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Der letzte Teil unserer Blogreihe zur Entspannungspolitik fragt nach ihren Ergebnissen und ihrer Bedeutung für die Gegenwart.
Bild: Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki. Helmut Schmidt und Erich Honecker; Quelle: AdsD; Rechte: nicht ermittelbar [6/FJHD000414].
Bild: Egon Bahr (Direktor Institut für Friedensforschung, Universität Hamburg), Dieter Dowe (Leiter Forschungsinstitut FES) u. Stephan Hilsberg (MdB) beim FES-Kongress "Die Ostpolitik der SPD in der Opposition 1982-1989", 14.9.1993; Quelle: AdsD [6/FOTA139538
Welchen Anteil die Entspannungspolitik am Zusammenbruch der kommunistischen Staaten und an der deutschen Einheit hatte, wird seit 1989 diskutiert. Der zeitliche Zusammenhang zur erneuten Rüstungsspirale in den 1980er-Jahren führte schon zeitgenössisch zum Argument, dass die USA durch den Rüstungswettlauf (unter anderem mit dem Weltraum-Programm SDI/Strategic Defense Initiative) die Sowjetunion zu Tode gewirtschaftet habe. Die Entspannungspolitik dagegen habe den Machthabern im Osten Legitimität verschafft und deren Systeme am Leben erhalten. Übersehen wird dabei, dass sich die Deutschlandpolitik der Kohl-Regierung kaum von der sozialdemokratischen Neuen Ostpolitik unterschied. Erinnert sei hier lediglich an den vom CSU-Politiker Franz Josef Strauß 1983 eingefädelten Milliardenkredit an die DDR.
Ein weiteres Argument für die kritische Sicht auf die Entspannungspolitik ist, dass sich in den sowjetischen Quellen der 1980er-Jahre keine Hinweise auf die Entspannungspolitik oder die Ostverträge finden. Stattdessen sind die katastrophale ökonomische Lage oder auch das Weltraumrüstungsprojekt der USA Gegenstand der Beratungen. Ohne Zweifel dominierte im innersowjetischen Diskurs der 1980er-Jahre das tagesaktuelle Geschehen und es ist kein Wunder, dass sich dort kaum noch Referenzen auf den Vertrag mit Bonn vom August 1970 finden. Allerdings greift es zu kurz, die immensen wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion erst mit dem Rüstungswettlauf der 1980er-Jahre in Verbindung zu bringen. Bereits seit den 1950er-Jahren wurde in der UdSSR über die hohen Belastungen durch die Rüstung diskutiert. Gleiches gilt für den Wunsch nach Modernisierung der Wirtschaft, nach Technologietransfer und Handel mit dem Westen. Weitreichende Reformen des zentralisierten und bürokratisierten Lenkungssystems wurden zwar erst unter Michail Gorbatschow in den 1980er-Jahren umgesetzt und ohne Zweifel wäre ein solcher Versuch 20 oder 30 Jahre vorher nicht möglich gewesen. Krisendiskussionen wurden in der UdSSR aber seit den 1950er-Jahren geführt. Der sowjetische Geheimdienstchef unter Stalin, Lawrenti Berija, schlug bereits nach Stalins Tod vor, sich vom Leninismus zu trennen. Der Marxismus-Leninismus und die Sowjetideologie haben seit dem Zweiten Weltkrieg sukzessive an Bindekraft verloren und sind einem politischen Pragmatismus gewichen. Die Fokussierung auf die Aufrüstungsinitiative der USA in den 1980er-Jahren als Ursache für den Zusammenbruch der UdSSR greift deutlich zu kurz.
In der Sowjetunion fand ein mehrere Jahrzehnte dauernder Prozess der Loslösung von den weltanschaulichen Grundlagen des Marxismus-Leninismus statt; von einer durch die Sowjetunion inspirierten und ausgehenden Weltrevolution war ebenfalls seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr die Rede. Diesen langsamen Auflösungsprozess muss die ebenfalls auf lange Sicht angelegte Entspannungspolitik gegenübergestellt werden. Die Reformen Gorbatschows, die schließlich das Ende der Sowjetunion besiegelten, wurden nicht von außen (durch den Westen) erzwungen, allerdings unterstützte der Westen diesen Wandel durch Austausch und Entspannung. Mit einer gegenteiligen Politik hätte er, und dies war die Grundannahme der Neuen Ostpolitik, die sowjetischen Eliten zusammengeschweißt und eine Wagenburgmentalität befördert. Insofern kommt der Entspannungspolitik tatsächlich das große Verdienst zu, Reformdiskussionen in den osteuropäischen Staaten durch das eigene glaubhafte Eintreten für demokratische Werte unterstützt zu haben.
Die deutsche Russlandpolitik seit 1991 unterscheidet sich von der historischen Entspannungspolitik Egon Bahrs und Willy Brandts. Die geopolitischen Rahmenbedingungen haben sich geändert, aber auch die deutsche Ostpolitik. Ab den 1990er-Jahren wurde Russland nicht mehr als weltpolitischer Gegner wahrgenommen, sondern als normaler kapitalistischer Staat, der allerdings in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht noch Nachholbedarf hatte. Nach der „Stabilisierung“ des politischen Systems in Russland in den 2000er-Jahren unter Putin (die sich im Kern durch eine zunehmend autoritäre Politik auszeichnete) wurde im Auswärtigen Amt das Konzept der „Annäherung durch Verflechtung“ entwickelt (Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Die EU-Russlandpolitik, Nr. 58/06 v. 30.11.2006). Der Erfolg der Europäischen Union wird hier mit der Verflechtung und allmählichen Harmonisierung der Interessen ihrer Mitgliedsstaaten erklärt und dieses Modell sollte nun auch gegenüber Russland verankert werden. Der Gedanke war, dass die Attraktivität der EU ihren Nachbarn animiert, Normen und Lebensstandards an die der EU anzunähern. Verbunden war dies mit der Vorstellung, dass sich ein moderner Kapitalismus nur im Rahmen von Demokratie entwickeln könne.
Das Konzept „Annäherung durch Verflechtung“ weist zwar semantisch eine Nähe zur historischen Ostpolitik auf und der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier stellte es auch in diese Tradition. „Wandel durch Annäherung“ zielte aber trotz seiner Prämisse, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der UdSSR und der sozialistischen Staaten einzumischen, unmittelbar auf deren gesellschaftlichen Wandel. Die deutsche Russlandpolitik der 2000er-Jahre sprach zwar ebenfalls davon, dass Russland den Wandel zu einem demokratischen Rechtsstaat vollziehen solle, legte dem aber lediglich eine generelle modernisierungstheoretische Annahme zugrunde. Dass die Modernisierung der Ökonomie nur durch Demokratie und eine lebendige Zivilgesellschaft erfolgen könne, wurde quasi als Automatismus vorausgesetzt. Unberücksichtigt blieb dabei insbesondere die Frage, ob die gesellschaftlichen Eliten Russlands tatsächlich ein umfassendes Interesse an der Modernisierung ihrer Ökonomie haben oder ob es ihnen nicht ausreicht, die immensen Einnahmen aus dem Öl- und Gastgeschäft in ihre privaten Taschen fließen zu lassen.
Die Gleichsetzung von kapitalistischer Modernisierung und Demokratie führte dann auch dazu, Sicherheitsaspekte außen vor zu lassen. Während in der historischen Ostpolitik der Handel mit den Staatswirtschaftsländern dort seine Grenze fand, wo Sicherheitsfragen berührt wurden, stellt sich dies heute anders dar. Sicherheitsfragen bezogen sich vornehmlich auf die nach einer kontinuierlichen Energieversorgung. Es wurde dabei jedoch nicht die Frage gestellt, ob Russland selbst einmal die Energiesicherheit gefährde könne.
Die historische Ostpolitik wird in der aktuellen Debatte zu Unrecht in eine historische Linie mit der deutschen Russlandpolitik der vergangenen 30 Jahre gestellt. Die historische Entspannungspolitik zielte auf die Verbesserungen in den deutsch-deutschen Beziehungen (mit dem langfristigen Ziel der deutschen Einheit) und war in diesem Sinne Menschenrechtspolitik. Willy Brandt, Egon Bahr und viele andere wussten um die Interdependenz von Dialog, den sie suchten, und der dahinterstehenden atomaren Drohung, derer sie sich durch die Politik der Westintegration versicherten. Diese Grundkonstellation von 1945 – zwei sich gegenüberstehende feindliche Blöcke mit vollständig unterschiedlich politisch-ökonomischen System – war nach 1989/1991 nicht mehr gegeben. Das Ziel der historischen Entspannungspolitik, einen Wandel beim Gegner herbeizuführen, wurde damit nach 1991 aufgeben.
Unabhängig von der Bewertung der jüngsten Ereignisse ist es notwendig, auf diese Unterschiede hinzuweisen. Andernfalls besteht die große Gefahr, die historische Ostpolitik und ihre Akteure als Zitate-Steinbruch in der aktuellen Debatte zu vernutzen. Die Verdeutlichung der Unterschiede soll zur begrifflichen und analytischen Schärfe in der aktuellen Debatte beitragen.
Stefan Müller
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