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Lateinamerika: Liebe und Hass in Zeiten von Wahlkämpfen

Fake News und Hate Speech contra Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt?

 

Wir sprachen mit der Cyber-Aktivistin und Wissenschaftlerin Eliana Quiroz  Gutiérrez aus Bolivien. Die Fragen stellte unsere Praktikantin Darly Muñoz Torres.

 

Was hat sich im Laufe der Zeit bei der Nutzung von sozialen Netzwerken in lateinamerikanischen Wahlkämpfen verändert?

Man muss das Phänomen als Ganzes verstehen, nicht nur mit Bezug auf die Wahlkämpfe in Lateinamerika. Wir hatten schon immer das, was man einen »schmutzigen Krieg« nennt. Das ist die Verbreitung von Botschaften, die nicht unbedingt wahr sind und dazu dienen sollen, andere Kandidat_innen anzugreifen. So werden sogar Lügen erzählt oder persönliche Informationen verwendet, um Gegenkandidat_innen zu schaden. Wenn eine Person von den klassischen Massenmedien angegriffen wird, ist es relativ einfach, damit umzugehen, weil z. B. offensichtlich ein Fernsehsender oder eine Zeitung dahintersteckt, man weiß also, wer angreift. Wenn das gleiche in den sozialen Netzwerken passiert, greifen nicht nur viele Leute an, sondern es ist auch ein Angriff, der sehr gut mit Big Data funktioniert, d. h. riesige Datenmengen werden gesammelt, um damit ein Profil zu erstellen, auf dessen Grundlage dann spezifische Nachrichten für jede Personengruppe generiert werden. So erhält man schließlich nicht nur eine Vielzahl von Nachrichten über die öffentlich zugänglichen sozialen und klassischen Medien, sondern auch unzählige Nachrichten über private Kanäle wie WhatsApp. Als Ergebnis sind wir als Leser_innen und Bürger_innen verunsichert und verwirrt, weil wir mit Informationen überflutet werden und wir nicht sicher sind, was wir glauben sollen und was nicht.

Wer sind die Akteure, die Hate Speech und Fake News in Wahlkämpfen verbreiten? Sind das lediglich politische Akteure?

Nein, es sind nicht nur politische Akteure. Zum einen gibt es Leute, die Kandidat_innen unterstützen, weil sie an die Personen glauben, und es gibt ja auch Wahlkampfteams, die dafür bezahlt werden. Zum anderen gibt es Menschen, die diese Gelegenheit nutzen, um Geld zu verdienen. Diese dritte Gruppe ist besonders interessant. Ein Beispiel: Bei den Trump-Wahlen haben junge Leute in Mazedonien, die keine Trump-Anhänger_innen waren, Botschaften erstellt, die von Trumps Wähler_innen aufgegriffen wurden. Diese Gruppe aus Mazedonien wusste, dass es sich bei Trumps Unterstützer_innen zum Teil um politisch Radikalisierte handelte und alles, was sie an diese radikalisierte Blase sendeten, sicher viele Likes und Shares erhalten würde. Durch die Geschäftsmodelle der Plattformen wie facebook, Twitter, Google etc. verdienten diese Leute, die mit der Politik in den USA nichts zu tun hatten, also Geld, indem sie auch oft falsche Botschaften verbreiteten. So gibt es bei der Verbreitung von Fake News und Hate Speech eben auch Interessen rein kommerzieller Natur. Außerdem verdienen digitale Plattformen an digitaler Werbung im Kontext von Wahlen, genauso wie internationale Unternehmen, z. B. Marketingfirmen.

Es gibt also verschiedene Akteure mit vielen Beweggründen, und ich denke, wenn wir die Schuldigen finden wollen, ist das schwierig. »Schuld« sind wahrscheinlich die Kandidaturen, nicht unbedingt die Kandidat_innen, aber das ist Teil des politischen Spiels. Es geht hier um ein Ökosystem, das sich aus politischen und kommerziellen Motiven speist und in dem verschiedene Akteure unterschiedliche Rollen spielen. Ja, wir sollten das Ganze ein wenig mehr regulieren, z. B. schärfere Regeln aufstellen für Marketingfirmen und Politiker_innen, die schließlich auch eine Verantwortung für die Öffentlichkeit haben, die sie mit ihrem Diskurs beeinflussen.

Inwieweit wurden die Wahlkämpfe in Bolivien, Ecuador und Peru durch Desinformation und Verbreitung von Hate Speech in sozialen Medien beeinflusst?

Ich bezweifle, dass die Wahlergebnisse groß beeinflusst wurden, das ist auch schwer nachzuvollziehen. Doch die Ablehnung und Anfeindungen, die durch Hate Speech und gezielte Desinformation in sozialen Medien transportiert werden, führen zur Polarisierung und dem Schwinden des sozialen Zusammenhalts, was sich also extrem negativ auf die Demokratien in den drei Ländern und in anderen Ländern Lateinamerikas auswirkt.

Das heißt: Wir lieben uns weniger, wir hassen uns mehr, und wir neigen dazu, Gruppen und Menschen zu identifizieren, von denen wir glauben, dass sie uns bedrohen und die daher vielleicht negative Äußerungen und sogar Hass in den sozialen Netzwerken »verdienen«. Unser Umfeld wird zu einer Blase, in der wir uns fast ausschließlich bewegen. Wahrscheinlich hatten wir vorher auch Freund_innen, die nicht unbedingt die gleichen Werte teilten wie wir. Denn das ist demokratische Praxis, und das bedeutet, nicht nur mit den Menschen zu sprechen, die so denken wie wir und nur Dinge sagen, die uns nicht stören. Die Meinungsfreiheit verteidigt ja in Wirklichkeit das, was uns nicht gefällt. Doch durch diese neue Entwicklung hin zu den sozialen Blasen haben wir nun die Fähigkeit zu Toleranz und zur friedlichen Koexistenz verloren.

Besteht also durch den Einfluss von Fake News auf soziale Netzwerke eine Gefahr für die Demokratie?

Ja, und die besteht nicht nur für die Demokratie, sondern sogar für das Zusammenleben, und das ist ziemlich ernst. Denn Demokratie bezieht sich auf einen öffentlichen, politischen Raum. Ich glaube aber, dass das Zusammenleben mehr ist, mehr als nur die politische Koexistenz. Ich denke, dass auch dieser erweiterte Bereich betroffen ist. Die Polarisierung, nicht im politischen System, sondern in der Gesellschaft, die eine unhöfliche, disqualifizierende und sogar hasserfüllte Behandlung der anderen legitimiert, ist das größte Problem.

Was kann man letztendlich gegen Fake News und Hassbotschaften im Netz unternehmen?

Die Antwort gibt Eliana Quiroz Gutiérrez auf Spanisch in diesem fünfminütigen Video.


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Susanne Stollreiter
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