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Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung der Migrationsziele?
Bild: von Stefan Rother
Der Untergang des Abendlandes schien nah: Als vor knapp einem Jahr der Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM) - hierzulande verkürzt „Migrationspakt“ genannt - verabschiedet wurde, markierte dies den Höhepunkt einer hitzig geführten Debatte. Nachdem die Verhandlungen für das umfangreiche Rahmenwerk lange Zeit bei Medien und breiterer Öffentlichkeit auf wenig Aufmerksamkeit gestoßen waren, wurden die Regierungen unvermittelt von einem „heißen Herbst“ überrumpelt. In einer konzertierten Aktion zeichneten Rechtspopulisten im Verbund mit rechtsextremen Gruppen in sozialen Netzwerken apokalyptische Bilder von unkontrolliert anschwellenden Migrationsströmen. Mit der Verschwörungstheorie „vom großen Austausch“ wurde Angst und Schrecken verbreitet. Auch etablierte Medien ließen sich von der Hysterie anstecken: „Die Folgen des Regelwerks werden viel gravierender sein als die Entscheidung Angela Merkels 2015, die Grenzen nicht zu schließen“, fabulierte etwa Stefan Aust in der „Welt“.
Und heute? Ist die mediale Aufmerksamkeitskarawane schon längst weitergezogen. In der Unterhaltungsbranche wäre der „Migrationspakt“ vermutlich ein Fall für die die „Was wurde eigentlich aus…?“-Rubrik und von den vermeintlichen drastischen Auswirkungen ist bislang wenig zu spüren. Doch der Schein trügt: Zum einen hat sich an der Herausforderung, eine auf grundlegenden Rechten und angemessenen Verfahren basierte Migrationspolitik zu formulieren, nichts geändert. Zum anderen ist der „Migrationspakt“ ja nicht der Endpunkt, sondern allenfalls eine Wegmarke des Politikprozesses. Rückblickend wäre es wohl klüger wie auch zutreffender gewesen, anstelle des besonders im Deutschen sehr bindend klingenden „Pakts“ eher von „Migrationszielen“ zu sprechen – vergleichbar den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs). Und diese Ziele gilt es nun umzusetzen. Dazu zählen Bemühungen um Integration, Anerkennung von Qualifikationen, der Zugang zu grundlegender Versorgung und bessere Standards für die Rekrutierung von Arbeitsmigrant_innen ebenso wie das koordinierte Management von Grenzkontrollen, der Kampf gegen Menschenhandel und Kooperation bei der Rückkehr von Migrant_innen.
Im Jahr 2022 sollen die Fortschritte im Rahmen des neu etablierten International Migration Review Forum (IMRF) überprüft werden. Alle Länder, die dem „Migrationspakt“ zugestimmt haben, müssen bis dahin einen entsprechenden Bericht verfassen, Deutschland inklusive. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in mehreren Herkunftsländern von Dialogforen zur Umsetzung der Migrationsziele unterstützt, die Bundesregierung von einem eigenen nationalen Aktionsplan aber bislang nichts wissen will. Zu sehr meint man wohl, sich bei der letztjährigen Debatte die Finger verbrannt zu haben, sodass selbst bei möglichen passenden Maßnahmen die Etikettierung „Umsetzung des Migrationspakts“ tunlichst vermieden wird. Zudem ist etwa aus dem Innenministerium zu vernehmen, Deutschland erfülle ja ohnehin bereits alle wesentlichen Ziele mustergültig. Bei kritischen Punkten wie dem Familiennachzug oder den Grundrechten für Migrant_innen unabhängig vom Aufenthaltsstatus ist dies aber keineswegs der Fall.
Bei der Umsetzung und Einhaltung der Migrationsziele spielt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Das gilt besonders für Migrant_innenselbstorganisationen, Nichtregierungsorganisationen (NROs), die sich für deren Belange einsetzen, progressive Gewerkschaften, sowie breiter aufgestellte NROs in Bereichen wie Menschenrechte, Entwicklung, Frauenrechte etc. Deren Aufgabe ist es, das Thema auf der Agenda zu halten, Handlungsbedarf bei den Regierungen anzumahnen, auf eine Mitwirkung bei der Umsetzung und deren Überprüfung zu drängen und in diesen Prozess ihre Anliegen und Expertise einzubringen. Unter der Federführung von VENRO – Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V hatte sich hierzulande eine breite Allianz zusammengeschlossen und den Aufruf „Den Globalen Migrationspakt nutzen – Menschenrechte, Entwicklung und Beteiligung verwirklichen“ veröffentlicht. Darin findet sich auch die Forderung nach einer institutionalisierten Mitwirkung der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung. Bislang hat die Bundesregierung aber nur eher informelle Informations- und Konsultationsveranstaltungen angeboten. Eine weitere Möglichkeit für die Organisationen besteht darin – entsprechende Ressourcen vorausgesetzt – zum IMRF zivilgesellschaftliche Berichte zu erstellen, in dem eine unabhängige Beurteilung der staatlichen Umsetzungsfortschritte erfolgen könnte.
Bei einem so globalen Thema wie Migration ist es aber auch für die migrantische Zivilgesellschaft wichtig, über den nationalen Tellerrand aktiv zu werden. Denn ein erheblicher Anteil von Migration spielt sich innerhalb der Weltregionen statt. Daher wurde auch den fünf regionalen Wirtschaftskommissionen des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen (ECOSOC)[1] bei der Umsetzung des „Migrationspakts“ eine bedeutende Rolle zugeteilt: Sie sollen diese regelmäßig überprüfen und Plattformen für den Dialog zwischen Regierungen, privatem Sektor und Zivilgesellschaft bereitstellen. Doch obwohl die ersten regionalen Foren bereits 2020 stattfinden sollen, ist über den genauen Ablauf und Datum bislang wenig bekannt. Daher liegt das Augenmerk auch auf der globalen Politikebene, auf der die Zivilgesellschaft aktiv werden kann. So wurde im Rahmen der Verhandlungen zum „Migrationspakt“ das Civil Society Action Committee als Plattform gegründet, die mittlerweile 30 Mitgliedsorganisationen umfasst. Die Plattform dient Organisationen und Netzwerke – auch jenseits der formalen Mitglieder –, als als Brückenkopf, um sich besser auf die verschiedenen Ebenen einzuwirken. Die Plattform informiert über neue Entwicklungen, etwa in Form von Webinaren, oder organisiert vorbereitende Treffen, bei denenStrategien für den Umsetzungsprozess entwickelt werden. So können auch Organisationen, denen die finanziellen, personellen oder zeitlichen Kapazitäten hierfür fehlen, über globale Prozesse informiert werden und auf diese einwirken.
An globalen Prozessen, bei denen zivilgesellschaftliche Stimmen wichtig sind, herrscht kein Mangel: Soeben fand das erste Treffen des neugeschaffenen Migrationsnetzwerks der Vereinten Nationen statt. Im Januar folgt das Globale Forum für Migration und Entwicklung (GFMD) in Quito, Ecuador. Neben den offiziellen Foren gibt es mit der People’s Global Action on Migration, Development and Human Rights (PGA) ein von der FES unterstütztes Treffen speziell für die migrantische Zivilgesellschaft. Und wie schon erwähnt, sollen die regionalen Review Foren zum Globalen Migrationspakt 2020 stattfinden.
Eine solche Vernetzung über mehrere Politikebenen hinweg – lokal, transnational, regional und global, - erweitert somit die Spielräume der Zivilgesellschaft, auf Politik Einfluss zu nehmen. So können etwa die übergeordneten Ebenen dazu dienen, „über Bande“ zu spielen und auf die eigene nationale Regierung einzuwirken, falls diese nicht direkt auf Anliegen reagiert – und das gilt auch für Deutschland.
[1] Es gibt Kommissionen für Asien und Pazifik, Lateinamerika und die Karibik. Afrika, Westasien und Europa.
Ein Interview mit Claas Schneiderheinze über neue Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen Entwicklung und Migration.
Die FES-Publikation "African Voices from the Ground" trägt die Erfahrungen von Betroffenen aus vier afrikanischen Ländern zusammen.
10 Wegweiser für ein humanes Migrationsmanagement. Ein Beitrag von Allianza Americas.
Der Global Compact for Migration bietet Staaten die Chance, ihre Beziehungen zu Migrant_innen zu verbessern. Nicht alle nutzen dieses Potenzial.
Ansprechpartner
Jochen Dahm
0228 883-7106Jochen.Dahm(at)fes.de
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