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Glas halb voll oder halb leer? Rückblende auf Deutschlands Amtszeit im UN-Sicherheitsrat
Autor: Richard Gowan, Leiter für UN-Fragen bei der International Crisis Group
Deutschlands zweijährige Arbeitsperiode im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war konstruktiv und schmerzhaft gleichermaßen. Deutsche Diplomat_innen konnten wesentliche Beiträge zu den Debatten im Rat leisten, begonnen bei der Zukunft des Sudan bis hin zu sicherheitsrelevanten Auswirkungen des Klimawandels. Allerdings kam es auch zu Kontroversen mit China, Russland und insbesondere den Vereinigten Staaten.
Für Deutschland unglücklich war der Umstand, dass seine Zeit im Sicherheitsrat in eine der holprigsten Phasen der Geschichte des Rats nach dem Kalten Krieg fiel. So setzte die Trump-Regierung alles daran, die UN bei der Mehrzahl der sicherheitsrelevanten Themen an den Rand zu drängen. Den Alleingang der USA machten sich wiederum Russland und China für ein zunehmend selbstbewusstes Auftreten zunutze. Auch die Coronakrise bereitete dem Rat in praktischer und politischer Hinsicht Kopfschmerzen: Die Delegationen mussten lernen, ihre Verhandlungen digital zu führen, während sich die Vertreter_innen Chinas und der USA in gegenseitigen Schuldzuweisungen über den Ursprung der Pandemie ergingen.
Die deutsche Abordnung in New York hat diesen herausfordernden Umständen recht tapfer die Stirn geboten. Statt Dissonanzen mit den Mächtigen im Sicherheitsrat aus dem Weg zu gehen, war Deutschland bestrebt, eine zentrale Rolle in schwierigen Gemengelagen, wie beispielsweise in Afghanistan, Libyen, Syrien und Iran, zu spielen. Eine weitere deutsche Schwerpunktsetzung betraf Themen, bei denen Streitigkeiten mit den USA, China und Russland vorprogrammiert waren, darunter die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ und der Klimawandel.
Dass die Ergebnisse dieser Anstrengungen durchwachsen ausfallen würden, war dabei unumgänglich. Sicherheitsratsdiplomatie ist eine ungeordnete Mischung aus Konfrontation und Kompromiss – mit unvollkommenen Resultaten. Dies gilt insbesondere für die Arbeit zu konkreten Krisen und Situationen in bestimmten Ländern. Auch wenn unter den Ratsmitgliedern grundsätzliche Einigkeit über das Vorgehen in einem bestimmten Fall besteht, kann sich die praktische Umsetzung vor Ort als schwierig und konfliktreich erweisen.
Vor diesem Hintergrund tat sich Deutschland während seiner Amtszeit ganz besonders als treibende Kraft im Umgang mit einzelnen Ländern hervor. Diplomatische Federführung übernahm man bei den Themen Afghanistan, humanitäre Hilfe für Syrien und Sudan sowie Sanktionen gegen Libyen – allesamt Herkulesaufgaben. So drohte China im Jahr 2019 mit einem Veto gegen die Verlängerung des Mandates für die UN-Unterstützungsmission in Afghanistan (UNAMA), um die lobende Erwähnung seiner Neuen Seidenstraße in der Resolution zu erwirken. Als noch gravierender erwies sich der massive Druck Russlands im Dezember 2019 und Juli 2020, die humanitäre Unterstützung für Syrien zu beschränken, indem die Anzahl der erlaubten Grenzübertritte durch Hilfsorganisationen reduziert werden sollte, was zwei schwere Auseinandersetzungen im Sicherheitsrat hervorrief. In beiden Fällen konnten Deutschland und seine Partner nur mühsam Kompromisse erringen. Schon erfolgreicher, da kreativer, war man bei seinen Bemühungen zu Sudan und Libyen. Mit vereinten Kräften nahmen sich Deutschland und Großbritannien dieser Themen an, wovon sich London hauptsächlich eine Glättung der Wogen zu Zeiten der Brexit-Verhandlungen versprach. Berlin war jedoch vielmehr daran gelegen, bei diesen Vorgängen eigene Akzente zu setzen.
Nach den gescheiterten Bemühungen der UN zu einem Friedensabkommen für Libyen im Jahr 2019 nahm Deutschland einen neuen diplomatischen Anlauf und brachte Vertreter_innen der Staatengemeinschaft in Berlin zum Thema Waffenstillstand an den Verhandlungstisch. Daraufhin konnte im Januar 2020 eine entsprechende Sicherheitsratsresolution auf den Weg gebracht werden. Im Falle des Sudan leiteten Deutsche und Briten die UN-Verhandlungen zur Schaffung einer neuen politischen Mission, mit dem Ziel, den Übergang zu einer zivilen Machtübernahme nach Präsident Omar al-Baschirs Amtsenthebung zu befördern.
Beide Prozesse sollten sich als frustrierend erweisen. Im Falle Libyens kam es bei der Verabschiedung der Sicherheitsratsresolution, in der die Ergebnisse des Berliner Gipfels festgeschrieben werden sollten, zu einer wochenlangen Verschleppung durch die Russen, die den Schutz ihres Libyschen Verbündeten General Haftar sicherstellen wollten. Den USA wiederum schien am meisten daran gelegen, ihre Kritik an der russischen Zusammenarbeit mit privaten Rüstungsunternehmen explizit in der Resolution erwähnt zu sehen. Als weltweit aller Augen auf COVID19 gerichtet waren, erreichte die Gewalt in Libyen einen Höhepunkt, und doch besiegelten UN-Unterhändler im Oktober 2020 einen Waffenstillstand.
Zum Sudan herrschte im Sicherheitsrat zwar weitgehende Einigkeit darüber, die Unterstützungsmission UNITAMS ins Leben rufen zu wollen, allerdings geriet die instabile Lage in der Region Darfur zum Zankapfel. Deutschland erhoffte sich, dass UNITAMS der neuen sudanesischen Führung nicht nur in politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten beratend zur Seite stehen, sondern darüber hinaus auch eine begrenzte militärische und polizeiliche Präsenz in Darfur vorsehen könnte und somit die seit 2007 bestehende gemeinsame Friedensmission der UN und der Afrikanischen Union (UNAMID) ablösen würde. Wenngleich mit dem Auslaufen von UNAMID Ende 2020 auch ein Wiederaufflammen der Gewalt zu befürchten war, stellten sich die sudanesischen Behörden gegen jegliche Fortsetzung uniformierter UN-Präsenz. Nachdem Khartum Rückendeckung aus China, Russland und den afrikanischen Ländern des Sicherheitsrats erhielt, rückten Deutschland und das Vereinigte Königreich schließlich vom Vorhaben einer fortgesetzten UN-Truppenstationierung ab.
Auch wenn sich nicht alle Pläne Deutschlands für Libyen oder den Sudan verwirklichen ließen, darf man in Berlin durchaus zufrieden sein, diese beiden überaus schwierigen diplomatischen Prozesse ein Stückchen vorangetrieben zu haben. Hätte Berlin nicht auf eine aktive Rolle der Vereinten Nationen insbesondere in Libyen gedrungen, wäre der Sicherheitsrat hinsichtlich dieser Krise womöglich weitgehend untätig geblieben. In diesem positiven Sinne äußerte sich auch ein europäischer Diplomat über seine Zusammenarbeit mit den Deutschen zum Thema Sudan, indem er das deutsche Team als „engagiert, gründlich, kollegial und smart“ beschrieb. Trotz aller Begrenztheit des UNITAMS-Mandats sorgt dieses für eine wirkungsvolle Kanalisierung der internationalen Unterstützung für den sudanesischen Übergangsprozess, wobei Berlin die Ereignisse sicherlich auch noch eng weiterverfolgen wird.
Auch für diplomatisch schwierige, übergreifende Themen hat sich die deutsche Mission engagiert. Die gewählten Sicherheitsratsmitglieder legen ihr Hauptaugenmerk gerne auf Themenbereiche wie die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“, da diese als weniger kontrovers gelten als spezifische Krisen. Dass dies jedoch nicht immer zutrifft, musste Deutschland 2019 feststellen: Die USA hatten nämlich mit einem Veto gegen eine von Berlin gestützte Resolution zu sexueller Gewalt in Konfliktkontexten gedroht, da darin auch Aspekte der Reproduktionsgesundheit angeschnitten wurden, die aus Sicht der Amerikaner als abtreibungsfreundlich zu interpretieren gewesen seien.
Trotz einer Verurteilung der US-amerikanischen Vetodrohung durch die Mehrzahl der Sicherheitsratsmitglieder wurde in den eigenen Reihen auch Kritik laut, Deutschland habe eine Resolution vorgelegt, deren Konfliktpotential bereits abzusehen gewesen sei. Augenscheinlich nahm die deutsche Mission sich dies zu Herzen und wählte 2020 bei einem anderen Schwerpunktthema, einer Resolution zum Thema Klimawandel und Konflikte, eine vorsichtigere Herangehensweise, wohl wissend, dass sich die Trump-Regierung auch diesem Vorhaben aus ideologischen Gründen entgegenstellen würde. Trotzdem verfasste Deutschland mit einem Gremium von neun weiteren Ratsmitgliedern, darunter Frankreich und Großbritannien, einen Aufruf an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, eine_n neue_n Gesandte_n zu klimabezogenen Konflikten zu benennen.
Rechtzeitig zur turnusgemäßen Übernahme des Vorsitzes im Sicherheitsrat im Juni hatte Deutschland den endgültigen Entwurf dieser Vorlage parat, wogegen die USA erwartungsgemäß mit einem Veto drohten – China und Russland reagierten trotz einer gewissen Skepsis weniger negativ. Deutschland und seine Partner entschieden sich schließlich gegen eine Konfrontation mit Washington und legten den Plan auf Eis. Dennoch könnte das Vorhaben positiv ins Jahr 2021 hineinwirken.
Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die Biden-Administration, die sich u.a. dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben hat, könnten von den USA neue Impulse zu Umweltdiskussionen im Sicherheitsrat ausgehen oder auch Freunde dazu angeregt werden, hier ihrerseits aktiv zu werden. Der deutsche Resolutionsentwurf könnte mit einiger Wahrscheinlichkeit die Grundlage eines zukünftigen UN-Engagements in diesem Bereich bilden.
Nicht nur für die Vorarbeit zum Klimawandel kann sich die Biden-Regierung bei Deutschland bedanken, sondern auch für die deutschen Bemühungen (unter französischer und britischer Beteiligung), das Atomabkommen mit Iran über die Ära Trump hinaus aufrecht erhalten zu wollen. Dabei schaukelten sich die Ereignisse im August und September 2020 kurzzeitig dramatisch hoch, als die USA den Versuch unternahmen, den Wortlaut der Sicherheitsratsresolution von 2015 zum Atomabkommen dahingehend zu nutzen, die früheren UN-Sanktionen gegen Iran wieder einzusetzen, obgleich es ja die USA waren, die 2018 ihren einseitigen Austritt aus dem Abkommen erklärt hatten.
Letztendlich gescheitert ist dieser Schachzug, der die Zerrüttung der Beziehungen zu Iran zum Ziel hatte, dank der konzertierten Vorgehensweise der Europäer - in ausnahmsweise enger Zusammenarbeit mit China und Russland. Offenbar konnten sie wirksame Überzeugungsarbeit bei den übrigen Ratsmitgliedern leisten, den US-Vorstoß zurückzuweisen. Nachdem amerikanische Diplomat_innen anfangs noch damit gedroht hatten, bei Ablehnung eine schwerwiegende Krise im Rat loszutreten, entschlossen sie sich letztlich doch dazu nachzugeben, als sich die mangelnde Unterstützung für ihr Vorhaben immer klarer abzeichnete. Die Verteidigung des Atomabkommens mit Iran kann als deutlichster außenpolitischer Erfolg der deutschen Amtsperiode im Sicherheitsrat gewertet werden, wenngleich abzuwarten bleibt, ob das Abkommen im Jahr 2021 durch die Biden-Administration und ihre Partner gerettet werden kann.
Alles in allem zeichnete sich die deutsche Delegation durch einen durchaus kompetenten Umgang mit der in New York üblichen hitzig-kontroversen Sicherheitsratsdiplomatie aus. Zudem konnte sich Christoph Heusgen als Ständiger Vertreter einen Ruf als klarer Verhandlungspartner bei den übrigen Ratsmitgliedern erarbeiten, indem er Russland für dessen Verhalten in Syrien sowie China für seinem Umgang mit den Uiguren kritisch gegenübertrat. Unter Deutschlands Partnern, insbesondere bei den Franzosen, wurde hin und wieder die Sorge laut, ein solch harter Angang könnte die Diplomatie im Rat unnötig erschweren. Und doch war Heusgens Direktheit eine willkommene Abwechslung in einer Zeit, in der die diplomatische Arbeit im Rat meist aufgrund starker Spannungen unter den Mächtigen gestelzt und unproduktiv geworden war.
Mit Deutschlands Ausscheiden aus dem Sicherheitsrat wird man sich in Berlin die Frage stellen, ob die Amtszeit nun das langfristige Ziel eines ständigen Sitzes befördert haben mag. Allen Erfolgen zum Trotz kann davon mit ziemlicher Sicherheit nicht ausgegangen werden, was wiederum nicht an der Mission selbst lag. Während sich die Diskussionen zur Reform des Sicherheitsrats im Gremium selbst in die Länge ziehen, hat China seinen Standpunkt bereits verdeutlicht und lehnt jegliche Japan zuträgliche Reform ab, wobei Japan und Deutschland in ihrem Bestreben nach neuen ständigen Sitzen vereint sind. Die Trump-Administration wiederum zeigt sich gänzlich desinteressiert, woran sich auch nach der Machtübergabe an die Biden-Regierung wenig ändern wird. Und auch wenn aus der deutschen Politik immer wieder Stimmen laut werden, die Franzosen mögen doch ihren Sitz zugunsten der EU „vergemeinschaften“, machen die französischen Diplomat_innen keine Anstalten, vom P5-Status abzurücken.
Selbst wenn eine Sicherheitsratsreform nicht in greifbare Nähe rückt, kann Deutschland doch zufrieden darauf zurückblicken, die Diplomatie der Vereinten Nationen während seines nicht-ständigen Mandats zu einigen schwierigen Konflikten und Ländersituationen vorangebracht, internationale Übereinkünfte am Leben gehalten und Lösungsansätze zu den drohenden Herausforderungen des Klimawandels aufgezeigt zu haben. In weltpolitisch turbulenten Zeiten sind dies Erfolge, die sich sehen lassen können.
Der Artikel erschien im Original in englischer Sprache auf der Website der FES New York am 14.12.2020.
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