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Seit 2002 gab es drei Regierungsvereinbarungen mit der Absicht, ein rechtsstaatliches internationales Entschuldungsverfahren zu schaffen. Zuletzt im Jahr 2021. Folgen diesmal den Worten Taten?
“Die Frage der nachhaltigen Verschuldung ist wahrscheinlich eine der größten Herausforderungen, vor denen wir derzeit stehen. Wir sprechen über die Bekämpfung des Klimawandels, wir sprechen über globale Herausforderungen wie die Migration und die digitale Transformation. Und wenn bestimmte Länder mit einer untragbaren Verschuldung konfrontiert sind, brauchen wir wirklich einen neuen Mechanismus, um sie in die Lage zu versetzen, all die Herausforderungen zu bewältigen, die wir von ihnen erwarten.”
Armand Zorn, MdB SPD, im Kontext der Dialogkonferenz zur globalen Schuldenkrise am 24.11.2022
Im April 2022 stellte Sri Lanka als erstes Schwellenland in der Corona-Pandemie die Zahlungen an seine ausländischen Gläubiger ein. Im Januar 2023 folgte das wirtschaftliche Schwergewicht Ghana. Schon zuvor gab es mehrere Länder, die unter dem Eindruck der Corona-Pandemie Schuldenerlasse von ihren Gläubigern ersuchen mussten. In allen Ländern zeigt sich, dass die bestehenden Verfahren zur Restrukturierung von Staatsschulden keinen raschen und effektiven Ausweg ermöglichen. Aus diesem Grund steht das Thema der Lösung von Schuldenkrise hoch auf der politischen Agenda. Die Bundesregierung spricht sich in ihrem Koalitionsvertrag dafür aus, mehr Fortschritt auch im Bereich des internationalen Schuldenmanagements zu wagen:
„Unser Ziel ist ein neuer internationaler Schuldenmanagementkonsens. Wir unterstützen eine Initiative für ein kodifiziertes internationales Staateninsolvenzverfahren, das alle Gläubiger miteinbezieht und Schuldenerleichterungen für besonders gefährdete Ländergruppen umsetzt.“ (Koalitionsvertrag, S.154)
Damit wurde zum dritten Mal seit 2002 in einer Regierungsvereinbarung die Absicht erklärt, ein rechtsstaatliches Entschuldungsverfahren zu schaffen, so wie es Zivilgesellschaft und Wissenschaft schon lange fordern. Anders als 2002 und 2009 befinden wir uns heute mitten in einer akuten Schuldenkrise: Mehr als drei Mal so viele Länder wie noch vor der Pandemie sind von Überschuldung gefährdet. Anders als 2002 und 2009 ergreifen heute Schuldnerländer vermehrt die Initiative: Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden verschiedene Vorschläge und Initiativen für Elemente einer neuen Strukturpolitik eingebracht, zum Beispiel von den Vulnerable20, einer Gruppe von 54 klimaverwundbaren Staaten. Ein Staateninsolvenzverfahren, so wie es im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, würde durch international verbindliche Regeln das vorherrschende Machtungleichgewicht zwischen Gläubigern und dem Schuldnerland abschaffen und kritisch verschuldeten Staaten einen nachhaltigen Ausweg aus der Schuldenfalle bieten. Gleichzeitig würden durch ein solches Verfahren zukünftige Schuldenkrisen vermieden, indem das Risiko für Gläubiger realistischer abgebildet und Spekulationsanreize eingedämmt werden.
Deutschland ist ein wichtiger richtungsgebender Akteur in Gremien der globalen Governance, wie den G7, den G20, in Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank und etwa bei Abstimmungen der Europäischen Union. Damit kann Deutschland bei der fairen Lösung der aktuellen Schuldenkrise eine wichtige Rolle spielen.
In der aktuellen Legislaturperiode steht die akute Bedrohung einer Kontinent-übergreifenden Schuldenkrise im Globalen Süden zwar hoch auf der politischen Agenda. Doch die reformpolitischen Diskussionen waren 2022 vor allem vom Krieg in der Ukraine sowie vom geopolitischen Konflikt zwischen westlichen Staaten und dem größten öffentlichen Gläubiger China geprägt. Einen internationalen Konsens für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens gibt es nicht. Zudem wird der Auftrag im Koalitionsvertrag unterschiedlich interpretiert: Für manche entspricht das sogenannte Common Framework für Schuldenrestrukturierungen der G20 schon dem, was sie unter einem fairen Verfahren für Umschuldungen verstehen. Doch dieses Rahmenwerk, das von den G20-Staaten bereits im November 2020 als Reaktion auf die Corona-Pandemie verabschiedet worden war, weißt erhebliche Mängel auf, etwa dass es nur einer begrenzten Auswahl an Schuldnerländern zur Verfügung steht und explizit nicht alle Gläubiger einbezieht.
Den Auftrag im Koalitionsvertrag zu erfüllen, muss dabei keineswegs bedeuten, entweder den großen Wurf zu wagen oder gar nichts zu tun. Es kann auch bedeuten, einzelne Elemente eines Staateninsolvenzverfahrens umzusetzen und kleinere Schritte hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit bei Umschuldungsverhandlungen auf den Weg zu bringen. Diese Schritte müssten auch bestehende Verfahren wie das Common Framework nicht automatisch ersetzen oder schwächen, sondern könnten sie effizienter, fairer und attraktiver für Schuldnerländer gestalten.
Wie nachhaltige Lösungen der Schuldenkrise aussehen könnten, diskutierten im November 2022 auf Einladung von erlassjahr.de und der Friedrich-Ebert-Stiftung rund 100 Expertinnen und Experten aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft, von internationalen Finanzinstitutionen sowie Ministerien und Parlamenten aus Deutschland und anderen Ländern. Die Idee: Pragmatische Anregungen für eine faire und effektive Entschuldungsarchitektur für die restliche Legislaturperiode erkunden und das Schmieden von Koalitionen fördern. Die Veranstaltung fand unter Chatham House Rules statt. Eine inhaltliche Zusammenfassung der Diskussion findet sich hier.
Im Video „No more too little, too late – For a sustainable solution to the global debt crisis“ spiegeln einzelne Expertinnen und Experten die vertretenen Perspektiven zu Kontext, Dringlichkeit und Reformoptionen wieder:
„Viele, viele Entwicklungsländer sind verschuldet oder stehen sogar kurz vor der Zahlungsunfähigkeit, und die Zukunft sieht wirklich nicht sehr gut aus. Wenn wir jetzt nichts tun, wird die Rechnung noch höher werden. Ich denke, das ist die Erfahrung aus der Vergangenheit.” Dr. Jürgen Zattler, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
„Die wichtigste Lehre aus den vergangenen Schuldenkrisen ist, dass die Schuldenrestrukturierungen in der Regel zu schwach, zu spät und zu wenig waren. Es gab immer einen Übergang von keinem Schuldenerlass über ein bisschen Schuldenerlass zu ein bisschen mehr. Aber in diesem Verlauf starben viele, viele Menschen, die Armut wuchs.“ Kristina Rehbein, erlassjahr.de
„Umschuldungen von Staaten sind geopolitische Verhandlungen, bei denen es um Machtfragen geht. Was wir brauchen, ist ein internationales System zur Lösung von Staatsschuldenkrisen, in dem nicht nur einige wenige mächtige Gläubigerländer vertreten sind, sondern alle Länder der Welt.“ Prof. Martin Guzman, Columbia’s Initiative for Policy Dialogue, ehemaliger Wirtschaftsminister Argentiniens
“Die allgemeine Lehre, die wir ziehen können, ist, dass es kontraproduktiv ist, wenn man Schuldenkrisen nicht nachhaltig und umfassend löst. Dies führt lediglich zu neuen Schuldenkrisen, die für die Länder selbst wie auch für ihre Gesellschaften noch schädlicher sind.” Dennis Shen, Scope Ratings
Bei der Tagung ergaben sich verschiedene Ideen für Handlungsschritte: von der Verabschiedung nationaler Gesetze zur Verbesserung der Beteiligung von privaten Gläubigern über die Schaffung einer unabhängigen Institution, die Schuldnerländern bei Umschuldungsverhandlungen hilft, bis hin zu unabhängigen Schuldentragfähigkeitsanalysen.
Eins ist klar: Es braucht Champions, die Reformschritte initiieren, im Globalen Süden wie im Globalen Norden, darin waren sich die Teilnehmenden der Veranstaltung einig. Die Zeit drängt.
„Es braucht sehr große Schocks, um den Status quo zu brechen. Für einen grundlegenden Wandel bei der Lösung von Schuldenkrisen ist der Boden bereitet, denn die Welt, die wir in der COVID-19-Pandemie kennengelernt haben, hat uns gezeigt, dass niemand sicher ist, wenn nicht alle sicher sind.“ Sajid Javed, Sustainable Development Policy Centre Pakistan
„Es braucht sehr große Schocks, um den Status quo zu brechen. Für einen grundlegenden Wandel bei der Lösung von Schuldenkrisen ist der Boden bereitet, denn die Welt, die wir in der COVID-19-Pandemie kennengelernt haben, hat uns gezeigt, dass niemand sicher ist, wenn nicht alle sicher sind.“
Sajid Javed, Sustainable Development Policy Centre Pakistan
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Jochen Dahm
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