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Nach der Europawahl ist vor den Haushaltsverhandlungen: Der neue mehrjährige Finanzrahmen für die EU muss verabschiedet werden. Wie könnte ein progressives Budget aussehen?
Bild: von estherm / photocase.de lizenziert unter Basislizenz 5.0
Seit einem Jahr liegt der Entwurf der EU-Kommission für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen für 2021 bis 2027 vor. Haushaltskommissar Günther Oettinger hätte ihn am liebsten noch vor den Europawahlen durch die europäischen Institutionen gebracht. Der EU-Haushalt spielte im Europawahlkampf zwar keine Hauptrolle; angesichts vielschichtiger Interessenlagen und komplizierter Verhandlungsprozesse eignet er sich auch schlecht für einfache Botschaften und große Versprechungen – von Forderungen nach mehr Geld für dieses oder weniger Geld für jenes Politikfeld einmal abgesehen. Da sich Oettingers Zeitplan als zu optimistisch herausgestellt hat, wird die Verabschiedung des neuen mehrjährigen Finanzrahmens für das neue EU-Parlament bis 2020 aber umso dringender.
Die EU-Kommission schlägt ein Gesamtvolumen von 1,13 Billionen Euro (zu Preisen von 2018) vor, also etwa 160 Milliarden Euro pro Jahr und damit eine Steigerung der EU-Mittel um etwa fünf Prozent im Vergleich zum aktuellen mehrjährigen Finanzrahmen. Ein Europäischer Verteidigungsfonds wurde bereits vorläufig vereinbart, andere Elemente sind umstritten. So will die EU-Kommission die Mittel für die Gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsions- und Strukturförderung kürzen und dadurch finanzielle Spielräume für neue Prioritäten wie z.B. die Migrations- und Entwicklungspolitik, die Außen- und Verteidigungspolitik, die Digitalisierung oder die Forschungs- und Technologieförderung schaffen. Das alte EU-Parlament sprach sich zwar auch für höhere Zukunftsinvestitionen aus, lehnte Kürzungen bei der Agrar- und Strukturpolitik aber ab. Es forderte außerdem eine Erhöhung der Gesamtmittel auf 1,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens der 27 EU-Mitgliedstaaten; der Kommissionsentwurf entspricht lediglich 1,11 Prozent. Manche Mitgliedstaaten, ohne deren Zustimmung im Rat letztlich nichts geht, stehen einer Erhöhung aber generell skeptisch gegenüber.
In der Studie "Ressourcen für mehr Wohlstand in Europa" für die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert der ehemalige ungarische EU-Kommissar László Andor den Entwurf der EU-Kommission für den neuen mehrjährigen Finanzrahmen und entwickelt Ansatzpunkte und Vorschläge, wie ein progressives EU-Budget jenseits kurzsichtiger tagespolitischer Auseinandersetzungen aussehen könnte. Andor fordert u.a. ein höheres Gesamtbudget, das auf mehr Eigenmitteln der EU beruht, um den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. So könnten einerseits wichtige neue Prioritäten wie der Klimaschutz angegangen werden, andererseits die leidige Trennung der Mitgliedstaaten in Nettozahler und Nettoempfänger abgemildert werden. Die zusätzlichen Eigenmittel könnten aus einer Steuer auf Plastikverpackungen, aus Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem und aus einem Anteil an der Körperschaftsteuer, deren Bemessungsgrundlage in der EU vereinheitlicht werden soll, kommen. Außerdem schlägt Andor die Abschaffung des komplexen Rabattsystems sowie eine Abgabe auf Leistungsbilanzüberschüsse vor.
Zugleich betont Andor die Sprengkraft steigender ökonomischer Ungleichgewichte und sozialer Ungleichheiten innerhalb und zwischen den EU-Mitgliedstaaten für die europäische Integration. Ein zentrales Anliegen Andors ist es daher, die soziale Dimension der EU zu stärken. Die EU sollte einerseits die Forschung und Innovationen im Sinne eines „Unternehmerstaates“ fördern und auch ihre Mittel für den Kampf gegen den Klimawandel erhöhen, andererseits sollte sie aber den strukturellen und sozialen Auswirkungen der Globalisierung sowie des technologischen Wandels in ihrem Haushalt ebenfalls gebührend Rechnung tragen. Statt eines Rückbaus müsse die Kohäsions- und Strukturpolitik daher aktualisiert und weiter gestärkt werden, um der Gefahr zunehmender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Divergenzen in der EU entgegenzuwirken und die Aufwärtskonvergenz der weniger entwickelten Regionen und Volkswirtschaften zu beschleunigen.
Im Entwurf der EU-Kommission enthalten und bis heute in der Diskussion ist auch ein Extra-Budget für die Eurozone als Bestandteil des neuen EU-Haushalts, das u.a. im Krisenfall zur gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung eingesetzt werden kann. Andor befürwortet das, da er im allgemeinen EU-Haushalt zu geringe antizyklische Kapazitäten ausmacht und sich Austeritätspolitik während der Krise in der Eurozone als krisenverschärfend erwiesen hat. Allerdings lehnt er die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Instrumente als unzureichend ab und plädiert stattdessen z.B. für die Einführung einer gemeinsamen Europäischen Arbeitslosenversicherung als antizyklisches Stabilisierungsinstrument. Darüber hinaus zeigt er Wege auf, wie die EU-Mittelverwaltung einfacher, flexibler und effizienter gestaltet, die Potenziale neuer Finanzierungstechniken für mehr Investitionen genutzt und die EU-Mittelvergabe fokussierter durchgeführt sowie ergebnisorientierter evaluiert werden kann, damit die Ziele des EU-Budgets in Zukunft noch besser als bisher erreicht werden.
Andor fordert, dass im Fokus der Verhandlungen rund um den neuen mehrjährigen Finanzrahmen nicht die Frage stehen sollte, wer wie viel in das EU-Budget einzahlt und wer wie viel wieder herausbekommt, sondern vielmehr die Frage, wie die EU-Mitgliedstaaten durch gemeinsames, europäisches Handeln die aktuellen ökonomischen, sozialen, ökologischen und politischen Herausforderungen am besten meistern können. Die EU-Mitgliedschaft bietet allen beteiligten Staaten einen erheblichen positiven Mehrwert bzw. Zusatznutzen, der sich in den nationalen Nettosalden nicht widerspiegelt. Diesen gelte es mithilfe eines zukunftsorientierten EU-Budgets zu realisieren und zu maximieren – für mehr Wohlstand in Europa.
Allerdings befürchtet er, dass progressive Haushaltsvorschläge in der Debatte zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern, zwischen Europabefürwortern und Europagegnern und unter dem allgemeinen Zeitdruck nur begrenzt in den kommenden mehrjährigen Finanzrahmen der EU einfließen werden. Auch beim Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin warnte Andor davor, dass zu enge Haushaltsgrenzen der EU im Verhältnis zu ihren Bürgern weiter schaden könnten. Die unklaren Mehrheitsverhältnisse im neuen EU-Parlament nach der Europawahl untermauern seine Befürchtung.
Ansprechpartner in der Stiftung
Markus Schreyer
Andor, László
Ansatzpunkte für ein progressives EU-Budget / László Andor. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, 2018. - 36 Seiten = 1 MB, PDF-File. - (WISO-Diskurs ; 2018,17)Electronic ed.: Bonn : FES, 2018ISBN 978-3-96250-227-0
Publikation herunterladen (1 MB, PDF-File)
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