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Die Studie beruht auf acht Fokusgruppen, die im August 2024 durchgeführt wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die politischen Einstellungen von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte weniger durch ihre Migrationsgeschichte erklären lassen, sondern vielmehr durch eine komplexe Verknüpfung von sozialen, ökonomischen und individuellen Faktoren.
Diese Studie bildet den zweiten Baustein in unserer Betrachtung der politischen Einstellungen von Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte. Den ersten Baustein – eine quantitative Analyse – finden Sie hier.
In Deutschland leben derzeit 21 Millionen Mitbürger_innen mit familiärer Migrationsgeschichte. Sie sind entweder selbst nach Deutschland eingewandert, oder haben Eltern oder Großeltern, die nicht in Deutschland geboren sind und sich hier unter unterschiedlichen Umständen ein neues Leben aufgebaut haben. In der wahlberechtigten Bevölkerung stellt diese Gruppe fast 14%. Sie sind Teil der deutschen Gesellschaft, bringen aber durch biographische Erfahrungen andere und neue Perspektiven auf gesellschaftliche Herausforderungen mit.
Die vorliegende qualitative Studie zeigt, wie Menschen mit Migrationsgeschichte mit diesem Spannungsverhältnis umgehen: sich selber natürlich als Teil der deutschen Gesellschaft zu betrachten, mit den gleichen Herausforderungen, Ansichten und Träumen, andererseits aber Erfahrungen mitbringen, die sich von denen der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, sei es eigene Fluchterfahrungen, das Erleben von Rassismus im Alltag oder die weiter bestehende emotionale Verbindung zum Herkunftsland.
In dieser Studie wollen wir den politischen Einstellungen und gesellschaftlichen Ansichten von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland auf den Grund gehen. Die Studie knüpft an Erkenntnisse einer quantitativen Analyse (Goerres et al. 2024) an und ergründet Motive und argumentative Muster, die hinter den Zahlen zu finden sind. Dafür wurden im August 2024 acht Fokusgruppen in unterschiedlicher Besetzung durchgeführt. An jeder Gruppe nahmen sechs bis acht Personen, wohnhaft in allen Regionen in Deutschland mit unterschiedlichen familiären Migrationsgeschichten teil, die eine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Die Teilnehmenden wurden nach Generation (1., 2. und 3. Generation) und Herkunft (türkisch, maghrebinisch, russisch, syrisch und afghanisch) in Gruppen eingeteilt.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die politischen Einstellungen dieser Menschen weniger durch ihre Migrationsgeschichte erklären lassen, sondern vielmehr durch eine komplexe Verknüpfung von sozialen, ökonomischen und individuellen Faktoren. Dabei spielt der soziale Status eine größere Rolle als die Herkunft oder die Einwanderungsgeneration. Allerdings kann es durchaus Zusammenhänge zwischen politischen Einstellungen und spezifischen Herausforderungen geben, die Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte spezifische Herausforderungen zu bewältigen haben. Sei es durch Rassismus oder Diskriminierung, die unter anderem im Berufsleben oder bei der Wohnungssuche deutlich werden oder dem subtilen, aber immer präsentem Gefühl mehr leisten zu müssen, als andere.
Mit Blick auf die politische Lage in Deutschland besteht insbesondere eine starke Sorge vor erstarkenden rechten und rechtsextremen Parteien – diese Sorge ist häufig so stark, dass bei Menschen, die über entsprechende Ressourcen verfügen, reale Auswanderungsgedanken existieren und sich verfestigen. Die meisten trauen den anderen Parteien in Deutschland nur begrenzt zu, ihre aktuellen sowie zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen. Auch das Demokratieverständnis bröckelt bei vielen Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte, hier ist häufig eine Verengung auf Demokratie als Meinungsfreiheit zu beobachten. Insbesondere Menschen, die (oder deren Eltern oder Großeltern) aus der Türkei, den Maghreb-Staaten, Syrien oder Afghanistan eingewandert sind, blicken zunehmend skeptisch auf die Debatte rund um den Krieg im Nahen Osten und diagnostizieren hier einen stark enger werdenden Meinungskorridor, der ihrem Vernehmen nach, die Debatte und in manchen Fällen gar die Meinungsfreiheit beschränke.
Insgesamt verdeutlicht die Untersuchung, dass Menschen mit Migrationsgeschichte aller Generationen sich nach Anerkennung und politischen Lösungen für ihre Probleme sehnen, jedoch gleichzeitig häufig frustriert über die mangelnde Berücksichtigung ihrer spezifischen Anliegen in der politischen Debatte sind. Dabei bestehen ambivalente Gefühle dazu, wie und ob Menschen mit familiärer Migrationsgeschichte als solche explizit kommunikativ angesprochen werden wollen. Zum einen wird verlangt, dass Probleme auf die politische Agenda gelangen und adressiert werden. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass eine starke Ablehnung gegen eine „Sonderbehandlung“ besteht.
Für politische Entscheider_innen und Parteien an sich sind die Erkenntnisse aus mehreren Perspektiven zu betrachten. Es besteht zuallererst ein starker und berechtigter Anspruch auf die Anerkennung der Lebensleistung. Das bezieht sich insbesondere auf Gastarbeiter_innen und deren Nachkommen, die für sich beanspruchen, das Land, in dem sie leben, erfolgreich mitgestaltet und geprägt zu haben. Dass diese Leistung unter großer Anstrengung, erheblichem Druck und bei zeitgleicher Ausgrenzung durch die Mehrheitsbevölkerung zustande gekommen ist, vergrößert den Wunsch nach Respekt. Dieser Respekt darf sich jedoch nicht nur rhetorisch in Lippenbekenntnissen äußern, sondern muss in konkreten Maßnahmen spürbar werden. In diesem Kontext wird insbesondere erwartet, dass eine sichere Zukunft im Alter durch stabile Renten gewährleistet wird.
Kommunikative Aspekte und die politische Ansprache sind dabei ein Balanceakt. Politische Repräsentation ist grundsätzlich nicht unwichtig – wenn dahinter aber politische Maßnahmen ausbleiben, wird dies wachsam registriert. In diesem Kontext ist auch die politische Ansprache als „Mensch mit familiärer Migrationsgeschichte“ ambivalent zu betrachten. Einerseits besteht ein Verlangen nach Anerkennung der spezifischen Herausforderung, die bewältigt werden und wurden. Anderseits existiert gleichzeitig der explizite Wunsch, nicht als „andere“ Gruppe politisch definiert zu werden. Die Lösung kann hier nur in konkreten, alltagsnahen, spürbaren politischen Maßnahmen und weniger in kommunikativen Aspekten liegen.
Mit Blick auf die geringen Parteibindungen und die starke Sensibilität sowie gegen rechte und rechtsextreme Strömungen gilt es, die wahrgenommene parteipolitische Leerstelle im Kampf gegen ebendiese Strömungen glaubhaft zu füllen. Dies beinhaltet auch klare Positionierungen gegen Vereinnahmungen und Instrumentalisierungen von rechts und eine kommunikative Klarstellung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, das Migration befürwortet und benötigt – und das sowohl aus wirtschaftlicher, aber auch aus intrinsischer und weltoffener Motivation heraus.
Dr. Lennart Hagemeyer studierte Sozialwissenschaften (B.A.), Politische Kommunikation (M.A.) und hat zu Propaganda internationaler Nachrichtensender promoviert. Er ist seit Ende 2021 bei der pollytix strategic research gmbh als Seniorberater mit Fokus auf qualitative Forschungsvorhaben beschäftigt.
Emilia Willems studierte Medien- und Kommunikationswissenschaft (B.A.) und Politische Kommunikation (M.A.) in Passsau und Berlin. Sie ist seit 2023 bei der pollytix stragegic research gmbh mit Fokus auf qualitative wie quantitative Forschungsvorhaben beschäftigt.
Jana Faus ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin, Gründerin und Geschäftsführerin der Berliner Forschungs- und Beratungsagentur pollytix strategic research gmbh. Sie forscht seit 20 Jahren zu politischen und gesellschaftlichen Themen und ist Autorin mehrerer Studien und Publikationen.
Annika.Arnold(at)fes.de
Hagemeyer, Lennart; Willems, Emilia; Faus, Jana
Lennart Hagemeyer, Emilia Willems, Jana Faus ; Herausgeberin: Abteilung Analyse, Planung und Beratung. - Berlin : Friedrich-Ebert-Stiftung, November 2024. - 16 Seiten = 3,1 MB PDF-File. - (FES diskurs)Electronic ed.: Berlin : FES, 2024ISBN 978-3-98628-620-0https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/21605.pdf
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