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Bild: Periodista digital | digitaler Journalismus von © www.flickr.com | Esther Vargas
Standpunkt
Häufig heißt es, Lateinamerika sei die gefährlichste Region der Welt für Journalist_innen, denn diese werden an der freien Ausübung ihres Berufs gehindert, sie werden juristisch verfolgt, angegriffen und ermordet. Der Druck und die Angriffe gehen von Regierungen, Informant_innen, Werbekunden, Richter_innen, Medieneigentümer_innen und der organisierten Kriminalität (z. B. Drogenkartellen) aus. Das alles ist richtig, aber nicht in allen Ländern gleich. Die Vorstellung, dass allein die Regierungen die Medien beherrschen und einschränken, täuscht darüber hinweg, dass durch die hohe Konzentration von Medieneigentum ebenso Druck und Zensur ausgeübt werden.
Die Macht der Medien als politischer und ökonomischer Akteur ist enorm und bestimmt die Regierbarkeit in 13 Ländern Lateinamerikas (Argentinien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Dominikanische Republik, El Salvador, Guatemala, Honduras, Kolumbien, Mexiko, Paraguay, Peru und Uruguay) – folglich muss in diesen Ländern der Staat gegen die Macht der Medien verteidigt werden, um die Demokratie zu fördern. Vier andere Staaten (Bolivien, Kuba, Nicaragua und Venezuela) hingegen kontrollieren die Informationen und üben verschiedene Formen der Zensur aus. In diesen Ländern sind es die Medien, die gegen die zensierende Staatsgewalt verteidigt werden müssen.
Der Kontext
Traditionell definiert die liberale, westliche Weltanschauung Journalismus als öffentliche Dienstleistung für die Bürger_innen eines Landes. Die Medien und damit auch die Meinungsfreiheit mussten lange Zeit gegen Staatsmacht und Regierende verteidigt werden. Im 20. Jahrhundert folgte Lateinamerika dem demokratischen Beispiel des globalen Nordens, auch wenn die Medien eher den Interessen der politischen und ökonomischen Eliten als denen der Bürger_innen zugeneigt waren.
Heute ist die Meinungsfreiheit als öffentliches Gut und Menschenrecht nicht mehr Eigentum der Medien und ihre Legitimität als vierte Gewalt wird zunehmend hinterfragt. So wird auf dem Feld der Meinungsfreiheit letztlich der Kampf um die Demokratie ausgetragen. In Europa und Nordamerika werden daher zunehmend die ökonomischen, politischen und unternehmerischen Interessen sowie die journalistischen Praktiken der Medien in Frage gestellt, da sie keinen Qualitätsjournalismus mehr bieten, sondern sich für den freien Markt einsetzen und zu Gunsten ihrer Werbekunden oder über bevorzugte Politiker_innen informieren. Natürlich gibt es den Qualitätsjournalismus noch – er ist jedoch immer schwierigeren Bedingungen unterworfen. Auch in Lateinamerika stehen die Art der Berichterstattung, die sich aus der wirtschaftlichen Eigentumskonzentration ergebende Macht der Medien sowie die Verwandlung der Medien in politische Akteure auf dem Prüfstand.
Meinungsfreiheit in Lateinamerika
Vor diesem Hintergrund kann man also nicht behaupten, Lateinamerika wäre für Medienschaffende die gefährlichste Region der Welt. Es gibt Repressionen und Einschüchterungen von Journalist_innen, die Selbstzensur zur Folge haben, aber das ist nur eine Facette einer komplexeren Realität. Es ist ein politischer Kampf zwischen Medien, die sich in politische Akteure verwandelt haben sowie ein liberales Gesellschaftsmodell ohne jeglichen staatlichen Einfluss befürworten und Regimen, die Medien als Sprachrohr für ihre ideologischen Interessen nutzen wollen. Die Meinungsfreiheit wird eingeschränkt, weil sich die Medien in politische Akteure verwandelt haben, die im Dienste ihrer Eigentümer_innen und politischer Eliten stehen. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele: die Führungsrolle der brasilianischen Medien im Amtsenthebungsprozess Dilma Rousseffs sowie die uneingeschränkte Unterstützung des aktuellen, illegitimen Präsidenten Michel Temer; die mediale Hasskampagne gegen Cristina Fernández de Kirchner in Argentinien und die darauf folgende mediale Abschirmung ihres Nachfolgers Mauricio Macri; die kontinuierliche Destabilisierung der Regierung Bachelet in Chile sowie die permanente, von den Medien heraufbeschworene Regierungskrise in Peru. Angeprangert werden müssen selbstverständlich auch die ständige staatliche Zensur, Überwachung und Kontrolle der Medien in Bolivien, Ecuador, Nicaragua und Venezuela.
Die Region ist also für Journalist_innen extrem gefährlich aufgrund von juristischen Angriffen gegen ihre freie Berufsausübung, permanenter Gewaltandrohung und -anwendung durch Gruppen am Rande des Gesetzes oder teilweise durch Regierungen, einflussreichen, Agenda und Themensetzung kontrollierenden Werbekunden sowie der Straflosigkeit nach Übergriffen. Am stärksten schränkt jedoch die extreme (und weltweit höchste) Konzentration des Medieneigentums die Meinungsfreiheit in Lateinamerika ein. Die Medienlandschaften in Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru und Zentralamerika sind hierfür Beispiele. Diese Besitzkonzentration von traditionellen Medien, Telekommunikation und sozialen Netzwerken ist für die demokratische Qualität unserer Gesellschaften ein sehr großes Problem, denn dadurch verringern sich Pluralität und Diversität der öffentlichen Meinung zunehmend. Sie führt zu einer Reduzierung von Informationsquellen und Perspektiven zur Meinungsbildung im öffentlichen Raum, der Homogenisierung von Genres und Unterhaltungsformaten, der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen sowie der Abnahme qualitativ hochwertiger Berichterstattung.
Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (Comisión Interamericana de Derechos Humanos) bestätigte bereits, dass die Besitzkonzentration die Qualität des öffentlichen Raums verringert und somit zu einem Zensurmechanismus wird. So ist die Medienkonzentration der Schlüssel zu Demokratie und Kommunikationssouveränität in Lateinamerika. Privatunternehmen sind mehr an guten Geschäften und ihrem Einfluss auf die Regierungen interessiert als daran, die Öffentlichkeit zu informieren. Also bevorzugen sie den Sensationsjournalismus und die Informationsvermittlung wie im Showgeschäft, um mehr clicks, likes und trending topics zu erzielen und so bessere Geschäfte zu machen. Wenn in Lateinamerika Medien die Regierungen zu Gunsten privater Akteure zu beeinflussen versuchen, müssten die Medien eigentlich vor Unternehmensinteressen genauso wie vor kriminellen Banden geschützt werden.
Trotz dieser Probleme sind die meisten lateinamerikanischen Länder offene und liberale Gesellschaften, in denen recherchiert und die eigene Meinung frei geäußert werden kann, so dass der Journalismus noch immer ein zentraler demokratischer Akteur für die Veröffentlichung von sozialen Missständen und Korruption ist. Man muss also bei der Beurteilung der Kommunikationssouveränität einzelner Länder differenzieren – nicht alle sind wie Kuba oder Venezuela.
Die Medienkonzentration und ihre Rolle als politischer Akteur sind ein drängendes Problem für Lateinamerika. Daher ist es dringend notwendig, unabhängigen Journalismus zu fördern, alternative Diskussionsräume zu schaffen, neue Technologien effektiv zu nutzen, Themen neu zu denken sowie verschiedensten Stimmen der Gesellschaft Raum zu geben. Es war noch nie so wichtig wie jetzt, einen mutigen, bürgernahen Journalismus zu haben, der die Mächtigen kontrolliert und die zahlreichen „Post-Wahrheiten“ entlarvt. In diesem Sinne gibt es heute sogar mehr und nicht weniger Meinungsvielfalt: Soziale Medien, der Zugang zu alternativen Informationsquellen und die digitale Teilhabe erweitern die öffentliche Meinung, erfinden den Journalismus neu und bringen frischen Wind in die Demokratie. Wie nie zuvor ist ein digitaler, unabhängiger Qualitätsjournalismus unabdingbar für die Demokratie des 21. Jahrhunderts.
Die spanische Fassung des Textes finden Sie hier.
Omar Rincón, Leiter des regionalen FES-Medienprojekts in Lateinamerika mit Sitz in Bogotá, Kolumbien
Kontakt
Mareike Schnack Hiroshimastr. 28 10785 Berlin
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