach dem Krieg zunächst der Kontrolle aller vier Siegermächte, wobei die Anerkennung der DDR und Ost-Berlins als deren Hauptstadt durch die UdSSR diese Festlegungen schon lange ad acta gelegt hatten. Gestritten wurde noch um den Status West-Berlins. Die Sowjetunion betrachte West-Berlin als „eigenständige politische Einheit“ ohne besondere Bindung an die Bundesrepublik und hatte seit der ersten Blockade 1948 mehrfach mit dem Abschnüren der Stadt gedroht. Mit der Kontrolle der Transitwege (Autobahnen von der Bundesrepublik über DDR-Gebiet nach West-Berlin) verfügte der Osten über ein starkes Druckmittel. Im Viermächteabkommen über Berlin vom September 1971 wurde dann festgehalten, dass West-Berlin zwar nicht zur Bundesrepublik gehöre und nicht von ihr regiert werde, aber besondere Beziehungen unterhalte. Der Status der Stadt und insbesondere die Zugangswege nach West-Berlin waren fortan gesichert.
Die CDU/CSU-Opposition versuchte durch den Sturz des Bundeskanzlers Willy Brandt die Ostverträge zu verhindern. Nach einer Reihe von Übertritten von FDP-Abgeordneten und des SPD-Vertriebenenfunktionärs Herbert Hupka zur CDU waren sich Konservative und Sozialdemokrat:innen gleichermaßen sicher, dass es per konstruktiven Misstrauensvotum zu einem Regierungswechsel kommen würde. Dieses scheiterte für die Öffentlichkeit überraschenderweise, wobei die Bestechung von Unions-Abgeordneten durch die DDR mittlerweile bekannt ist. Im Mai 1972 ratifizierte der Bundestag die Verträge und bei den Bundestagswahlen im November errang die SPD unter Willy Brandt einen in der Höhe nie wieder erreichten Wahlsieg. (Vortrag von Bernd Rother über das Misstrauensvotum, Berlin, 27.4.2022)
Die Ostverträge ermöglichten die Entwicklung vielfältiger zwischengesellschaftlicher Beziehungen. Für westdeutsche Bürger:innen und für West-Berliner:innen war es nun einfacher, Verwandte in der DDR zu besuchen; und auch DDR-Bürger:innen konnten, wenn auch in deutlich geringerem Maß, in den Westen reisen. Die Ostverträge wurden in den 1970er-Jahren mit Leben gefüllt.
Wirtschaftliche Verflechtungen nahmen eine zentrale Rolle im Konzept des Wandels durch Annäherung ein. Egon Bahr bezog sich auch hier explizit auf Kennedy und argumentierte, dass „soviel Handel mit den Ostblockländern entwickelt werden sollte, wie es möglich ist, ohne unsere Sicherheit zu gefährden“. Ökonomische Beziehungen sollten zu gesellschaftlichen Verflechtungen führen und ein höherer Lebensstandard in der DDR Druck vom Regime nehmen. Insofern ergänzten sich Gewaltverzicht, Nichteinmischung und Wirtschaftsbeziehungen.
Der ökonomische Teil des Konzepts „Wandel durch Annäherung“ verfolgte eine politische Logik und hatte in den 1960er-Jahren kaum etwas mit westdeutschen Wirtschaftsinteressen zu tun. Diese gab es zwar, insbesondere im Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, allerdings hatten sie keinen Einfluss auf politische Entscheidungen. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) öffnete sich erst Ende der 1960er-Jahre für das Russlandgeschäft, was aber nicht gleichbedeutend mit Sympathien für die sozial-liberale Regierung war. Einen Meilenstein stellte dann das Erdgasröhrengeschäft von 1970 dar. Die Bundesrepublik lieferte Großröhren an die UdSSR und die UdSSR dafür Erdgas an die Bundesrepublik.
Die Idee eines Wandels durch Handel in den Beziehungen zum Ostblock unterscheidet sich an mehreren Stellen von den Wirtschaftsbeziehungen mit Russland nach 1991. Die Sowjetunion hatte ein ausdrückliches Interesse an der Modernisierung ihrer Wirtschaft und war auf den Handel mit dem Westen angewiesen. Ein wichtiges Ziel dieser Modernisierung war, den Lebensstandard der breiten Bevölkerung zu heben, um so die Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus unter Beweis zu stellen. Heute ist die russische Ökonomie dagegen eine Extraktionswirtschaft: Der Handel mit Erdöl und Erdgas dient der Bereicherung einer gesellschaftlichen Elite. Die Gewinne fließen überwiegend in private Taschen und der Handel mit Rohstoffen ist nicht verknüpft mit kulturellem, wissenschaftlichem oder technologischem Austausch. Beim deutsch-russischen Handel der 1970er-Jahre handelte es sich zudem um Kompensationsgeschäfte. D. h., der Handel war ausgeglichen und der Export stand ökonomisch und teils auch technologisch im engen Zusammenhang mit dem Import. In den 1980er-Jahren stieg der Gasimport aus der Sowjetunion zwar deutlich an, aber alles in allem spielte das UdSSR-Geschäft nur eine geringe Rolle für den westdeutschen Außenhandel.
Mit dem Regierungswechsel 1982 musste sich die SPD neu orientieren. Die Regierung Helmut Kohls setzte zwar die Politik der Entspannung und des Dialogs fort, trotz manch schärferer Töne, aber dies war nicht von Beginn an klar. Um die Neue Ostpolitik abzusichern, nahm die SPD nun eigenständige Beziehungen zu den kommunistischen Parteien Osteuropas auf. Von konservativer Seite wurde dieses Engagement als Nebenaußenpolitik bezeichnet, also als eine Politik, die parallel zur Regierung stattfände. Besonders intensiv gestalteten sich die Gespräche mit der SED, die 1987 in dem gemeinsamen Grundsatzpapier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ mündeten. Beide Seiten bekannten sich in dem Papier zur friedlichen Koexistenz und zum friedlichen Wettbewerb der Systeme. Der Widerspruch zwischen den Gesellschaftssystemen wurde keinesfalls verneint, die Konfliktaustragung sollte aber im Kontext einer integrativen Sicherheitsarchitektur erfolgen.
Das Spezifische dieser sozialdemokratischen „Nebenaußenpolitik“ nach dem Regierungswechsel 1982 war die fortwährende Fokussierung auf die kommunistischen Eliten und Staatsspitzen; die hinter dem Konzept des „Wandels durch Annäherung“ stehenden Überlegungen wurden fortgeschrieben. Im Ergebnis scheute die SPD den Kontakt zu oppositionellen Bewegungen im kommunistischen Machtbereich wie der Charta 77 (CSSR), der Solidarnosc (Polen) oder der Friedens- und Umweltbewegung in der DDR. Dies wurde bereits zeitgenössisch kritisiert, gewinnt aber in der aktuellen Diskussion an Bedeutung. Der Sozialdemokratie wird ein Mangel an Empathie und der Vorrang von Friedens- und Stabilitätsfragen gegenüber Menschenrechtsfragen vorgeworfen. Dieser sehr weitgehende Vorwurf trifft jedoch nicht den historischen Kern, denn „Wandel durch Annäherung“ hatte ausdrücklich Menschenrechte im Blick. Das Konzept zielte auf Erleichterungen für die Menschen in der DDR. Allerdings kann heute gefragt werden, inwieweit das konzeptionelle Denken der Neuen Ostpolitik in den 1980er-Jahren erstarrt war und der Rollenwechsel von der Regierungs- zur Oppositionspartei nicht ausreichend reflektiert wurde. Womöglich hätte beides funktioniert: Gespräche mit den Machthabern und der Opposition zu führen.
Um die Politik der Sozialdemokratie der 1980er-Jahre zu verstehen, sollte man aber auch wissen, dass zu der Zeit große Teile der westdeutschen Gesellschaft eine Revolution in der DDR und eine (Wieder-)Vereinigung auf absehbare Zeit für unrealistisch hielten. Dies bestärkte Initiativen, die auf Dialog mit den Eliten im Osten und die Politik kleiner Schritte setzten.
Stefan Müller
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