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„Nach den Septemberwahlen begann die deutsche Tragödie“, schrieb Toni Sender 1930, kurz nachdem die NSDAP unerwartet als zweitstärkste Kraft in den Reichstag gewählt wurde. Sie wurde verfolgt als Frau, „Nicht-Arierin“ und Sozialdemokratin. Nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Name auf einer Todesliste stand, verließ sie am 5. März 1933 Deutschland und flüchtete über verschiedene Zwischenstationen ins amerikanische Exil, wo sie ihre politische Arbeit fortsetzte.
„Nach den Septemberwahlen begann die deutsche Tragödie“, schrieb Toni Sender 1930, kurz nachdem die NSDAP unerwartet als zweitstärkste Kraft in den Reichstag gewählt wurde. Auch sie war dort zwischen 1920 und 1933 Abgeordnete, doch wurde die Arbeit der sozialdemokratischen Fraktion mit Anstieg der Mandate der Nationalsozialisten immer schwieriger. Die Nazis begannen, Toni Senders Reden im Reichstag und in ihrem Wahlkreis zu stören. Sie wurde verfolgt als Frau, „Nicht-Arierin“ und Sozialdemokratin. Nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Name auf einer Todesliste stand, verließ sie am 5. März 1933 Deutschland und flüchtete über verschiedene Zwischenstationen ins amerikanische Exil, wo sie ihre politische Arbeit fortsetzte.
Toni Sender (1888–1964) stammte aus einer wohlhabenden orthodox-jüdischen Familie aus Biebrich am Rhein. Ihr Vater Moses Sender, zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Biebrich, verlangte von den Kindern strengste Disziplin und absoluten Gehorsam. Das missfiel ihr, sie wollte weg und sich von ihrem Elternhaus lösen. Bereits als 13-Jährige verließ sie ihre Familie und brach die jüdische Töchterschule in Biebrich ab, um in Frankfurt am Main die Handelsschule für Mädchen zu besuchen. Es war ihr erster Schritt zur Emanzipation vom Elternhaus. „Wenn ich mich angepasst hätte, wäre ich in einem warmen, freundlichen Haushalt in Biebrich geborgen gewesen. Aber besser allein in die Irre gehen als immer geführt, beschützt und herumkommandiert zu werden“, schrieb sie später. Sie wollte sobald wie möglich ökonomisch und damit auch geistig unabhängig und in ihrer Lebensführung ihr „eigener Herr“ sein. Bereits vor Vollendung ihrer schulischen Ausbildung arbeitete sie seit 1903 im Büro einer Maklerfirma. In ihrer Freizeit besuchte sie Kulturveranstaltungen, politische Vorträge, Weiterbildungskurse und traf sich mit Gleichaltrigen, um zu lesen und zu diskutieren. „Wir wollten nicht zur Klasse der Müßiggänger, zur Bourgeoisie gehören, deshalb, so sagten wir uns, müssen wir unsere Solidarität mit der Arbeiterschaft demonstrieren“, hieß es später in ihrer Autobiografie. Religion spielte dabei keine Rolle. Fortan bezeichnete sie sich als „Dissidentin“ – wie auch die zahlreichen sozialistischen Frauen, die mit der christlichen Kirche gebrochen hatten. Erst im fortgeschrittenen Alter hat sie sich wieder mit ihren orthodox-jüdischen Wurzeln auseinandergesetzt. Sie näherte sich auch der jüdischen Religion wieder an und wurde Mitglied der jüdischen Gemeinde ihres letzten Wohnortes.
Die Aufnahme des Studiums der Nationalökonomie scheiterte, weil ihr Vater die damals noch notwendige Zustimmung verweigerte. 1906 trat sie dem Zentralverein der Bureauangestellten bei. Durch sozialistische Lektüre und Vorträge von August Bebel, Jean Jaurès und James Keir Hardie wurde sie selbst Sozialistin. 1910 trat sie in die SPD ein. Im selben Jahr ging sie für eine Frankfurter Metallhandelsfirma nach Paris und schloss sich der Französischen Sozialistischen Partei an. Dort engagierte sie sich sowohl für soziale Gerechtigkeit, Frieden und eine starke Gewerkschaftsbewegung als auch für die Einführung des allgemeinen Wahlrechts auch für Frauen sowie für die umfassende Gleichstellung von Frau und Mann. Bis zuletzt dachte sie, der drohende Krieg könne durch den internationalen Zusammenhalt der Arbeiterschaft Europas verhindert werden.
Nach Auslösung des Ersten Weltkriegs wurde sie aus Frankreich ausgewiesen. Sie kehrte über die Schweiz nach Deutschland zurück, wurde in der Anti-Kriegsbewegung aktiv und engagierte sich in der innerparteilichen Opposition. Sie konnte es nicht ertragen, dass ihre neu gewonnenen französischen Freunde „den Bomben und Granaten ausgesetzt sein würden, die [ihre] Landsleute auf sie niederfegen lassen würden.“ 1915 nahm sie in Bern am ersten Internationalen Sozialistischen Frauenkongress gegen den Krieg teil. Sie pflegte eine enge Verbindung mit Rosa Luxemburg und Clara Zetkin, die die Konferenz organisierten. Den Text des dort verfassten Manifests gegen den Krieg schmuggelte sie selbst über die Grenze, sodass dieser anschließend als Flugblatt in den Frankfurter Industrievierteln verteilt werden konnte.
Durch ihre aktive Rolle in der innerparteilichen Opposition der Kriegsgegner wurde Toni Sender in Polizeiberichten bald als „stadtbekannte Agitatorin” aufgeführt. Als Kritikerin des kriegspolitischen Kurses der Sozialdemokratischen Partei und deren Zustimmung zu den Kriegskrediten war sie im April 1917 in Gotha Mitbegründerin der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). Während der Novemberrevolution 1918/1919 wurde sie Mitglied und Generalsekretärin der Exekutive des von der USPD organisierten Arbeiter- und Soldatenrats in Frankfurt am Main und bekannte sich offen zum Rätesystem. Eines ihrer zentralen Anliegen war die Integration von Frauen in die bestehende Arbeiterrätebewegung. Die von ihr vorgeschlagene Quotierung – entsprechend dem Anteil der Frauen an der Anzahl der Beschäftigten – konnte sie jedoch nicht durchsetzen.
1919 bekam sie ein Amt als Stadtverordnete und wurde Chefredakteurin der USPD-Tageszeitung Volksrecht. Von 1920 bis 1933 war sie zudem Redakteurin der Betriebsrätezeitschrift für die Metallindustrie. Schließlich war Toni Sender von 1920 bis 1933 – zunächst für die USPD und ab 1922 für die SPD – Abgeordnete im Deutschen Reichstag, wo sie ihre Kenntnisse vor allem in den Ausschüssen für Außen- und Wirtschaftspolitik einbrachte. 1922 wurde sie zudem Mitglied des zentralen SPD-Parteiausschusses und gründete ein Jahr später das Internationale Sozialistische Frauenkomitee in Hamburg mit. Ab 1927 bekam sie die Herausgeberschaft der SPD-Illustrierten Frauenwelt übertragen. Mitte der 1920er-Jahre verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin. Dort unterzog sie sich 1927 der Begabtenprüfung zur Universitätszulassung und begann ein fünfsemestriges Volkswirtschaftsstudium, das sie wegen einer Tuberkuloseerkrankung, die sie in Davos in der Schweiz ausheilte, abbrechen musste.
Seit den Septemberwahlen 1930 hatten die Reichstagsabgeordneten der SPD mit den Nationalsozialisten zu kämpfen. Ihre Reichstagsreden und die öffentlichen Versammlungen in ihrem Wahlkreis wurden massiv gestört und bedroht. „Unser Leben glich immer mehr einem Tollhaus“, schrieb sie später in ihrer Autobiografie. Sie wurde nicht nur als Sozialistin und bekennende Antifaschistin beschimpft, sondern auch wegen ihrer „Rassenzugehörigkeit“ als Jüdin, als „Nicht-Arierin“. Als Vertreterin des linken Flügels der SPD plädierte sie 1932 für einen Generalstreik, um den drohenden Faschismus abzuwehren.
Am 5. März 1933 musste sie wegen offener Morddrohungen der Nazis aus Deutschland fliehen. Die beherzte Frau eines Arbeiterfreundes half ihr bei der Flucht in die Tschechoslowakei. Von dort gelangte sie nach Belgien, wo sie bis 1935 als Journalistin für die Volksgazet, eine sozialdemokratische Tageszeitung, beschäftigt war. Mit ihren Veröffentlichungen schaltete sie sich in die politischen Debatten des Exils ein; auch in die Auseinandersetzungen um die Bildung einer Volksfront. Sie wurde im Widerstand aktiv und arbeitete eng mit der dortigen 50-köpfigen Exilgruppe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold zusammen. Im März 1934 teilte man ihr mit, dass sie aus Deutschland ausgebürgert sei. Als sie 1935 eine Einladung zu einer Vortragsreise durch die USA erhielt, entschied sie sich, dort zu bleiben.
In den USA arbeitete sie zunächst journalistisch, engagierte sich nun auch in jüdischen Organisationen und in der Flüchtlingshilfe. 1938/39 setzte sie an der New Yorker New School for Social Research ihr 1927 in Berlin begonnenes Studium der Ökonomie fort. 1941 holte man sie als Direktorin zum Office of Strategic Services, einem Nachrichtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten. Als sie 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt, stand fest, dass sie in den USA bleiben werde. Schon 1939 hatte sie bezweifelt, je wieder nach Deutschland zurückzukehren. Zu viele Menschen hätten zugeschaut, „als die Niedertracht herrschte“. 1944 wurde sie Wirtschaftsexpertin in der Zentraleuropaabteilung der United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) tätig, die Hilfsmaßnahmen in den vom Krieg betroffenen Ländern leisten sollte. Im selben Jahr wurde sie Mitglied in der Kommission für die Rechtsstellung der Frau sowie ab 1947 in der Menschenrechtskommission der UNO. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs vertrat sie den amerikanischen Gewerkschaftsdachverband, die American Federation of Labor (AFL), und den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften bei den Vereinen Nationen.
Bereits 1939 veröffentlichte sie in New York ihre Autobiografie, die 1981 unter dem Titel „Autobiografie einer deutschen Rebellin“ in Deutschland erschien. Große amerikanische Blätter hatten 1939 über ihre Autobiografie, die im Zusammenhang mit ihrer Widerstandstätigkeit gegen den Nationalsozialismus zu sehen ist, berichtet. Toni Sender war eine Rebellin – ihr Leben lang. Früh erkämpfte sie ihre Autonomie gegenüber dem bürgerlichen Elternhaus, sie eroberte sich ihren Platz innerhalb der Arbeiterbewegung, kämpfte gegen den Ersten Weltkrieg, gegen die Nazis und emanzipierte sich schließlich auch von der deutschen Nachkriegsgesellschaft, in der sie für sich keinen Platz sah. Ihr Anliegen war es stets, nicht nur ihre eigene Unabhängigkeit zu bewahren, sondern auch Frauen, Arbeiter_innen und Jugendliche zu ermutigen, sich von Unterdrückung und Diskriminierung zu befreien.
1956 musste Toni Sender wegen der Parkinson-Krankheit ihre Ämter und ihre Berufstätigkeit aufgeben. Ab 1960 kam sie nicht mehr ohne ständige Betreuung aus und nahm doch, gestützt auf ihre Betreuerin Liselotte Ehntholt, noch an vielen UNO-Sitzungen teil. Sie starb am 26. Juni 1964 in New York City im jüdischen Beth Israel Hospital und wurde auf dem Beth Israel Friedhof in Woolbridge, New Jersey, bestattet.
Gisela Notz
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