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Wir haben mit dem Autor Prof. Dr. Matthias Knuth gesprochen.
Was sind die höchsten Hürden bei der Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt?
Knuth: Die drei höchsten Hürden sind:
a) Bildung und berufliche Qualifikation
b) Sprache
c) Umgang mit Institutionen.
Zumindest a) und b) werden niemanden überraschen. „Hürden“ klingt allerdings so, als sei es allein an den Flüchtlingen, diese zu überwinden, und jenseits der Hürden liege das gelobte Land. Das ist natürlich nicht so, sondern Integration ist eine beidseitige Aufgabe – auch in Bezug auf den Arbeitsmarktzugang. Die Selbstverständlichkeit, mit der deutsche Standards und Strukturen der Vergangenheit die Zielrichtung der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt von morgen bestimmen, könnte sich zur vierten Hürde entwickeln.
Können Sie auf die drei genannten Hürden etwas näher eingehen?
Knuth: Die derzeitige Arbeitsmarktpolitik für Flüchtlinge ist vor allem darauf orientiert, die demografisch und bildungspolitisch begründete Lücke an einheimischen Auszubildenden für die duale berufliche Bildung mit Flüchtlingen zu schließen. Das entspricht nicht den mitgebrachten Erfahrungen und Erwartungen der Geflüchteten. Wenn man Menschen vom Wert des „dualen Systems“ überzeugen will, muss man sich mehr einfallen lassen als bisher auf dem Markt ist. Man muss darüber hinaus Übergänge sowohl in vollzeitschulische Berufsausbildungen als auch ins Studium schaffen. Das haben Arbeitsagenturen und Jobcenter bislang nicht auf dem Schirm.
Dass 90 Prozent der Flüchtlinge bei Ankunft in Deutschland über keinerlei Deutschkenntnisse verfügen, kann nicht wirklich überraschen. Das ist auch keine neue Erfahrung mit Migrant_innen. Aber Sprache wird derzeit zur Hürde gemacht, indem sie zur Voraussetzung für alles andere erklärt wird. Vielfach wird erwartet, dass die Flüchtlinge in Klassenraumsituationen unter Ihresgleichen und ohne weiteren Kontakt mit Deutsch Sprechenden das Sprachniveau B1 erreichen müssen, bevor sie auch nur als Praktikanten ein Werkstor passieren dürfen. Dabei ist der Spracherwerb realistisch nur integriert in eine Ausbildung möglich.
Die institutionelle Zerklüftung, von der Flüchtlinge bei ihrem Bemühen um Aufenthaltsstatus und Arbeitsmarktzugang betroffen sind, ist extrem. Dabei steigert manche gut gemeinte Verbesserung und Ausnahmeregelung noch die Unübersichtlichkeit. Wahrscheinlich ist die Schaffung eines „einfachen“ Systems ähnlich illusorisch, wie die Steuerklärung auf dem Bierdeckel. Das Problem besteht eher darin, dass die Flüchtlinge keine für sie vertrauenswürdigen Ansprechpartner_innen haben, die dieses System in seiner Gesamtheit verstehen und erklären können. Die ehrenamtlichen Helfer_innen kennen aus ihrem eigenen Lebensweg immer nur einen Ausschnitt, und ihre Erfahrungen beziehen sich auf eine im Durchschnitt länger zurückliegende Vergangenheit. Die professionellen Helfer_innen in den Behörden sehen die Welt oft allein aus dem Gehäuse ihrer Institution. Und die bestehenden unabhängigen professionellen Beratungsangebote sind 70% der Flüchtlinge vollständig unbekannt.
Es wird viel über den demografischen Wandel und die „Fachkräftelücke“ in Deutschland diskutiert. Können die Flüchtlinge diese Probleme lösen?
Knuth: Kurzfristig wird der Beitrag der Flüchtlinge zur Lösung dieser Probleme eher gering sein. Gravierender wird die Verschärfung der Ungleichheit von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt sein. D. h. der Anteil von Erwerbspersonen ohne berufliche Qualifikation vergrößert sich, während der Anteil der Arbeitsplätze ohne eine solche Anforderung weiter abnimmt. Aber überraschende 95% der Flüchtlinge wollen für immer in Deutschland bleiben, und sie bringen Kinder mit und werden hier Kinder bekommen. Unter der Voraussetzung, dass eine gleichwertige Integration dieser Kinder in Bildung und Ausbildung gelingt, werden diese durchaus zur Milderung von Fachkräfteengpässen beitragen. Es stellt sich dann aber die Frage, wie auch solche Eltern, die nicht in unsere Erwerbsstrukturen passen, in Selbstverantwortung und Würde als Vorbilder ihrer Kinder hier leben können. Dazu müssen wir uns noch etwas einfallen lassen, was wir uns im Hinblick auf ansässige Langzeit-Leistungsbezieher längst schon hätten einfallen lassen müssen.
Welche Verantwortung tragen die Unternehmen bei der Qualifizierung und Beschäftigung von Flüchtlingen?
Knuth: Sie engagieren sich momentan in bewundernswertem Maße, aber dieses Engagement wird durch unrealistische und kurzfristige Erwartungen frustriert. Es ist zu befürchten, dass dann, wenn tatsächlich ausbildungs- und einstellungsreife Flüchtlinge in größerer Zahl zur Verfügung stehen, das Engagement in Enttäuschung umgeschlagen ist. Außerdem könnte die wirtschaftliche Situation dann eine andere sein als heute.
Sind die arbeitsmarktpolitischen Instrumente ausreichend, um die unterschiedlichen Gruppen der Flüchtlinge zu beraten und zu qualifizieren?
Knuth: Die Instrumente sind ausreichend, unzureichend ist allerdings das Denken in Instrumenten. Dringender als einzelne Maßnahmen brauchen die Flüchtlinge eine für sie verständliche, verlässliche, vertrauenswürdige und über längere Zeiträume verfügbare Struktur der Unterstützung und Beratung, die sie eigenständig, nach Bedarf und unabhängig vom Leistungsbezug nutzen können. Die Jobcenter bieten sich an, können aber längerfristig nicht unabhängig vom Leistungsbezug helfen. Zudem ist das strukturelle Sozialisationspotenzial der Jobcenter mehr auf die Anpassung an den Langzeit-Leistungsbezug als auf den Aufstieg im Arbeitsmarkt gerichtet.
Kontakt: Günther Schultze, Arbeitsbereich Migration und Integration
Knuth, Matthias
Arbeitsmarktpolitik reformieren, Qualifikationen vermitteln / Matthias Knuth. - Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, [2016]. - 34 Seiten = 720 KB, PDF-File. - (WISO-Diskurs ; 2016,21)Electronic ed.: Bonn : FES, 2016ISBN 978-3-95861-647-9
Zum Download (PDF) (720 KB, PDF-File)
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