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Montag, 24.10.22 18:00 bis Montag, 24.10.22 20:15 - Kreishaus, Meschede

Nachbericht: Hochsauerlandgespräch: Gas, Strom und Wärme als Luxus? Perspektiven auf die Entwicklung der Energiepreise


Terminexport im ICS-Format

Bild: Hochsauerland Energie Header 3 2

Bild: GPMDirk Wiese

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Hilfen für Menschen und Industrie „wie eine Operation am offenen Herzen“

 

Deutschland ist durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in eine Energiepreiskrise geraten. Die geradezu explodierenden Kosten für Gas, Strom und Wärme entwickeln sich trotz der ersten Hilfs- und Entlastungspakete der Bundesregierung zu einem rasant wachsenden Problem sowohl auf sozialer Ebene als auch für Industrie und Wirtschaft.

Einerseits erweist sich das Themenfeld „Energieversorgung für alle“ mit zunehmender Nähe zur winterlichen Jahreszeit begleitet von Sorgen, Ängsten und Nöten vieler Menschen als neue soziale Frage. Andererseits ächzen immer mehr Betriebe vor allem aus dem Mittelstand unter den steigenden Kosten für Energie und Rohstoffe. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet die völlig veränderte Situation in Verbindung mit den anhaltenden Lieferengpässen große Sorgen und enorme Risiken gleichermaßen.

Vor diesen Hintergründen erörterten Experten und Politiker beim Hochsauerlandgespräch in Meschede Deutschlands Lage vor dem Winter 2022/23 aus unterschiedlichen Blickwinkeln. In der Podiumsdiskussion „Gas, Strom und Wärme als Luxus? Perspektiven auf die Entwicklung der Energiepreise“ diskutierten Wasserstoff-Bereichsleiter Dr. Andreas Breuer von der Westnetz GmbH, Geschäftsführer Siegfried Müller von der Hochsauerland Energie, Dr. Sascha Samadi vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie sowie Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Andreas Rimkus verschiedene Facetten der Krise.

Dabei debattierte das Panel unter der Moderation von Dirk Wiese MdB (SPD) über verschiedene Problemstellungen. Nach der Begrüßung von Sohel Ahmed aus dem Landesbüro NRW der einladenden Friedrich-Ebert-Stiftung standen Fragen nach Konsequenzen von Einzelpersonen und der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit oder nach der Gewährleistung der Energiesicherheit in Deutschland ebenso im Blickpunkt wie mögliche Beiträge erneuerbarer Energien zur Kostenkontrolle und Auswirkungen der momentanen Schwierigkeiten auf die als gesellschaftliches Großprojekt angelegte Energiewende.

In der Diskussion bezeichnete Rimkus die anstehenden Beratungen im Bundestag über die für neue Entlastungen notwendigen Gesetze und die dazugehörigen Auseinandersetzungen als „Operation am offenen Herzen“. Der Düsseldorfer warb deswegen angesichts der Zeiten „wechselseitiger Zumutungen“ nachdrücklich dafür, „voneinander zu lernen, so miteinander umzugehen, dass wir nicht nur den einen allein richtigen Weg glauben und zusammen weitergeben, dass niemand an keiner Stelle Entscheidungen verschleppt oder mit Vorsatz den einen oder anderen Aspekt unbeachtet lässt“. Aus seiner Sicht seien mögliche Verteilungsprobleme sowie weitere Versäumnisse und Fehler bei der Aufstellung von Hilfspaketen ganz überwiegend darauf zurückzuführen, „dass wir keine Blaupause haben“. Zudem würden rechtliche Zwänge wie der Datenschutz einer rechtzeitigen und vor allem zielgenaueren Unterstützung bedürftiger Menschen Grenzen setzen.

Eindeutig umriss Rimkus seine Prioritäten bei der Ausgestaltung weiterer Hilfsmaßnahmen: „Es muss verhindert werden, dass Strom, Gas und Wärme Luxus werden. Mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Energieversorger bei der Umstellung ihrer Systeme auf die wechselnden Rahmenbedingungen müssen wir für die Verbraucher weitere Hilfen schon ab Januar einführen. Ich halte außerdem für wichtig, dass wir noch etwas zur Senkung des Strompreises erreichen, weil das auch für die Industrie wichtige Stabilität schafft, ohne die wir Produktionen und Arbeitsplätze verlieren, die niemals wieder zurückkehren werden.“

Die Ausrichtung des politischen Fokus begrüßte Müller: „Es ist noch wichtiger als Unterstützungen für die Bevölkerung, dass wir die Industrie am Laufen halten.“ Nach Einschätzung des Energiemanagers ist diese Vorgehensweise momentan auch deswegen angeraten, weil die Probleme erst für den Winter 2023/24 „groß werden“. Für die nächsten Monate hingegen sagte Müller entgegen weit verbreiteter Einschätzungen, Entspannungen aufgrund der Auswirkungen der Mehrwertsteuersenkung auf Gas sowie der Erstattungen für geringeren Gasverbrauch und der abgeschafften EEG-Umlage voraus.

Müller rief die Politik nach den Erfahrungen der vergangenen Monate im Interesse der Energieversorgungsunternehmen zu verstärkten Bemühungen um weniger kurzfristige Änderungen von Gesetzesvorschriften für Energiepreise auf. „Wir haben ein großes Problem in der Kommunikation zu unseren Kunden und wissen auch bald nicht mehr weiter. Wir können kaum noch rechtssicher Sachverhalte erklären und umsetzen, wir wissen manchmal auch gar nicht, was wir erstatten sollen, Für uns ist wirklich eine wichtige Frage, wie oft wir wann welche Preise unserer Kundschaft mitteilen.“

Wie Müller wartete auch Samadi mit überraschend positiven Einschätzungen der allgemein als schwierig bis prekär wahrgenommenen Situation auf – zumindest hinsichtlich der angestrebten Energiewende. „Die Krise“, sagte der Forscher nämlich, „die Krise macht keinen Unterschied für die langfristigen Transformationspläne aus. Vielmehr wird derzeit deutlich, dass alle geplanten Instrumente kompatibel zu den Problemen sind, wobei das Gasproblem dazu beitragen könnte, dass die Erzeugung von Wasserstoff schneller erfolgt als geplant und sich mit politischem und gesellschaftlichem Willen sogar auch die Senkung des Gasverbrauchs beschleunigen lassen könnte.“

Samadi mahnte außerdem ebenfalls eine Priorisierung der Anforderung von Industriebetrieben in Balance zu Deutschlands umweltpolitischen Zukunftszielen an: „Es muss intensiv darüber nachgedacht werden, wie die Industrie ge- und behalten werden kann, denn ohne eine funktionierende Industrie entbehren alle Pläne für eine Transformation eben auch der Industrie einer elementaren Grundlage. Weil die Energiewende aber für die Industrie von existenzieller Bedeutung ist, darf die Lösung der kurzfristigen Probleme nicht zu Lasten der Energiewende gehen.“

Der Wissenschaftler plädierte für eine bedächtigen Handhabung der konsequenten Einleitung des gewünschten Paradigmenwechsels. „Um die Herausforderung ohne fossile Energieträger zu bewältigen und auf Wasserstoff umzusteigen, müssen wir nicht erst zu 100 Prozent erneuerbaren Strom erzeugen können. Wir sollten mit Bedacht handeln und nicht gleich zu sehr auf Wasserstoff setzen. Wir brauchen keinen abrupten Wandel, aber wir müssen schnell ein Stück weit beginnen zu lernen, wie und wo Wasserstoff einzusetzen ist“, sagte Samadi. Für den Klima- und Energieexperten besteht insgesamt dringender Handlungsbedarf: „Wenn wir nicht frühzeitig die erneuerbaren Energien ausbauen und verstärkt Wasserstoff nutzen, wird Deutschland kaum mit anderen Regionen in der Welt konkurrieren können. Wenn uns der Ausbau erneuerbarer Energien nicht gelingt und wir nicht die Infrastruktur für grünen Strom und Wasserstoff schaffen, wird die Industrie in Deutschland es international schwer haben.“

Zumindest einen allgemeinen Bewusstseinswandel bei der Wasserstoff-Thematik in den Führungsetagen von Industrieunternehmen und auch in der Bevölkerung bestätigte Breuer: „Noch im vergangenen Jahr gab es keinen Bedarf in nennenswerter Größenordnung für die Anwendung von Wasserstoff.“ Aber auch mehr als ein Jahr später „lernen alle noch am Wasserstoff“, sagte der Westnetz-Experte.

Breuer nannte zwei Faktoren als Voraussetzung für die Perspektiven der Wasserstoff-Wirtschaft. „Für die Industrie darf auch bei einer schrittweisen Umstellung auf Wasserstoff die Qualität des jeweiligen Produktes zu keinem Zeitpunkt leiden. Was wir aber auch besonders brauchen, ist die Entfaltung von Innovationskraft für Technologien und passende Prozesse beim Einkauf von Strom für die Erzeugung von Wasserstoff.“

Diese Prämisse erst kann nach Breuers Einschätzung erst die entscheidenden Schritte in Richtung Zukunft möglich machen: „Wir müssen abwägen, was für die Etablierung eines Wasserstoff-Marktes leisten können, auf dem unser Wasserstoff zu Alternativen aus anderen Regionen konkurrenzfähig ist. Dann können wir unser Ziel, eine Insel zu sein und zu wachsen, auch erreichen.“

Für Privathaushalte zeigte Sieverding für den Fall einer zu hohen Belastung durch Energieabrechnungen eine Möglichkeit zur Vermeidung des Einstiegs in die Schuldenspirale auf. „Für den Monat der Abrechnung können betroffene Personen beim Jobcenter Bedarf anmelden und Unterstützung über Hartz IV beantragen. Das ist nicht der angenehmste Weg, kann in akuten Situationen aber enorm helfen“, sagte der Verbraucherschützer. Nach seinem Dafürhalten sollte sowohl Betriebe als auch Freunde und Nachbarn ihr Wissen über diese Möglichkeit zur Abfederung von Energiepreisschocks möglichst breit gefächert teilen: „Es sind besondere Zeiten, und wir sollten schauen, dass wir als Gesellschaft zusammenhalten, wo immer es geht, und uns deswegen vor allem um betroffene Mitmenschen kümmern.“

Dietmar Kramer, Journalist


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