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Die rechte Regierungskoalition von Präsident Sebastián Piñera liegt am Boden. Unabhängige und linke Kräfte sind die großen Gewinner.
Bild: Jubel rund um Irací Hassler, gewählte Bürgermeisterin von Santiago, 17.05.2021 von picture alliance | ZUMAPRESS.com | Felipe Figueroa
Bild: Wahlurne mit der Aufschrift "indigene Völker" in Santiago, 16.05.2021 von picture alliance / ZUMAPRESS.com | Francisco Arias
Bild: Wahlkabinen in Santiago am 16.05.2021 von picture alliance | ZUMAPRESS.com | Francisco Arias
Eindeutiger Verlierer ist das rechtskonservative Regierungsbündnis von Sebastián Piñera, das nur rund 20 Prozent der Sitze gewinnen konnte. Die Verteidiger des Status quo haben damit keine Vetomacht im Verfassungsprozess, dafür wäre ein Drittel der Sitze notwendig gewesen.
Die großen Gewinner sind dagegen neue linke Kräfte: In erster Linie haben sich parteiunabhängige Kandidat_innen durchgesetzt, die die Anliegen der Protestbewegung vertreten. Auch feministische Organisationen gewannen zahlreiche Sitze. Chiles Politik ist seit diesem Wahltag linker, weiblicher und jünger. Gemeinsam mit den traditionellen sozialdemokratischen Parteien, die viele Stimmen verloren haben, und dem linken Wahlbündnis, bestehend aus der Kommunistischen Partei und dem noch jungen Parteienbündnis Frente Amplio, stellen diese neuen linken Kräfte mehr als zwei Drittel der Mitglieder der Versammlung.
Progressive, reformorientierte Kräfte können also eine große Gestaltungsmacht ausüben, sofern es ihnen gelingt, über Grenzen und Streitigkeiten hinweg eine breite Allianz zu bilden. In dem Fall stehen die Chancen gut, dass sie ihre Forderungen nach einer stärkeren Rolle des Staates und mehr garantierten Grundrechten durchsetzen können.
Die Chancen für ein gemeinwohlorientierteres Grundgesetz stehen gut. Damit wäre die zentrale Forderung der Protestbewegung erfüllt. Voraussichtlich werden aber bis zu zehn Jahre vergehen, bis die neue Verfassung tatsächlich Wirkung im Alltag der Menschen zeigt. Der Prozess ist wichtig, kann aber nicht die heutigen, gravierenden Herausforderungen Chiles lösen.
In den letzten 12 Monaten hat die Pandemie die sozialen Probleme des südamerikanischen OECD-Landes wie ein Brennglas verschärft. Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger steigen. Allein in der Hauptstadt ist die Obdachlosigkeit im Jahr 2020 um 235 Prozent gestiegen. Chiles abstürzende Mittelschicht benötigt schneller staatliche Hilfe.
(Weitere Informationen zur sozialen Ungleichheit in Chile und zum bisherigen Prozess der Verfassungsreform gibt es hier in unserem Veranstaltungsbericht zur Weltpremiere des Films „Der chilenische Knall“ am 15.04.2021.)
Bislang bezahlen die Arbeitnehmer_innen die Krise weitgehend aus eigener Tasche; sie können ihrer Einlagen vorzeitig aus der Rentenkasse abheben. Über drei Millionen Chilen_innen (von insgesamt 19 Millionen) haben sich bereits seit Ausbruch der Pandemie ihre gesamten Rentenersparnisse auszahlen lassen. Das große Problem der Altersarmut wird sich so voraussichtlich noch weiter verschärfen; die Kosten werden individualisiert und in die Zukunft verschoben.
Bei den landesweiten Lokal- und Regionalwahlen waren die Chilen_innen am Wochenende dazu aufgerufen, alle Bürgermeister_innen, Stadträt_innen und Gouverneur_innen zu wählen. Von historischer Bedeutung war, dass die regionalen Gouverneur_innen zum ersten Mal seit Ende der Diktatur direkt gewählt und nicht vom Präsidenten ernannt wurden. Dieses Dezentralisierungsgesetz aus der Zeit der sozialdemokratischen Präsidentin Michelle Bachelet wurde nun erstmals angewandt.
Auch bei dieser Wahl sind die rechtskonservativen Parteien der Regierungskoalition die großen Verlierer. Sie können nun kaum noch Gouverneur_innen stellen. Gute Ergebnisse hat dagegen das linke Parteienbündnis Frente Amplio erzielt: Es stellt nun 13 Bürgermeister_innen, davon drei in den größten Städten, und den Gouverneur in der wirtschaftlich wichtigen Hafenstadt Valparaiso. Und in Santiago de Chile hat dessen Kandidatin gute Chancen, die Stichwahl zu gewinnen.
Im April 2021 haben mehrere nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen Präsident Piñera vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angezeigt. Ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, da er die exzessive Gewalt von Polizei und Militär gegen seine Bürger_innen nicht gestoppt und diesbezügliche Empfehlungen der UN-Menschenrechtsbeobachter_innen nicht umgesetzt hat. Bei den Protesten starben mehr als 30 Menschen durch Polizei- und Militärgewalt, hunderte sind schwer verletzt worden. In den vorwiegend konservativen Medien wurde allerdings über die Strafanzeige kaum berichtet – während sie in den sozialen Medien viel diskutiert wurde.
Maximal 12 Monate hat die Verfassungsgebende Versammlung nun Zeit, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schreiben. Anschließend werden darüber Mitte 2022 alle Chilen_innen in einem erneuten Referendum abstimmen. Falls der Verfassungskonvent sich nicht auf einen neuen Text einigen kann, bleibt die aktuelle Verfassung aus der Ära des Diktators Augusto Pinochet in Kraft. Dieses Szenario birgt viel gesellschaftlichen Sprengstoff. Die Mehrheitsverhältnisse im Verfassungskonvent geben aber Anlass zur Hoffnung auf progressive Reformen.
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