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Gastbeitrag von Klaus Wettig
Mit Diffamierung mussten die Sozialdemokraten in Wahlkämpfen immer leben. In Erklärungen der Majestäten und deren Regierungen galten sie als vaterlandslose Gesellen, als Zerstörer jeder Ordnung. Jede Form der amtlichen Benachteiligung wurde geduldet, in einigen Bundesstaaten – vor allem in Sachsen und Preußen – gehörte sie im Kaiserreich zur täglichen Erfahrung der Partei. Immer wieder waren diese Diskriminierungen nach Wahlen Gegenstand von Wahlprüfungsverfahren. Ein eigenes Gesetz beschäftigte sich mit dem Kampf gegen die Sozialdemokratie. Das „Sozialistengesetz“ galt für 12 Jahre von 1878 bis 1890. Im Kampf einer gegen alle musste sich die SPD schon früh behaupten. Selten hatte sie dabei Bündnispartner in den Stichwahlen bei den Reichstagswahlen, hier traten dann in Absprachen auf Gegenseitigkeit ebenfalls „Reichsfeinde“ an ihre Seite: Polen, Dänen, Welfen, Elsässer.
Auch vor antisemitischen Angriffen schreckten die Gegner nicht zurück. Heftig wurde stets Arthur Stadthagen angegriffen, der Kronjurist der SPD-Reichstagsfraktion vor 1914. Anonyme Flugblätter aus seinem Wahlkreis sind erhalten geblieben. Einmal heißt es dort:
„Stadthagen, dieser Judenbengel, Ihr denkt, er ist der reinste Engel Wählt ihr diesen Schweinehund, Dann wird es noch in Deutschland bunt! Lohren ist der rechte Mann.“
Geholfen hat diese Verleumdung dem gegnerischen Kandidaten nicht, denn Stadthagen gewann stets den Wahlkreis.
Die Angriffe auf die SPD dauerten in der Weimarer Republik an. Die Attacken der Monarchisten, Nationalisten und Antisemiten blieben, hinzu kamen Angriffe aus der KPD, die mit ihren Agitprop-Gruppen die SPD zur Hauptzielscheibe machten. Wichtige Helfer waren dabei der Autor Erich Weinert mit dem Komponisten Hanns Eisler und als Interpret unterstützte dieses negative campaigning der Sänger Ernst Busch. Noch heute beeindrucken diese Attacken durch ihre Treffsicherheit und ihre künstlerische Qualität – zum Beispiel „Das Seifenlied“, das einen verunglückten Wahlkampf der SPD karikiert.
Die SPD blieb erstaunlich zurückhaltend gegenüber diesen Anfeindungen. Erst ab 1930 startete sie eine durchdachte Kampagne gegen die anwachsende Naziflut. Leider zu spät.
Wer vermutet hätte, dass dieser Wahlkampfstil in der Bonner Demokratie keine Chance gehabt hätte, wird bei Sichtung der Materialien vom Gegenteil überzeugt. Und er wird auf die Wiederbelebung des Erprobten bei den Hauptkonkurrenten der SPD stoßen. Von Mäßigung keine Spur, auch die Zurückhaltung in den Antworten der SPD fehlt. Die Medien waren überwiegend ein Verstärker dieser Angriffe.
Eine Wende deutete der Bundestagswahlkampf 1961 an, in dem ich als erstmals Wahlberechtigter zwei Aktionen des negative campaigning zur Kenntnis nahm. Von dem neuen, jungen SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt fühlte sich der amtierende Bundeskanzler Konrad Adenauer heftig bedrängt. Die Umfragen sahen eine Chance für Willy Brandt, also musste eine Grobheit eingesetzt werden. Bei einer Wahlkundgebung in Regensburg griff Adenauer Brandt wegen dessen nichtehelicher Geburt an und er polemisierte gegen Brandts Namenswechsel. Die Urteile über die Wirkung dieses Auftritts gehen auseinander. Wirkungslos war der Angriff in der bigotten Bundesrepublik sicher nicht. Nur in einigen Hochschulstädten stieß Adenauer danach auf Widerstand, viele seiner Kundgebungen gingen in Pfeifkonzerten unter. So in meiner Heimatstadt Göttingen.
Von deutlich größerer Wirkung war sicher der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe, der 1961 wiederum zur Wahl einer christlichen Partei aufrief, womit nur die CDU/CSU gemeint sein konnte. In dieser Form gab es einen Hirtenbrief 1961 letztmals. Die Hirtenbriefe blieben, doch der eindeutige Tenor zugunsten der CDU/CSU entfiel.
Wahlkampfbegleitende Aktionen von Verbänden wuchsen mit der Lebensdauer der Bundesrepublik. Viele Interessen versuchten auf den Wahlprozess und das Wahlergebnis einzuwirken, dafür Mittel neben den Parteien einzusetzen. Parallelaktionen mit positiven und negativen Akzenten gehörten seitdem zum Wahlkampf.
„kleine Pinscher“
Auch der Bundestagswahl 1965 hatte seine Diffamierungskampagne. Auslöser war die Parallelaktion des Autors Günter Grass zugunsten der SPD. Grass organisierte eine eigene Wahlkampftournee, wobei er Orte bevorzugte, die zu den schwachen SPD-Gebieten gehörten. Eine Antwort auf die Grass-Kampagne, die vor kräftigen Angriffen auf die amtierende Bundesregierung unter Bundeskanzler Ludwig Erhard nicht zurückschreckte, gab Ludwig Erhard selbst, als er Grass und seine Mitstreiter als „kleine Pinscher“ bezeichnete. Danach begleitete Hundegebell Erhards Auftritte in Hochschulstädten.
Einen besonders rüden Angriff leistete sich die CSU gegen Willy Brandt, indem sie in Fortsetzung früherer Diffamierungsplakate gegen die SPD ein Anti-Brandt-Plakat verbreitete. Wir waren ja noch in der Nachkriegszeit, sodass gegen Emigranten Stimmung gemacht werden konnte. Brandts Zeit in Norwegen sowie seine Schriften gegen das NS-System wurden diffamiert. Er wurde als „vaterlandsloser Geselle“, als
„Antideutscher“ abgebildet. Ich fand dieses Plakat im August-Urlaub im Fichtelgebirge.
1969 war im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen fast frei von Diffamierungen. Die gemeinsame Regierungsarbeit in der Großen Koalition seit 1966 dämpfte die Bereitschaft zum negative campaigning. Im regionalen Wettbewerb gab es davon freilich Abweichungen. Eine traf den neuen SPD-Kandidaten Philip Rosenthal. Der erfolgreiche Unternehmer, der wegen seiner jüdischen Abstammung aus Deutschland vertrieben worden war und in der britischen Armee gedient hatte, wurde heftig in seinem Wahlkreis attackiert. Als Mitarbeiter von Rosenthal gewann ich den Eindruck, dass hinter dieser Kampagne auch örtliche CDU-Kreise standen. Einen antisemitischen Akzent setzte zusätzlich die neofaschistische NPD.
Einen bisher einmaligen Höhepunkt erreichte das negative campaigning 1972. Das hochpolitische Klima mit dem Kampf um die neue Ostpolitik, dem Streit um die neuen Reformen, das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Willy Brandt sowie der Mandatswechsel zahlreicher Abgeordneter schufen ein ideales Klima für negative campaigning. Einen Höhepunkt erreichten die Angriffe auf die sozial-liberale Koalition und die SPD, nachdem der Superminister für Wirtschaft und Finanzen Karl Schiller die Regierung und die SPD verlassen und sich auf die Seite der Regierungskritiker gestellt hatte. In teuren Anzeigenkampagnen wurde bei einem Wahlsieg der SPD das Ende der Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik prophezeit: Sie wollen eine andere Republik.
Die SPD selbst reagierte darauf nur begrenzt, nur die Jusos rafften sich zu einer Gegenkampagne auf, die durch die individuelle Aktion des Grafikers und Plakatkünstlers Klaus Staeck einen überraschenden Schwung erhielt. Staecks Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“ wurde zehntausendfach verbreitet. Es entlarvte die Verlogenheit der Kampagnen gegen die SPD. Am Wahltag feierte die SPD den höchsten Wahlsieg ihrer Geschichte.
Klaus Wettig ist Verleger, Kulturmanager und Autor aus Göttingen. Er war u.a. Planungsreferent im Niedersächsischen Kultusministerium und Mitglied des Europäischen Parlaments.
Bild: Bundestagswahl 1972 von Klaus Staeck / VG Bild-Kunst
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