Vor seiner Verabschiedung im Juni 2021 wurde das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Deutschland ausführlich diskutiert. Doch wie wird es im Globalen Süden wahrgenommen? Haben Arbeiter_innen Kenntnis von dem Gesetz? Betrachten Gewerkschaften die neuen Vorgaben zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten als Chance, in der Lieferkette tätige Arbeiter_innen zu schützen und zu organisieren?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat das FES Kompetenzzentrum für Gewerkschaften in Subsahara-Afrika im zweiten Halbjahr 2022, noch vor Inkrafttreten des LkSG, eine empirische Studie über den Automobilsektor in Südafrika, Kenia und Ghana in Auftrag gegeben. Wenig überraschend ergab die Studie, dass das Gesetz bei Arbeiter_innen und Gewerkschaften noch weitgehend unbekannt war. Firmenvertreter_innen standen nicht für Interviews mit den Forscher_innen bereit, und einige der Befragten aus der Consultingbranche zogen nach ihrem Interview Aussagen zurück. Unsicherheit und ein Mangel an verfügbaren Informationen prägten das Bild nur wenige Monate vor Inkrafttreten des Gesetzes.
Das Gesetz wird zum Schutz von Arbeitsrechten benötigt
Was jedoch im Rahmen der Untersuchung deutlich wurde, war die Notwendigkeit von rechtlich bindenden Sorgfaltspflichten. In allen drei Ländern berichteten Arbeitnehmer_innen vor Inkrafttreten des Gesetzes, dass es Probleme mit der Umsetzung von Arbeitsrechten in der deutschen Automobillieferkette gab. Obwohl die meisten festgestellten Probleme einen Verstoß gegen bestehendes nationales Recht bedeuteten, gab es für die betroffenen Arbeiter_innen keine Abhilfe, entweder weil sie nicht wussten, welcher Verfahren sie sich bedienen konnten, oder weil sie bei der Einforderung ihrer Rechte negative Konsequenzen fürchteten. Wie soll sich in Anbetracht des dramatischen Machtgefälles zwischen multinationalen Unternehmen und Arbeiter_innen im Globalen Süden daran etwas ändern?
Starke Gewerkschaften sorgen für ein starkes Lieferkettengesetz
Es sind die Gewerkschaften, die für eine Veränderung sorgen werden! Ihre enge Einbindung, inklusive der von Betriebsrät_innen und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten in Deutschland und den entsprechenden Ländern kann dafür sorgen, dass das Lieferkettengesetz für Arbeiter_innen und betroffene Communities einen echten Unterschied machen wird. Gewerkschaften können kontrollieren, ob sich die realen Erfahrungen der Arbeiter_innen in den Unternehmensberichten widerspiegeln und ob die vorgeschriebenen transparenten und zugänglichen Beschwerdeverfahren von allen Arbeiter_innen in der Lieferkette in Anspruch genommen werden können. Im Falle von Verstößen wird es entscheidend sein, dass die Gewerkschaften in den jeweiligen Ländern, ebenso wie in Deutschland, effektiv zusammenarbeiten. So können sie dafür sorgen, dass die Verstöße vom jeweiligen Unternehmen abgestellt werden oder der entsprechende Rechtsweg eingeschlagen wird, um das Unternehmen zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu zwingen. Wenn Gewerkschaften sich transnational vernetzen, können sie das Gesetz nutzen, um gegenüber multinationalen Unternehmen die notwendige gewerkschaftliche Gegenmacht aufzubauen.
Die Einbindung von Gewerkschaften verpflichtend machen
Dennoch bleibt das Gesetz in seiner derzeitigen Fassung schwammig hinsichtlich der Interessenvertretung von Arbeiter_innen – und zwar sowohl in den produzierenden Ländern als auch in Deutschland. Anstatt die Rechte von Gewerkschaften und Betriebsrät_innen im Rahmen des LkSG klar festzulegen und die Unternehmen dazu zu verpflichten, sie in die Umsetzung des Gesetzes einzubinden, müssen die Einflussmöglichkeiten dieser Akteure von anderen Gesetzen, wie zum Beispiel dem Deutschen Betriebsverfassungsgesetz abgeleitet werden. Außerdem haben Arbeiter_innen in Deutschland und in produzierenden Ländern Subsahara-Afrikas von mangelndem Einblick in den Aufbau der Lieferketten berichtet. Diese Kenntnisse sind entscheidend für gewerkschaftliche Vernetzung und Organisation entlang der Lieferketten. Angesichts des eingeschränkten Informationszugangs der Arbeitnehmer_innen müssen die Unternehmen in ihren gesamten Lieferketten, inklusive der Zulieferer, eine Verbesserung der Transparenz priorisieren.
Die vorgeschlagene EU-Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Diligence Directive) über die derzeit zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission verhandelt wird, könnte hier Fortschritte bewirken! Sie bietet die Chance, die nationale Gesetzgebung zu verbessern, unter anderem hinsichtlich der Rolle von Gewerkschaften, der Transparenz von Beschwerdeverfahren, des Schutzes von Beschwerdeführer_innen und der Informationspflicht von Unternehmen gegenüber ihren Arbeiter_innen und der Öffentlichkeit.