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Während die klassische Podiumsdiskussion oder Konferenz auch davon lebt, dass die Teilnehmenden den Kontakt zu den Anwesenden über ihren Blick suchen, lebendig gestikulieren, zustimmend nicken oder kopfschüttelnd verneinen, gelten beim Videochat andere Regeln. Volker Engels erklärt, wie sich Journalist_innen auf digitale Videochats und -konferenzen vorbereiten.
Journalisten_innen sind gern gesehene Gäste bei Podiumsdiskussionen. Als Teilnehmende oder in der Moderation. Die Grundlagen für diese und andere Veranstaltungen haben sich in den vergangenen Monaten erheblich verändert: Videobasierte Diskussions- oder Redaktionsrunden ersetzen Präsenzveranstaltungen, selbst größere internationale Tagungen finden online statt.
Auch, wenn der permanente Blick auf den Bildschirm inzwischen bei vielen zu deutlichen Ermüdungserscheinungen führt und mit „Zoom Fatigue“ sogar schon einen schicken Namen trägt, wird der (diskursive) Austausch via Bildschirm in Zukunft sicher weiter eine wichtige Rolle spielen. Selbst, wenn Präsenzveranstaltungen vielerorts wieder möglich sind. Digitale wie analoge Formate leben von der Präsenz der Teilnehmenden.
Wer sich in der analogen Welt auf den Weg macht, um an einer Podiumsdiskussion, einer Konferenz oder einem Bewerbungsgespräch teilzunehmen, bringt sich in der Regel vorher optisch so in Form, dass das Gegenüber sich mit den Inhalten und nicht mit der ungewaschenen Jeans beschäftigt. Ähnlich einem Stahlwerker am Hochofen, der gut beraten ist, feuersichere Kleidung statt einer Jogginghose am Arbeitsplatz zu tragen. Was hier selbstverständlich erscheint, bei Videochats im beruflichen Kontext ist das nicht die Regel. Obwohl der Dresscode für Veranstaltungen in der Offlinewelt und im Büro auch online gilt. Denn selbst einfache PC-Kameras produzieren scharfe Bilder, die unerbittlich den zerfransten Hemdkragen oder die zerschlissene Bluse einfangen.
Das Zuhause ist zum öffentlichen Raum geworden. Der Raum, in dem gestern Abend noch Tomaten geschnipselt wurden, mit der Katze gespielt oder ein Treffen mit Freunden stattgefunden hat, ist plötzlich virtueller Teil eines Konferenzraums, Podiums oder der Arbeitsstelle. Dort würde man die leeren Weinflaschen von der Feier am Vorabend allerdings wegräumen. Sind bei einer klassischen Podiumsdiskussion in der Regel die Veranstalter_innen für den Hintergrund des Podiums zuständig, liegt es im Homeoffice in der eigenen Verantwortung, was für andere Podiumsgäste und das Publikum sichtbar wird.
Manche Chat-Programme bieten Weichzeichner an, die den Hintergrund gnädig verwischen. Beliebt sind virtuelle Kulissen, die per Mausklick aus dem eigenen Büro ein schickes Domizil mit New Yorker Skyline machen oder die heimische Küche an einen Südseestrand verlegen. Selbst große Möbelhäuser stellen digitale Umgebungen bereit. Abgesehen davon, dass den anderen Teilnehmenden des Videochats schnell klar sein dürfte, dass der Hintergrund eher einem ausgeprägten Wunschdenken und nicht der Realität entspricht, folgt schnell die Frage: was will man verbergen. Gerade bei Chats, die von technischen Regisseuren professionell unterstützt werden, kommt gelegentlich die unmissverständliche Bitte, den digital erschaffenen Hintergrund unverzüglich zu deaktivieren, weil die Konturen der Teilnehmenden vor der virtuellen Wand flimmern. Das offenbart, was ohnehin offensichtlich ist. Das Homeoffice liegt nicht in der Südsee, sondern in einem Stuttgarter Hinterhof.
Besonders Männern, viele in der Politik unterwegs, scheint es ein tiefes Bedürfnis zu sein, ihre intellektuelle Potenz durch Bücherregale im Hintergrund zu dokumentieren. Nicht überraschend, dass prall gefüllte Bücherwände Anlass zu Spott geben. Praktisch veranlagte Menschen stapeln ihre Bucher, um den Laptop darauf abzustellen und die Kamera damit auf Augenhöhe zu bringen.
Während die klassische Podiumsdiskussion oder Konferenz auch davon lebt, dass die Teilnehmenden den Kontakt zu den Anwesenden über ihren Blick suchen, lebendig gestikulieren, zustimmend nicken oder kopfschüttelnd verneinen, gelten beim Videochat andere Regeln. Regeln, die anstrengen und oft ermüden. Was für Moderatoren_innen im Fernsehen alltäglich ist und durch einen Telepromter vereinfacht wird, fällt Ungeübten schwer: Der direkt Blick in die Kamera. Die Gesprächspartner haben damit das Gefühl, direkt angesprochen zu werden. Ein kleiner Stichwortzettel mit den wichtigsten Informationen, direkt neben die Kamera geklebt, hilft auch ohne Telepromter, den Blickkontakt ins Publikum zumindest zu simulieren.
Eine lebendige und schnelle Gestik, die das Gesagte mit den Händen unterstreicht, führt im Video schnell zum Eindruck des „Fuchtelns“; auch unruhiges hin und her rutschen während der Videokonferenz nehmen die anderen Teilnehmenden als zappeln wahr. Hier gilt die Regel aus der analogen Welt: Wir sind auch dann im Bild, wenn wir gerade nicht sprechen. Wer in dieser Phase gedankenverloren mit einem Kugelschreiber vor der Bildschirmkamera spielt, sollte sorgfältig auf mögliche Werbebotschaften auf dem Stift achten. Denn die müssen zur eigenen Position passen. Ein flammendes Plädoyer für eine fleischlose Ernährung wird Kratzer bekommen, wenn der Werbeaufdruck des Kugelschreibers die Vorzüge einer Hamburger-Kette preist.
Wichtiger als das Bild, das vor allem subtile Inhalte transportiert, ist die Stimme. Bei überzeugenden Redner_innen bei Veranstaltungen fällt zum Beispiel auf, dass sie in Phasen der engagierten Argumentation oft schneller sprechen, in nachdenklichen Kontaktphasen dagegen das Tempo verlangsamen. In Videokonferenzen bietet sich grundsätzlich ein langsameres und deutlicheres Sprechen an. Es erleichtert den anderen Teilnehmenden das Zuhören. Vor allem, wenn sie keine Muttersprachler_innen sind oder wieder einmal die Technik streikt.
Darüber hinaus hilft eine bewusste Betonung den Zuhörer_innen, das Gesagte richtig zu verstehen und einzuordnen. Geübte Radiosprecher_innen strukturieren und akzentuieren ihren Beitrag dadurch. Denn wird runtergeleiert, entsteht ein monotoner Sprachbrei. Ist alles gleich wichtig, ist eigentlich nichts wichtig. Kleine Übungen im Vorfeld einer analogen oder digitalen Konferenz, mit einem kleinem Text oder einem Gedicht als Vorlage, können dabei helfen, mittels Betonung und bewusst gesetzten Pausen einen Text zu strukturieren.
Eine ordentliche Vorbereitung oder „Generalprobe“ schafft Sicherheit, das Meeting gut über die Bühne zu bringen. Üben übt. Videoformate nutzen Technik, die sollte funktionieren und rechtzeitig im Vorfeld ausprobiert werden. Das minimiert die Wahrscheinlichkeit, dass böswillig anmutende Rechner oder Smartphones drei Minuten vor Veranstaltungsbeginn scheinbar autonom die Entscheidung treffen, das Betriebssystem zu aktualisieren. Schließlich sollten in einer Diskussion oder Konferenz die besten Argumente und nicht die fundiertesten Technikkenntnisse überzeugen.
Moderatoren_innen und Teilnehmer_innen sind gut beraten, die Spielregeln für alle Beteiligten rechtzeitig klar zu machen oder abzufragen. Transparente und verbindliche Regeln, zu denen übrigens auch die Pausengestaltung gehören kann, erleichtern den Blick auf das Wesentliche: Den Raum für einen fairen Austausch zu schaffen, der das Publikum informiert, anregt und im besten Fall sogar unterhält.
Volker Engels Studium der Sozialarbeit in Dortmund und Berlin (Dipl.) und der Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin (MA). Seit vielen Jahren Tätigkeit als Journalist für Zeitschriften und Zeitungen in Berlin; Co-Autor des Buchs „Die Lobby regiert das Land“. Als Kommunikationstrainer gibt er unter anderem Seminare zu den Themen Rhetorik, Auftritt oder Interviews.www.volkerengels.de
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